'Verstehen, was wir beten'

Buchtipp von Sylvia Bukowski


Das Vater Unser gilt verbreitet als „Gebet für alle Fälle“. Okko Herlyn betrachtet es vor allem als „Gebet zum Nachdenken,“ und sein Buch soll dazu beitragen, dass „wir verstehen, was wir beten.“

Seine LeserInnen holt Herlyn am Anfang seiner Kapitel oft mit umgangssprachlichen Assoziationen zu den Schlüsselbegriffen der einzelnen Bitten ab: wie wird im Volksmund „Himmel“ verstanden, was ist Menschen „heilig“, was wird mit „Versuchung“ verbunden. Oder er schildert Meinungen, die weit verbreitet sind: „beten kann ich auch zu Hause“, bei der Anrede Vater „hört es bei mir schon auf“.  In seinen Erklärungen nimmt Herlyn seine LeserInnen dann in einen differenzierten theologischen Erkenntnisprozess mit, den er anhand von möglichen Fragen entwickelt. Orientierung für seine Erklärungen sucht Herlyn zuallererst in der Bibel. Er stellt die Bitten des Vater Unsers jeweils in einen aufschlussreichen gesamtbiblischen Zusammenhang und erläutert historische Hintergründe, um daraus neue Sichtweisen herauszuarbeiten. Diese setzt er treffsicher mit der heutigen Lebenswelt in Verbindung. So macht er z.B. klar, wie heilsam das biblische Bilderverbot für den alltäglichen Umgang miteinander ist, wie befreiend schon das Aussprechen der eigenen Schuld sein kann, wie stark das Wörtchen Amen einen in die Pflicht nimmt, gerade nicht zu allem „Ja und Amen“ zu sagen.

Herlyn plädiert für eine „Wiederentdeckung der Ehrfurcht“, warnt davor, zu einem „religiösen Spießer“ zu werden, und kritisiert die Verharmlosung der biblischen Botschaft zu einem selbstbezogenen Wohlfühlglauben. Als reformierter Theologe bringt er an manchen Stellen den Heidelberger Katechismus zum Leuchten, bezieht sich gern auf Karl Barth, würdigt aber auch andere theologische Stimmen, ohne akademisch „abzuheben“.  Besonders wichtig ist Herlyn, dass das Vater Unser uns in eine solidarische Gemeinschaft stellt und uns aus einer „rein passiven, nur bittenden Haltung“ herausholt „in eine neue Bereitschaft zur Aktivität“, konkret: zu solidarischem Handeln.

Trotz der „Zumutungen“, die Herlyn seinen LeserInnen nicht erspart, tritt er nie schulmeisterlich auf. Es gelingt ihm, bei allem theologischen Tiefgang einen unterhaltsamen Stil beizubehalten, der auch davon lebt, dass Herlyn als Kabarettist gelernt hat, getreu Luthers Maxime „dem Volk auf`s Maul zu schauen.“ Das wird deutlich an den tatsächlich häufig gestellten Fragen, die er aufnimmt, in besonderer Weise aber auch an Überschriften wie z.B. „et kütt wie et kütt“ , „was verboten ist macht uns gerade scharf“, „Amen. Dein Rhinozeros“. Damit biedert sich Herlyn jedoch nicht an. Er macht vielmehr neugierig auf das, was folgt. Und das sind lehrreiche, kritische, zum weiteren Nachdenken und Diskutieren anregende  Reflexionen über das Vater Unser.

Das Buch hilft tatsächlich zu „verstehen, was wir beten“. Besonders zu empfehlen ist es für biblische Gesprächsgruppen und alle, die in Predigt und Unterricht in das Vater Unser einführen möchten.

Okko Herlyn
Das Vaterunser
Verstehen, was wir beten
gebunden, 149 Seiten
€ 14,99
ISBN 978-3-7615-6446-2
Neukirchener Verlag
 


Sylvia Bukowski

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