Vorgeschichte und erste Jahrzehnte des Reformierten Bundes

Der Weg aus der Diaspora


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Der Reformierte Bund wurde im Zwingligedenkjahr 1884 auf einer Zusammenkunft von 64 Gesandten in Marburg begründet. Er hat aber eine längere Vorgeschichte.

Die Vorgeschichte

Das deutsche Reformiertentum, das in der Zeit des ancien regime vielfach in Landeskirchen oder gesondert organisierten Kirchenkörpern bestanden hatte, war durch die staatliche Neuordnung des Wiener Kongresses von 1815 durchweg zu einer Diasporakirche geworden. Einzig das Fürstentum Lippe-Detmold war noch ein überwiegend reformiertes Bundesland. In Nassau, Preußen, der linksrheinischen bayerischen Pfalz, in Anhalt, Teilen von Hessen-Kassel, im großherzoglichen Rheinhessen und in Baden waren traditionelle Schwerpunktgebiete in schneller Folge in den Kirchenunionen von 1817-1822 aufgegangen.

In Bremen waren die Kirchen entkonfessionalisiert worden. Geschlossenere Kirchengebiete reformierten Gepräges bestanden außer in Lippe nur noch im Königreich Hannover in Ostfriesland und in Bentheim, im kurfürstlichen Niederhessen, in einzelnen Kreissynoden der preußischen Provinzen Westfalen und Rheinland. Im übrigen gab es ein dünnes Netz von Einzelgemeinden in der niedersächsischen Konfoederation, in Lingen und im Umfeld von Bremen und Göttingen, im rechtsrheinischen Bayern, in den Hansestädten und in den preußischen Ostprovinzen.

Durchweg allzu bereitwillig hatten sich die deutschen Reformierten der Aufklärung hingegeben und darüber vielfach den Sinn für ihre Eigenart eingebüßt. Wo sie aber von vereinzelten Gruppen streng festgehalten wurde, wie im Bentheimischen und in Elberfeld im Agendenstreit, waren diese in die altreformierte bzw. niederländisch-reformierte Separation von den Landeskirchen gedrängt worden. Die Erweckungsbewegung hat dann in Wuppertal, im Siegerland und in Bremen, in Erlangen und in Lippe zu neuer und dauerhafter Kräftigung auch des reformierten Bewußtseins geführt. Seit freilich die Theologische Fakultät in Marburg 1822 ihre reformierte Bestimmtheit aufgegeben hatte, besaßen die deutschen Reformierten, die einst vier Universitäten und sechs illustre Gymnasien ihr eigen genannt hatten, keine eigene theologische Fakultät mehr.

Die ersten Anläufe zur Sammlung der Reformierten in Deutschland sind von der Diaspora ausgegangen, insbesondere von Erlangen aus, wo Christian Krafft als Pfarrer der deutsch-reformierten Gemeinde seit 1817 und als Extraordinarius in der Theologischen Fakultät seit 1818 einen tiefen Einfluß auf die fränkische Erweckungsbewegung entfaltet hatte. An seine Stelle sind zwei seiner Zöglinge getreten, sein Schwiegersohn Karl Goebel 1846 als Pfarrer der Gemeinde und August Ebrard, 1847 als erster Inhaber des jahrzehntelang einzigen reformierten Lehrstuhls aus Zürich nach Erlangen berufen. Ebrard hatte bereits 1843 mit einer reformierten Liturgik und dann 1847 mit seinem reformierten Kirchenbuch sich um die Wiederbelebung der reformierten Gottesdienstform verdient gemacht.

Ebrard ist es auch gewesen, der am Rande des 3. Evangelischen Kirchentags in Stuttgart am 13. September 1850 eine erste reformierte Konferenz von 30 Kirchentagsteilnehmern zusammengebracht hat, darunter auch Gäste aus der Schweiz, den Niederlanden und Frankreich. Hier ist der Vorschlag eines verbindenden Korrespondenzorgans geäußert worden, was Ebrard selbst zum Jahresbeginn 1851 mit der »Reformierten Kirchenzeitung« in die Hand genommen hat.

Sie ist unter gelegentlich etwas wechselnden Titeln bis 1877 in 30 Jahrgängen in Erlangen erschienen, von den Erlangern, nacheinander 1851-1853 von Ebrard, 1853-1857 von Karl Goebel zusammen mit Ernst Staehelin, Basel, 1860 bis 1862 von Friedrich Birkner und 1862-1877 von Otto Thelemann redigiert worden, durch diesen seit 1863 dann von Detmold aus. Das bescheidene Monatsblatt hatte seine Schwerpunkte in Berichten und Nachrichten aus den reformierten Bereichen sowie in reformierten Beiträgen zur allgemeinen kirchlichen Diskussion und wurde zum wichtigsten Einheitsband der so verstreuten Reformierten.

Daneben sind aber auch die Gelegenheiten der Kirchentage zu weiteren Konferenzen der reformierten Teilnehmer genutzt worden, insbesondere wenn sich gastgebende Gemeinden am Orte fanden. Das war der Fall in Elberfeld 1851, Berlin 1853, Frankfurt am Main 1854 und Lübeck 1856. Bei der Frankfurter Konferenz am 25. September 1854 schlug der Breslauer Hofprediger Dr. J. F. A. Gillet einen dauerhafteren Zusammenschluß vor; man bildete ein Vorbereitungskomitee mit Gillet, Goebel, Erlangen, und Karl Sudhoff, Frankfurt. Dieses erarbeitete einen Statutenentwurf und lud im August 1855 im Zusammenhang des nach Halle ausgeschriebenen Kirchentags auf den 22. September 1855 ein zur konstituierenden Versammlung eines »Vereins zur Förderung und Verteidigung der Interessen der reformierten Konfession«. Doch die kurzfristige Absage dieses Kirchentags machte auch die Absicht einer solchen Vereinsgründung einstweilen zunichte.

So ist man in der Folgezeit nach 1856 auf dem Wege freier »Konferenzen reformierter Prediger, Ältester und Gemeindeglieder« fortgeschritten, dies aber ohne Anlehnung an die Kirchentage, in selbständigen Versammlungen. Diese haben zunächst jährlich stattgefunden, 1857 in Bremen, 1858 in Elberfeld und 1859 in Emden, immer also in reformierten Kerngebieten. Diese Konferenzen hatten auch schon eine festere Form mit einem gewählten Vorstand, der die Bezeichnung »Moderamen« führte. Ganz offensichtlich ist dieser Begriff, mit dem man in älterer Zeit ein kollegiales Synodalpräsidium zu bezeichnen pflegte, im Deutschland von 1857 von den reformierten Bayern übernommen worden, die bereits 1852 ihr Moderamen gebildet hatten, bevor dann erst 1856 ihre erste Synode zusammentreten konnte.

