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Was wären wir ohne die Hoffnungsbilder im Alten Testament?
Predigt zu Jesaja 52, 7-10 am 4. Advent
7 Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Freudenboten, die da Frieden verkündigen, Gutes predigen, Heil verkündigen, die da sagen zu Zion: Dein Gott ist König!
8 Deine Wächter rufen mit lauter Stimme und rühmen miteinander; denn alle Augen werden es sehen, wenn der HERR zu Zion zurückkehrt.
9 Seid fröhlich und rühmt miteinander, ihr Trümmer Jerusalems; denn der HERR hat sein Volk getröstet und Jerusalem erlöst.
10 Der HERR hat offenbart seinen heiligen Arm vor den Augen aller Völker, dass aller Welt Enden sehen das Heil unsres Gottes.
(Jesaja 52, 7-10)
Liebe Gemeinde,
Wie lieblich sind die Füße der Freudenboten, die da Frieden verkündigen...
Wie schrecklich sind die Füße der Soldaten, die die Felder und Wiesen zertrampeln, die Panzer, die durch die Straßen rollen, die Raketen, die ganze Wohnviertel in die Luft sprengen, die Bomben, die Gebäude und Menschen in Flammen setzen.
Wie lieblich sind die Füße der Freudenboten, die da Frieden verkündigen…
Wie müde sind die Füße der verzweifelten Mütter, die nach ihren entführten Söhnen fragen, die Hände der Eltern, die in den Trümmern der Häuser nach ihren Kindern graben, die Herzen der Flüchtlinge, die um ihre Zukunft bangen.
Wie lieblich sind die Füße der Freudenboten, die da Frieden verkündigen…
Wie wund sind die Körper der vergewaltigten Frauen, wie grausam zerschunden die Gefolterten, wie verfinstert die Nächte der Soldatenmütter.
Wie lieblich sind die Füße der Freudenboten, die da Frieden verkündigen.
Und ich? Wie kann ich Gutes predigen und Heil verkündigen? Wie konnten es die Verfasser des Prophetenbuchs? In ihren Schriften finden wir – wie in den Psalmen – immer beides, ganz dicht beieinander. Da ist Jubel und Dank für Befreiung. Und da ist Klage und Verzweiflung darüber, dass Gott fehlt, dass die Gewalttätigen regieren und Gerechtigkeit und Frieden nur ein Traum sind. Zion, die Tochter Jerusalem, Gottes geliebte Braut, wie es poetisch heißt, ist geschändet. Der Sänger der Klagelieder (2,11-13) beweint sie:
11 Ich habe mir fast die Augen ausgeweint, mein Leib tut mir weh, mein Herz ist auf die Erde ausgeschüttet über dem Jammer der Tochter meines Volks, weil die Säuglinge und Unmündigen auf den Gassen in der Stadt verschmachten. 12 Zu ihren Müttern sprechen sie: Wo ist Brot und Wein?, da sie auf den Gassen in der Stadt verschmachten wie die tödlich Verwundeten und in den Armen ihrer Mütter den Geist aufgeben. 13 Ach du Tochter Jerusalem, wem soll ich dich vergleichen und wie soll ich dir zureden? Du Jungfrau, Tochter Zion, wem soll ich dich vergleichen, damit ich dich tröste? Denn dein Schaden ist groß wie das Meer. Wer kann dich heilen?
Wir sind nicht alleine mit unserem Entsetzen über so viel Gewalt. Unsere biblische Tradition dient keine beschönigenden Vertröstung. Das Grauen bleibt dort präsent. Präsent bleiben aber auch die Hoffnungsbilder. Durch sie wird die Erinnerung an Gutes und Heil wach gehalten. Die Wächter auf den Türmen rufen mit lauter Stimme und rühmen miteinander; denn alle Augen werden es sehen, wenn der HERR zu Zion zurückkehrt.
Ein Echo auf dieses alttestamentliche Prophetenwort haben wir auch im christlichen Choral. Lied 147, 2. Strophe:
Zion hört die Wächter singen, das Herz tut ihr vor Freude springen.
