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Den Krieg abschaffen
Thesen von einer Tagung und ein Memorandum zur Weiterarbeit
MEMORANDUM ZUR WEITERARBEIT
Vorbemerkung: Diese Zusammenfassung haben wir, die Unterzeichnenden, nach Beendigung der Tagung erstellt. Sie erhebt nicht den Anspruch, die vielfältigen Beiträge der Teilnehmenden angemessen widerzuspiegeln, sondern verfolgt das Ziel, einige wichtige Merkpunkte festzuhalten und für die weitere Arbeit an diesem Thema bereit zu stellen.
Kurt Tucholski: "Man hat ja noch niemals versucht, den Krieg ernsthaft zu bekämpfen. Man hat ja noch niemals alle Schulen und Kirchen, alle Kinos und alle Zeitungen für die Propaganda des Krieges gesperrt. Man weiß also gar nicht, wie eine Generation aussähe, die in der Luft eines gesunden und kampfesfreudigen, aber Krieg ablehnenden Pazifismus aufgewachsen ist. Das weiß man nicht!"
(Aus der Kurzgeschichte "Die brennende Lampe")
Wie kommt ein unerhörtes Thema auf die realpolitische Tagesordnung? Was muss gelingen, damit wenigstens die Kirchen die Forderung nach der Abschaffung des Krieges von dem Verdacht befreien, eine Sache von Phantasten zu sein, und entschlossen an die Spitze ihrer Agenda setzen?
Die Bremer Tagung mit mehr als siebzig Teilnehmenden aus Deutschland und Gästen aus Holland und Großbritannien hat sich zum Ziel gesetzt, dem Ziel der Abschaffung des Krieges, das bereits auf der Internationalen Ökumenischen Friedenskonvokation in Kingston, Jamaika (Mai 2011) breiten Raum eingenommen hatte, sein realtheologisches und kirchliches Gewicht zu verschaffen.
1. Merkpunkte aus den Referaten
Der anglikanische Priester und Quäker Dr. Paul Oestreicher (Brighton) und die Generalsekretärin von Church and Peace, Frau Marie Noelle von der Recke (Schöffengrund), beleuchteten biblisch theologische und kirchengeschichtliche Hintergründe des Themas.
1.1. Frau von der Recke erinnerte daran, dass sich die Position, die Jesus zur Gewaltfreiheit eingenommen hat, von den Optionen unterscheidet, die zu seiner Zeit in dem von Römern besetzten Judäa verfolgt wurden. Er verweigert sich dem bewaffneten Befreiungskampf der Zeloten. Er sucht auch nicht die Einsamkeit der Wüste in der Erwartung einer apokalyptischen „Lösung“, wie es die Jünger von Qumran taten. Aber Jesus verweigert sich auch den realpolitischen Anpassungsstrategien der religiösen Führer seines Volkes. Vielmehr vertritt er mit seiner Verkündigung eine radikale Ablehnung aller Formen von Gewalt und bewährt diese Haltung mit seinem Tod am Kreuz. Die Feindesliebe erscheint als die subversive Überraschungsstrategie der Unterdrückten. Die Gemeinde seiner Jüngerinnen und Jünger wird zur Institution der Versöhnung mit universaler Ausstrahlung. „Überwindet das Böse mit Gutem!“ ist nach John Howard Yoder Grundmotiv der „Politik Jesu“ (Vgl.: John H. Yoder: Die Politik des Leibes Christi. Als Gemeinde zeichenhaft leben, Neufeld Verlag, Schwarzenfeld, 2011).
1. 2. Für Paul Oestreicher ist das Nein Jesu zur Gewalt der grundsätzliche Bezugspunkt für die kirchliche Friedenstheologie und -ethik und prägt auch die christlichen Gemeinden in den ersten Jahrhunderten. Mit der Konstantinischen Wende gewinnt der Unglaube, der die kirchliche Botschaft in die Anpassung an der Mächte einbindet und eine Praxis der mehr oder minder ausgeprägten Mittäterschaft in den kriegerischen Praktiken dieser Welt begründet.
Unter Verweis auf die bedrängende Notlage, welche heute die gesamte Menschheit betrifft, sind Bündnisse gegen die Gewalt nötig. Die Christenheit muss zu einem entschlossenen Nein gegen die kollektive Gewalt kommen, und zwar um ihrer eigenen Glaubwürdigkeit willen. Allerdings sollte sie dabei ihren realpolitischen Einfluss nicht unterschätzen. Sie muss die scheinbare Selbstverständlichkeit der militärischen Traditionen in den verschiedenen Kulturen ebenso aufdecken wie sie den Ängsten, die dem Sicherheitsbestrebungen der Menschen zugrunde liegen, empathisch begegnen muss. Schon in den Kindergärten bekommt das Erziehungsziel, Feinde zu Freunden zu machen, seinen Platz. Auf internationaler Ebene werden militärische Einsätze durch Polizeikräfte ersetzt. Internationale Friedenskräfte müssen aufgebaut werden, damit sie in Krisengebieten eingesetzt werden können.
1.3. Der Genfer Publizist Andreas Zumach stellt die präzedenzlose Situation, in der sich die Menschheit mit der Erderwärmung befindet, in das Zentrum seiner Überlegungen zu den Kriegsgefahren im 21. Jahrhundert. Demnach wird die Verknappung der Resourcen den eigentlichen Grund für kriegerische Auseinandersetzungen bilden. Folglich wird die Energiewende (mit dem Ziel: zwei Tonnen CO2 pro Mensch im Jahr 2050!) zu einem bestimmenden Friedensfaktor.
