Palästina - Fahrt in Westbank und Gazastreifen IV
Nes Ammim - aus dem Alltag in einem nicht-alltäglichen Dorf in Israel. 31. Kapitel
Tobias Kriener schreibt:
8. Station: Hebron – Machpela – Grabstätte der Erzväter und Erzmütter Israels; für Muslime ebenfalls Heilige Stätte, denn Abraham ist ja – über die Linie Ismael, des älteren Sohns Abrahams – der Stammvater der Araber_innen. Nachdem unter muslimischen Herrschern den Juden nicht erlaubt war, drinnen zu beten, sondern nur auf einer Treppe bis zur siebten Stufe, ist heute – nach der Eroberung Hebrons 1967 – der große Raum mit den 6 Kenotaphen für die drei Erzväter und drei Erzmütter zweigeteilt: Die eine Hälfte ist Moschee, die andere Synagoge. Alles streng getrennt und bewacht von israelischem Militär. Eher kein gutes Beispiel für die Gemeinsamkeiten zwischen den Religionen, sondern für den erbitterten Kampf um Deutungshoheiten und Besitzansprüche.
Wir sind dies Mal nicht durch den Teil des Suks (Markts) gegangen, der weitgehend geschlossen ist zum Schutz der israelischen Siedlung im Stadtkern von Hebron. Das werden wir demnächst mit „Breaking the Silence“ machen.
9. Station: Tent of Nations – das Landstück von Sa'ud Nassar zwischen den Siedlungen von Gush Etzion, der uns die Geschichte der juristischen Auseinandersetzung um die Konfiskationsversuche der israelischen Militärverwaltung schilderte. Weil wir uns hier im C-Gebiet befinden, würde herrenloses oder unbearbeitetes Land eben an Israel fallen. Seit 2001 führt er den Rechtsstreit darum, und um seine Anträge für Bauten auf seinem Grundstück, die allesamt ohne Begründung abgelehnt werden. Wenn er dann doch etwas macht – z.B. Solarpaneele zur Erzeugung seines eigenen Stroms hinstellt – gibt’s sofort eine Abrissverfügung (da kann die Bürokratie doch sehr schnell und effektiv arbeiten ...), gegen die er sich dann wieder vor Gericht zur Wehr setzen muss. Bis 2012 hatte er auch mit Übergriffen von Siedlern zu kämpfen, die sein Bäume fällten oder sonst Zerstörungen anrichteten. Seitdem internationale Freiwillige auf dem Gelände bei der Arbeit helfen, hat wenigstens das aufgehört.
Er ist schon ein beeindruckender Mensch, wenn er darlegt, wie er versucht, die Frustration und den Ärger nicht in Hass und Gewalt abgleiten zu lassen, sondern dem ein positives Denken und Handeln entgegenzusetzen, gegründet nicht zuletzt auf seiner christlichen Überzeugung vom Sinn und Nutzen der Gewaltlosigkeit. Es wäre zu wünschen, dass solch ein Beispiel in der palästinensischen Gesellschaft mehr Nachahmung findet – und nicht auf einen neuen Saladin wartet, der sie mit dem Schwert befreien wird, wie es die Graffitti in Ramallah immer noch erhoffen ...
10. Station: Flüchtlingslager Deheische, wo unser Guide Muhammed wohnt. Muhammeds Mutter starb bei der Geburt; er wuchs dann weitgehend in der lutherischen Gemeinde von Beit Jala auf und ist dieser Gemeinde seither treu verbunden – er ist so eine Art „lutherischer Muslim“. Da es schon dunkel war, war nicht so viel zu sehen. Wir bekamen von seiner Frau einen leckeren Tee, bewunderten seinen kleinen Sohn, und ließen uns von ihm ein bisschen aus dem Alltag in Deheische erzählen.
Weil Deheische in Area A liegt, hat sich die Situation schon sehr verbessert. Zur Zeit der 1. Intifada (1987 ff.) kontrollierte die israelische Armee das Lager, und es gab nur ein Tor als Ein- und Ausgang. Jetzt ist das Flüchtlingslager von der Umgebung nicht mehr zu unterscheiden – ein weiterer Stadtteil Bethlehems. Als Erinnerung steht nur noch das Drehtor, durch das damals die gesamte Bevölkerung Deheisches durch musste, samt dem danebenstehenden Wachturm.