Diese Sammlungstendenzen um und nach 1850 gehören in den Gesamtzusammenhang der damaligen evangelischen Debatten um Union und Konfession. Sie zeigen, daß sich in Analogie und Folge der Kräftigung des lutherischen Bewußtseins in Deutschland ein entsprechender Prozeß auch auf reformierter Seite vollzog. In der Unionsdebatte hatte sich jetzt der Gedanke einer Konföderation der Bekenntnisse Bahn gebrochen, der auch das Lebensrecht und den Fortbestand des gemeindlichen Bekenntnisstandes in der Union anerkannte.

Die reformierten Sammlungstendenzen hatten zunächst ihre rührigsten Vertreter in der äußersten Diaspora, wo es um Untergang oder Überleben ging. Aber ebendort, in den preußischen Ostprovinzen Ostpreußen, Pommern und Sachsen, wie schon zuvor in den Unitätsgemeinden Posens, und jetzt auch in Bayern sind die verstreuten Gemeinden in diesem Jahrzehnt zu eigenen Superintendenturen und Kreissynoden gelangt und so in ihrem Bestand gesichert worden.

Ebendies hat das Interesse und auch die Beteiligung an den Konferenzen spürbar gebremst. Zudem bekamen sie in derselben Zeit eine gewichtige Konkurrenz für den engeren Bereich des Königreichs Hannover, wo erstmalig 1849 in Bremen und dann regelmäßig, mit einigen Unterbrechungen fast jährlich von 1855-1870 in Lingen die »Allgemeine Konferenz der Prediger und Kandidaten reformierter Konfession im Königreich Hannover« ins Leben getreten war.

Das war eine Pastoralkonferenz ganz im sonstigen Stile der Zeit, ohne weitere Beteiligung von Ältesten und Gemeindegliedern. Auch hier führt der Tagungsvorstand intern die Bezeichnung »Moderamen«, während aber die Einberufung und die Vertretung nach außen von einem Komitee wahrgenommen wird. Die Lingener Konferenz vereinte die kirchenregimentlich ja getrennten hannoverschen Gemeindeverbände, mit Einschluß der selbständigen niedersächsischen Konföderation.

Man bemühte sich um mehr Gemeinsamkeit im Gebrauch von Gottesdienstordnung, Katechismus und Gesangbuch, um eine eigene Zuständigkeit bei den Kandidatenexamina, um die Errichtung eines eigenen Lehrerseminars. Das Hauptziel aber war der Zusammenschluß zu einer einheitlichen reformierten Landeskirche. Dies ist freilich erst nach dem Anschluß Hannovers an Preußen in den Jahren 1881-1885 erreicht worden, in der «Evangelisch-reformierten Kirche der Provinz Hannover«, dann aber ohne die Konföderationsgemeinden.

Die Sache der allgemeinen Konferenz und die Redaktion der Reformierten Kirchenzeitung war mit dem Pfälzer Otto Thelemann 1863 von Erlangen nach Detmold übergesiedelt. Er hat dort noch 1863 die vierte und 1867 die fünfte Konferenz zusammengebracht. Aber das weitere und gemeinsame Interesse war sichtlich so stark geschwunden, daß er 1877 entmutigt auch die Schriftleitung der Kirchenzeitung niederlegte. In die Bresche ist 1877 der damals eben nach reformiert Elberfeld berufene Hesse Heinrich Calaminus gesprungen.

Damit tritt diese reformierte Großstadtgemeinde, mit damals sechs Pfarrstellen die größte im Rheinland, ja ganz Deutschlands, in den Vordergrund. Zugleich war sie der Vorort der großen, konfessionell nur kombinierten, nicht unierten Kreissynode, aus der erst 1878 die niederbergischen Gemeinden und 1896 auch Barmen ausgegliedert wurden. Um die engere Gemeinschaft und gemeinsame Verantwortung zu stärken, ist am 8. September 1877 hier ein »Reformierter Bund« begründet worden, zunächst für Elberfeld und Barmen, aber von Anfang an auch mit dem Gedanken an einen weiteren Zusammenschluß für ganz Deutschland. Calaminus war die treibende Kraft.

Und mit dem Jahresbeginn 1878 bis 1894 übernahm er auch die Schriftleitung der Reformierten Kirchenzeitung, die nun nach Elberfeld übersiedelte und als wöchentliches Kirchenblatt mit dem Gottesdienstplan des Wuppertals zugleich auch die Funktion eines Gemeindeblattes miterfüllte. Die publizistische Basis wurde 1880 verbreitert durch einen Reformierten Schriftenverein, der sich des Drucks reformierter Literatur und der evangelischen Kolportage tätig annahm.

Die Entstehung des Reformierten Bundes

1884 wurde aber auch anderwärts der Gedanke zu einem weitergreifenden Zusammenschluß wieder lebendig, jetzt nach der Begründung der Landeskirche in Hannover 1882 und unter dem überwältigenden Eindruck der Lutherfeiern von 1883. Die Anregung kam aus Pommern. Den Anlaß bot das Zwinglijahr 1884, das auch in vielen deutschen reformierten Gemeinden begangen worden war. Die Motoren wurden der unermüdliche August Ebrard, seit 1876 als Pastor der französisch-reformierten Gemeinde Erlangen Moderator der bayerischen Synode, und der Lipper Friedrich Brandes, seit 1856 Göttinger Pastor und 1878 Moderator der niedersächsischen Konföderation.

Man beabsichtigte zunächst den 1867 abgerissenen Faden der Konferenzen wieder aufzunehmen. Dann aber schalteten sich die Elberfelder ein und rieten zu festerem Zusammenschluß, wofür sie ihren Namen beisteuerten. Und so ergeht aus Göttingen und Elberfeld im April 1884, veröffentlicht in der Reformierten Kirchenzeitung vom 24. Mai 1884, ein Aufruf zu einer neuen Zusammenkunft von reformierten Pastoren, Ältesten und Gemeindegliedern auf den 13. August nach Marburg, »wo unser Zwingli auf deutschem Boden ein gutes Bekenntnis zu Ihm abgelegt hat, in welchem allein unser Heil steht, zu Jesu Christo, dem Gekreuzigten«.

