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Mit Christus gestorben und begraben
Predigt am 22. Sonntag zu Trinitatis, zu Röm 6
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus! AMEN.
1Sollen wir weiterhin sündigen, damit sich die Gnade in vollem Maß auswirkt? 2Niemals! Wir sind doch, was die Sünde betrifft, gestorben. Wie können wir da noch länger mit der Sünde leben?
3Oder wisst ihr nicht, was es heißt, auf Jesus Christus getauft zu sein? Wisst ihr nicht, dass wir alle durch diese Taufe mit einbezogen worden sind in seinen Tod? 4Durch die Taufe sind wir mit Christus gestorben und sind daher auch mit ihm begraben worden. Weil nun aber Christus durch die unvergleichlich herrliche Macht des Vaters von den Toten auferstanden ist, ist auch unser Leben neu geworden, und das bedeutet: Wir sollen jetzt ein neues Leben führen. 5Denn wenn sein Tod gewissermaßen unser Tod geworden ist und wir auf diese Weise mit ihm eins geworden sind, dann werden wir auch im Hinblick auf seine Auferstehung mit ihm eins sein.
6Was wir verstehen müssen, ist dies: Der Mensch, der wir waren, als wir noch ohne Christus lebten, ist mit ihm gekreuzigt worden, damit unser sündiges Wesen unwirksam gemacht wird und wir nicht länger der Sünde dienen. 7Denn wer gestorben ist, ist vom Herrschaftsanspruch der Sünde befreit. 8Und da wir mit Christus gestorben sind, vertrauen wir darauf, dass wir auch mit ihm leben werden.
9Wir wissen ja, dass Christus, nachdem er von den Toten auferstanden ist, nicht mehr sterben wird; der Tod hat keine Macht mehr über ihn. 10Denn sein Sterben war ein Sterben für die Sünde, ein Opfer, das einmal geschehen ist und für immer gilt; sein Leben aber ist ein Leben für Gott. 11Dasselbe gilt darum auch für euch: Geht von der Tatsache aus, dass ihr für die Sünde tot seid, aber in Jesus Christus für Gott lebt.
Liebe Gemeinde,
wir sind hier zwar nicht in Rom und leben auch nicht im ersten Jahrhundert - aber die Frage, die Paulus stellt, muss doch wohl erlaubt sein: Wisst ihr nicht, was es heißt, auf Jesus Christus getauft zu sein? Okay, es ist, wie sich sogleich zeigt, eine rhetortische Frage: Wisst ihr nicht, dass wir alle durch diese Taufe mit einbezogen worden sind in seinen Tod?
Na, wenn wir das gewusst hätten! Hätten wir uns dann auf die Taufe eingelassen, liebe Schwestern und Brüder? Auch diese Frage ist nicht wirklich zu beantworten, denn in den allermeisten Fällen haben gar nicht wir die Entscheidung für die Taufe getroffen, sondern unsere Eltern.
Das war in Rom damals anders: Wer sich taufen ließ, traf eine sehr bewusste und weitreichende Entscheidung, die ihn oder sie - jenseits aller Theologie - zu einer Person machte, die einer winzigen Minderheit ohne jeden Einfluss angehörte, unter politischem Generalverdacht stand und somit mit einem Bein schon im Gefängnis, wenn nicht gar im Grab.
So ist das allerdings dann auch wieder nicht gemeint, wenn Paulus schreibt, die Getauften seien mit Christus gestorben und begraben.
Wie dann?
Ich muss ein wenig ausholen, um den Gedankengang des Apostels für uns halbwegs verständlich zu machen.
Ich kehre dazu an den Anfang unseres Abschnittes zurück:
1Sollen wir weiterhin sündigen, damit sich die Gnade in vollem Maß auswirkt? 2Niemals!
