Der Weg durchs Nadelöhr
Predigt über Markus 10, 17-31 von Jörg Baumgarten
TEXTVERLESUNG (Zürcher Übersetzung)
Liebe Gemeinde,
dieser Text hat Auslegerinnen und Ausleger zu ganz verschiedenen Überschriften angeregt: „Von Reichtum und Nachfolge“; der „Reiche Jüngling“; „die Frage des Reichen nach dem ewigen Leben“ oder „Der Weg durch’s Nadelöhr“.
Auch die Einsprüche gegen den Text sind zahlreich: Menschen, die führend im Wirtschaftsleben tätig sind, erwarten von Pfarrern - wieder einmal - Schelte. Also hören sie gar nicht erst genau hin! Oder andere: ‚Da wir alle vor Gott arm sind, ist die Frage nach Armut und Reichtum ohnehin irrelevant.’ Anderen verschließt die Angst vor dem sozialen Abstieg die Ohren vor der biblischen Wahrheit. Schließlich: Da ohnehin niemand durch’s Nadelöhr passt, geschweige denn ein Kamel, haben wir alle keine Chance! Also, was soll’s? Auf die Seite also mit diesem Text! Dabei lohnt er wie , genau hinzusehen und zu hören. Ich folge ihm in drei Schritten:
1. Da findet eine seltsame Begegnung statt:
Jemand läuft auf Jesus zu, wirft sich vor ihm auf die Knie und stellt die Frage nach dem ewigen Leben. Zunächst ist offenbar völlig irrelevant, wer dieser ist, der Jesus ehrerbietig begegnet. Er will die Chance einer zufälligen Begegnung nutzen, um seine Frage nach dem ewigen Leben verbindlich beantwortet zu bekommen. Erst am Ende der Begegnung wird deutlich, dass es sich um einen begüterten Menschen handelt. Matthäus hat ihn später zu einem „jungen Mann“ gemacht, Lukas lässt einen Ratsherrn (Vorsteher) die Frage stellen: „Was muss ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe?“
Jesus antwortet zunächst mit Kritik an der unterwürfigen, in der jüdischen Tradition durchaus verständlichen Anrede: „Verehrter Lehrer“. Der Unbekannte wird barsch
Lassen Sie uns einen Moment innehalten: Da wird jemand in die Nachfolge Jesu gerufen und nimmt diesen Ruf nicht an. Er hat alles getan, was von ihm als gläubigem Juden verlangt wurde. Wer kann das schon sagen, dass er die Gebote gehalten hat von Jugend auf? Er dachte wohl, er müsse das Himmelreich „erwerben“. Und er hing offenbar an seinem sozialen und wirtschaftlichen Status. Er wird dafür nicht kritisiert. So spricht er sich sein Lebensurteil selbst.
Die Bibel ist deutlich – entgegen allem Volksglauben: Reiche werden nicht grundsätzlich wegen ihrer Vermögenssituation kritisiert: Weder der reiche Mann, der dem armen Lazarus begegnet (LK 16,19ff), noch der mächtige Schatzmeister aus Äthiopien (Apg 8), weder der Weinbergbesitzer (Matth 20) noch der reiche Kornbauer (Lk 12) oder der Zollbeamte Zachäus (Lk 19), weder die reiche Purpurhändlerin Lydia aus Thyatira (Apg 16,14ff) noch erst recht die reichen Frauen, die die Jesusbewegung finanziell unterstützten (Lk 8,1-3). Das ist wirklich ein Mythos, dass Reiche grundsätzlich wegen ihres Reichtums kritisiert würden. Lassen Sie uns doch diese Irrlehre nicht weiter erzählen. Sie hindert Reiche daran, sich auf das Evangelium einzulassen.
