Anhang II: Von der Theologie

zu: Theologie als Erzählung - erzählte Theologie: Das Heptameron

von Merete Nielsen, Göttingen

Schon Lucien Febvre wandte sich in der ersten Ausgabe seines Buches: „Amour sacré, amour profane“ 1944, gegen die These, Marguerite von Navarra sei mit Etiketten wie: Humanistin, Lutheranerin, Calvinistin oder Katholikin zu versehen. In der modernen Forschung neigt Wanegffelen zu der Annahme, sie sei eine Katholikin des dritten Weges, eine Humanistin zwischen zwei Stühlen, Rom und Genf.

Dem stimmt Christine Martineau-Genieys, die vor allem die Religion im Heptameron untersucht hat, zu. Sie ist der Auffassung, das Heptameron sei eine religiöse Bildungsroman mit Personen, die sich Geschichten erzählen, nicht eine Novellensammlung mit Rahmenhandlung.

Sowohl Nathalie Zemon Davis wie auch Christopher Ellwood unterstreichen die Bedeutung des Abendmahlsverständnisses für die Auseinandersetzungen im Frankreich des 16. Jahrhunderts. Davis zeigt, wie oft die Auseinandersetzungen zwischen den Religionen  sich an solchen Fragen entzündeten. Ellwood sieht die katholische Haltung als Ausdruck der Gewissheit, Gott sei in seinem Volk gegenwärtig, und der König sei sein Repräsentant auf Erden. Wer den König lästerte, lästere Gott. So wurde jede Kritik am Messopfer als Hochverrat eingestuft, was die Haltung Franz I. nach der Plakataffäre deutlich zeigte: der König schritt in Büßergewand hinter der Hostie, während zahlreiche Protestanten als Sühneopfer verbrannt wurden.

Marguerite war überzeugt, dass die Verfasser der Plakate mit ihren Angriffen auf die Messe und die Eucharistie Verleumder der Protestanten waren, dass die Plakate folglich ein katholischer Komplott seien! So schrieb sie an ihren Bruder, den König:
„…Dieu merci, Monseigneur, nul de nostres n´ont été trouvés sacramentaires, combien ils n´ont guère porté moindres peines, et ne me puis garder de vous dire qu´il vous souviegne de l´opinion que j´avois que les vilains placars estoient faits par ceux qui les cherchent aux aultres“ ( = Gott sei Dank, mein Herr, keine von unseren sind als Sakramentarier überführt worden, obwohl sie nicht weniger als jene gelitten haben, und ich kann es nicht unterlassen Sie an meiner Überzeugung zu erinnern, die bösen Plakate seien von denen gemacht, die Anderen dafür anklagen). Zitiert nach Martineau-Génieys, 38, N.41.

Wer in Frankreich die Abendmahlstheologie Calvins kennenlernen wollte, hatte zwei Möglichkeiten: entweder die Institutio, die 1541 in einer französischen Übersetzung herausgekommen war, oder seinen „Kleinen Abendmahlstraktat“ vom selben Jahr zu lesen. Auch das Traktat war in französischer Sprache abgefasst und sehr kurz und klar:
1541: „Petit traicté de la saincte Cène de notre Seigneur Jésus Christ”, CO 5, 429-60. Deutsch: CStA,1,2, 431-493.

Die Auseinandersetzungen unter Katholiken und Protestanten hatten ihr Eigenleben und lassen sich nicht immer von der Theologie Calvins ableiten. Die Königin von Navarra dagegen kannte vermutlich seine Schriften, so wie sie früher Luther gelesen hatte. Zwingli dagegen hatte sie vermutlich nicht gelesen.