Sie wachet und steht eilend auf.
Ihr Freund kommt vom Himmel prächtig, von Gnaden stark, von Wahrheit mächtig.
Ihr Licht wird hell, ihr Stern geht auf.
Nun komm, du werte Kron, Herr Jesu, Gottes Sohn!
Hosianna!
Wir folgen all zum Freudensaal und halten mit das Abendmahl.
Und in Ps 85,11:
Wenn der Herr zu Zion zurückkehren wird, wenn er Hochzeit feiern wird mit seiner Braut, wenn er mit allen seinen Kindern am Tisch sitzen wird, wenn Güte und Treue einander begegnen, Gerechtigkeit und Friede sich küssen …
Wir haben das vorhin im Glaubensbekenntnis gebetet. Die Hoffnungsbilder müssen immer wieder erzählt und weitererzählt werden, sie müssen im Bekenntnis gegenwärtig sein. Wenn nicht – versinken wir in Resignation. Ohne Hoffnungsbilder sucht uns Depression heim. Was wird noch aus unserer Welt werden? Wie schrecklich wird die Zukunft meiner Enkel und Kinder sein? Wie wenig habe ich getan, um anderen zu helfen! Und ist nicht jede Wohltat nur ein Tropfen auf den heißen Stein? Was kann ich schon ändern? Wie nutzlos bin ich! Und wie abhängig von den Mächten, die die Welt regieren!
Aber so hört doch: Deine Wächter rufen mit lauter Stimme und rühmen miteinander; denn alle Augen werden es sehen, wenn der HERR zu Zion zurückkehrt.
Ohne Hoffnungsbilder überfällt uns Zynismus. Wieso soll ich verantwortlich sein für das Elend der Welt? Was brauche ich Vertröstungen auf eine bessere Welt? Hinnehmen muss man, was sich ohnehin nicht ändern lässt, und das Leben genießen, solange es geht! Mehr will ich nicht.
Aber so hört doch: Deine Wächter rufen mit lauter Stimme und rühmen miteinander; denn alle Augen werden es sehen, wenn der HERR zu Zion zurückkehrt.
Ohne Hoffnungsbilder droht die Gefahr des blinden Aktionismus. Es muss doch endlich etwas getan werden, damit die Welt sich zum Besseren verändert! Ich will das tun! Jetzt und sofort. Das Ende der Geduld ist erreicht. Jetzt hilft nur noch Gewalt. Opfer müssen in Kauf genommen werden. Auch mein eigenes Lebensopfer. Durch mich wird sich das Ziel der Geschichte gegen alle Ausbeuter beschleunigen lassen – so die RAF-Terroristen in den 80er Jahren. Durch uns wird sich der heilige Gottesstaat gegen alle Ungläubigen errichten lassen – so Tausende junger Männer, die sich dem IS anschließen, auch aus Europa.
Aber so hört doch: Deine Wächter rufen mit lauter Stimme und rühmen miteinander; denn alle Augen werden es sehen, wenn der HERR zu Zion zurückkehrt.
Ohne Hoffnungsbilder leiden wir unter einem Minderwertigkeitsgefühl. Ach, wie kann ich fröhlich sein und feiern, wenn so viele Menschen in Not und Elend leben. Wie verkommen sind wir mit unserem Lebensstil – sündig! Was können wir Jesus antworten, wenn er zu uns sagt: Willst du vollkommen sein, so geh hin, verkaufe, was du hast, und gib's den Armen (Mt 19,21)
Aber so hört doch: Deine Wächter rufen mit lauter Stimme und rühmen miteinander; denn alle Augen werden es sehen, wenn der HERR zu Zion zurückkehrt.
Ohne Hoffnungsbilder fallen wir in Unglauben. Was ist das für ein Gott, der die Leiden der Menschen nicht beendet? Was ist das für ein Schöpfer, der die Menschen so böse und uneinsichtig geschaffen hat? Wie kann er seine Welt überhaupt verteidigen?
