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Dort sein, wo's angefangen hat
Wittenberg, die andere Seite. Von Kathrin Oxen
Die waren meistens aus Stein oder bei kleineren kommunalen Budgets auch mal aus Beton. Die Kugel, die seit Mitte Oktober in Wittenberg gelandet ist, sieht anders aus und war bestimmt teuer. Sie ist nach dem Vorbild aller Kugeln gestaltet, sozusagen als Kugel aller Kugeln. Ein Globus, auf dessen silbern spiegelndem Untergrund sich rot die Kontinente abheben. Ganz schön klein eigentlich, dieses Europa, denkt man sich. Und mitten in Europa ist auch noch ein Loch. Wer hineinsieht, blickt auf eine digitale Countdown-Uhr. Sie zählt die Tage. Nein, nicht im Sinne des Kirchentagsmottos für 2015 „auf dass wir klug werden“ – aber das Jerusalemkreuz des Kirchentages ist auf der Kugel ebenso zu sehen wie der EKD-Schriftzug und das Logo der Reformationsdekade.
Es macht Spaß, die Reaktionen der Touristen auf die Kugel zu beobachten: Sie gehen zunächst mit etwas Abstand um sie herum und scheitern dann meistens an dem Versuch, die spiegelnde Kugel zu fotografieren, ohne selbst mit im Bild zu sein. Wieder fällt mir Max Goldt ein und seine Idee, neben bestimmten touristischen Fotoobjekten eine „Groteskpassantenvermietung“ einzurichten, damit man nachher wenigsten über unglücklich gekleidete, bratwurstessende Passanten auf dem Urlaubsfoto ins Schmunzeln kommt…
Warum fällt dir eigentlich dauernd Max Goldt ein bei dieser Kugel, denke ich und rufe mich zur Ordnung. Diese Kugel ist mehr. Sie ist das erste sichtbare Zeichen der Dinge, die da kommen werden. Wer das Guckloch in der Nähe von Berlin entdeckt hat, liest: „Noch soundsoviel Tage, Stunden und Minuten bis zur Eröffnung der Weltausstellung“. Hört sich ja schon mal gut an, Weltausstellung, passt zum Globus. Erinnert aber auch an den letzen Versuch einer Weltausstellung, wo es außer halbleeren Pavillons mit Landschaftsaufnahmen und vereinzelten Erfrischungsständen nicht wirklich was zu sehen gab. Aber das war ja auch in Hannover. In Wittenberg wird es anders sein. Hier gibt es jetzt schon so viel zu sehen, dass man in einem Tag gar nicht durch kommt. Alles wird renoviert und restauriert, um 2017 in neuem Glanz zu erstrahlen. Schon leuchten auf den Türmen der Stadtkirche neu vergoldete – man ahnt es bereits – Kugeln.
„Wir kommen alle von Wittenberg her und deshalb kommen wir 2017 alle dorthin zurück“, hat der scheidende Ratsvorsitzende der EKD vor einigen Jahren gesagt. Manche halten das für sehr optimistisch. Aber ich treffe in Wittenbergs Straßen ein evangelisches Ehepaar von der anderen Seite des Globus, von den Philippinen. „We want to see our heritage“ sagen sie und stehen ergriffen vor der Thesentür. Sie und die vielen anderen Gäste von überall her bringen mit, was uns hier vor Ort manchmal fehlt: Das Wissen, das von diesem Ort tatsächlich Gedanken ausgegangen sind, die die Welt und den Glauben verändert haben. Auch den Wunsch, sich seiner eigenen Ursprünge zu vergewissern. Einmal dort gewesen sein, wo es angefangen hat. Das bedeutet ihnen etwas. Etwas später habe ich die beiden noch einmal an der Kugel gesehen. Sie suchen die Philippinen. Und Wittenberg.
Kathrin Oxen, Wittenberg am 29. Oktober 2014