Er richtet sich besonders an die Brüder in den Unionskirchen. Man ist der Hoffnung, »es werde die beabsichtigte und von dem Herrn erbetene Vereinigung zu einer dauernden werden und eine feste Gestalt gewinnen«. Die 16 Unterzeichner, darunter Brandes als Moderator der Konföderation und Ebrard als bayerischer Präses, bitten um weitere Beitrittserklärungen. Solche konnten dann in schneller Folge in der Kirchenzeitung auch veröffentlicht werden. Freilich maßte der Termin wegen der Wuppertaler Festwoche bald um eine Woche verschoben werden. Calaminus veröffentlichte vorab »Gedanken zu der Marburger Konferenz«, in denen er die Bekenntnisunterschiede der Gemeinden, besonders Bedeutung und Geltung des Heidelberger Katechismus und die herrschenden theologischen Differenzen in der Prädestinationslehre behutsam erwog.

Von besonderem Belang war, daß vom 24. Juni bis 3. Juli 1884 das 3. Weltkonzil der Presbyterian Alliance im irischen Belfast stattgefunden hatte. Brandes hatte an der Tagung teilgenommen und dort einen Bericht zur Lage des deutschen Reformiertentums erstattet. Aber er war dort nur in Person als Gast, nicht aber, wie es die Statuten des Reformierten Weltbundes vorsahen, Deputierter einer Mitgliedskirche gewesen. Offenbar unter solchen Eindrücken hat Brandes auf der Synode der niedersächsischen Konföderation am 8. August 1884 ein Votum zu einem engeren Zusammenschluß in Deutschland herbeigeführt.

In den Tagen des 19.-21. August 1884 ist dann in Marburg die »Sechste Konferenz reformierter Prediger, Ältesten und Gemeindeglieder« zusammengetreten mit 64 Teilnehmern, wozu noch 39 weitere schriftliches Einverständnis bekundet hatten. Vereinzelt gab es sogar eine kirchliche Autorisation, so von seiten der niedersächsischen Konföderation und der Gemeinden Elberfeld, Leer und Lissa. Gänzlich unvertreten waren nur die konsensusunierten Kirchen und die Gemeinden des Königreichs Sachsen.

Brandes sprach in seiner Eröffnungsansprache die Erwartung aus, daß zum inneren Band der Gemeinschaft ein äußeres hinzukommen solle. Reflex seiner Belfaster Eindrücke ist der Grundsatz: »Der zu schließende Bund dürfe kein solcher zwischen Privatpersonen bleiben, sondern müsse ein Bund der Kirchen und Gemeinden werden.« Sache der Konferenz sei es, dazu einen Weg zu finden. Darauf wählte man ein Konferenzmoderamen, en bloc mit P. Dr. Brandes, Göttingen, Professor Dr. Ebrard, Erlangen, P. Johann Hörnemann, Elberfeld, und Presbyter Albert Laue, Braunschweig, als Schatzmeister, denen die Versammlung noch P. Calaminus, Elberfeld, und P. Schindewolf, Marburg, beigesellte.

Das Kasseler Konsistorium hatte erst am 23. Juli die Abhaltung eines öffentlichen Gottesdienstes in der reformierten Stadt- und Universitätskirche in Marburg genehmigt, aber in der Erwartung, »daß sowohl in den Verhandlungen als auch im Gottesdienst alles vermieden wird, was den konfessionellen Frieden gefährden und den Charakter der reformierten Kirche in Hessen als einer Kirche Augsburgischen Bekenntnisses verdunkeln könnte«.

So konnten am 20. August dort Ebrard mit einer aufrüttelnden Predigt über Jes. 65, 4 und im Anschluß daran Calaminus im Saalbau neben der Universitätsbibliothek mit seinem Vortrag »Über die gegenwärtige Lage der reformierten Kirche in Deutschland und die Mittel zur Wahrung und Pflege der Güter derselben« der Versammlung ihre Aufgabe nahelegen. Calaminus vertritt eine von Brandes etwas abweichende Zielrichtung. »Das Notwendigste sei eine dauernde Verbindung von Gliedern der gesamten reformierten Kirche in Deutschland.

Ein Bund der Kirchen und Gemeinden sei vorläufig nicht erreichbar, wohl aber ein freier brüderlicher Bund zur Wahrung und Pflege der Güter der reformierten Kirche, welcher in einer periodisch wiederkehrenden Konferenz und deren ständigem geschäftsführenden Moderamen seinen Mittelpunkt habe. Der Bund müsse die Ordnungen und Eigentümlichkeiten der einzelnen Kirchen völlig bestehen lassen und nur das Gemeinsame erhalten und pflegen.« Das verdeutlicht nach Herkunft und in betonter Berücksichtigung die Lage und die Möglichkeiten des reformierten Elements in den Unionskirchen, zumal der preußischen.

Eben deswegen ist hier, nahegelegt auch durch die Vorgeschichte der bisherigen Konferenzen, von vornherein auch eine persönliche Mitgliedschaft ins Auge gefaßt. Das kirchlich föderative Konzept hingegen stammt sichtlich aus den Statuten der Presbyterian Alliance, wie denn überhaupt in der deutschen kirchlichen Nomenklatur der Begriff des Bundes seine Entsprechung im Allianzgedanken des 19. Jahrhunderts hat. Die Verbindung zum Reformierten Weltbund ist in Marburg durch die Anwesenheit des Weltbundsekretärs Professor Dr. G. W. Mathews, Quebec, und P. James Isaac Good, Philadelphia, von der Reformierten Kirche der USA repräsentiert. Der letztere ist später als Geschichtsschreiber des deutschen Reformiertentums hervorgetreten, in englischer Sprache.

Nachdem der Wille der Versammlung zu einem festeren Zusammenschluß festgestellt worden war, ist die Statutenberatung im Anschluß an den Vortrag von Calaminus, nach seiner Zielrichtung und an Hand eines Elberfelder Entwurfs vorgenommen worden. Eine längere Diskussion hat nur der grundlegende § 1 zur Bekenntnisfrage erfahren, ob die Nennung des Heidelberger Katechismus hier exklusiv als Ausschließung anderer reformierter Bekenntnisgrundlagen oder definitiv als des verpflichtenden Bekenntnisbuchs anzusehen sei.

Dies letztere betraf vor allem die niederhessischen Gemeinden, weil er bei ihnen nicht als Bekenntnisschrift angesehen wurde. Die übrigen Verhandlungen hatten es mehr mit technischen Fragen zu tun und konnten durch knappe Änderungen des Entwurfs schnell zur Übereinkunft gebracht werden. Am Schluß lenkte die Debatte noch einmal zu Grundsätzlicherem zurück, ob die herkömmliche Konferenz oder das neuere Bundesprinzip den Vorrang haben solle.

Man hat das in den Statuten einstweilen nebeneinander stehen lassen und die Entscheidung darüber späterer Beratung anheimgegeben. Schließlich wurde die erste ordentliche Versammlung des Bundes für 1885 in Elberfeld anberaumt, eine Unterstützungskasse für bedürftige Gemeinden begründet und eine Erleichterung des Pastorenaustausches über die landeskirchlichen Grenzen hinaus angeregt. Brandes berichtete noch über die Versuche, in Göttingen eine reformierte Professur zu erlangen. Dies hat sich 1885 die erste Synode von reformiert Hannover zueigen gemacht, aber erst 1921 erreichen können.

