Liebe im Imperativ

Predigt zur Jahreslosung 2024


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Von Stephan Schaar

Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! AMEN.

"Tu mir die Liebe und geh mit dem Hund raus, Schatz!"

Liebe Gemeinde, was könnte man darauf antworten?

Vielleicht: “Gleich, Liebling. Ich muss nur noch den Keller zu Ende aufräumen.” Wahlweise können hier alle möglichen Tätigkeiten aufgeführt werden, die als gemeinschaftsdienlich gelten; nicht akzeptabel hingegen scheint es mir, wenn etwa gesagt würde: “Ich will erst noch mein Kreuzworträtsel beenden” - wobei das Kreuzworträtsel je nach Vorliebe auch das Puzzle, das Computerspiel und alles mögliche sonst sein könnte.

Du sollst - ich muss, und umgekehrt. Wer sagt das überhaupt? Nun, es gibt natürlich gewisse Notwendigkeiten im Leben und Zusammenleben. Manches macht man freiwillig, anderes nur widerwillig. Unser Thema heute ist die Liebe, die geboten wird.

Es ist schon eine recht geschickte Ausdrucksweise, den Lebenspartner (meist handelt es sich um diesen) mit einem Appell an die Liebe um die Erledigung einer unangenehmen Aufgabe zu bitten oder auch dies anzumahnen, wenn eine Bitte auf taube Ohren stößt.

Es gibt eine lustige Glosse von Axel Hacke über das von ihm so genannte Ehegatten-Passiv, das vorzugsweise immer dann zum Einsatz kommt, wenn man selbst etwas auf keinen Fall tun möchte, das man andererseits aber unbedingt getan wissen will - und zwar von dem Ehemann oder der Ehefrau, die man dafür zuständig wähnt.

In diesem Fall werden Sätze gesagt wie etwa: "Man müsste jetzt mal langsam den Weihnachtsbaum rausstellen." Oder: "Jemand sollte mal die Weihnachtsdekoration in den Keller bringen!" Schließlich gibt es noch die Variante: “Einer müsste sich mal um die defekte Hausbeleuchtung kümmern." Es versteht sich von selbst, dass damit nur die angesprochene Person gemeint sein kann, auch wenn geschickterweise vermieden wird, ihn oder sie direkt aufzufordern.

Was ist christlicherseits dazu zu sagen, liebe Schwestern und Brüder?

Der Kirchenvater Augustin wird gern mit den Worten zitiert: "Liebe und tu, was du willst!" Damit möchte er keineswegs der Willkür das Wort reden. Sein Satz, bei dem das lateinische Wort diligere verwendet wird, das man mit "wertschätzen" übersetzen könnte, müsste im zweiten Teil eigentlich andersherum wiedergegeben werden, also: "...und, was du möchtest, das tu!"

Die Voraussetzung für diese General-Erlaubnis allerdings ist, dass man liebt - darauf legt der antike Theologe Augustinus großen Wert, ja, er möchte alles Tun in der Liebe begründet wissen.

Schon Paulus hatte der großen Freiheit des Christenmenschen eine entscheidende Grenze gesetzt, nämlich dort, wo es um die Ängste und Nöte des Nächsten geht. Zwar ist dem Reinen alles rein, aber nicht alles, was man ohne Bedenken essen dürfte, ist zum Verzehr geeignet, zumindest im Rahmen der christlichen Gemeinschaft; denn dort gilt das Gebot der Rücksichtnahme der Starken auf die Schwachen, prägnant formuliert im zehnten Kapitel des ersten Korintherbriefes: Alles ist erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist erlaubt, aber nicht alles baut auf.

Wir werden im ersten Korintherbrief, in dem auch unsere Jahreslosung zu finden ist, weitere Beispiele antreffen für die konkrete Ausgestaltung der Liebe als einer - und hier kommen wir schon zu einer grundsätzlichen Antwort - Haltung, die dem Respekt gegenüber Gottes Wort entspricht.

Fast wortgleich mit dem eben zitierten Satz ist eine Aussage aus dem sechsten Kapitel des ersten Korintherbriefes - aber der Kontext ist diesmal ein ganz anderer. Mit den Worten:  Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll Macht haben über mich weist Paulus die Vorstellung zurück, dass sexuelle Freizügigkeit denen gut anstünde, denen das Gesetz Gottes nicht länger als eine Forderung entgegentritt, die man um jeden Preis zu erfüllen habe.

Im Gegenteil, betont der Apostel in seinem Brief an die römische Gemeinde: Seid niemandem etwas schuldig, außer dass ihr euch untereinander liebt; denn wer den andern liebt, der hat das Gesetz erfüllt.

Die Liebe - weniger ein zärtliches Gefühl als eine respektvolle Haltung - sieht auf das Gegenüber, hat das Wohl aller im Blick, fragt: “Was braucht mein Gegenüber?”.