Seit seiner eigenen Flucht aus Frankreich hatte Calvin die französischen Protestanten dazu aufgerufen, ihren Glauben zu bekennen. So hatte er in einem offenem Brief Roussel kritisiert, als Marguerite ihn nach Oloron als Bischof geholt hat:
1537: “De christiani hominis officio in sacerdotiis papalis ecclesiae vel administrandis vel abiiciendis”, CO 5, 279-312, als das zweite von “Zwei Sendschreiben”, in CStA 1,2, 263-336 auf Deutsch: „Vom Amt des Christenmenschen hinsichtlich der Priesterwürden der päpstlichen Kirche: Ausübung oder Zurückweisung.“
1540 riet Calvin in einem Brief an einen französischen Unbekannten ihm zur Flucht: CO 6,579-88.
1543 forderte er noch einmal zu Flucht aus Frankreich auf:
“Petit traicté monstrant que c´est que doit faire un homme fidele congnoissant la verité de l´Evangile quand il est entre les papistes”, CO 6, 537-588: “Kleiner Traktat darüber was ein   Christenmensch unter den Papisten tun soll”.
1544 veröffentlichte er eine Schrift gegen die sogenannten Nicodemiten:
„Excuse à Messieurs les Nicodemites sur la complaincte qu´ilz font de sa trop grand rigeur”, CO 6, 589-614, als: “Entschuldigungsschreiben an die Herrn Nicodemiten”, in: CStA 3, 209-267.
1549: „De vitandis superstitionibus“, CO 6, 617-44: „Von den abergläubischen Bräuchen, die zu meiden sind und die einem ehrlichen Bekenntnis des Glaubens widersprechen“.
1550: „De scandalis quibus hodie plerique absterrentur nonnullae etiam alienantur a pura Evangelii Doctrina“, CO 8, 1-84: „Von den Ärgernissen, die heute viele Menschen daran hindern zur reinen Lehre des Evangeliums zu gelangen und andere sogar davon abbringen“
1552: „Quatre sermons fort utiles pour nostre temps avec exposition du Pseaume 87“, CO 8, 369-452: “Vier für unsere Zeit sehr nützliche Predigten mit einer Auslegung des Ps. 87“.
1562: „Response à un certain Holandois lequel sous ombre de faire les Chrétiens tout spirituels leur permet de polluer leur corps en toutes idolatries“, CO 9,581-628: “Antwort an einen Holländer, der unter dem Vorwand, die Christenmenschen ganz Geist zu machen, ihnen erlaubt, ihr Körper mit allen Götzendienst zu beschmutzen.“

Von 1537 bis 1552 forderte Calvin in Frankreich die Protestanten zur Auswanderung auf. Später baute er eine reformierte Kirche in Frankreich auf, besonders in den Jahren nach 1555, dem Wahlsieg der Calvinanhänger, als der Rat in Genf dieses Vorhaben unterstützte. Sein Brief an den Holländer mit der Aufforderung, sich zum reformierten Glauben frei zu bekennen, ist in einer Situation verfasst, als das Land kurz vor dem Aufruhr gegen Spanien stand.

Man sieht, wie sehr es Calvin darum ging, mit den Äußerlichkeiten der katholischen Frömmigkeit aufzuhören, und Gott gehorsam zu sein. Kein Mensch – auch nicht die Königin von Navarra! – sollte glauben, man könne im Stillen reformiert sein, aber sich öffentlich als Katholik zeigen. Die katholischen Riten waren für ihn nicht belanglose Äußerlichkeiten (Adiaphora), sondern Gefahren und Schmutz, die die Seelen nur verderben könnten. Für Calvin war der Versuch der Königin, in ihren Ländereien eine katholische Reform durchzuführen, zum Scheitern verurteilt, nicht zuletzt weil dies dem Willen Gottes nicht entspreche, sondern menschliche Anmaßung sei. Als Jeanne d´Albret 1560 als Protestantin öffentlich hervortrat, grüßte er sie – sinngemäß! – mit einem: “Na, endlich!“ Unter ihrem Schutz wurde Südfrankreich reformiert.


Merete Nielsen, Göttingen