Das Ergebnis von Marburg waren die Statuten des Bundes und der Konferenz reformierter Prediger, Ältesten und Gemeindeglieder:

§1
Der Bund und dessen Konferenz stehen auf dem Grunde des Wortes Gottes Alten und Neuen Testamentes und erkennen die Bekenntnisschriften der reformierten Kirche in Deutschland, insbesondere den Heidelberger Katechismus, als rechte und reine Darstellung der Schriftlehre an.

§2
Der Bund bezweckt die Wahrung und Pflege der Güter der reformierten Kirche in Deutschland in Lehre, Gottesdienst und Verfassung auf jedem, nach den Bekenntnisschriften und Ordnungen der einzelnen Kirchen, denen die Glieder des Bundes angehören, zulässigen Wege. Er enthält sich jeder Einmischung in die besonderen Angelegenheiten der einzelnen Kirchenkörper.

§3
Der Bund sucht seinen Zweck zu erreichen:
1. durch eine in jedem zweiten Jahre wiederkehrende Versammlung, welche sich durch Gebet, Gesang und Predigt erbaut, Vorträge über alle Gebiete des Kirchenwesens veranstaltet und Beschlüsse faßt, welche die Erbauung der reformierten Kirche betreffen,
2. durch Förderung der reformierten Literatur,
3. durch Unterstützung bedürftiger Gemeinden,
4. durch Förderung sonstiger Bestrebungen, welche dem Zwecke des Bundes dienen.

§4
Mitglied des Bundes und der Konferenz kann jede Kirche, Gemeinde oder jedes Kirchenglied werden, welche dem reformierten Bekenntnis zugetan sind, den Statuten zustimmen und nach Vermögen zu den Bedürfnissen des Bundes beitragen.

§5
Die Bedürfnisse des Bundes und der Konferenz werden aufgebracht durch einen bei jeder Versammlung zu den Kosten derselben zu entrichtenden beliebigen Beitrag, durch Zeichnungen und freiwillige Gaben.

§6
Auf jeder Versammlung wird am Schlusse derselben ein Moderamen gewählt, welche die Führung der Geschäfte in der laufenden Periode, die Ausführung der Beschlüsse und die Leitung der nächsten Konferenz übernimmt und tunlichst aus den verschiedenen Gebieten der reformierten Kirche zu wählen ist.

§7
Das Moderamen besteht: 1. aus dem Präses,
2. aus dem 1. Assessor und Stellvertreter des Präses,
3. aus dem Schriftführer (Scriba),
4. aus dem 2. Assessor und stellvertretenden Schriftführer, 5. aus dem Schatzmeister (Kassenführer). Der Vorsitzende hat die Leitung sämtlicher Geschäfte, die Verantwortlichkeit für Ausführung der Beschlüsse und den Vorsitz bei den Verhandlungen und Versammlungen.

Der 1. Assessor hat den Vorsitzenden zu vertreten und in den Angelegenheiten des Bundes zu beraten.
Der Schriftführer (Scriba) hat das Protokoll bei den Versammlungen abzufassen, die Korrespondenz, soweit sie nicht den einzelnen Ämtern zusteht, zu führen, die Drucksachen zu besorgen und die Zwecke des Bundes in der Presse zu vertreten.
Der 2. Assessor vertritt und unterstützt den Schriftführer.
Der Schatzmeister (Kassenführer) verwaltet die Kasse und die Liebesgaben für bedürftige Gemeinden und besorgt die ökonomischen Angelegenheiten der Versammlungen.

§8
Bei den Versammlungen wird ein Gottesdienst nach reformierter Weise, wenn möglich in einer Kirche, gehalten.
Die Verhandlungen werden nach einer noch zu entwerfenden Geschäftsordnung geführt.
Auf jeder Konferenz werden Zeit und Ort der nächsten bestimmt.

§9
Abänderungen der Statuten können nur mit einer Stimmenmehrheit von zwei Dritteln vorgenommen werden.

§ 10
Es wird erwartet, daß die Glieder des Bundes sich in allen Stücken von dem Geiste des Glaubens, des Friedens und der Liebe leiten lassen.

Gott allein die Ehre.

Der Eindruck einer gewissen Vorläufigkeit der Marburger Gründung hatte schon dort zu dem Beschluß geführt, sich bereits im folgenden Jahre und dann auf besonders geeignetem Boden, in Elberfeld, erneut zu versammeln. So ist dort vom 25.-27. August 1885 die statutenmäßige »erste Konferenz des Reformierten Bundes« mit 103 Teilnehmern zusammengetreten. An Gemeinden waren bisher nur Altona und Stapelmoor, an Einzelpersonen 180 formgerecht beigetreten.

Die Einladung an alle reformierten Gemeinden Deutschlands zum Beitritt war starken Reserven begegnet, am stärksten in Bremen und Hessen. Erst 1887 hat man die Bezeichnung »Hauptversammlung« angenommen, diese aber dann stets von Elberfeld 1885 an als der ersten gezählt.

Die Elberfelder Versammlung hat eine Geschäftsordnung für die Versammlungen beschlossen. Bei der Stimmrechtsregelung ist es bewußt unterlassen worden, die Mitglieder nach Körperschaften und Einzelpersonen unterschiedlich zu gewichten, »da erst die Zukunft darüber entscheiden werde, ob der Bund sich mehr als ein Brüderbund oder mehr als ein Kirchenbund gestalten werde«. Als Bundesorgan hat man statt einer Neugründung die bewährte, wenngleichen defizitäre Reformierte Kirchenzeitung übernommen.

Bei der Wiederwahl des Gros des Moderamens signalisiert der Rücktritt von P. Schindewolf, Marburg, die hessischen kirchenpolitischen Vorbehalte. Hingegen eröffnet die Abkehr von Dr. Adolf Zahn, Stuttgart, eine anhaltende theologische Kritik dieses strengen Prädestinatianers am weiteren Wege des Bundes. Bei den Nachwahlen rücken nach Maßgabe der Statuten Vertreter der reformierten Flächenkirchen in Ostfriesland und Lippe ins Moderamen ein. In Lippe hat schon 1885 mit einem Anlauf zu einem Beitritt der gesamten Landeskirche, seit 1886 mit regelmäßigen Konferenzen der Mitglieder und Freunde des Reformierten Bundes dieser zunächst seine breiteste kirchliche Basis gefunden.