Weltlich würde ich das aus der Mode gekommene Wort “Solidarität” als dasjenige ansehen, das unserem am nächsten steht. Belege für diese Interpretation finde ich - wir haben am Dienstag gern aufgegriffen, was eine Gesprächsteilnehmerin uns mitgebracht hatte - im zwölften Kapitel des Römerbriefes, aus dem ich einige Sätze zitieren möchte:

Nehmt euch der Nöte der Heiligen an. Übt Gastfreundschaft.

Seid eines Sinnes untereinander. Trachtet nicht nach hohen Dingen, sondern haltet euch zu den niedrigen. Haltet euch nicht selbst für klug.
Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann.
Ist's möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.
Wenn deinen Feind hungert, so gib ihm zu essen; dürstet ihn, so gib ihm zu trinken.

Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.

Sind das Verpflichtungen, sind das Ideale?

Ich würde lieber von Tugenden sprechen: Danach lasst uns streben! - Aber nicht wie man sich womöglich zu Beginn eines neuen Jahres wieder einmal vornimmt, mehr Sport zu treiben, den Kontakt zu alten Freunden intensiver zu pflegen, weniger Alkohol zu trinken und regelmäßig ins Theater und Museum zu gehen; und wenn das Jahr noch gar nicht alt ist, wird das Abo für den Fitness-Club überwiesen, ohne dass man dessen Räume betritt, ebenso wie man dem Theater und dem Museum fernbleibt, dafür aber wieder gut isst und trinkt und kaum Zeit hat für Telefonate und Briefe.

Wahrscheinlich ist es tatsächlich nicht möglich, mit allen Menschen im Frieden zu leben. Aber sehr wohl ist es möglich, seinen Teil dazu beizutragen, der anderen Seite Friedwilligkeit zu signalisieren.

Es wird nicht vollständig gelingen, das Böse mit Gutem zu überwinden. Aber man kann zumindest den Willen dazu aufbringen und es immer wieder versuchen. Gastfreundschaft kann auch zur Last werden; aber das darf doch nicht dazu führen, sie grundsätzlich abzulehnen! Gewiss sind wir nicht immer eines Sinnes; aber wir dürfen nicht verlernen, mit Eifer einerseits und andererseits aber auch Verständnis füreinander um einen gemeinsamen Weg zu ringen!

In einer Gesellschaft, in der anscheinend jeder nur für sich kämpft - die einen durchaus erfolgreich, die anderen vermeintlich chancenlos - ist es umso mehr geboten, gegenüber jedem und jeder auf Gutes bedacht zu sein, dem Gemeinwohl einen hohen Stellenwert einzuräumen und die Bereitschaft aufzubringen, Privilegien zu opfern, damit Schulen und Kitas, Krankenhäuser und Altenpflegeheime tatsächlich finanziert werden können und nicht nur Geld da ist für Raketen und Panzer, auch wenn es so aussieht, als kämen wir ohne Waffen, anders als erhofft, momentan jedenfalls nicht aus.

Nun habe ich einiges aufgezählt, über das wir gern nachher diskutieren können, was unseren zwischenmenschlichen Umgang miteinander anbelangt. Aber unser Thema ist nicht allein die Nächstenliebe, sondern das Doppelgebot der Liebe und die Frage danach, was zu tun ist, wenn Liebe im Imperativ erscheint; wie steht es also um die Liebe zu Gott?

Wir sollen Gott lieben mit ganzem Herzen - wobei dies für den Verstand steht, nebenbei bemerkt -, mit  ganzem Gemüt (da haben wir das Emotionale!) und mit aller unserer Kraft, das heißt also: mit aller Entschlossenheit und Konsequenz.

Auch dieses Gebot verordnet uns keine Gefühle - das ist ohnehin unmöglich, und laut Kant korrespondiert das Sollen unserem Können -, sondern auch hier geht es um ein gebotene Haltung des Respekts, der Demut. Gerade fromme Leute, die ehrlich überzeugt sind, Gott besonders zu lieben, erliegen leicht der Versuchung, gegenüber Gottes Wort zu ertauben, weil sie meinen, sie wüssten längst, worauf es ankommt im Leben eines Christenmenschen.

Ehrfurcht gegenüber Gott beinhaltet immer auch ein gewisses Maß an Misstrauen gegenüber eigenen Gewissheiten. In einem Religionsbuch sah ich einmal einen Cartoon, auf dem ein Mensch vor einer Kirche steht und zögert einzutreten, denn neben dem Eingang befindet sich ein Schild mit einer Warnung: “Achtung! In dieser Kirche versammeln sich sündige Menschen.”

Wenn das nicht mehr bewusst ist, weil man - mit Paulus zu sprechen - “nach hohen Dingen trachtet” und mit seinem Gott vertraut ist wie mit einem alten Kumpel, dann fehlt es offensichtlich an Demut, die doch ebenso geboten ist wie das Halten des Gotteswortes und  eben - die Liebe.

Amen.