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Ein Platz für Minderheiten
Mittwochs-Kolumne. Von Paul Oppenheim
Sie protestieren dagegen, dass ihnen die Abschiebung in ihre Heimat droht. Über 50.000 Yeziden leben inzwischen in Deutschland, viele von ihnen in Niedersachsen. Sie fordern, dass man hierzulande die systematische Verfolgung ihrer Glaubensgenossen im Irak und in Syrien endlich zur Kenntnis nimmt.
Der Flüchtlingsstrom aus dem Nahen Osten zeigt an, dass da etwas gründlich schief gelaufen ist. „Der arabische Frühling hat einen völlig falschen Weg eingeschlagen“, konstatiert der Generalsekretär der Vereinten Nationen. Der „arabische Frühling“ … Sie erinnern sich? Politiker und Journalisten bejubelten den Aufstand gegen die Diktatoren in Ägypten, in Syrien, in Libyen und anderswo. Man rieb sich ungläubig die Augen. Hie und da meinte man sogar, dem Frühling ein bisschen nachhelfen zu müssen – mit NATO-Bomben gegen Gaddafi, mit harschen Sanktionen gegen Assad, mit Drohungen gegen Mubarak. Heute mag angesichts der mordenden Kampfverbände des „Islamischen Staates“ niemand mehr vom „arabischen Frühling“ sprechen.
Hoffnungen wurden enttäuscht. Die Aufstände gegen Diktaturen – mit oder ohne westliche Militärhilfe – und selbst demokratische Wahlen haben offensichtlich nirgends zum erhofften Ergebnis geführt. Die dramatischen Entwicklungen lenken unsere Aufmerksamkeit wieder einmal auf die Tatsache, dass es kein wirksames Instrument zum Schutz von Minderheiten gibt. Bereits nach dem Fall Saddam Husseins flohen Christen aus dem Irak, jetzt sind es wieder Christen, aber eben auch Yeziden und Schiiten, die massenweise ihre Heimat verlassen müssen.
Was geschieht, wenn ein autoritäres Regime gestürzt wird? Wer schützt Minderheiten vor der Mehrheitsbevölkerung? Das Schicksal der Yeziden und der Christen, die aus Syrien und dem Irak fliehen, macht uns schmerzlich bewusst, dass die Weltgemeinschaft – hundert Jahre nach dem Genozid an den Armeniern, 70 Jahre nach dem Holocaust, 20 Jahre nach dem Völkermord in Ruanda – noch immer unfähig ist, die Unterdrückung von Minderheiten oder gar Völkermorde zu verhindern.
Selbst in Europa, wo es seit 1992 einen Hohen Kommissar für Nationale Minderheiten der OSZE gibt, liegt der Minderheitenschutz im Argen. In der Ukraine wurde der Ruf „Erst Minderheitenschutz, dann Wahlen“ im Westen überhört. Die Situation der Roma – nicht nur in Südosteuropa – nimmt dramatische Züge an. Aber auch die zugewanderten Minderheiten stellen uns vor eine neue Herausforderung, denn Flüchtlinge kommen zu uns nicht nur als Einzelfälle, sondern als Angehörige einer Gruppe. Sie kommen zu uns, um nicht nur ihre Religion, sondern auch ihre Sprache, ihre Lebensweise, ihre kulturelle Identität vor der Auslöschung zu bewahren. Als reformierte Christen fühlen wir uns an das Los der Hugenotten erinnert, denen deutsche Fürsten Asyl und kollektive Rechte gewährten.
Im Ökumenischen Fernsehgottesdienst am 3. Oktober wurde die „Einheit der offenen Arme“ beschworen. Der katholische Bischof Norbert Trelle rief den Flüchtlingen aus Syrien und dem Irak zu: „Wir halten für euch einen Platz frei!“. Unter dem Motto „Vereint in Vielfalt“ wurde dann in Hannover das große Bürgerfest zum Tag der Einheit gefeiert. Unweit vom Kirchenzelt („himmlisch: evangelisch in Niedersachsen!“) waren, zwischen dem Landesverband jüdischer Gemeinden und der Türkischen Islamischen Union auch die Yeziden mit einem Stand vertreten. Weitere Stände wären an dieser Stelle denkbar gewesen, denn es gab tatsächlich noch freie Plätze. Aber ein Anfang ist gemacht und der nächste 3. Oktober kommt bestimmt!
Paul Oppenheim, OKR i.R., Mitarbeiter bei der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen, Hannover, den 8. Oktober 2014