Aber das ist natürlich nicht alles, was die Bibel relativ oder absolut Reichen zu sagen hat: Wenn jemand meint, er könne sein Leben auf dem Reichtum aufbauen, ja dann ist er oder sie auf dem Holzweg. Das wird am Beispiel des Kornbauern deutlich. Und
Biblisch gesehen ist durchaus auch die Frage wichtig: Wie gelangen Begüterte an ihr Vermögen? Das Gebot „Du sollst nicht stehlen“ und die Verurteilung der Habgier ziehen sich wie ein roter Faden durch die Bibel: Auch die Katechismen (s. Heidelberger Katechismus, Frage 110 und 111) sind hier eindeutig. Ich zitiere Johannes Calvin: „Was ein Mensch besitzt, das hat er nicht von irgendeinem Zufallsgeschick, sondern durch Zuteilung Gottes, des Herrn aller Dinge; wer sich also an seines Nächsten Vermögen vergreift, der übt Betrug gegen die göttliche Ordnung. Es gibt nun sehr vielerlei Diebstahl. Da ist zunächst gewaltsamer Raub: dabei wird das fremde Gut mit Gewalt und Räuberei genommen. Dann ist da der Betrug: da bringt einer auf arglistige Weise den anderen um das Seine. Wieder etwas anderes ist es, wenn man mit List und Tücke das Gut des Nächsten unter dem Schein des Rechts an sich bringt. Und wieder etwas anderes, wenn man den nächsten mit Schmeichelei umgarnt, ihm einen Vorteil vorspiegelt und so sein Gut erschleicht.“ Und weiter Calvin: „Wir bringen den Nächsten auch dann betrügerisch um das Seine, wenn wir ihm den Dienst verweigern, der ihm von Rechts wegen zusteht“ (Institutio II, 8,45).
Darüber hinaus ist der Bibel wichtig, wie man mit seinem Vermögen umgeht: Da gibt es eine klare Linie, die sich durch die Bibel wie ein weiterer roter Faden zieht: Der Arme darf nicht um seine Überlebensmöglichkeiten gebracht werden. Und weiter: Das evtl. vorhandene Vermögen ist so einzusetzen, dass Arme ein Leben in Würde führen können.
Die wirtschaftsethischen Grundeinsichten der Bibel lassen sich so zusammenfassen: Jeder Mensch hat ein Recht auf Befriedigung der materiellen und immateriellen Grundbedürfnisse. Die soziale Mindestabsicherung wird durch die Gemeinschaft garantiert. Privateigentum und Vermögensverwaltung werden vorausgesetzt, allerdings unlauterer Wettbewerb kritisiert, Zinsnahme begrenzt. Dabei wird die Gefahr der Lebens- und Zukunftssicherung auf Kosten anderer im Licht der Gottesfrage kritisiert. Die Gottesfrage – oder anders gesagt: die nach dem ewigen
2. Das Nachgespräch Jesu mit seinen Jüngern hat wesentliche Elemente dieser biblischen Grundeinsichten zum Gegenstand: Jesus greift die Frage selbst auf, die die Jünger in ihrem Herzen stellen und die auch die Frage vieler – nicht nur begüterter - Menschen ist: „Wie schwer werden die Begüterten ins Reich Gottes kommen?“ Die Jünger erstaunen darüber, dass Jesus ihnen die Frage aus dem Mund nimmt. Er radikalisiert sie sofort: „Wie schwer ist es überhaupt, in das Reich Gottes zu kommen?“ Wir kennen die Antwort, die zum Sprichwort geworden ist: „Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr hindurchgeht, als dass ein Reicher in das Reich Gottes kommt.“ Die Jünger ahnen die Antwort: Sie reagieren menschlich: „Sie entsetzen sich in hohem Maße“ – so heißt es – und vergewissern sich gegenseitig in der Einsicht: „Wer kann dann (überhaupt) gerettet werden?“ Natürlich – das ist allen Umstehenden klar: Niemand! Garantiert niemand! Auch nicht einer, der sich durch das größte Nadelöhr der Welt zwängen würde. Es ist einfach seitens der Menschen unmöglich! Gebote halten – gut und wichtig. Aber ins Reich Gottes gelangen, da hilft der größte Fleiß, der liebenswürdigste Mensch und der aktivste Samariter nichts! Aber mitten in die Ratlosigkeit der Jünger sagt Jesus den entscheidenden Satz: „Bei den Menschen ist es unmöglich, aber nicht bei Gott; denn bei Gott sind alle Dinge möglich.“ Da schließt sich der Kreis zum Anfang des Dialogs
In diesem Abschnitt geht es also gar nicht mehr um die Frage, ob es etwa Begüterte schwerer haben, ins Reich Gottes zu gelangen als Arme. Jesus nimmt den Dialog mit dem begüterten Mann zum Anlass, die Frage zu stellen: Wie kommt man in das Reich Gottes? Und das wird – geradezu klassisch - in Szene gesetzt: Der Reiche schafft es nicht von sich aus; niemand schafft es von sich aus. Die Logik des Sprichwortes vom Kamel, das durch kein noch so großes Nadelöhr passt, unterstreicht die Aussichtslosigkeit derjenigen, die auf eigene Anstrengung vertrauen. Selbst die Jünger sind nicht nur ratlos, sondern entsetzt.
