Neues Lebensgefühl: Hebräischlehrer
Nes Ammim - aus dem Alltag in einem nicht-alltäglichen Dorf in Israel. 3. Kapitel
Tobias Kriener schreibt aus Israel:
Ganz neues Lebensgefühl: Hebräischlehrer
12.9.2016
So – nach einem langen, anstrengenden Arbeitstag noch schnelle ein bisschen schreiben:
das Wochenende war sehr entspannt; Katja ist nun wieder weg, nachdem sie von Marije in die Arbeit der Dialogkoordinatorin eingeführt worden ist.
Heute ging's dann auch ernsthaft los mit den Arbeiten an unserem zukünftigen Heim; beim Ausräumen des Vorstandsbüros habe ich kräftig Schweiß vergossen.
All das nimmt viel Zeit in Anspruch, so dass ich immer noch nicht dazu gekommen bin, neue Batterien für den Fotoapparat zu kaufen; morgen will ich aber endlich mal nach Naharija mit meinem neuen Bikel und da verschiedenes erledigen.
Ein ganz neues Gefühl war heute die erste Ivrit-Stunde; mir hat's ganz großen Spaß gemacht – die armen Volontäre waren am Ende wohl doch ziemlich platt; übermorgen, bei der nächsten Sitzung, werden wir ja sehen, was hängen geblieben ist.
Es gibt schon ziemliche Klippen, die mir gar nicht mehr bewusst waren: z.B. die Frage: Wie wird nun eigentlich ein aleph ausgesprochen? Dass das eigentlich ein Konsonant ist, und kein A, ist für Neulinge in semitischen Sprachen natürlich ganz schwer einzuordnen. Denn wenn es alleinsteht, hört es sich ja erst mal wie A an; mit jud dahinter wie I, mit waw dahinter wie U oder O – da soll sich noch einer auskennen.
Und dann, dass at femininum ist, und atah maskulinum – wo doch sonst immer durch Anhängen eines -ah die Feminin-Form gebildet wird.
Und dass hi' = eng. she ist, während hu' = engl. he ist – sä ossäh balagan barosh*
Und wieso bei 'ima' am Ende ein aleph steht – dieses aleph schon wieder.
Das wird ein Spaß, wenn wir erst mal zum `ajin kommen!
Der Spieleabend heute war leider ganz schlecht – nämlich nur von mir besucht, gab mir aber immerhin die Chance, mal das reformierte Agricola im Solo-Format auf Herz und Nieren zu testen.
*Das schafft ein Durcheinander im Kopf.
Selbstfolter mit Meerblick
13.9.2016
Heute war ein geiler Tag – wie die Volos sagen würden:
Hatte endlich mal einen ganzen Vormittag, um mich mit dem Bikel nach Naharija aufzumachen. Habe auch gleich den Weg an der Küste entlang gefunden. Das war schon sehr schön. Das kann einen schon fast ein bisschen für die Radstrecke zwischen Bonn und Remagen entschädigen.
Zuerst geht's auf einer staubigen Piste lang, danach auf der Promenade von Naharija. Da kann man dann Selbstfolter betreiben ohne Abo in der Muckibude, dafür mit echtem Meerblick und Meeresrauschen; keine Tapete ist das im Hintergrund, und die „Musik“ kommt nicht vom Band!
In Naharija habe ich dann endlich Batterien für den Fotoapparat gefunden, so dass ich nun wieder Bilder machen kann; habe ein neues Armband für die Uhr erstanden; und habe beschlossen – nachdem ich kurz bei der Bank HaPoalim reingeschaut habe – die Sache mit der Kontoeröffnung auf Freitag zu verschieben. Da kaufe ich mir dann vorher die ha'aretz-Wochenendausgabe, um die Wartezeit sinnvoll zu füllen, denn in der Bank sah es ähnlich aus wie vorige Woche auf der Post in Akko. Das wird wieder eine Déjà-vu Erfahrung in Israeliness – ich halte Euch auf dem Laufenden.