Das Bundesleben bis zum 1. Weltkrieg

Auf dem in Marburg und Elberfeld gelegten Grunde hat sich das Bundesleben kontinuierlich entwickelt. An Hauptversammlungen vor dem 1. Weltkrieg tagten die

1. 25.-27. August 1885 in Elberfeld,
2. 25.-27. August 1887 in Detmold,
3. 3.- 5. September 1889 in Bentheim,
4. 25.-27. August 1891 in Barmen,
5. 22.-24. August 1893 in Emden,
6. 27.-29. August 1895 in Siegen,
7. 24.-26. August 1897 in Detmold,
8. 22.-24. August 1899 in Magdeburg,
9. 27.-29. August 1901 in Elberfeld,
10. 25.-27. August 1903 in Emden,
11. 29.-31. August 1905 in Herford,
12. 3.- 5. September 1907 in Odenkirchen,
13. 20.-22. April 1909 in Barmen,
14. 20.-24. August 1911 in Detmold,
15. 14.-18. September 1913 in Wesel.

Die Basis hat sich bald durch Regionalvereine und -konferenzen wie in Lippe und Rheinland-Westfalen und durch Lokalvereine in Wuppertal, Magdeburg, Berlin und Hannover verbreitert. Mit dem Anstieg von 234 Einzelmitgliedern in 1889 auf 1800 im Jahr 1900 erhellt, daß die persönliche Mitgliedschaft zunächst das Hauptgewicht ausmachte.

Dazu kamen noch Korporationen wie der ostfriesische Coetus, der Reformierte Schriftenverein und später der 1890 begründete Hugenottenverein. Der Beitritt von Gemeinden vollzog sich in sehr viel kleineren, aber kontinuierlichen Schritten: von 18 in 1889 über 40 in 1900 auf 88 in 1913. Ganz bescheiden blieb der Anteil von Kirchenverbänden, dies waren nur die Kreissynoden von Ost- und Westpreußen, die bayerische Synode, die niedersächsische Konföderation und das reformierte Konsistorium Straßburg mit seinen acht elsässischen Gemeinden.

Die 1885 erstrebte Mitgliedschaft im Reformierten Weltbund hat sich 1887 erledigt, weil der Reformierte Bund in seiner Frühzeit sehr viel mehr den Charakter einer Sammlungsbewegung als die Eigenschaft einer Kirche hatte, wie es die Statuten des Weltbundes erforderten. So blieb es bei einem Korrespondenzverhältnis, das aber auch die zeitweilige Mitgliedschaft von Brandes im europäischen Exekutivkomitee ermöglichte.

Die Hauptversammlungen haben sich in ihren Vorträgen und Verhandlungsgegenständen die allgemeinen und elementaren Themen christlichen und gemeindlichen Lebens ihrer Zeit, natürlich auch die eigenen reformierten Fragen und Aufgaben in biblischer, historischer und theologischer Grundlegung und in praktischer Form, durchweg auf gutem Niveau, vorgenommen und als Gemeindetage unter vielseitiger Beteiligung erörtert. Eine Störung erlitt nur die Bentheimer Tagung 1889 über den Thesen von Brandes über das Verhältnis zur Union. Besondere Fürsorge erfuhr von Anfang an die Hilfskasse für die bedürftigen Gemeinden, die bei der Begründung der Gemeinde Osnabrück, zur Stützung von Stuttgart und zum Kirchbau von Bützow sehr wirksam wurde.

1893 zog die Lage in Berlin besondere Aufmerksamkeit auf sich. 1889 war dort ein Zweigverein für Berlin und die Provinz Brandenburg begründet worden. Überdeutlich war vor allem in Berlin selbst der Schwund der reformierten Gemeinden, wo nur die französisch-reformierte Domgemeinde ihre traditionelle Sonderstellung, aber ohne Anschlußmöglichkeiten für deutsch-reformierte Zuzügler, behalten hatte. Sonst hatte die kleine reformierte Bethlehemsgemeinde böhmischer Herkunft unter P. Hapke noch den Heidelberger Katechismus in Gebrauch.

1893 hat der Zweigverein durch den Landtagsabgeordneten Louis Lückhoff beim Konsistorium den Notstand der Reformierten ausführlich dargetan, angemessene Vertretung im Kirchenregiment und das Recht auf Unterricht im Heidelberger Katechismus angemeldet. Auf der Emder Hauptversammlung 1893 hat Julius Müller, Berlin, dies in einem Referat ins allgemeine Bewußtsein erhoben. Demzufolge hat die Hauptversammlung die Einrichtung eines Zentralbüros für die Reformierte Kirche Deutschlands in Berlin unter Generalsekretär Julius Müller beschlossen und sogar die nun 1894 von Professor Dr. E. F. Karl Müller, Erlangen, übernommene Kirchenzeitung nach Berlin verlegt.

Doch diesem Unternehmen fehlte die rechte Basis. Das Generalsekretariat ist bald erloschen. Die Forderungen der kirchenregimentlichen Vertretung und nach Gelegenheit zum Katechismusunterricht wurden durch den neuberufenen Hofprediger Schniewind abgegolten. Der Berliner Zweigverein ist schon vor der Jahrhundertwende wieder eingegangen. Und die Kirchenzeitung behielt mit Müller und Johannes Stursberg 1897-1906 und Theodor Lang 1907-1918 zunächst weiterhin ihre Redaktion in Erlangen bzw. Nürnberg und ihren Verlagsort in Elberfeld. Schon 1885 war die Gottesdienstordnung, insbesondere in den Unionsgemeinden, als ein dringliches Erfordernis bezeichnet worden. Noch Ebrard hatte eine Neubearbeitung seines Kirchenbuchs in Angriff genommen. Dies ist fortgesetzt und vollendet worden 1889 durch Gerhard Goebel, Halle: »Reformiertes Kirchenbuch. Sammlung von in der reformierten Kirche eingeführten Kirchengebeten und Formularen.« Damit traten die Reformierten wohlvorbereitet ein in die preußische Agendenreform.

Ein anderer Notstand ergab sich im diakonischen Bereich, weil die Diakonissen reformierter Herkunft in den bestehenden Mutterhäusern vielfach ihrem Bekenntnis entfremdet wurden und die Gemeinden eine eigene Ausbildungsstätte nicht besaßen. 1894 wurde der Plan eines eigenen Mutterhauses vorgebracht, zuerst für Hannover, später für Lippe. 1899 ist hier von den Freunden des Bundes und des Sonntagsblattes das Detmolder Mutterhaus begründet worden. Der Reformierte Bund ist in den ersten Jahren mit erheblichen Zuschüssen hilfreich gewesen. Das Haus ist schnell aufgeblüht und eine Brunnenstube selbstlosen und energischen Dienstes in den Gemeinden geworden.

