Arbeitshilfe zur Passionszeit 2016 - Thema: Menschenhandel
Liturgie, Meditation, Hintergrundinformationen für Andachten an den Sonntagen der Passionszeit
Eine Arbeitshilfe, hrsg. von Sabine Dreßler und Thomas Fender unter Mitarbeit von Uli Baege, Antje Bracht und Klara Butting - zum kostenlosen Download auf reformiert-info
Mit Dank an Irene Girsang, VEM für Rat und Unterstützung
Inhalt
I. Einleitung
II. Zum Hintergrund
III. Die Augen öffnen für unbequeme Wahrheiten - Zu den Bildern
IV. Liturgie und Meditation zu den Sonntagen der Passionszeit
1. Sonntag, 14.2.2016
Psalm 57: „Sie haben meine Seele gebeugt...“ - Sabine Dreßler
2. Sonntag, 21.2.2016
Psalm 131: „Wie ein kleines Kind bei seiner Mutter“ – Uli Baege
3. Sonntag, 28.2.2016
Exodus 15,20-21 (15, 1-19?) „Lied der Mirjam“- Thomas Fender
4. Sontag, 6.3.2016
Psalm 69, 1-4.9.20-25.29-30: „Ich bin fremd geworden...“ - Sabine Dreßler
5. Sonntag, 13.3.2016
Psalm 8 – Meditation - Klara Butting
6. Sonntag, 20.3.2016
Palm 22: „Warum hast du mich verlassen?“ - Antje Bracht
V. Links: Kontakt - Beratung - Information und Film
Arbeitshilfe zur Passionszeit - Thema: Menschenhandel
I. Einleitung
Diese digitale Arbeitshilfe ist ein (erstes) Ergebnis einer internationalen Konsultation zum Thema „Menschenhandel“, die im Oktober 2015 vom Reformierten Bund und dem Europäischen Gebiet der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen in Hannover veranstaltet wurde.
Eine der Empfehlungen zur Weiterarbeit lautete, gottesdienstliches Material zu entwickeln, um in Gemeinden vor Ort ein Bewusstsein für das bedrückendeThema zu schaffen.
Die Passionszeit scheint uns die geeignete Zeit, in Andachten, Gottesdiensten oder auch in Gemeindegruppen auf das Leid so vieler Opfer von Menschenhandel aufmerksam zu machen. Aber auch unabhängig von dieser besonderen Zeit im Kirchenjahr sollen die hier zusammengestellten Informationen und Reflexionen, Bilder und Liturgien helfen, sich dieses eher undurchsichtigen Themas anzunehmen. Denn Menschenhandel geschieht – oft unbemerkt – überall, auch in Deutschland. Wo aber Menschen zur Ware gemacht werden, wo Kinder, Frauen und Männer in ihrer Würde und ihrer Gottesebenbildlichkeit verletzt werden, wo sie versklavt werden und geschändet, da ist das genaue Hinschauen und das Öffentlichmachen von Gewalt und von Menschenrechtsverletzungen geboten.
Menschenhandel – was ist das?
Menschenhandel ist weltweit der drittgrößte Wirtschaftzweig organisierter Kriminalität und folgt damit auf den Waffen- und Drogenhandel. Was im rechtlichen Sinn darunter zu verstehen ist, beschreibt die international gültige Definition der Vereinten Nationen („Palermo-Protokoll“) wie folgt:
Der Ausdruck „Menschenhandel“ bezeichnet die „Anwerbung, Beförderung, Verbringung, Beherbergung oder Aufnahme von Personen durch die Androhung oder Anwendung von Gewalt oder anderen Formen der Nötigung, durch Entführung, Betrug, Täuschung, Missbrauch von Macht oder Ausnutzung besonderer Hilflosigkeit oder durch Gewährung oder Entgegennahme von Zahlungen oder Vorteilen zur Erlangung des Einverständnisses einer Person, die Gewalt über eine andere Person hat, zum Zweck der Ausbeutung.Ausbeutung umfasst mindestens die Ausnutzung der Prostitution anderer oder andere Formen sexueller Ausbeutung, Zwangsarbeit oder Zwangsdienstbarkeit, Sklaverei oder sklavereiähnliche Praktiken, Leibeigenschaft oder die Entnahme von Organen“.