Aber so hört doch: Deine Wächter rufen mit lauter Stimme und rühmen miteinander; denn alle Augen werden es sehen, wenn der HERR zu Zion zurückkehrt.
Ohne Hoffnungsbilder überlassen wir die Welt dem Lauf aller Dinge. Ohne Hoffnungsbilder gibt es keinen Protest gegen Hass und Ungerechtigkeit. Ohne Hoffnungsbilder haben wir keine Kraft zu widerstehen. Hoffnungsbilder dagegen malen uns die Welt, wie sie sein soll.
Hoffnungsbilder geben uns Kraft zum Widerstand. Hoffnungsbilder bewegten den Betreiber einer Facebookseite, auf der man – ganz unbürokratisch – ein Zimmer für Flüchtlinge anbieten kann. Damit werden die weltweiten Probleme nicht gelöst – aber einige Menschen erleben Freundlichkeit. Hoffnungsbilder ermutigen die innerisraelische Friedensbewegung, die sich gegen eine Strategie der Vergeltung und weiterer Landbesetzungen zu Wort meldet. Das verhindert keine Raketenanschläge und keine Bombenangriffe. Aber es hält die Mahnung an eine andere Politik wach. Hoffnungsbilder vereinen europaweit die Gegner des Freihandelslabkommens, das Bürgerrechte und Bankenkontrollen verhindern will. Das kann den globalen Kapitalismus nicht stürzen. Aber es wird die Geschäftemacher daran erinnern, dass sie mit Widerstand rechnen müssen. Hoffnungsbilder wohnten im Herzen der jungen Türkin, die die jungen Frauen verteidigt hat und selbst Opfer der Gewalt wurde. Das stillt die Tränen der Familie nicht. Aber es wird andere ermutigen, gemeinsam gegen Verrohung in unserer Gesellschaft zu kämpfen.
Hoffnungsbilder brauchen wir gerade, weil sie die Realität nicht abbilden, sondern übersteigen. Hoffnungsbilder haben den Glauben unserer jüdischen Geschwister in seinen Anfängen geprägt. Es war die Zeit nach den politischen Niederlagen, zuerst des Nordreichs Israel durch die Assyrer und dann des Südreichs Juda durch die Babylonier, als die Oberschicht ins Exil geführt wurde. Als Jerusalem in Trümmern lag. Als die Bewohner auf dem Land in Dürftigkeit lebten, auch geistlich. Da ertönt im Angesicht des Elends die Stimme der Gotteskünder: 9Seid fröhlich und rühmt miteinander, ihr Trümmer Jerusalems; denn der HERR hat sein Volk getröstet und Jerusalem erlöst. 10Der HERR hat offenbart seinen heiligen Arm vor den Augen aller Völker, dass aller Welt Enden sehen das Heil unsres Gottes. Aus den Ruinen erhebt sich das Hoffnungsbild der Rückkehr aus dem Exil, das Hoffnungsbild des neuen Jerusalems, des wieder aufgebauten Tempels. Gott ist König, eigentlich heißt dies in der biblischen Vorstellungswelt: er hat den Thron bestiegen, er hat sich durchgesetzt gegenüber allen Widersachern. An diesem Bekenntnis hat das Judentum festgehalten: Gott ist der Herr der Geschichte. Gestern und heute. Und gegen allen Anschein der Realität.
Keine 200 Jahre hat es nach dem Exil gedauert, bis wieder ein fremder Herrscher kam und die Menschen am Tempel zwingen wollte, dem Gott Zeus zu huldigen. Und keine weiteren 200 Jahre hat es gedauert, bis die Römer den Tempel dem Erdboden gleichmachten. Aber in den Synagogen wurde es weiter verkündet: 10Der HERR hat offenbart seinen heiligen Arm vor den Augen aller Völker, dass aller Welt Enden sehen das Heil unsres Gottes. In den Synagogen wurde es weiter verkündet und wird es weiter verkündet: trotz Diaspora, trotz Pogromen, trotz Auschwitz. Hoffnungsbilder des Glaubens.