Da „blickt er sie an“ und weist die einzige Spur zum ewigen Leben: ER, ER und nochmals und nur ER. Gott selbst öffnet die Tür zum ewigen Leben. Er allein gewährt Einlass und Bürgerrecht. Es ist GNADE. So einfach. So klar. Es ist durch keine Tat zu erwirken. Wir können nur die Hände öffnen und uns von Gott beschenken lassen: Arme und Reiche, Fremde und Jünger und Jüngerinnen. Alle. Wenn Sie Hände und Armen öffnen und sich beschenken lassen, dann werden Sie beschenkt: nicht mit irgendetwas, sondern dem ewigen Leben, dem Leben in Gottes Nähe.
3. Aber nun bleibt diese Botschaft nicht unkonkret. Sie bekommt klare Kontur im 3. Teil unseres Textes. Er handelt vom Lohn der Jünger, vom Lohn derer, die sich auf Gott allein einlassen:
Petrus als Sprecher des Kreises von Jüngern und Jüngerinnen ergreift das Wort:
Will er noch einmal Ratlosigkeit und Entsetzen der Jünger in Worte fassen? Will er Jesus noch einmal beim Wort nehmen, als dieser die Jünger – je zwei und zwei – in seine Nachfolge rief? Vielleicht ist es auch der Bericht eines weiteren Dialogs zwischen den Jüngern und Jesus. Gut verständlich, dass die zentrale Lebensfrage, die nämlich nach dem ewigen Leben, nicht mit einem Satz erledigt ist.
Petrus knüpft beim Dialog mit dem reichen Mann an: Wir haben genau das getan, was Du erwartest: „Wir haben alles verlassen und sind Dir nachgefolgt“(V.28). Die Jünger stellen – unausgesprochen – ihre Frage: Wie steht es mit uns? Werden wir in den Genuss der Gnade Gottes kommen? Wann wird das sein? Jesu Antwort hat grundsätzlichen Charakter – keine Bemerkung nebenbei: „Wahrlich, ich sage Euch:
Es gibt niemanden, der Haus oder Brüder oder Schwestern oder Mutter oder Vater oder Kinder oder Äcker um meinetwillen und um des Evangeliums willen verlassen
Kurzum: Wer dem Ruf in die Nachfolge folgt, der wird nicht auf das Jenseits vertröstet. Die Antwort Jesu ist wirklich erstaunlich: Er nimmt ernst, wie schwer es ist, das eigene Haus, die Familie, die gewohnte Arbeitswelt zu verlassen, um ihm nachfolgen zu können. „Um des Evangeliums willen“ – das hat vielleicht schon die erste Christenheit eingefügt. Das ist ein wirkliches Opfer: Alle Sicherheit und alle gewachsenen Beziehungen hinter sich zu lassen. Wer kann das schon?
