Merkel sei Dank

Mittwochs-Kolumne von Paul Oppenheim

"Der historische Verdienst von Angela Merkel ist, dass sie allem Druck tapfer widerstanden hat." © Wikimedia

Umfragen kann man hinterfragen, Studien anzweifeln, Statistiken für falsch halten und dennoch haben wir es schon immer gewusst: Auch in Deutschland gibt es eine politische Rechte jenseits des politisch Korrekten.

An Stammtischen klopft sie ihre sprichwörtlichen Sprüche, in bayerischen Bierzelten macht sie sich Luft und auch bei Treffen der Heimatvertriebenen darf sie zu Wort kommen. Ansonsten ist dieser rechte Rand des politischen Spektrums seit Jahrzehnten im politischen Leben der Bundesrepublik kaum ernsthaft in Erscheinung getreten.1

Versuche der Ausländerfeinde und Antisemiten, bei Wahlen eine Rolle zu spielen, wurden immer schnell eingedämmt. Republikaner, DVU oder NPD schafften es nie in den Bundestag. Mit Überwachung und Verbotsverfahren sollte der braune Fleck entfernt werden, wo immer er sichtbar wurde. Das wirksamste Mittel war aber stets die Vereinnahmung der Rechten durch die Volksparteien, insbesondere die Unionsparteien, denen es lange gelungen ist, ihr konservatives Mäntelchen so in den Wind zu hängen, dass sich dahinter auch Nationalisten, Revanchisten und Ausländerfeinde verstecken konnten. Das hat sich lange bewährt, und anders als in Frankreich, den Niederlanden, den skandinavischen und osteuropäischen Ländern hatten Rechtspopulisten in Deutschland bisher nur marginale Wahlerfolge.

Das, was jahrzehntelang im Westen Deutschlands geklappt hatte, wollte nun im Osten nicht mehr funktionieren. Die Skepsis gegenüber der etablierten politischen Klasse ist im Osten groß. Das, was eine Studie der Universität Leipzig2 als die „enthemmte Mitte“ bezeichnet, hat sich in den neuen Bundesländern außerhalb der Volksparteien gesammelt. Da gab es zuerst die PDS und die Linke, später „Pegida“ und seine Ableger und allerlei rechtsextreme Grüppchen. Schließlich bot sich die AfD als Sammelbewegung all jener an, die in der Ankunft flüchtender Menschen aus dem Nahen Osten und Afrika eine Bedrohung ihrer Existenz sahen und die Bundeskanzlerin persönlich dafür verantwortlich machten.

Der große und historische Verdienst von Angela Merkel ist, dass sie allem Druck und allen Versuchungen, den rechten Rand wiederzugewinnen und abermals für die CDU zu vereinnahmen, tapfer widerstanden hat. Indem sie sich zu ihrer Entscheidung bekannt hat und trotz aller Beschimpfungen und Schmähungen in der Flüchtlingsfrage Kurs gehalten hat, wurde bei der Bundestagswahl 2017 der braune Bodensatz der Volksparteien in Richtung AfD gespült. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik wurde die ausländerfeindliche und nationalistische Gesinnung in ihrem ganzen erschreckenden Ausmaß erkennbar. Es ist dank Merkels Standfestigkeit offenbar geworden, dass mancherorts – und zwar im Osten ebenso wie in Bayern – über 20% der Wähler für rechtsextremes Gedankengut anfällig sind.

Die Seehofers, Scheuers und Tillichs weinen ihren verlorenen Wählern am rechten Rand nach. Sie verkennen die historische Bedeutung dieser Wahl, denn jetzt gilt es, jenseits parteipolitischer Eitelkeiten und Egoismen Kurs zu halten und dem Ungeist der ewig Gestrigen Einhalt zu gebieten.

1 Siehe z.B. Bundestags-Drucksache 18/11970 vom 7.4.2017: Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus

2 Hg. Oliver Decker, Johannes Kiess, Elmar Brähler, Die enthemmte Mitte, Autoritäre und rechtsextreme Einstellung in Deutschland - Die Leipziger „Mitte“-Studien 2016, Psycho-Sozial Verlag (www.uni-leipzig.de/presseinfo/mitte-studie)


Paul Oppenheim