»Keine parisischen, sondern puritanische Leute«

Theodor Fontane, Preußen und sein französisch-reformiertes Erbe

von Steffen Tuschling

Er liegt auf dem alten Französischen Kirchhof in der Berliner Liesenstraße begraben. Zeitlebens hatte er seiner Französischen Kirche die Treue gehalten, wenn auch mit mehr oder weniger Distanz: Theodor Fontane (1819-1898) – erster deutscher Schriftsteller, der realistische (und nicht idealistische) Romane schrieb und der die Mark Brandenburg zum literarischen Sujet erhob.

Fontane wurde 1819 in der märkischen Kleinstadt Neuruppin geboren. Sein Vater, der Apotheker Louis Henri und seine Mutter Emilie Fontane entstammten beide alten Hugenottenfamilien. In ›Meine Kinderjahre‹ wird der inzwischen 73-jährige Fontane mit Augenzwinkern auf »unverfälschten Colonistenstolz« zurückblicken: »Gascogne und Cevennen lagen für meine Eltern, als sie geboren wurden, schon mehr als hundert Jahre zurück; aber die Beziehungen zu Frankreich hatten beide, wenn nicht in ihrem Herzen, so doch in ihrer Phantasie nie ganz aufgegeben.«

Schmunzelnd schildert Fontane, was sein Vater der Mutter nachsagte: »Wäre sie im Lande geblieben, tobten die Cevennenkriege immer noch.« Allerdings habe diese Einschätzung »nur ganz allgemein auf ihr leidenschaftliches Temperament, nicht etwa auf ihren Religionseifer« gepasst, denn »von diesem hatte sie keine Spur, war vielmehr eminent ein Kind der Aufklärungszeit, in der sie geboren, trotzdem sie, weil sie das Genfertum für vornehmer hielt, mit einem gewissen Nachdruck versicherte: Wir sind reformiert!«

1817 hatte Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. die lutherischen und reformierten Kirchen seines Landes zur ›Evangelischen Landeskirche‹ vereinigt. Bisher war das Herrscherhaus der Hohenzollern reformiert, die Mehrheit der Bevölkerung jedoch lutherisch. Nun gehörte der König endlich der Kirche an, deren Patron er ohnehin war. Zu Fontanes Berliner Zeiten waren also die Kirchen schon eine ganze Weile lang vereinigt; hinzu kam, dass die zunehmende Säkularisation konfessionelle Besonderheiten schnell verwischte. Allein die Berliner Französische Kirche führte weiter eine besondere Existenz – nicht in, sondern neben der Landeskirche.

Der »unverfälschte Colonistenstolz« der brandenburgischen Hugenotten nährte sich durch das Bewusstsein, dem neuen Vaterland quasi erst die Kultur gebracht zu haben: Straßenpflaster, Parfüm und Seife, hochentwickeltes Handwerk und verfeinerte Küche werden immer wieder genannt. In diesem Bewusstsein wurde auch Fontane erzogen. Diese Stereotypen stehen im Hintergrund, wenn er später über das Berlin des 17./18. Jahrhunderts schreibt: »Jeder dritte Mensch war ein Franzose (…) keine parisischen, sondern puritanische Leute, steif, ernsthaft, ehrpußlich, was sie vielfach bis auf diesen Tag geblieben sind.«

1885 begeht die Französische Kirche ihren 200. Geburtstag, für dessen Feier schreibt Fontane seiner Kirche ein aufführbares Festgedicht. Zu dieser Zeit ist der Dichter bereits 66 Jahre alt und bekennt: »der Franzose, je älter ich werde, kommt immer mehr heraus.« Das nüchterne, in der Substanz ein bisschen slawische Preußen – französisch ›gewürzt‹ – das er geliebt hat, ist gerade dabei, einem Deutschen Reich mit immer ›germanischerem‹ Gehabe Platz zu machen. Fontane, der einst realistisch-modern ›unmoralische‹, aber menschliche Heldinnen in den Mittelpunkt seiner Romane stellte (wie bei ›Cecile‹), merkt, wie er das, was jetzt modern ist, nicht mehr mittragen kann. Die neue rücksichtslose Schneidigkeit passt ihm nicht. »Ich bin – auch darin meine französische Abstammung verrathend – im Sprechen wie im Schreiben ein Causeur (Plauderer) geblieben.«

In seinem Altersroman ›Der Stechlin‹ schildert Fontane mit feinem Gespür den Untergang der alten Welt aus Adel und Untertanen mit den kantig-ehrlichen, authentischen Menschen. Für die stehen bei Fontane gern Landpastoren; so im Stechlin der Pastor Lorenzen, der seinem Patron, dem Grafen von Stechlin, unangenehme Wahrheiten nicht erspart: »Und mein Pastor (…) der behauptet sogar, (…) die aristokratische Welt, die habe abgewirtschaftet, und nun komme die demokratische.« – »Sonderbare Worte für einen Geistlichen, sagte Rex, für einen Mann, der doch die durch Gott geschaffenen Ordnungen kennen sollte.« Doch Lorenzen steht nicht für diese Ordnungen, sondern für das, »was einst unser Herr und Heiland gepredigt (…) Friedfertigkeit, Barmherzigkeit und die Lauterkeit des Herzens.«

Das macht ihn für Fontane wie für den alten Stechlin glaubwürdig. Doch die Zeit eben solcher Menschen ist abgelaufen. Der alte Graf warnt seinen Pastor vor dem Aufstieg des nach dem wilhelmischen Berlin orientierten Superintendenten Koseleger: »Wenn der nun reüssierte (Gott verhüt es), so haben wir den Scheiterhaufenmann comme il faut. Und der erste, der rauf muss, sind Sie.«

 

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