Laut einer Studie des Büros für Drogen- und Verbrechensbekämpfung der Vereinten Nationen, UNDOC, aus dem Jahr 2014 sind 49 % der Opfer von Menschenhandel Frauen, 18 % Männer, 12 % Jungen, 21 % Mädchen. Anders ausgedrückt: Ein Drittel der zwischen 2010-2013 registrierten Opfer von Menschenhandel sind minderjährig. Zwei Drittel der betroffenen Kinder und Jugendlichen sind Mädchen, somit sind insgesamt 70% der der UN-bekannten Betroffenen weiblich.
Armut, Perspektivlosigkeit und Gefährdung durch Krieg und Gewalt stehen oft ursächlich am Anfang des Leidensweges von Menschen, die auf scheinbar verlockende Arbeitsangebote eingehen, entführt oder verkauft werden. Ausbeutung, Erpressung, Entführung und Schuldknechtschaft, Missbrauch und Vergewaltigungen gehören zur Tortur, die dann folgt.
Die wenigsten schaffen es, sich aus der Gefangenschaft als Arbeits- und Sexsklaven, als Kindersoldaten oder Prostituierte zu befreien. Selbst wenn dies z.B. mit Hilfe einer Menschenrechtsorganisation gelingt, steht die Frage im Raum: Welche Alternative bietet sich für die Opfer? Wie lässt sich ein neues Leben organisieren und finanzieren, wie lässt sich eine gesicherte Arbeit beschaffen, wie kann eine Rückführung in die ursprüngliche Umgebung und Gemeinschaft gelingen? Wie können Opfer überhaupt mit den Traumata weiterleben? Und passiert eigentlich mit den Tätern und Täterinnen?
Was können Kirchen tun?
Ein erster Schritt ist, schlicht die Tatsachen wahrzunehmen: Menschen werden zur Ware gemacht und als solche gehandelt, dennoch wird dieses Verbrechen oft ignoriert, auch seitens der Kirchen. Gerade sie aber haben noch die Chance, besonders dort aktiv zu werden, wo es keine angemessene soziale Infrastruktur mehr gibt.Insofern richtet sich an Kirchen und Gemeinden die Frage, ob sie ein Zufluchtsort für Opfer sein können und wollen, ob sie sich der Verletzungen der Opfer annehmen und als Anwälte für sie einzutreten bereit sind.
Damit verbunden ist die Überprüfung des eigenen theologischen Denkens:
Welches Verständnis von „Würde“ und „Wert“ bestimmt kirchliches Reden und Handeln im Alltag? Wie und wodurch können Gemeinden vor Ort dazu beitragen, Geschändeten zu helfen, ihre Traumata zu bearbeiten und das Gefühl für die eigene unverbrüchliche Würde wiederzufinden? Wie wird Versöhnung angesichts zerstörter Biographien gelebt? Wie gelingt es, besonders auch junge Menschen stark zu machen und vor möglichen Gefährdungen zu schützen?
In den folgenden Wochen der Passionszeit finden Sie auf reformiert-info.de unterschiedliches Material für Gottesdienste, Andachten oder Gespräche in Gemeindegruppen; dazu Hinweise auf Hintergrundmaterial, weitere Veröffentlichungen und Facheinrichtungen/Beratungsstellen.
In insgesamt sechs Einheiten, analog zu sechs Sonntagen der Passionszeit, werden verschiedene Aspekte des Menschenhandels mit biblischen Texten und Themen beleuchtet. Zugleich sollen Bilder, die während eines workshops der Vereinigten Evangelischen Mission entstanden sind, die Reihe begleiten.
Sabine Dreßler, Reformierter Bund und Thomas Fender, Evangelisch-reformierte Kirche
II. Zum Hintergrund
Menschenhandel geht uns alle an
Von Christoph Wand
Menschenhandel: Gibt es den wirklich noch? Vor einigen hundert Jahren haben Menschen andere Menschen auf Sklavenmärkten verkauft – ja, natürlich. Aber das ist doch vorbei, oder? Leider nicht: Mehr als 20 Millionen Menschen, Kinder, Frauen und Männer sind weltweit Opfer von Menschenhandel. Sie werden verkauft und gehandelt und schuften als Sklaven in Steinbrüchen, arbeiten als Haushaltshilfen, in der Landwirtschaft, als Zwangsprostituierte, in Pflegediensten, auf Werften, Baustellen oder werden Opfer von Organentnahme.
Die VEM setzt sich seit vielen Jahren für die Rechte von Frauen und Kindern ein. Seit Mitte der 1990er Jahre arbeiten beispielweise Kirchen in Indonesien und Hongkong gemeinsam daran, die Situation von indonesischen Haushaltshilfen in Hongkong zu verbessern. Während ihrer Vollversammlung in Wuppertal im Juli 2014 haben sich die Mitglieder der VEM dazu verpflichtet, gemeinsam konkrete Schritte und Initiativen gegen Menschenhandel in Asien, Afrika und Deutschland zu unterstützen.