Immerhin: Solches Verhalten wird hundertfach – oder wie Lukas sagt: vielfältig - belohnt. Mit dem ewigen Leben! Mit nicht weniger! Das ist es, wonach der Begüterte fragte: Wie kann ich das ewige Leben erwirken? Überhaupt nicht! Ich kann es mir nur schenken lassen! Aber auf der Grundlage dieser endzeitlichen Perspektive greift Jesus viel näher: Er verheißt in der Nachfolge neue Beziehungen, die an die Stelle der alten treten: Das neue WIR: neue Verwandte, eine neue Familie, neue Arbeit, eine neue tragfähige Beziehungswelt. Und das „hundertfach“, also von ganz anderer Qualität.
Reformierte haben dies häufig so gedeutet, dass derjenige, der es im Leben zu etwas gebracht hat – gerade auch wirtschaftlich – besonders gesegnet ist. Reichtum konnte so zum Ausdruck des Segens werden. Warum auch nicht? Das Alte Testament kennt dies auch. Aber dieses Verständnis konkreten Segens hat auch eine negative Seite: Diejenigen, die – trotz Anstrengung - arm blieben oder es nur bis zum unteren Mittelstand geschafft haben, mussten dies so verstehen, als habe ihnen Gott weniger zugedacht. Ich denke, das ist ein Missverständnis. Gnade Gottes und wirtschaftliches Wohlergehen korrespondieren nicht direkt miteinander.
Und doch werden wir nicht auf das Jenseits vertröstet, sondern uns wird in der Nachfolge Neues verheißen, das trägt: Neue Beziehungen – zum Leben und
Dennoch: Wir haben – wenn wir Nachfolge erlebbar machen wollen – eine klare Aufgabe: Solche neuen und tragfähigen Beziehungen sichtbar und erlebbar zu machen. Ich nenne einige Beispiele:
Viele Christen haben weltweit eine tragfähige Gemeinschaft in Basisgemeinden gefunden: in Lateinamerika, in Afrika und auch in Europa (z B. Kath. Kirche in Frankreich/ Poitier). In den Kirchen Asiens wächst die Kirche rasant durch wirksame strategische Konzepte von Hausgemeinden. Auch in der Ev. Kirche im Rheinland gibt es immerhin an die 1000 Besuchsdienst- und Hauskreise, kleine Gruppen und Zellen, von denen die Kirche lebt, auch wenn davon nicht viel in der Zeitung steht.
Viele konzentrieren sich derzeit auf das Engagement vor Ort, fast 1000 „Tafeln“ in Deutschland, unzählige Kreise, kulturelle Aktivitäten im Raum der Kirche und doch auch in anregenden Gottesdiensten. Viele erleben den Kirchentag als solch eine Impuls gebende Gemeinschaft. Und nun sind wir auf dem Weg zum 2. Ökumenischen Kirchentag in München im Mai kommenden Jahres. Oft konzentriert sich die Diskussion irrigerweise allein auf die Frage einer gemeinsamen Abendmahls- oder Eucharistiefeier. Aber so verpasst man die entscheidenden Impulse der Ökumenischen Bewegung in und für Deutschland. Wir sollten und könnten noch viel mehr gemeinsam machen: alles, wo uns die Lehre nicht trennt.
Und dann erst die weltweite Ökumenische Bewegung: Im Zuge des Konziliaren Prozesses für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung sind viele tragfähige Beziehungen – über Konfessions- und Ländergrenzen hinweg – entstanden. Freunde und Freundinnen haben zusammen mit mir das Institut SÜDWIND – Institut für Ökonomie und Ökumene – gegründet. Seit 1991 betreiben wir dort interventionsorientierte Forschung und Aktion zugunsten der Armen, vor
Das ist tröstlich, dass solche Gemeinschaft nicht endet mit dem physischen Leben, sondern trägt bis in alle Ewigkeit. Wer sich auf Gott allein verlässt und tragende Gemeinschaft sucht, wird diese finden. Diese Gemeinschaften leben von geteilter Hoffnung und ewigem Leben. Es ist wirklich wahr: „Viele aber, welche Erste sind – oder zu sein scheinen -, werden Letzte sein und die Letzten Erste.“ Amen.