Die Frage klingt in unseren Ohren absurd, ob wir denn kräftig sündigen sollen - hier eindeutig zu verstehen als Tun dessen, was Gott ausdrücklich nicht will. Paulus führt seinen Lesern vor Augen, dass kein Mensch in der Lage ist, so zu leben, dass Gott damit zufrieden sein könnte. Und er lässt keine Ausnahme gelten - etwa, weil man gar keinen Kontakt zu Gottes Wort hatte; er postuliert ein Naturgesetzt des ethisch Gebotenen.
Allerdings ist es für ihn als im Judentum verwurzeltem Theologen von besonderer Bedeutung, danach zu fragen, ob das Leben im Alten Bund noch etwas gilt - und er bejaht diese Frage sowohl für die Juden als auch für Gott: Die einmal gegebenen Verheißungen bleiben gültig. Aber das Gesetz erweist sich ihm als Problem. Zwar ist es prinzipiell gut, und es ist richtig und erstrebenswert, danach zu leben.
Allerdings ist es nicht geeignet, uns zu vollkommenen, Gott wohlgefälligen Menschen zu machen; denn niemand ist in der Lage, das Gesetzt allumfassend zu erfüllen. Und in dem Moment, wo man sich eingestehen muss, dass man das Gesetzt - trotz aller Mühen, die man auf sich zu nehmen bereit ist - niemals ganz erfüllen kann, wandelt es sich zu einem Ankläger, der uns unsere Unzulänglichkeit vorhält: Wo Perfektion angestrebt - aber nicht erreicht - wird, da offenbart sich das totale Scheitern.
An dieser Stelle kommt Christus ins Spiel, indem er nämlich all das Scheitern und die Verdammnis, die diesem Scheitern korrespondiert, auf sich nimmt - am Kreuz. Gott recht zu sein hört auf, eine Forderung zu sein, wird zu einem Geschenk. Dieses Geschenk kann man nur gläubig annehmen; denn ein Geschenk, das ungeöffnet bleibt, löst weder Freude aus noch bewirkt es sonst irgend etwas.
Wenn man das Geschenk, das uns Gott in Christus macht, auspackt, kommt darin die Gnade Gottes zum Vorschein, in der er über all unsere Unzulänglichkeit hinweggeht - wie groß und zahlreich diese auch gewesen sein mag. Hieran schließt der erste Satz unseres Abschnittes an, die - natürlich hypothetische - Frage, ob wir noch mehr Gnade erlangen, wenn wir noch mehr falsch machen.
Dieses Sündigen, wenn man es nicht als diese oder jene verbotene Tat oder Unterlassen einer gebotenen Verhaltensweise versteht, sondern als Ferne von Gott, die all dies Fehlverhalten mehr oder weniger zwingend nach sich zieht: diese Sünde ist nicht mehr vorhanden, wenn man zum Glauben gelangt ist und das Geschenk der Gnade Gottes angenommen hat. Die Sünde, wie Paulus sie versteht, ist mehr als ein Übertreten der Gebote Gottes, sie ist eine Macht, die Menschen beherrscht und sie - mal mit Überredung, mal mit Zwang - dazu bringt, sich tätig von Gott abzuwenden.
Am ehesten vergleichbar, denke ich, ist angesichts unserer Lebensumstände das allbeherrschende Systen des Kapitalismus mit seinen “Gesetzen des Marktes”, die verlangen, dass es immer mehr Wachstum geben soll, auch wenn wir rat- und hilflos beobachten, wie dieses Wachstum letzte natürliche Ressourcen auffrisst und die Klimakatstrophe immer weiter verschärft.
Und “der Markt” oder “die Märkte” kennen auch keine Fürsorge für Schwache, sondern nutzen im Gegenteil jede Schwäche aus, verlangen kontinuierliche Produktivitätssteigerung und verheißen im Gegenzug eine stetige Verbesserung von Konsummöglichkeiten - schnellere Autos, buntere Kleidung, leckeres und gesundes Essen.