Auf dem Rückweg habe ich auf Anhieb den besten Falafelstand nördlich von Haifa gefunden. Die Volos meinten zwar, 20 Schekel wären zu viel – maximal 15 wäre in Ordnung. Aber ich finde, das reichhaltige Angebot an salatim und scharfen Soßen rechtfertigt den Preis.
In Shavei Zion habe ich bei Ran-o-Fun, dem besten Fahrradladen der Levante, angehalten, und Oshrat, die überaus freundliche Lady hinter der Kasse, teilte mir freudestrahlend mit, sie hätte mir vor fünf Minuten eine Mail geschrieben, dass mein Schloss angekommen sei. Außerdem bekam ich noch mein defektes Rücklicht ausgetauscht. Leider habe ich vergessen, mir noch mal zeigen zu lassen, wie man das Ding zusammenfaltet ... Als ich mittags wieder in Nes Ammim ankam, war ich jedenfalls mit diesem ersten tijjul baofanajjim (Ausflug mit dem Fahrrad) außerordentlich zufrieden!
Heute Nachmittag hatten wir dann die Führung durch Regba mit Tanja Ronen – eine außerordentlich beeindruckende Frau, finde ich. Sie begann damit, dass sie uns an die Stelle führte, wo bis zum Unabhängigkeitskrieg 1948 das arabische Dorf as-samarija gestanden hat, von dem nur noch die Moschee steht, und erzählte uns, wie es zu seiner Zerstörung gekommen war: Aus as-samarija wurde die Straße zwischen Haifa und Naharija immer wieder beschossen, so dass die israelische Armee das Dorf zerstörte, um die Versorgung Naharijas sicherzustellen. Dabei schärfte sie uns ausdrücklich ein, dass das ihre Version der Geschichte ist, und dass andere andere Versionen davon haben – und dass ihre Version genauso wenig die alleinige Wahrheit sei, wie irgendeine andere.
Dann der Rundgang durch den moshav schitufi Regba, mit Bildern von den ersten Anfängen und der Geschichte der Schreinerei in Regba bis dahin, dass es heute eine Partnerschaft zwischen der Technischen Uni Rosenheim und Regba gibt, bei der Studenten aus Israel ihr Studium der Holztechnik in Rosenheim machen und dann gemeinsam mit ihren deutschen Kommilitonen den praktischen Teil der Ausbildung in der Fabrik für Küchen in Regba.
Regba ist – wie Shavei Zion und Naharija – von jüdischen Emigrant_innen aus Deutschland gegründet worden. Köstlich, wie sie davon erzählte, wie sehr die Bewohner_innen von Regba auf Pünktlichkeit geachtet haben: 5 vor 6 am Morgen erschien man am Arbeitsplatz, damit es pünktlich um 6 losgehen konnte; pünktlich um 8 das Frühstück; pünktlich um 12 das Mittagsessen; pünktlich um 12:30 ging's weiter mit der Arbeit; und auf die Minute pünktlich wiederum um halb vier Arbeitsschluss.
Und viele weitere höchst reflektierte und amüsante Gedanken. Zum Schluss zeigte sie uns den 300 Jahre alten Olivenbaum, der einer Familie im arabischen Dorf Mazra'a gehört – durch das uns übermorgen Jussef führen wird. Regba anerkennt, dass der Baum nach wie vor dieser Familie gehört, so dass diese jährlich zur Olivenernte nach Regba kommt. Sie machen es auf ihre Art – so Tanja, was u.a. dazu führt, dass nachher der Platz unter dem Olivenbaum ziemlich verdreckt aussieht – für die ordnungsliebenden „Jeckes“ (Bezeichnung für die aus Deutschland gekommenen Jüd_innen) natürlich ein arger Angang ... „Aber das ist ihre Art, Oliven zu ernten – und wer bin ich, dass ich ihnen sage, wie sie ihre Oliven zu ernten haben.“ Ich habe Tanja jedenfalls gleich ins Herz geschlossen und freue mich auf weitere Begegnungen mit ihr.
Tobias Kriener, September 2016
Ein Fortsetzungs-Tagebuch auf reformiert-info. Von Tobias Kriener
Nach oben - E-Mail - Impressum - Datenschutz