»Sooft ihr dieses Brot esst und aus dem Kelch trinkt, ...«

Reformiertes Abendmahl

©Foto: Ulf Preuß

von Achim Detmers

Sooft ihr dieses Brot esst
Achim Detmers.pdf

Von außen betrachtet ist das reformierte Abendmahl in seinen vielfältigen Formen schwer auf einen Punkt zu bringen. Auch die jeweiligen theologischen Akzente machen ein einheitliches Verständnis nicht leicht. Gleichwohl gibt es beim reformierten Abendmahl eine ›innere Mitte‹, von der her sich vieles erschließen lässt. Diese ›innere Mitte‹ ergibt sich aus dem Schriftverständnis Zwinglis, der 1525 in der Auslegung der Einsetzungsworte zu einer zentralen Erkenntnis kommt. Er entdeckt, dass das Abendmahl Jesu vom alttestamentlichen Passahmahl (Ex 12) her verstanden werden kann. Hinter dieser Entdeckung steckt ein hermeneutisches Prinzip, das den reformierten Protestantismus von anderen Konfessionen unterscheidet. Gemeint ist die Einheit des Alten und Neuen Bundes und damit das zentrale Anliegen, theologische Zusammenhänge von der Glaubensgeschichte Israels her zu befragen und zu füllen. Dieser bundestheologische Ansatz hat eine wichtige Bedeutung für das beständige reformierte Suchen nach einer biblisch begründeten, zeitgemäßen und ökumenisch verantworteten Abendmahlsfeier. Ein weiterer wichtiger Faktor ist, dass das reformierte Abendmahlsverständnis von den durch Paulus überlieferten Einsetzungsworten ausgeht (1. Kor 11) und weniger von dem in anderen Kirchen üblichen ›Mischtext‹ aus 1. Kor 11, Mt 26 und Lk 22 (vgl. Frage 77 des Heidelberger Katechismus). Aus diesen beiden Ansätzen ergeben sich beim reformierten Abendmahl nun folgende theologische Akzente:

Bundesmahl

Erstens wird das Abendmahl verstanden als ein Bundesmahl. Im Abendmahl wird der Bund, den Gott mit seinem Volk am Sinai geschlossen hat (Ex 19; 24), in Jesus Christus erneuert und bekräftigt; die Abendmahlsgemeinde verpflichtet sich auf die Grundsätze dieses Bundes, d. h. »zu einem neuen Leben aus Glauben« (Leuenberger Konkordie 15).

Gemeinschaftsmahl

Das Abendmahl wird zweitens verstanden als ein Mahl der »Gemeinschaft mit Christus, mit Israel und unter den Gästen« (Markus Barth). Denn die konkrete Abendmahlsgemeinde ist nur der sichtbare Ausschnitt der einen Mahlgemeinde Jesu Christi, die durch den Heiligen Geist über alle Zeiten und Räume hinausreicht. Die Einladung richtet sich somit nicht an eine konfessionell ›geschlossene Gesellschaft‹. Vielmehr lädt Christus alle, die an ihn glauben, zu sich an seinen Tisch. Dazu gehörten in der Tischgemeinschaft Jesu insbesondere Randständige und Zwielichtige, ›Mühselige und Beladene‹ (Mt 11,28). Durch die Betonung der »Gemeinschaft des Leibes Christi« (1. Kor 10,16) tritt im reformierten Abendmahlsverständnis der Aspekt der individuellen Heilszueignung eher zurück. Auch werden zusätzliche Spendeformeln, in denen der Opfergedanke verstärkt zum Ausdruck kommt, bei der Weitergabe von Brot und Wein/Saft als unnötig erachtet, da mit den biblischen Einsetzungsworten das Wesentliche bereits gesagt ist.

Gedächtnismahl

Das Abendmahl wird drittens verstanden als ein Gedächtnismahl. Weil es in den Einsetzungsworten zweimal heißt »das tut zu meinem Gedächtnis« (1. Kor 11,24f), wird dieser Aspekt im reformierten Abendmahlsverständnis betont. Aber nicht in dem Sinne, dass das Abendmahl als ein bloßes Erinnerungsmahl verstanden würde, sondern im Sinne des hebräischen ›zachor‹ (»gedenke«): Im gemeinsam erinnernden Essen und Trinken wird durch den Heiligen Geist die ganze in Christus geglaubte Wirklichkeit vergegenwärtigt.

Danksagung und Bekenntnis

Viertens wird das Abendmahl verstanden als ein Mahl der Danksagung und des Bekenntnisses. Im gemeinschaftlichen Essen und Trinken kommt der »Dank an Gott, den Schöpfer, und die dankbare Erinnerung an Jesus Christus und sein heilvolles Wirken« (Michael Welker) zum Ausdruck. Zugleich bedeutet der Dank, dass die am Tisch Versammelten Gott preisen, indem sie sich zur Nachfolge Jesu bekennen und aus dem ihnen neu geschenkten Leben die Welt bereichern und verändern.