Wir versuchen, inmitten dieses erbarmungslosen Koordinatensystems unsere christliche Ethik zu verwirklichen, Nächstenliebe zu üben, die Schöpfung zu schonen, dem Frieden zu dienen; aber all das stößt früher oder später auf anderslautende Vorgaben des Wirtschaftssystems, in dem sich - angeblich zum Nutzen aller - “Leistung lohnen” muss, der Konkurrenzgedanke zu Höchstleistungen anspornt.
Nicht alle leisten, was verlangt wird, und können sich dann eine Wohnung irgendwann nicht mehr leisten. Krankheit, Alter, Pflegebedürftigkeit ist auch nirgendwo vorgesehen. Das Nichtausnutzen eines vermeintlichen oder tatsächlichen Vorteils gegenüber den Mitbewerbern gilt geradezu als Todsünde. Selbst die Liebe mutiert zu einem Tauschgeschäft zum erhofften beiderseitigen Vorteil. Diese praktizierte Gottlosigkeit ist Sünde, ganz schlicht und ergreifend.
Paulus sagt nun, dass die Sünde für jene, die sich haben taufen lassen, tot sei, ihnen also nichts mehr befehlen könne: Wer gestorben ist, ist vom Herrschaftsanspruch der Sünde befreit. Sind wir das, liebe Geschwister?
Wenn wir in Gedanken durchgehen, inwieweit wir uns von den Gesetzen des Marktes beherrschen lassen, der Logik des Kapitalismus folgen, dann wird das womöglich zu niederschmetternden Ergebnissen führen. Die Kirche als Organisation lebt “inmitten dieser Welt”, wie man auf Schritt und Tritt beobachten kann - hier werden Mietverträge geschlossen, dort Tarifverträge, und Steuern zahlen wir selbstverständlich auch.
Aber Paulus, der das natürlich auch schon wusste, schreibt am Schluss unseres Abschnittes: Geht von der Tatsache aus, dass ihr für die Sünde tot seid, aber in Jesus Christus für Gott lebt. Gehen wir also mal von eben dieser Tatsache aus, dass nichts und niemand uns zwingen kann zu tun, was weder wir selbst wollen noch Gott wollen kann! Und vertrauen wir darauf, dass wir auch mit ihm leben werden, da wir mit Christus gestorben sind, wie Paulus etwas weiter vorne geschrieben hat. Dann sollte es doch auch möglich sein zu tun, was er als quasi natürliche Konsequenz der Taufe dargestellt hat, nämlich: Wir sollen jetzt ein neues Leben führen.
Wir haben am Montag in kleiner Runde sehr intensiv darüber debattiert, was es denn heißen mag, “in Gott” bzw. “in Christus” zu sein; nicht jedem Menschen ist es gegeben, dies zu fühlen, wie man einen lauen Luftzug spüren mag. Wohl aber dürfte jede und jeder dazu in der Lage sein, sein oder ihr Tun an dem Maßstab zu messen, der zwar als Weg zu Gott verworfen, aber als Ausdruck seines Willens weiterhin gültig ist: das Gesetz Gottes - wir sagen vereinfachend “die zehn Gebote”.
Wenn jemand zu Christus gehört, ist er eine neue Schöpfung. Das Alte ist vergangen; etwas ganz Neues hat begonnen! Es ist also, das sei hier gern einmal betont, nicht unser Verdienst, sondern eine neue Wirklichkeit, die uns geschenkt wird, wenn wir aufhören zu hassen und egoistisch zu sein und anfangen zu lieben und im Einklang zu leben mit Gottes Willen und dem, was wir uns selbst eigentlich auch wünschen.
Oder mit den Worten aus dem ersten Johannesbrief gesagt - und mit denen möchte ich schließen: Das ist das Fundament der Liebe: nicht, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt und seinen Sohn als Sühneopfer für unsere Sünden zu uns gesandt hat.
Amen.
Stephan Schaar