Die Spirale der Gewalt anhalten
Erklärung der Martin-Niemöller-Stiftung
Erklärung der Martin-Niemöller-Stiftung e.V. zur Frage der Beteiligung der Bundeswehr an militärischen Aktionen gegen den „Islamischen Staat“ in Syrien und Nordirak
Die Spirale der Gewalt anhalten
Frieden kann nicht mit Waffen gewonnen werden
Die Terroranschläge in Paris mit 130 Toten haben uns alle erschreckt und betroffen gemacht. Die Frage, wie mit einer durchaus realistischen terroristischen Bedrohung umzugehen ist, beschäftigt seitdem nicht nur Frankreich, sondern auch Deutschland und andere Staaten Europas. Nach Identifizierung der Täter sieht Frankreich sich in einem „Krieg“ mit dem sog. Islamischen Staat (IS) und bittet vor allem das befreundete Deutschland um Solidarität bei seiner Absicht, gegen den IS militärisch vorzugehen. Solidarität ist ein hohes Gut. Trotzdem fragen wir uns, ob Solidarität nicht gerade darin bestehen kann, dem Freund kritische Fragen zu stellen. Uns stellen sich in diesem Zusammenhang viele Fragen, von denen einige hier exemplarisch benannt werden sollen:
- Schon US-Präsident Georg W. Bush hat nach 9/11 zum „Krieg“ gegen den Terror aufgerufen und gemeint, mit Waffengewalt einen „Sieg“ erringen und die Gefahr des Terrors beseitigen oder minimieren zu können. Haben wir heute, nur einige Jahre danach vergessen, dass die Militärinterventionen in Afghanistan, Irak und später auch in Libyen nicht zur Stabilisierung dieser Länder und zum Aufbau demokratischer Strukturen, sondern zu Destabilisierung und noch mehr Chaos geführt haben? Und hat nicht das den islamistischen Terror gestärkt und Flüchtlingsströme größeren Ausmaßes ausgelöst?
- Die Bezeichnung „Krieg“ führt in die Denkfalle, militärischen Aktionen den Vorrang zu geben, weil Militär eben verfügbar ist und eine verfehlte bisherige Politik verdecken hilft. Müsste nicht viel mehr daran gearbeitet und darum gerungen werden, Ursachenforschung zu betreiben und gemeinsam, auch mit finanziellen Ressourcen, den Entstehungsgründen des Terrorismus entgegenzuarbeiten? Sollten wir nicht dem Gerede vom „Krieg“ widersprechen, weil damit im Bewusstsein der Bevölkerung etwas mental vorbereitet wird, das ernsthaft niemand wünschen kann.
- Das Wort „Krieg“ legt nahe, Frankreich und seine Verbündeten befänden sich in einem völkerrechtlich korrekt so zu bezeichnenden „Krieg“ zwischen Staaten. Geht es aber in Wirklichkeit nicht um die Auseinandersetzung mit einer über staatliche Grenzen hinweg aktiven terroristischen Miliz, die (auch) in Europa, vor allem aber im Nahen Osten Verbrechen begeht? Verbrechen, auch terroristischer Art, werden im Inland nach rechtsstaatlichen Vorschriften mit polizeilichen Maßnahmen bekämpft. Terroristen sind nicht Kriegsgegner, sondern Verbrecher. Verbrecher aber werden nicht vernichtet, sondern dingfest gemacht und vor Gericht gestellt. Müsste dies nicht auch im internationalen Rahmen beachtet werden?
- Der „Vorrang des Zivilen“ spielt in vielen Debatten der letzten Jahre eine große Rolle. Selbst hohe Militärs warnen öffentlich vor einem (zu) schnellen Ruf nach den Waffen. Müsste nicht erst mit genügend Zeit und mit der Beteiligung vieler Akteure die Möglichkeit ausgelotet werden, zivile Maßnahmen auf Dauer wirken zu lassen?
- Zuletzt die Frage: Wäre nicht die Solidarität Europas und der EU gerade jetzt in hohem Maße auf ganz anderen Gebieten gefordert: Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik; gemeinsames Programm gegen die durch hohe Jugendarbeitslosigkeit in einigen europäischen Ländern hervorgerufene Anfälligkeit junger Menschen für radikale Lösungen; gemeinsame Übernahme der Verantwortung für Flüchtlinge unter Beachtung humanitärer Standards, ohne Flüchtlinge in die Nähe von Terroristen zu rücken? Es ist höchste Zeit, die Spirale der Gewalt anzuhalten.
Wir wissen es seit Jahren und halten daran fest: Frieden kann nicht mit Waffen gewonnen werden.
Wiesbaden, den 4. Dezember 2015
Michael Karg
Vorsitzender der Martin-Niemöller-Stiftung e.V.
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