Was wären wir Christen ohne sie. Gerade in der Adventszeit stimmen wir in sie ein:
O Friedefürst von großer Macht –
Gott kommt auf die Erde, kommt das Friede werde –
Sanftmütigkeit ist sein Gefährt –
Ewig steht sein Friedensthron –
Wie lieblich sind die Füße der Freudenboten, die da Frieden verkündigen …
Bis in die Lesungen der Christnacht hinein lassen wir uns anrühren von diesen Hoffnungsbildern aus dem alten Israel:
- vom Davissohn, der auf dem Füllen einer Eselin reiten wird, wenn er sein Friedensreich gründen wird
- von der jungen Frau, die den Knaben mit Namen Immanuel gebären wird: Gott mit uns
- von den Schwertern, die zu Pflugscharen werden
- und davon, dass jeder unter seinem Weinstock und Feigenbaum wohnen wird, und niemand wird sie schrecken.
Denn auf diese Hoffnungsbilder haben sich auch die verlassen, die uns die Geschichten von Jesus überliefert haben. Als Juden waren sie vertraut mit der Schrift, hatten von Kindheit an mit den alten Prophetenworten gelebt. Aus dieser Tradition heraus hatten sie die messianischen Verheißungen auf ihren Herrn übertragen, sein Leben und Sterben gedeutet: Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst.
Wovon Jesaja sagt …
Was wären wir Christen ohne diese Hoffnungsbilder? Sie lassen uns das Leben meistern und trösten uns in der Angst vor dem Sterben. Sie malen den Himmel und bewerten die Erde. Es waren vor allem jüdische Theologen und Philosophen, die im vorigen Jahrhundert immer wieder aufmerksam werden ließen auf den diesseitigen Ort der Hoffnungsbilder, die in der Christentumsgeschichte oft zu schnell in ein Jenseits projiziert worden waren. Hoffnungsbilder lassen einen unbestimmten Ort Gestalt werden, einen Nirgendort (ou-topos), der in die Spannung gestellt ist zwischen dem erbärmlichen Zustand der realen Welt und der Verheißung ihrer vollkommenen Veränderung. Wir wissen nicht genau, wo da die Grenze verläuft.
Wie lieblich sind die Füße der Freudenboten, die da Frieden verkündigen … Sie gehen ihren Weg zwischen dem Heute und dem Morgen, zwischen Ankündigung und Erfüllung, zwischen Noch-Nicht und Schon. Sie erklären den Status quo nicht für alternativlos. Aber sie versprechen uns auch keine Wunder. Sie halten uns wach in der Erwartung und im Ruf zum Handeln. Sie vermitteln den himmlischen Frieden, den wir erwarten mit dem irdischen, den wir befördern sollen.
Gemeinsam stehen wir in dieser Tradition mit unseren jüdischen Geschwistern. Von ihnen haben wir die Messias-Hoffnungen bekommen. Ihnen bekennen wir, dass wir in Jesus den schon Gekommenen glauben. Von ihnen lassen wir uns aber auch erinnern, dass noch nicht alles vollbracht ist. Gemeinsam mit ihnen vertrauen wir auf die uralten Verheißungen, dass einst aller Welt Enden sehen das Heil unsres Gottes. Denn wie der neue Himmel und die neue Erde, die ich mache, vor mir Bestand haben, spricht der HERR, so soll auch euer Geschlecht und Name Bestand haben. (Jes 66, 22) Dann werden auch unsere Fragen und Kontroversen und Zweifel ein Ende haben, denn dann wird Gott sein: alles in allem. (1. Kor 15,28)
Lassen Sie uns das gesagt sein von den alten Sprüchen und Liedern in dieser Adventszeit.
Wie lieblich sind die Füße der Freudenboten, die da Frieden verkündigen …
Amen
Dr. Gudrun Kuhn, Ältestenpredigerin, Nürnberg
Wir möchten unsere Stimmen miteinklingen lassen in die alten Sätze von Erfahrung und Sehnsucht.