Tel Aviv
Nes Ammim - aus dem Alltag in einem nicht-alltäglichen Dorf in Israel. 26. Kapitel
Tobias Kriener schreibt:
Tel Aviv – erstes Beschnuppern
12.12.2016
Gestern waren wir in Tel Aviv – ist mir bisher nicht gerade vertraut, war also so etwas wie ein erstes Beschnuppern.
3 Programmpunkte:
- Beit Hatfutsot – das Diaspora-Museum. Ich lese ja gerade von Tom Segev „HaMillion HaShwi'i“, die 7. Million – über die Bedeutung der Shoa für die zionistische Bewegung und den Staat Israel; daraus geht deutlich hervor, mit wieviel Herablassung und geradezu Verachtung die Zionisten die Juden in der „Disapora“ angesehen und – wenn sie denn nach Israel kamen – behandelt haben. Es hat lange gebraucht, bis man in Israel das kulturelle Erbe des Judentums außerhalb von Eretz Jisrael würdigen konnte. Ausdruck dafür ist dieses dritte große israelische Museum (neben und eben zeitlich deutlich nach dem Israelmuseum und Jad VaSchem).
Die Ausstellung zeigt denn auch den Reichtum des jüdischen kulturellen Erbes sehr eindrucksvoll.
Sie macht allerdings auch kein Geheimnis aus ihrer ideologischen Ausrichtung: Die Geschichte jeder jüdischen Gemeinschaft endet in der Katastrophe (wenn es um Europa geht) oder in der Auflösung (wenn's um die orientalischen Gemeinschaften geht) – und am Ende der Gesamtausstellung steht die Gründung des Staates Israel.
Die heutige Diaspora kommt mit keinem Wort vor. Es ist für Israel eben immer noch so: Eretz Jisrael ist die Heimat der Juden – wer dort nicht wohnt, wohnt in der Fremde; dass Juden in den USA oder Argentinien – oder gar in Europa und sogar in Berlin (!) – beheimatet sein könnten, ist unvorstellbar. - Dizengoff-Square und drumherum: Bauhaus. Ich bin ja kein großer Architekturexperte, aber ich finde beim genauen Hinsehen merkt man sofort, wie wohltuend diese Baugeschichte Israels ist: Eben kein Reihen-Platten-Bau, sondern jedes Haus ist individuell gestaltet. Die „Bauhäuser“ stechen dadurch einerseits gegenüber der Billigarchitektur gleich hervor, andererseits geben sie in der Dichte, in der sie in den Straßen rund um den Dizengoff-Square vorkommen, der ganzen Stadt ein menschliches Gepräge. Ich kann es nicht recht in Worte fasse: Ich kann es nur mit unserer Siedlung in Buschdorf vergleichen, wo wir die letzten Jahre gewohnt haben: Von einem Investor hochgezogen – jedes Haus absolut identisch mit den Anderen – Lego-Baukasten-Prinzip – total seelenlos und tot – obwohl jedes Haus seinen Garten hat. Im Zentrum Tel Avivs dagegen, obwohl unglaublich dicht bebaut, obwohl laut und großstädtisch, fühlt es sich einfach menschlich an – sehr modern, gar nicht dieses Butzenscheiben-gemütlich-Spießige, was man in den deutschen Altstädten ja so liebt – einfach stilvoll, mit einer gewissen mediterranen Grandezza...
Naja – genug geschwärmt, andere können das viel qualifizierter... - Und zuletzt noch zum Jitzchak-Rabin-Platz – dem Platz vor dem Rathaus, auf dem alle großen Demos in Israel stattfinden – wo die Riesendemo war mit den 500.000, die 1982 Ariel Scharon zum Rücktritt gezwungen haben; wo aber eben auch die große Demo 1995 war, nach deren Ende Rabin ermordet wurde. Sozusagen die „Agora“ Israels.
Man lernt ja jedes Mal auch was für den Alltagsgebrauch dazu. Gestern habe ich gelernt, dass wir nicht noch mal mit den Autos nach Tel Aviv fahren. Es dauert über 3 Stunden (der Zug von Naharija braucht 1 1/2 Stunden), und man muss dann jwd parken. Kein Busfahrer weiß, wie man dahin zurückkommt – unserer hat uns ganz woanders hingefahren, sodass ich dann doch das Geld fürs Taxi ausgegeben habe; und es ist auch noch nicht nachhaltig.
Katja und das „radikalzionistische“ Empfangskomitee
16.12.2016
So, Katja ist da!
Der Plan war ja eigentlich, dass ich zu meiner ersten Arabischstunde fahre (sollte eigentlich am 1.12. sein, wurde um 2 Wochen verschoben) und danach weiter mit dem Zug zum Flughafen; als ich aber in der Berlitzschool in Kirjat Bialik ankam, war die erste Kursstunde nochmal um 2 Wochen verschoben: Irgendwelche Kursteilnehmer müssen erst noch dringend Weihnachten feiern, und kommen deshalb vorher nicht zum Arabischlernen ... (?!?) Das wird ja eine lustige Gruppe – ich hoffe also, dass es jetzt am 29.12. klappt (wenn sie da man nicht erst noch Silvester feiern müssen...).
Immerhin hatte das den Vorteil, dass ich nicht erst nach Mitternacht am Flughafen ankam, sondern schon vor Katja da war. So konnte ich mich in Ruhe in der Empfangshalle umsehen und mich an dem „radikalzionistischen“ Empfangskomitee ergötzen – sogar der Dackel war weiß-blau geflaggt! Als dann die erwarteten Reisenden in die Empfangshalle kamen, wurden sie mit einem zünftigen „Hewenu Schalom alejchem“ und Hochrufen auf Bibi Netanjahu (!) empfangen.
(Das Copyright für die mich überaus ansprechende Formulierung „radikalzionistisch“ gebührt übrigens Simon The Z B. aus B., dem dafür mein Dank ewig nachschleichen wird!)
Und dann stürmte Katja herein (mit 4 !!!! Koffern) – zielstrebig auf den nächsten Bankautomaten zu, so dass sie mich erst mal nicht bemerkte (sie hatte mich natürlich so früh auch noch nicht erwartet); umso größer dann die Freude, dass sie nicht noch eine Stunde auf mich warten musste. Nichtsdestoweniger waren wir erst um 2:30 zu Hause, und nicht vor 3:30 im Bett, weil sie natürlich erst mal die neue Bleibe in Augenschein nehmen musste. Aber sie ist – glücklicherweise – ganz zufrieden mit dem, was ich schon so aufgestellt habe, und findet es schon richtig wohnlich und ist jetzt dabei, die Kisten auszupacken, die ich ihr noch übrig gelassen habe.
Dr. Tobias Kriener, Studienleiter in Nes Ammim, Dezember 2016
Ein Fortsetzungs-Tagebuch auf reformiert-info. Von Tobias Kriener
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