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Im Dialog mit Calvin.
Eine Predigt zu Johannes 20,19-29 (Quasimodogeniti) - Thomas, der Zweifler und die Ordnung der Kirche
am vergangenen Sonntag haben wir Ostern gefeiert, Grund unseres Glaubens. Von Thomas, dem Zweifler, von Thomas, dem Zwilling von uns allen berichtet unser heutiger Predigttext. Ich bin eingeladen, an den Genfer Reformator Johannes Calvin zu erinnern, der in diesem Jahr 500 Jahre alt wird.
Wie passt das alles zusammen?
Zunächst: Johannes Calvin wurde am 10. Juli 1509 in Noyon – nördlich von Paris – geboren. Er war einer der Reformatoren in der zweiten Generation und verstand sich als Schüler Martin Luthers. Vor allem in Genf und in Straßburg hat er maßgeblich dazu beigetragen, Kirche und Gesellschaft nach Gottes Wort zu gestalten. An beiden Orten lebten viele Glaubensflüchtlinge, Christenmenschen, die im katholischen Frankreich oder an anderen Orten aufgrund ihrer religiösen Überzeugung nicht mehr geduldet waren.
Und das waren nicht wenige im Jahrhundert der Reformation – von Genf wissen wir, dass die Zahl der Einwohnerinnen und Einwohner sich innerhalb von 30 Jahren verdoppelt hat. Von Straßburg, von Konstanz und anderen Orten ist ähnliches bekannt. Unruhige Zeiten, Menschen innerlich und äußerlich in Bewegung, auf der Suche nach einer neuen Heimat – ganz real auf der Suche nach einer neuen Wohnung und ganz spirituell auf der Suche nach einer neuen Gemeinde, in der sie mit ihrem Glauben, mit ihren Fragen und ihren Hoffnungen leben konnten.
Trost für die Gemeinden auf der Flucht – das ist das, worum Calvin sich bemüht hat. Vielleicht kann man es so ausdrücken: „die Theologie Calvins ist Theologie für Vertriebene, für Flüchtlinge, ist Theologie für Bedrohte: Gemeinden wie Einzelne“ (Jörg Schmidt, Eröffnung Wanderausstellung 11. Januar 2009). Und da liegen zwei Hauptfragen nahe: was gibt uns Trost – wie verstehen wir die Bibel – und wie wollen wir als Gemeinde in der Welt leben – welche Ordnungen brauchen wir, welchen Auftrag haben wir?
Der Predigttext für den heutigen Sonntag hat mit diesen beiden Fragen zu tun. Für manche scheint das weit hergeholt. Thomas, der Zweifler, Thomas, der sich absondert von den anderen und eigene Fragen stellt. Er steht im Mittelpunkt unseres Predigttextes. (Joh 20, 19 – 29)
„Am Abend aber dieses ersten Tages der Woche, als die Jünger versammelt und die Türen verschlossen waren aus Furcht vor den Juden, kam Jesus und trat mitten unter sie und spricht zu ihnen: Friede sei mit euch!
Und als er das gesagt hatte, blies er sie an und spricht zu ihnen: Nehmt hin den heiligen Geist!
Und nach acht Tagen waren seine Jünger abermals drinnen versammelt, und Thomas war bei ihnen. Kommt Jesus, als die Türen verschlossen waren, und tritt mitten unter sie und spricht: Friede sei mit euch!
Was mag das für Thomas und die anderen Jünger bedeutet haben – die Stadt Jerusalem und das ganze Land sind in Aufruhr. Die römische Fremdherrschaft schränkt das alltägliche Leben ein. Überall ist zu sehen, dass das jüdische Volk nichts zu sagen hat im eigenen Land. Wie mit dieser Situation umgehen? Da gibt es viele unterschiedliche Ansichten, viel Streit und viele Auseinandersetzungen. Jesus, mit dem sie viel Zeit verbracht haben, mit dem sie ihre Hoffnungen geteilt haben, der große Lehrer in Israel, in dessen Nähe sie verstanden haben, was Gott mit uns vorhat – er wurde zum Tod verurteilt und hingerichtet. Das ist das Ende aller Pläne. Vorbei ist es mit allen Hoffnungen. Die ganz große Täuschung? Die ganz große Enttäuschung? Trostloser kann es kaum zugehen. Da schienen Veränderungen zum Greifen nahe – und dann so ein abruptes grausames Ende.
Und nun spricht sich die Botschaft herum: er lebt. Die Frauen haben ihn zuerst gesehen. Sie haben neuen Mut bekommen, haben den anderen davon berichtet. Und dann erleben es die Jünger selbst: er kommt in ihre Mitte. Er kann sich ausweisen mit den Wundmalen an den Händen und an der Seite. Welch ein Trost! Welche Hoffnung, die nun wieder aufkeimt!
Und Thomas? Er war nicht dabei. Die anderen haben ihm erzählt, was sie erlebt haben. Aber was heißt das schon. Manchmal sind Menschen so hoffnungslos, dass kein Wort der Hoffnung sie erreicht. Manchmal erscheinen Situationen so trostlos, dass kein Wort des Trostes durchdringt. Manchmal sind Menschen so enttäuscht, dass nichts an sie herankommt.
So mag es auch dem Thomas gehen. Aber es gibt etwas, was ihn erreicht, was an ihn herankommt, was ihn berührt. Und ganz verändert. Aus der Starre aufwachen lässt.