Die dringlichste und dauerhaft lebenswichtige Aufgabe aber betraf die Fürsorge für den Pastorennachwuchs. Nur Erlangen in der fernen Diaspora besaß einen Lehrstuhl, extra facultatem und ohne Promotionsrecht, der 1878-1889 von Friedrich Sieffert verwaltet wurde. Die schon lang anhaltenden Bemühungen um eine Professur in Göttingen sind vom preußischen Ministerium schließlich mit der Berufung Siefferts an die Landesfakultät in Bonn storniert worden. Damit wurde dies der bevorzugte Ort theologischer Graduierungen für den deutschen reformierten Bereich.

Erlangen erhielt 1892 mit Ernst Friedrich Karl Müller, einem Schüler Martin Kählers, neues Gewicht. Er hat mit seiner Symbolik von 1896, vielen grundgelehrten Artikeln in der Realenzyklopädie, seiner Ausgabe der reformierten Bekenntnisschriften von 1903, die Ebrards mißglückte Harmonia confessionum ersetzte, und mit der deutschsprachigen Calvinausgabe im Neukirchener Verlag den akademischen Part des deutschen Reformiertentums in diesen Jahrzehnten wahrgenommen und ihm gute Reputation verschafft. Wenn der Reformierte Bund in seinem ersten Halbjahrhundert einen allseits geachteten und vielfach verehrten Lehrer besaß, dann war das Müller, der in den Fächern des Neuen Testamentes, der historischen und systematischen Theologie gleichermaßen befähigt und ein großartiger Didaktiker war.

Bereits die Beratungen von 1885 hatten den Weg zur Begründung von Studentenkonvikten gewiesen. Das hat in Halle und seiner Domgemeinde den besten Boden gefunden, wo die Erinnerung an das einstige Gymnasium illustre, vor allem die Wirksamkeit von Johannes Wichelhaus und ein von Tholuck angeregtes studentisches Collegium reformatum unvergessen war. Dort empfand man auch eine starke Verantwortung für die verstreuten Gemeinden des Ostens. 1889 hat Domprediger Gerhard Goebel dort mit Kursen begonnen, 1890 wurde in einem Miethause ein Konvikt eröffnet, in dem alle drei Domprediger sich in die Übungen teilten. Der Reformierte Bund hat das Haus mit regelmäßigen Zuschüssen unterstützt.

1900 habilitierte sich dort Domprediger August Lang, ein Schüler Siefferts, für Kirchengeschichte und stiftete ein Gemeindeglied ein ansehnliches Kapital für einen hauptamtlichen Inspektor. Das wurde 1902 vorläufig, 1903 definitiv der Rheinländer Wilhelm Goeters, der sich 1909 ebenfalls habilitierte. 1912 konnte das Konvikt mit zwölf Studenten in der kleinen Klausstraße 12 sein eigenes Haus beziehen. 1889 hat es auch in Berlin einen Anlauf auf ein Konvikt gegeben, ebenfalls vom Reformierten Bund mehrfach mit Zuwendungen unterstützt. Doch ist dies Unternehmen, an dem sich zeitweise auch August Lang betätigte, über Kurse nie hinausgelangt und bald wieder eingegangen.

1909 ist dann auch für Erlangen ein Konviktsplan, im Jubiläumsjahr für ein »Calvin-Haus«, erörtert worden. Das ist erst 1919 mit vier Studenten ins Leben getreten, wobei der Calvinfonds des Reformierten Bundes, kirchliche Kollekten und eine Sammlung unter den Schülern Müllers zu dessen 25jährigem Amtsjubiläum die Mittel bereitstellten. Damit besaß die reformierte Theologenausbildung in Erlangen, Halle und auch in Bonn ihre Stützpunkte. Denn nach Siefferts Tod schaffte das Ministerium, um die immer wieder erneuerten Ansprüche in Göttingen abzuwenden, dort durch die Berufung von Goeters auf ein kirchengeschichtliches Extraordinariat einen gewissen Ersatz.

Mindestens ebenso dringlich erschien, im Zusammenhang allgemeiner Neuordnung des Vikariats als praktischer Ausbildung, das Bedürfnis eines Predigerseminars. Frühe Vorstöße von reformiert Hannover für den eigenen Bedarf waren mit drei Seminarplätzen im hessischen Hofgeismar abgegolten worden. 1892 ist der Gedanke dann in Elberfeld aufgenommen und mit einer großartigen Denkschrift von Nathanael Geyser bei den Gemeindekörperschaften zum Einrichtungsbeschluß eines reformierten Kandidatenstifts geführt worden, wofür 1897 die Gemeinde eine namhafte Schenkung erhielt. Doch das rheinische Konsistorium und der Berliner Oberkirchenrat benutzten jedes Argument, der selbstbewußten Gemeinde ihre Grenzen zu zeigen und eine konfessionelle Einrichtung, gar mit einer Mitsprache und einer Beschickung von außerhalb der Provinzial- und Landeskirche, zu unterbinden.

Erst 1904 ist mit der nimmermüden Gemeinde ein Kompromiß zustande gekommen in der Form eines einjährigen Sammelvikariats von vier Kandidaten unter der Leitung von Heinrich Calaminus 1904-1910. Nur gemeindeintern durfte der eingeführte Begriff des Kandidatenstifts benutzt werden. Die Aufnahme jedes nichtrheinischen Kandidaten war von der Genehmigung des Konsistoriums abhängig. Argwöhnisch wachten die Behörden über jeder weiteren Ausdehnung des Stifsbetriebs auf wissenschaftliche Fächer.

Geysers biblische Übungen waren noch unbedenklich. Aber der 1907 beantragten Anstellung von Joseph Bohatec als wissenschaftlichem Inspektor und Hilfsprediger der Gemeinde versagte das Kirchenregiment mit Formaleinwänden die Zustimmung. Gleichwohl ist er am Stift nachhaltig tätig geworden. Das schönste Zeugnis dessen sind die Elberfelder Calvinstudien im Jubiläumsjahr von 1909. Nach Habilitation in Bonn hat er dann in Wien seine angemessene Stelle gefunden. In Elberfeld war dann 1910-1920 Nathanael Geyser die Seele des Kandidatenstifts, dessen Ausbildungsqualität in einer lebendigen Großstadtgemeinde mit weiteren kompetenten Mitarbeitern keine Vergleiche zu scheuen brauchte.

