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'Ja-Nein-Konstellationen wie damals finde ich heute nicht mehr'
Peter Bukowski über Reformierte Streitgespräche heute
Herr Bukowski, von 1990 bis 2015 waren Sie selbst Moderator des Reformierten Bundes. Wie hat sich seitdem die Arbeit der Reformierten verändert?
Der Reformierte Bund hat es heute schwerer als zu meiner Zeit. Das sehe ich zum Beispiel in Haushaltsfragen. Zu Beginn meiner Amtszeit hatten wir noch viel Geld auf der hohen Kante. Heute muss man rechnen. In dieser Situation habe ich hohen Respekt davor, was junge Reformierte leisten. Ich sehe da eine neue Mentalität: Die heutige Generation arbeitet vernetzter und mehr in Teams. In meiner Zeit waren wir noch darauf getrimmt, Einzelkämpfer zu sein. Es gab damals diesen Spruch: Die armen Katholiken haben nur einen Papst, die Reformierten Hunderte.
Wer ist heute zuständig bei den Reformierten: hunderte oder einer?
Ich glaube, dass es ein Dazwischen geben sollte. Wir müssen dazu den Spagat schaffen zwischen Klarheit und Struktur einerseits, und Team und Partizipation andererseits. Und mir erscheint, dass das Moderamen hier einen gesunden Mittelweg fährt.
Wie hat sich das theologische Verständnis von reformierten Identitäten seit Ihrer Amtszeit gewandelt?
Der jeweilige kirchliche, gesellschaftliche und politische Kontext wird heute stärker in die Reflexion mit einbezogen. Das macht die Diskussionen differenzierter: Schattierungen werden sichtbar und das ist hilfreich. In meiner Generation haben wir uns oft zu einseitig an theologischen Schulen und Traditionssträngen orientiert, dogmatische Streitgespräche geführt unter Vernachlässigung lebens- und kirchenpraktischer Fragen.
Anfang der 1980er Jahre vertrat der Reformierte Bund noch harte Standpunkte. Mit seinem „Nein ohne jedes Ja“ zu Massenvernichtungswaffen bezog er klar Stellung. Fehlt Ihnen da heute etwas?
Die Freude an der krassen Auseinandersetzung, daran also, was man „klare Kante zeigen“ nennt, die ist weniger geworden. Das fehlt mir manchmal, ja. Aber die Debatten haben sich auch geändert. Diese schwarz-weißen Ja oder Nein-Konstellationen wie damals finde ich heute nicht mehr. In den 1980er Jahren standen Menschen nicht unter dem Zwang, sich für oder gegen eine Kriegssituation entscheiden zu müssen. Heute sprechen wir über den Ukrainekrieg: In den Diskussionen der Reformierten habe ich hier keine streng pazifistische Formel gehört. Waffen werden nicht völlig abgelehnt. Sondern die Menschen suchen eine Balance zwischen Rüstungshilfe und Friedensverhandlungen. Da geht es mir nicht anders. Wenn mich heute jemand: Dürfen wir der Ukraine wirklich keine Militärhilfe geben? Dann zögere ich.
Wirklich?
Man könnte sagen, das Zögern sei ein Indiz, dass ich schlapp geworden bin. Aber ich denke, es ist eher der Versuch, theologische Wahrheiten aufrecht zu erhalten in Konfliktsituationen, die sich nicht einfach als klar schwarz oder weiß einteilen lassen. Ohne dabei unsere grundsätzliche Linie zu verlieren.
Gibt es eine grundsätzliche Linie der Reformierten? WGRK-Interimsgeneralsekretär Setri Nyomi stellte in seinem Vortrag bei der Hauptversammlung des Reformierten Bundes in Frage, ob ein gemeinsames Bekenntnis überhaupt möglich oder nötig sei.
Manchmal ist so ein gemeinsames Bekenntnis nötig. Die WGRK hatte in ihrer Stellungnahme zum Nahostkonflikt den terroristischen Anschlag am 7. Oktober zum Beispiel völlig ausgeblendet, das fand ich entsetzlich. Ich war deshalb heilfroh, dass der Reformierte Bund den offenen Streit mit der Weltgemeinschaft suchte und einen eigenen Standpunkt dagegen setzte. Andererseits: Das reformierte Selbstverständnis zeichnet sich auch dadurch aus, dass es lokale Unterschiede gibt. Nicht immer stimme ich überein mit Haltungen anderer. Die Traditionen mancher Weltregionen sind mir aber auch sehr fremd. Bestimmte Fragen müssen diese deshalb für sich entscheiden. Ich möchte keine reformierte Weltkirche haben, die für alle Regionen bestimmt, wie sie sein müssen.
RB