Es ist Jesus selbst mit seiner Aufforderung: „Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!“
Johannes Calvin hatte mit anderen zusammen 1538 in Straßburg die Aufgabe, das Schulwesen neu zu ordnen. Vorlesungen über biblische Texte, die kontinuierliche Auslegung der Bibel machten sie sich zur Aufgabe. Martin Bucer und Wolfgang Capito erklärten das Alte Testament, die reformierte Wertschätzung des Alten Testaments ist hier zu spüren. Johannes Calvin begab sich an die Auslegung des Neuen Testamentes, und begann mit dem Johannesevangelium. Gehen wir also in die Schule Calvins. Zu unserem Predigttext bemerkt er:
„Endlich, wenn auch spät, wacht Thomas auf. Wie einer, der nach einer Ohnmacht wieder zu sich kommt, ruft er voller Bewunderung aus: Mein Herr und mein Gott! Gerade in seiner abgerissenen Kürze spiegelt dieser Ausruf die tiefe Erregung des Thomas wider. Ohne Zweifel ließ ihn die Scham diese Worte hervorstoßen, und er wollte damit seine Trägheit verurteilen. Außerdem zeigt dieser plötzliche Ruf: sein Glaube war zwar sehr geschwächt, aber noch nicht gänzlich erloschen.“
Und einige Zeilen weiter meint Calvin:
„Wie sollte man das anders erklären als so, dass er aus dem Schlaf der Vergessenheit plötzlich wieder zu sich kommt? Offenbar ist es also richtig, was ich schon sagte (meint Calvin): sein Glaube, der bereits zerstört schien, war tief in seinem Herzen verborgen. Das geschieht mitunter auch vielen anderen: eine Zeitlang werfen sie gleichsam die Gottesfurcht von sich und lassen ihrem Mutwillen freien Lauf, so dass scheinbar gar kein Glaube mehr in ihnen ist; züchtigt Gott sie dann aber mit irgendeiner Rute, so machen sie dem wilden Treiben ihres Fleisches ein Ende und kommen wieder zur Besinnung. Kummer allein genügte sicher nicht, die Frömmigkeit zu lehren. Wir entnehmen daraus, dass zwar erst die Hindernisse beseitigt sein müssen, dann aber der gute Same aufgeht, der niedergedrückt im Boden lag.“ (Johannes Calvins Auslegung der Heiligen Schrift, 14. Band: Das Johannes-Evangelium. Neukirchen 1964, S. 481f.)
Wie mag das geklungen haben bei denen, die in Straßburg nach Sicherheit, nach Heimat, nach Trost verlangt haben! Die viel Kummer erlebt haben und keine sichere Zukunft vor sich sahen. Die selbst ihre Verwundbarkeit gespürt haben, die auf der Flucht in Straßburg gelandet und manchmal auch gestrandet sind. Die sich Sorgen gemacht haben um ihre Angehörigen, um ihre Glaubensgeschwister, die in unsicheren Regionen lebten oder sich irgendwo in Europa auf der Flucht befanden. Was ist da nun dran, nach der unmittelbaren Versorgung mit Essen, Trinken und einem Dach über dem Kopf? Die beiden Hauptfragen: was gibt uns Trost – wie verstehen wir die Bibel – und wie wollen wir als Gemeinde in der Welt leben – welche Ordnungen brauchen wir, welchen Auftrag haben wir?
Doch noch einmal zurück zu Thomas und den anderen Jüngern, damals, mit ihrem heftigen Disput. Glauben und sehen, vertrauen und fühlen sind unterschiedlich wichtig. Die Wunden als das Erkennungszeichen. Die Verwundbarkeit als Kriterium, an dem sich vieles festmachen lässt. Vor allem der Zweifel an aller Vollmundigkeit, an aller vorschnellen Gewissheit. Bereits in biblischen Zeiten gehörte er dazu. Der Streit um die Gestalt, um den Weg, um die Kraft der Kirche ist so alt wie die Kirche selbst.
Und da haben sich Johannes Calvin und Martin Bucer heftig eingemischt, von Genf aus, von Straßburg aus, auch im Streit um die Ordnungen und den Auftrag der Gemeinde. Und mit ihnen viele andere. Viele Schätze sind noch zu heben, vieles aus dem Leben Calvins gerät in diesem Jubiläumsjahr ans Licht und kann neu bedacht werden.
Am vergangenen Sonntag haben wir Ostern gefeiert. Wir haben heute auf Thomas mit seinen Zweifeln, mit seiner Suche nach Trost gehört. Und wir haben uns hineingedacht in die Zeit, in der Calvin lebte und wirkte.
Lassen Sie mich schließen mit einem weiteren Zitat von Calvin, aus seiner Auslegung zum Propheten Micha:
"Obwohl die Kirche zur Zeit kaum zu unterscheiden ist von einem toten oder doch kranken Mann, so darf man doch nicht verzweifeln: denn auf einmal richtet der Herr die Seinigen auf, wie wenn er Tote aus dem Grab erweckt. Das ist wohl zu beachten. Denn wenn die Kirche nicht leuchtet, halten wir sie schnell für erloschen und erledigt. Aber so wird die Kirche in der Welt erhalten, daß sie auf einmal vom Tode aufsteht, ja, am Ende geschieht diese ihre Erhaltung jeden Tag unter vielen solchen Wundern.
Dass Sie hier in dieser Gemeinde, dass andere Gemeinden im Calvinjahr etwas von dieser Auferstehung spüren, dazu gebe Gott seinen Segen
Pfr. Mechthild Gunkel