Eben im Zusammenhang mit den Bemühungen um das Predigerseminar war stets auch eine Beteiligung des Reformierten Bundes im Gespräch. Um Vermögen bilden und besitzen zu können, auch kompetente Vertretungen wahrzunehmen, bedurfte er der Rechtsform. Das ist 1899 ins Auge gefaßt und 1904 mit einem Antrag von Calaminus auf Eintragung ins Vereinsregister beim Amtsgericht Elberfeld eröffnet worden. Die Hauptversammlung in Herford 1905 hat bei Bewahrung des bisherigen Zwecks und der erprobten Struktur eine formgerechte Satzung errichtet, in der der Verein nun seinen dauerhaften Namen erhalten hat: »Reformierter Bund für Deutschland«.

Dementsprechend ist er nach einem Unbedenklichkeitsbescheid der Kirchenbehörden, daß er keine besondere religiöse oder kirchliche Gesellschaft sei, sondern seine Mitglieder den Landeskirchen angehörten, am 25. Juni 1907 in das Vereinsregister eingetragen worden, mit Sitz in Elberfeld. Dadurch wird dies zum eigentlichen Zentrum, nicht zuletzt auch dadurch, daß 1911 Heinrich Calaminus anstelle von Brandes Moderator wird, während nun mit Johann Adam Heilmann, Göttingen, dessen Stellvertreter aus der Konföderation kommt.

Das Bundesleben nach dem 1. Weltkrieg

Seine wohl lebendigste und verheißungsvollste Zeit hat das deutsche Reformiertentum, aufbauend auf seiner 30jährigen Sammlung, in den Zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts gehabt. Die Hauptversammlungen während des 1. Weltkriegs, 1915 für Halle und 1917 für Elberfeld vorgesehen, hatten ausfallen müssen. So beginnt nach Kriegsende die Reihe der Hauptversammlungen zunächst in schnellerer Folge mit der

16. 26.-28. August 1919 in Elberfeld,
17. 30. August-2. September 1920 in Bremen-Lebe,
18. 17.-20. Mai 1921 in Siegen,
19. 16.-19. September 1923 in Emden,
20. 2.-5. Juli 1925 in Duisburg-Meiderich,
21. 7.-10. Juni 1927 in Wuppertal-Barmen,
22. 22.-24. Mai 1929 in Bentheim,
23. 16.-19. Mai 1932 in Neukirchen bei Moers.

Der Neubeginn nach dem Kriege war begleitet von einem durchgehenden personellen Revirement. An die Stelle von Calaminus als Moderator trat 1919 dessen Schwiegersohn August Lang, zunächst auf zwei Jahre gewählt, dann durch Wiederwahlen bis 1934 im Amte. Assessor wurde nach Heilmann der Kuyperianer Wilhelm Kolfhaus noch als Elberfelder Pastor, der aber 1920 nach Vlotho überwechselte. Beide sind die deutsch-reformierten Träger ökumenischer Beziehungen geworden, insbesondere Lang in der Bewegung für Glaube und Kirchenverfassung. Im September 1930 hielt der Reformierte Weltbund in Wuppertal seine Tagung für den europäischen Kontinent. Das Kandidatenstift übernahm nach Geysers Tod 1920 der Ostfriese Lic. Hermann Hesse, der 1918 bis 1929 auch die Reformierte Kirchenzeitung redigierte, bis sie 1930 Kolfhaus übernahm.

Durch eine Satzungsänderung von 1920 ermöglichte der Bund auch die Mitgliedschaft von sieben Gemeinden in den östlichen Abtretungsgebieten, während das Verhältnis zum Straßburger Konsistorium sich auf persönliche Beziehungen reduzierte. 1921 begegnet ein Bundessiegel, das in einem Strahlenkreuz das aufgeschlagene Bibelbuch zeigte und mit Matth. 23, 11 an Bruderschaft und Dienst unter dem einzigen Herrn mahnte.

Das beherrschende Thema der Jahre 1918-1922, im damaligen Verfassungsinterim der deutschen Landeskirchen, war der Wunsch zu einem festeren kirchlichen Zusammenschluß, den vor allem Johann Victor Bredt, Marburg, unermüdlich propagierte und bis zu einem Marburger Konvent vom September 1921 vorantrieb. Diese Vision eines reformierten Kirchenbundes aber lief ins Leere, weil die Lippische Kirche ihrer lutherischen Minderheit Rechnung tragen mußte, reformiert Hannover nur wenige Konföderationsgemeinden gewinnen und nicht über die preußischen Staatsgrenzen ausgreifen konnte und auch eine stärkere Zusammenfassung in den preußischen Provinzen Sachsen und Brandenburg unerreichbar blieb.

Nutznießer dessen wurde der Reformierte Bund, der durch schnell ansteigenden Beitritt von Gemeinden ein immer stärker kirchliches Gepräge gewann. Die Linie bewegt sich von 88 Mitgliedsgemeinden im Jahre 1913 auf 129 in 1919 über 188 in 1923 und 193 in 1925 bis auf 2155 in 1927. Von diesen gehörten wohl mehr als die Hälfte zu den reformierten Landeskirchen (Hannover 63, Lippe 33 sowie zum sich bildenden Bund freier Gemeinden 11), die auch im Moderamen nun kollektiv vertreten waren. Doch weit mehr als ein Drittel standen in der preußischen Landeskirche (Westfalen 35, Rheinland 26, Ostprovinzen insgesamt 28). Für diese und ihre Verfassung wurde von Belang, daß die Siegener Hauptversammlung von 1922 energisch zur Bischofsfrage Front machte.

Auf Veranlassung der alten Freunde Roentgen und Good gewährte die Reformierte Kirche der USA aus Kollektengaben 1920 der deutschen Schwester durch den Reformierten Bund auf fünf Jahre eine großherzige Hilfe in erheblicher Höhe, die sog. Amerika-Spende. Dazu kamen niederländische namhafte Zuwendungen. Neben vielfältigen diakonischen Maßnahmen und Unterstützungen kleiner Gemeinden konnten damit die von der Inflation und dem Schwund des 1907 begründeten deutschen Calvinfonds betroffenen Ausbildungseinrichtungen erhalten werden.

Aus diesen, dem Reformierten Bund anvertrauten Mitteln im wesentlichen ist auch das Gehalt der 1920 vom Preußischen Ministerium für Göttingen bewilligten Honorarprofessur bestritten worden. Karl Barth hat hier 1921-1925 seine akademische Laufbahn und eine Schule zu bilden begonnen. Dazu gesellte sich das von Johann Adam Heilmann ins Leben gerufene Reformierte Studienhaus in Göttingen, das aber in der Trägerschaft der Gemeinde verblieb. Mit Barths Übergang nach Münster jedoch erloschen dann die Mitwirkungsmöglichkeiten des Bundes hier gänzlich.