Hoffnungsmahl

Damit hängt schließlich das Verständnis des Abendmahls als ein Hoffnungsmahl für die noch nicht erlöste Welt zusammen. In 1. Kor 11,26 heißt es: »Denn sooft ihr von diesem Brot esst und aus dem Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er kommt.« Dieser in der ›Mischform‹ der Einsetzungsworte ausgeklammerte Aspekt (vgl. auch Mt 26,29 parr) ist beim reformierten Abendmahlsverständnis wichtig. Darin kommt die Spannung zum Ausdruck, dass das Abendmahl einerseits ›nur‹ einen Vorgeschmack des kommenden Reiches Gottes darstellt und dass andererseits »Gott schon an dieser Welt und an ihrer barmherzigen Verwandlung arbeitet« (Michael Welker).

Reformierte Abendmahlspraxis

Von alters her wurde das Abendmahl in reformierten Gemeinden vier bis sechsmal im Jahr gefeiert (Weihnachten, Gründonnerstag, Karfreitag, Ostern, Pfingsten, im Herbst). Dahinter steckte die Idee, die unterschiedlichen Aspekte des Abendmahls dadurch zu erfassen (z. B. Menschwerdung, letztes Mahl Jesu mit seinen Jüngern, Hingabe des Gekreuzigten, Gegenwart des Auferstandenen, Gabe des Heiligen Geistes, Erntedank). Angesichts zurückgehender Zahlen beim Gottesdienstbesuch an den hohen Feiertagen wird in den deutschsprachigen reformierten Kirchen aber schon seit vielen Jahren gefordert, möglichst monatlich Abendmahl zu feiern. Damit hängt das Bemühen zusammen, die in manchen Regionen immer noch verbreitete Abendmahlsscheu zu überwinden. Anstelle der eher gedrückte Stimmung einer durch den ›Karfreitagscharakter‹ geprägten Abendmahlsfeier wird stärker der Aspekt des Freudenmahls unterstrichen. Der einst wichtige Aspekt der ›Kirchenzucht‹ (vgl. 1. Kor 11,27ff; Fragen 81 und 82 des Heidelberger Katechismus) ist schon seit vielen Jahrzehnten völlig in den Hintergrund gerückt. Vielmehr stärkt sich das Bewusstsein dafür, dass die Versöhnung mit dem/der Nächsten zur Teilnahme am Abendmahl dazugehört und dass vom Abendmahl selbst wiederum eine Versöhnungskraft ausgeht. Außerdem gibt es seit etwa 30 Jahren eine intensive Diskussion zur liturgischen Neugestaltung der Abendmahlsfeier. Dabei kann die einst übliche Zweiteilung der Liturgie (Predigtgottesdienst mit angehängtem Abendmahl) inzwischen als weitgehend überwunden gelten. Stattdessen gibt es deutliche Bemühungen, die Abendmahlsfeier mit den übrigen Elementen des Gottesdienstes stärker zu verknüpfen. Bei der Zulassung von Kindern zum Abendmahl gibt es den weitgehenden Konsens, dass sie daran teilnehmen können, sobald sie ein – ihrem Alter entsprechendes – Verständnis des Abendmahls haben. Gelegentlich wird hier auf die bei der jüdischen Passahfeier übliche Einbindung des jüngsten Kindes der Familie mit Hilfe von Fragen und altersgerechten Antworten hingewiesen. In reformierter Tradition ist es üblich, einfaches Brot zu reichen (statt Oblaten), wodurch die Erinnerung an die Mahlgemeinschaft der ersten Gemeinden gestärkt wird. Zudem wird in den meisten Gemeinden Traubensaft verwendet – ausschließlich oder zusätzlich zum Wein. Im Blick auf die Formen der Austeilung (Abendmahl im Kreis, als wandelnde Kommunion, am Abendmahlstisch) hängt vieles von den räumlichen Vorgaben und Möglichkeiten ab sowie von der Zahl der Feiernden und den örtlichen Beschlüssen. Nicht selten gibt es in reformierten Kirchen einen großen Abendmahlstisch, um den herum – in Erinnerung an die Tischgemeinschaft der Jüngerinnen und Jünger – gruppenweise das Abendmahl gereicht wird.


Literatur:

Michael Welker, Was geht vor beim Abendmahl?, Stuttgart 1999; Reformierte Abendmahlspraxis. Plädoyer für liturgische Verbindlichkeit in der Vielfalt, hg. von Patrik Müller und David Plüss, Theologisch-ekklesiologische Beiträge Aargau Bd. 1, Zürich 2005 (2. Aufl. 2008).

 

Nach oben   -   E-Mail  -   Impressum   -   Datenschutz