Hohe Dunkelziffer
In Deutschland? Ja, auch hier gibt es Menschenhandel. Beispiel Zwangsprostitution: Frauen aus den verschiedensten Ländern werden in Deutschland gezwungen, sexuelle Dienstleistungen zu erbringen. Wehren sie sich, werden sie und ihre Familien in ihren Heimatländern bedroht oder zusammengeschlagen, im schlimmsten Fall sogar getötet. Aus Angst trauen sich die wenigsten, ihre Fälle anzuzeigen oder vor Gericht gegen ihre Peiniger auszusagen – dass dennoch mehrere hundert Fälle von Menschenhandel vor deutsche Gerichte kommen, spricht leider nur dafür, dass die Fälle in die tausende gehen.
Noch höher ist die Dunkelziffer beim Menschenhandel in der Arbeitswelt. In einem Jahr sind es zwanzig Fälle, die in Deutschland vor Gericht landen, in einem Jahr fünfzig. Aber auch hier gehen Schätzungen von mehreren tausend Fällen im Jahr aus. Es ist dabei nicht immer leicht, eine scharfe Grenze zu ziehen zwischen ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen und Menschenhandel – sicherlich ein Grund, warum sich die Behörden in Deutschland so schwertun, die Straftat Menschenhandel immer konsequent als solche zu verfolgen. Aber wer hört, dass Menschen hohe Vermittlungsgebühren dafür bezahlen, nach Deutschland kommen zu dürfen, um hier zu arbeiten, dass ihnen dann hier das Pass abgenommen wird und sie für einen Hungerlohn arbeiten müssen, der wird es schwer haben, hier nicht über Menschenhandel zu reden.
Und: Jeder und jede in Deutschland, der ein Bockwürstchen isst oder ein neu gebautes Gebäude betritt, kann das möglicherweise nur, weil in der Herstellung Menschen unter ausbeuterischen Bedingungen gearbeitet haben: Deswegen: Menschenhandel geht uns alle an. Hier vor Ort.
(Quelle: Magazin der Vereinten Evangelischen Mission, 1/2015, S. 6)
III. Die Augen öffnen für unbequeme Wahrheiten - Zu den Bildern
Von Sabine Dreßler
Das erste, was mir auffiel: man sieht den Bildern ihren Kontext, ihren Hintergrund und die Geschichte, die sie erzählen, nicht an – jedenfalls nicht auf den ersten Blick.
Ich stelle mir vor, sie wären sie im Schaufenster einer Galerie ausgestellt, an der ich zufällig vorbeikäme: ich wäre stehen geblieben, angezogen von ihrer geheimnisvollen Schönheit, von ihren Farben und ihrer eigentümlichen Leuchtkraft, die wie von innen nach außen dringt. Sie machen mich neugierig, sie faszinieren mich und ich möchte mehr über sie wissen: wer sind diese Frauen und welche Künstler verbergen sich hinter dieser realen und abstrakten Malerei? Was hat sie inspiriert zu ihren Werken, wo und wann sind sie entstanden? Welche Botschaft haben sie mitzuteilen?
Die Bilder rühren etwas an; eine Erinnerung, einen Gedanken, eine Erfahrung, eine Nachricht, eine Begegnung, vielleicht; umso gespannter bin ich, als ich den Laden dann betrete, um mehr zu erfahren. Und treffe auf eine Galeristin, deren Auskünfte mich erstaunen lassen und erschrecken. Hinter der Schönheit des Dargestellten verbergen sich brutale Tatsachen und traumatische Erfahrungen – und diese teilen sich mir beim genaueren Hinsehen mit.
So erfahre ich – von der erdachten Galeristin – dass diese Darstellungen in einem Workshop zum Thema Menschenhandel im Jahr 2011 in Indonesien entstanden sind. Die Bilder sind ein Ergebnis der intensiven Begegnung und Zusammenarbeit von Frauen aus Asien, Afrika und Deutschland; darunter einige, die selbst Opfer sexueller Ausbeutung sind oder von Arbeitssklaverei betroffen waren, und anderen, die in der Opferberatung tätig sind. Gemeinsam, so scheint es mir, haben sie ihre Erfahrungen und Hoffnungen, ihre Träume und ihren Schmerz in diese Werke hineingelegt.