Barth gewann auf den mit den Hauptversammlungen verbundenen Theologischen Ferienkursen bald weitreichende Wirkung. Diese waren von August Lang schon 1911 angeregt und 1913 erstmalig durchgeführt worden. 1920 und 1921 nahm man die Übung wieder auf. 1923 in Emden und 1925 in Meiderich hat Barth hier mit lebhaft diskutierten Vorträgen seine eigentlich kirchliche Resonanz gefunden. Der spürbare Bedarf und die lebhafte Beteiligung hat den Reformierten Bund dann zur Veranstaltung selbständiger Theologischer Wochen veranlaßt:

20.-23. Oktober 1925 in Elberfeld: Die Frage nach der Kirche,
18.-21. Oktober 1927 in Elberfeld: Das Problem des Wortes,
2.-4. April 1929 in Emden, in Trägerschaft von reformiert Hannover, über die Lehre von den Sakramenten,
13.-15. Oktober 1931 in Elberfeld: Die Frage nach dem Alten Testament.

Die Liste der Referenten zeigt, daß das theologische Potential erheblich angewachsen und qualitativ verstärkt worden war. Münster und Bonn waren die Städte der Graduierungen, Barths Schüler vermehrten sich. Eine jungreformierte Gymnasiasten- und Studentenarbeit wurde von Wilhelm August Langenohl und Wilhelm Goeters betrieben. Besonders am Niederrhein hatten die der Theologie Hermann Friedrich Kohlbrügges verpflichteten Freunde des Heidelberger Katechismus einen stattlichen Kreis gebildet. Das theologisch versierte Gemeindeglied war keine Seltenheit.

Der Erfolg schon der ersten Theologischen Woche hat den Reformierten Bund in Absprache mit der Gemeinde Elberfeld zu einer weiteren Initiative ermutigt, zumal die Lage in Göttingen unbefriedigend erschien, zur Begründung einer eigenen Theologischen Schule. Anläßlich der 2. Elberfelder Woche wurde am 18. Oktober 1927 einer einberufenen Versammlung der Plan vorgelegt, von dieser in einer Entschließung einstimmig gebilligt und ein engerer Wuppertaler Ausschuß und ein weiterer aus dem Reformierten Bund unter Beteiligung von reformiert Hannover und Lippe gebildet.

Ein Aufruf an die Bundesgemeinden wegen einer regelmäßigen Umlage fand ein erstes erfreuliches Echo. Mit der weisen Beschränkung auf die sprachlichen und theologischen Propädeutika, nicht Fakultätsersatz, sondern Fakultätsergänzung, wurde allen etwaigen kirchlichen und staatlichen Einwänden vorgebeugt. Vielmehr war angesichts des Rückgangs humanistischer Schulbildung diese Zielrichtung sogar im allgemeinen kirchlichen Interesse.

Am 24. April 1928 ist die Schule mit 18 Studenten feierlich eröffnet worden. Als Leiter hatte man den im Internatsschuldienst bereits bewährten Theologen Otto Weber gewonnen, der als Hilfsprediger der Gemeinde Elberfeld zugeordnet wurde. Die klassischen Sprachen unterrichtete Studienassessor Ferdinand Scholl, den 1931 Barths Schüler Heinrich Graffmann ersetzte. Als Unterrichtsräume wurden die Gemeindesäle benutzt, zuerst der in der Luisenstraße. Neben den Sprachen hatten Bibelkunde und Heidelberger Katechismus ihren festen Platz im Unterricht, was bald mit weiteren Angeboten nebenamtlicher Kräfte, so von Hermann Klugkist Hesse in Kirchengeschichte, ergänzt wurde.

1929 wurde trotz Wirtschaftskrise ein Mittags- und Abendtisch von der Gemeinde ermöglicht, während das angestrebte Konvikt unerreichbar blieb. 1932 gab der Reformierte Bund die Trägerschaft ab an einen rechtsfähigen eingetragenen Verein, mit Vorstand, Verwaltungsrat und Mitgliederversammlung, in dem der Bund ebenso wie die beiden Landeskirchen eine gewichtige Rolle behielten. Mitglieder des Vereins »Theologische Schule Elberfeld« konnten aber, wie beim Reformierten Bund, ebenfalls Gemeinden, Kirchen oder Synodalverbände und auch Einzelpersonen sein.

Zur gleichen Zeit hat auch das Kandidatenstift unter Hermann Hesse einen Aufschwung erlebt, weil das Koblenzer Konsistorium die alten Vorbehalte fallen gelassen und wegen des Mangels eines rheinischen Predigerseminars die Zahl der Kandidaten erhöht hatte. 1928 erteilte der Berliner Oberkirchenrat die förmliche Anerkennung als Predigerseminar und schloß am 6./18. Februar 1929 mit der Gemeinde über die Ausstattung und den Betrieb einen Vertrag, worin auch eine Kandidatenaufnahme aus anderen Landeskirchen eingeräumt war.

Die Einweihung in einem eigenen Hause Mäuerchen 8 a mit der wertvollen Pastoralbibliothek fand am 20. Januar 1929 für 13 Kandidaten statt. Direktor Hesse wurden Lic. Wilhelm Niesel, P. Karl Schmitz und Lic. Karl Reuter zugeordnet, was sowohl der praktischen als auch theologischen Ausbildung ein gutes Niveau garantierte. Freilich war hier der Reformierte Bund, anders als bei der Theologischen Schule, nicht selbst beteiligt. Und auch nur indirekt betroffen war er davon, daß reformiert Hannover 1931 endlich auch ein etatsmäßiges Ordinariat für reformierte Theologie in Göttingen erstritt.

1932 umfaßte der Reformierte Bund unter August Lang 247 Gemeinden und 300 Einzelmitglieder. Verglichen mit seinen Anfängen war er damit auf einem Wege von einer Sammlungsbewegung zu einem Kirchenbund schon ein bemerkenswertes Stück vorangerückt. Doch als Verein war er nicht eigentlich eine kirchliche Instanz, nicht einmal Mitglied des Deutschen Evangelischen Kirchenbundes. Das waren nur reformiert Hannover und Lippe als Landeskirchen.

Ja, er war jenem nicht einmal angegliedert, wie das seit 1930 der Bund freier reformierter Gemeinden, die erweiterte niedersächsische Konföderation, war. Wohl hatte der Bund in seiner Geschichte vielfach anregend, koordinierend und unterstützend gewirkt, aber die dauerhafte Verantwortung für alle reformierten Belange und Einrichtungen verblieb letztendlich bei den korporativen Mitgliedern. Dies erklärt, daß bei den Veränderungen von 1933 der Reformierte Bund als solcher zunächst ganz beiseite blieb, vielmehr die beiden reformierten Landeskirchen und in der preußischen Landeskirche wiederum der allseits anerkannte Vorort Elberfeld ihre Herausforderung erlebten.


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