Erinnerung an die Pogromnacht
Ein Wort des Gedenkens von Mechthild Gunkel, Offenbach
Der Anblick beschäftigte sie, forderte ihre Fragen heraus. Er war ihr im Gedächtnis geblieben, eine markante Erinnerung in früher Kindheit. Noch Jahre später kann sie davon erzählen.
Es geschah bei uns. Nicht nur weit weg in Berlin, sondern auch in unseren Städten und Dörfern wurden jüdische Gotteshäuser verbrannt, zerstört, geschändet und geplündert. Auch jüdische Geschäfte und Wohnungen waren betroffen. Nicht nur an einigen wenigen Orten, sondern flächendeckend. Nachbarn wurden geschlagen, eingesperrt, beleidigt und entehrt. Getötet. In Konzentrationslager geschickt.
Es geschah mitten am Tag, nicht nur als Nacht- und Nebelaktion.
Es waren Leute von uns, die dabei waren. SA- und SS-Leute aus Nachbarorten führten die Aktionen zwar meistens an, aber die eigene Bevölkerung stand dabei, schaute zu – und nicht nur das. Viele machten mit, tobten sich aus und hielten sich nicht zurück, ihre dumpfen Gefühle auszuleben.
„Sie verbrennen dein Heiligtum. Bis auf den Grund entweihen sie die Wohnung deines Namens“ heißt es in Psalm 74,7. Immer wieder hat Israel das erlebt: Feindschaft, offenen Hass, Menschen, die ihre Bethäuser und Synagogen zerstören. Durch viele Jahrhunderte hindurch.
Als die Synagogen brannten, blieben viele Kirchen stumm. Ob der Synagogenbrand im Kindergottesdienst damals ein Thema war, erinnert sich die Zeitzeugin nicht. Wohl eher nicht.
Viele dieser Erinnerungen wurden in den vergangenen 75 Jahren erzählt – von denen, die selbst unter der menschenverachtenden Politik der Nazis litten, deren Angehörige ums Leben kamen. Von denen, die als Kinder in der Nazizeit um ihre Kindheit betrogen wurden. Oder manchmal auch von denen, die sich freuten, dass sie in die Wohnungen der vertriebenen jüdischen Nachbarn ziehen konnten.
„Vati, dieses Haus müssen die Leute wieder aufbauen!“ Das kann nur gemeinsam geschehen, wenn wir die Opfer ehren und uns ihrer angemessen erinnern wollen. Und nach der eigenen Schuld, den eigenen Verstrickungen in die nationalsozialistischen Gräueltaten fragen. Als einzelne und als Kirche. Und wachsam werden, wenn Menschen bei uns gedemütigt und misshandelt werden. Dabei ist es unwichtig, zu welcher Religionsgemeinschaft sie gehören, welche Hautfarbe sie haben oder welche Sprache sie sprechen.
Wir wollen ein neues gemeinsames Haus aufbauen, damit Gottes Name bei uns wohnen kann.
Pfarrerin Mechthild Gunkel, Vorsitzende des Reformierten Konventes in der EKHN, November 2013
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