Irene Girsang, Referentin für interregionale Frauenprogramme bei der VEM und Leiterin des Workshops „Women to Women“ hat uns, nach Rücksprache mit den Künstlerinnen, die anonym bleiben wollen, die Bilder und ebenso einige im Workshop entstandene Texte zur Verfügung gestellt.
Sie sagt:
„Ich beobachte, wie leicht und schnell das „Geschäft“ von Menschenhandel in Asien funktioniert. Das heißt: durch Sextourismus oder aufgrund von Kriegssituationen, durch Naturkatastrophen, Armut oder Arbeitslosigkeit, wegen des geringen Bildungsstandes und sozialer Normen, durch Globalisierung und den einfachen Zugang zu heutigen modernen Medien wie dem Internet. Vielleicht ist es die Mischung aus allem zusammen.“
Weiter stellt Irene Girsang fest:
„Frauen sind besonders gefährdet durch sexuelle Ausbeutung oder durch ausbeuterische Arbeitsverhältnisse. Für Indonesien sind Schätzungen zufolge 69 bis 75 Prozent aller Arbeitsmigranten Frauen, von denen die große Mehrheit als Hausangestellte arbeiten. Manche von ihnen sind stolz darauf, solche „Helden internationalen Austauschs“ zu sein, weil sie ja viel für ihr Land tun. Denn Arbeitsmigration generiert, nach Öl und Gas, das zweithöchste Einkommen in Indonesien; d.h. Armut ist ein wesentlicher Faktor für Menschenhandel. Und wenn dann der Traum der Dorfbevölkerung von einem besseren Auskommen dazukommt, gepaart mit der Vorstellung von einem Job in Übersee, der hoch angesehen ist und Vorteile für die Familie zuhause mit sich bringt, dann ist Menschenhandel schnell und einfach zu organisieren, aber oft schwer aufzudecken.“
(Aus Vortrag Tagung 10/2015, Hannover)
Genau darauf kommt es an: die Augen aufzumachen und sie dann auch vor unerwarteten und unbequemen Wahrheiten nicht wieder zu verschließen. Umso mehr, als der Handel mit Frauen, Männern und Kindern weltweit in einem so vielschichtigen Geflecht von immer wieder wechselnden Strukturen stattfindet.
Die Bilder können uns helfen, die eigene Wahrnehmung für die Gewalt gegen Menschen in rechtlosen wirtschaftlichen Zusammenhängen zu schärfen.
Wir danken den Schöpferinnen der Bilder, dass sie uns Anteil haben lassen an ihren Erfahrungen, den bitteren und schmerzlichen, aber auch an ihrer Überzeugung von der unantastbaren Würde des Menschen. Denn auch dies wird offenkundig in den Kunstwerken:
die Schönheit des menschlichen Antlitzes und die Leuchtkraft seiner Würde bleibt, trotz aller Angriffe, in aller Verletzung, bestehen.
Für die unzähligen ungesehenen, verborgenen, verachteten, verletzten, sich selbst entfremdeten Opfer beten wir stellvertretend zu Gott. Die Passionszeit mag uns helfen, gemeinsam zu überlegen, welches weitere Schritte im Kampf gegen Menschenhandel sein können.
IV. Liturgie und Meditation zu den Sonntagen der Passionszeit
1. Sonntag, 14.2.2016
Psalm 57: „Sie haben meine Seele gebeugt...“ - Sabine Dreßler
2. Sonntag, 21.2.2016
Psalm 131: „Wie ein kleines Kind bei seiner Mutter“ – Uli Baege
3. Sonntag, 28.2.2016
Exodus 15,20-21 (15, 1-19?) „Lied der Mirjam“- Thomas Fender
4. Sontag, 6.3.2016
Psalm 69, 1-4.9.20-25.29-30: „Ich bin fremd geworden...“ - Sabine Dreßler
5. Sonntag, 13.3.2016
Psalm 8 – Meditation - Klara Butting
6. Sonntag, 20.3.2016
Palm 22: „Warum hast du mich verlassen?“ - Antje Bracht
V. Links: Kontakt - Beratung - Information und Film
Sabine Dreßler, Pastorin für Reformierte Ökumene beim Reformierten Bund e.V.
...Wie viele Menschen sehen im Urlaub Frauen, Kinder und Männer, die Opfer von Menschenhandeln geworden sind? Wie viele Menschen wissen genau, wo sich das Bordell mit den blutjungen Mädchen befindet? Und wie viele von uns reden sich ein, dass das Etikett „Made in Taiwan“ in Markenprodukten auf fair bezahlte Arbeit hindeutet? ...