Die Religionen sind trotz ihrer Rivalitäten nicht die Hauptverursacher der kommenden Kriege, sondern dienen eher als ideologische Verbrämungen ökonomischer und machtstrategischer Interessen. Dagegen bildet die Rüstungswirtschaft ein gravierendes Moment. (Dass sie in Deutschland aus arbeitsmarktpolitischen Gründen unverzichtbar sei, trifft nicht zu; denn trotz der Steigerung der Produktion und des Exports sind in ihr im Vergleich zu 200.000 Arbeitskräften im Jahr 1980 nur noch 80.000 beschäftigt.)
Das Argument, dass die Wahrung der Menschenrechte den Einsatz kriegerischer Mittel (als „ultima ratio“) nötig mache, ist realpolitisch ambivalent, führt zu Doppelstandards und kann ideologisch missbraucht werden. Gleichwohl darf die Orientierung an den Menschenrechten nicht aufgegeben werden. Sie können jedoch auf dem Weg kriegerischer Gewalt weder geschützt noch eingeführt werden, sie brauchen den frühzeitigen Einsatz präventiver Kräfte und als ultima ratio, wie jetzt in Syrien, einen Einsatz von Blauhelm-Einheiten, der von allen 5 Veto-Mächten im Sicherheitsrat der UN getragen und von politischen Forderungen begleitet wird.
Zumach beobachtet in der jüngeren Generation ein Nachlassen des Willens zum Frieden und vermutet, dass dafür sowohl das Fehlen persönlicher Erfahrungen als auch die Gewaltgewöhnung durch Computerspiele gewichtige Rollen spielen. Diese Situation sollte nicht durch Aktionen der Bundeswehr ausgenutzt werden. Die Kooperationsverträge mit Schulen sollten daher gekündigt werden.
2. Merkpunkte aus den Arbeitsgruppen und Diskussionen im Plenum
Wenn wir die Forderung einer Rückkehr der Theologie des Friedens in die Kirche als primäres Ziel nennen, ergeben sich daraus eine Reihe von Folgerungen:
- Wir stellen das kategorische Nein Jesu zu allen Formen der Gewalt in den Horizont unserer Zeit: Die präzedenzlosen Kriegsgefahren erfordern ein präzedenzloses Umdenken und präzedenzlose Friedensschritte.
- Das betrifft die Ebene der persönlichen Einstellungen, die Wahrnehmung der eigenen Verflochtenheit in Gewaltstrukturen und Rüstungszusammenhänge, die Bereitschaft zu konkreten Akten zivilen Ungehorsams, z.B. der Kampagne für eine Zivilsteuer, der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel“, Aktionen gegen den Verkauf von Panzern nach Saudi-Arabien oder U-Booten nach Israel.
- Entscheidende Bedeutung kommt dem Feld der Erziehung zu und damit der Schulung des Bewusstseins, der (vor)schulischen und beruflichen (Weiter)Bildung, einschließlich der theologischen Aus- und Fortbildung. Im Gegenüber zu den vielfältigen Formen der Gewöhnung an Gewalt und Unrecht, der psychischen Abwehrreaktionen („massive denial“) und Überforderungsgefühle treten die Schulung der Empathiefähigkeit, die Einübung in persönliche Zivilcourage, das Training einer gemeinschaftlichen und solidarischen Widerstandskraft, thematisch akzentuierte zivilgesellschaftliche Kampagnen und Aktionen, etc.
- Die Kirchenleitungen stehen vor der Aufgabe, ihre Friedenstheologie und -ethik neu zu formulieren und dann auch zu bewahrheiten. (Würde die EKD ihre Friedensdenkschrift „Aus Gottes Frieden leben - für gerechten Frieden sorgen“ von 2007 ernst nehmen, müsste sie den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr ablehnen!) Ihre ökumenische Geschwisterschaft mit den Kirchen der Welt und ihre Bereitschaft zur interreligiösen Kooperation sind Hilfe und Verpflichtung, was sich in der Arbeit an dem Konzept des „gerechten Friedens“ bereits gezeigt hat. Die Badische Landeskirche arbeitet an einem Positionspapier. Die theologischen Fakultäten müssen herausgefordert werden, die Theologie und Ethik des Friedens wieder stärker in das Zentrum ihrer Arbeit zu rücken.
- Ein Kongress zur Problematik der Schutzverantwortung („Responsibility to Protect, R2P) für Juni 2013 in Berlin soll die Positionen bündeln und zuspitzen. Es geht nicht mehr um die Ächtung des Krieges. Diese ist im Grunde durch den Briand-Kellogg-Pakt von 1928 bereits völkerrechtlich festgehalten. Vielmehr geht es um die Abschaffung des Krieges und das heißt um die Abschaffung des Militärs und des militärisch-industriellen Komplexes. Wenn „Weltinnenpolitik“ (C. F. von Weizsäcker) die angemessene Antwort auf die globale Situation ist, dann wird klar, dass die immer noch benutzte Clausewitz'sche Formel von dem Krieg als der Fortsetzung der (Außen)Politik mit anderen Mitteln antiquiert und kontraproduktiv ist. Darum müssen sich die Kirchen zu Anwälten einer gewaltfreien und zivilgesellschaftlichen Konzeption der Schutzverantwortung machen. Dem dient die Argumentations- und Beschlussvorlage von Michael Held, die auch im Blick auf die 10. Vollversammlung des ÖRK in Busan, Südkorea (Oktober 2013) weiter ausgearbeitet werden sollte.
Bremen, den 6. 6. 2012
Gerd Klatt
Geiko Müller-Fahrenholz
Martin Warnecke