Letzter Tag – 11. Station: Lutherische Gemeinde in Ramallah. Die Fahrt von Bethlehem nach Ramallah ist schon ein Erlebnis für sich. Man muss Jerusalem in weitem Bogen umfahren (Jerusalem ist für Palästinenser aus der Westbank nur mit besonderer Genehmigung zugänglich). 3 Mal geht’s auf abenteuerlich steilen Straßen tief ins Wadi der judäischen Wüste, 3 Mal wieder rauf. Bei der Fahrt durch Bethlehem, El-Azerije und dann schließlich Ramallah wird deutlich, was der Vorteil der A- und B-Zonen ist: Hier erteilt nicht die israelische Militärverwaltung die Baugenehmigungen (für Siedlungen sehr gerne – für Palästinenser so gut wie nicht), sondern eben die palästinensische Regierung, was einen Bauboom ohne gleichen zur Folge gehabt hat. Das Problem ist, dass die A-/B-Gebiete durch die C-Gebiete voneinander getrennt sind, was wir noch zu spüren bekamen.
Pastor Imad Haddad erzählte uns aus der Geschichte seiner Gemeinde, die eine Gemeinde von Flüchtlingen ist, die nach 1948 gegründet wurde. Zentraler Punkt seiner Ausführungen: Sie wollen ein „challenge“ für die palästinensische Gesellschaft sein. Die Herausforderung, die nicht zuletzt durch die Schule mit über 400 (nur zum kleinen Teil christlichen) Schüler_innen gestellt wird, besteht in der Gleichbehandlung von Mädchen und Jungen, von christlichen und muslimischen Schüler_innen und…
12. Station: Arafats Grabstätte – ein schon pharaonenhaft anmutender Bau. Der Grabstein von Arafat allerdings sehr schlicht: ein Koranvers, sein Geburts- und Todesdatum, sein Name (mit der Ehrenbezeichnung „Schahid“ – Märtyrer versehen – die einzige Unwahrheit auf dem Grabstein).
Für mich, dem Arafat in den 70er, 80er und90er Jahren unzählige Male in der Zeitung in Artikeln, Fotos und Karikaturen (er war ja für Karikaturisten ein besonders dankbares Objekt) begegnete, kamen viele Erinnerungen hoch, insbesondere an den Oslo-Prozess, der vor 23 Jahren so viele Hoffnungen geweckt hat: der Handschlag vor dem Weißen Haus 1993, die Ermordung seines Widersachers und am Schluss Partners Jitzchak Rabin 1995 – mich hat es ganz unerwartet berührt und auch ein bisschen emotional umgehauen…
13. Station: Besuch in der deutschen Vertretung in Ramallah, wo wir von einer jungen Mitarbeiterin eine Einschätzung der Lage aus Sicht der deutschen Diplomatie zu hören bekamen.
Nun war's aber auch genug, und wir wollten schnell zurück nach Beit Jala zu unseren Autos und ab nach Nes Ammim. Doch kurz darauf standen wir im Stau, der nicht allein auf die Rush-Hour zurückzuführen war. Ein entgegenkommender Taxifahrer berichtete unserem Busfahrer, dass der israelische Checkpoint beim Flüchtlingslager Kalandia zwischen Ramallah und Jerusalem geschlossen sei – und so ging gar nichts mehr.
Das Chaos ist gar nicht zu beschreiben: Wir fuhren – bzw. standen – auf der Hauptstraße, die auf beiden Seiten je 2 Fahrspuren hat – durch eine Betonmauer voneinander getrennt. Der entgegenkommende Verkehr war nicht so stark – und so wichen die Taxis durch die Lücken in der Mauer an den Einmündungen der Querstraßen auf die Gegenfahrbahn aus und fuhren in halsbrecherischem Tempo in den entgegenkommenden Verkehr! An einem Kreisverkehr, an dem sich die Autos auf der Hauptstraße mit denen aus den Nebenstraßen vollkommen verkeilt hatten, stiegen die Fahrer aus und organisierten gestenreich und lautstark die Verkehrsregelung, so dass wenigstens die weiter konnten, die nicht in Richtung Süden unterwegs waren. Es dauerte 1 ½ Stunden bis wir den Checkpoint erreicht hatten – der dann natürlich wieder offen war.
Kurz dahinter gab es wieder Stau – diesmal auf einer zweispurigen Straße – die Fahrbahnen durch eine Betonmauer voneinander getrennt. Vor uns wendete eine Fahrerin und kam uns auf dem Standstreifen entgegen – und auf der gegenüberliegenden Seite sausten wieder die Taxis auf dem Standstreifen dem Gegenverkehr entgegen! Absolut irre …
Nach diesem 2. Stau ging's dann allerdings zügig – 2 Stunden nach der vereinbarten Zeit waren wir in Beit Jala. Das gute an unserer Verspätung war, dass inzwischen der Verkehr in Israel nicht mehr so stark war, so dass wir in weitern zwei Stunden tatsächlich in Nes Ammim waren.
Dr. Tobias Kriener, Studienleiter in Nes Ammim, Januar 2017
Ein Fortsetzungs-Tagebuch auf reformiert-info. Von Tobias Kriener
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