Wichtige Marksteine
Reformierte im Spiegel der Zeit
Geschichte des Reformierten Bunds
Geschichte der Gemeinden
Geschichte der Regionen
Geschichte der Kirchen
Die Bartholomäusnacht (1572)
Massaker unter den Reformierten in Frankreich
I. Hintergrund und Ursachen der Bartholomäusnacht
1. Der Protestantismus in Frankreich bis 1559
2. Die Hugenotten von 1559 bis 1572
3. Die unmittelbaren Hintergründe für die Bartholomäusnacht
4. Das Attentat auf Coligny
5. Die Bartholomäusnacht
6. Ein Drama in drei Akten
7. Wer war Schuld?
8. Die Folgen
II. Ein Zeitzeugenbericht
„In den Straßen wurde getötet“. Ein Bericht vom Überleben
IV. Zeittafel
I. Hintergrund und Ursachen der Bartholomäusnacht
Vor 440 Jahren, anno Domini 1572, fand in Frankreich ein blutiges Gemetzel unter den Reformierten, den "Hugenotten" statt. Unter dem Namen Bartholomäusnacht wurde das Massaker bekannt. Plötzlich und unerwartet wurden in Paris und in der Provinz Tausende Hugenotten umgebracht, und mindestens genauso viele traten, erschrocken vom Gemetzel, wieder in die katholische Kirche ein. Ein traumatisches Ereignis für die reformierten Kirchen in Europa, umso erstaunlicher, dass der Protestantismus in Frankreich nicht auszurotten war. Nach heftigen Kämpfen und zähen Verhandlungen erlangte er mit dem Edikt von Nantes eine gewisse Sicherheit.
Die folgende Schilderung soll einen Überblick über der Hintergrund und die Ursachen der Bartholomäusnacht geben - den allgemein bekannten historischen Fakten und dem Stand der Forschung entsprechend. Im zweiten Teil wird ein Augenzeugenbericht vorgestellt. Eine junge Frau, namens Charlotte Arbaleste de la Borde, eine überzeugte Hugenottin, entkam aus Paris; später heiratete sie den Gefolgsmann von Heinrich IV., Philippe Duplessis-Mornay. Ihren Sohn schrieb sie, unter welchen Umständen sie und ihr zukünftiger Gatte aus Paris geflüchtet waren.
Diese Erzählung wurde bislang von der Forschung (mit der Ausnahme von Crouzet 1994) wenig berücksichtigt, vermutlich, weil sie erst 20 Jahre nach dem Ereignis niedergeschrieben wurde. Sie eröffnet aber einen interessanten Blickwinkel auf das Geschehen. In ihrer Beschreibung der Massaker schildert Charlotte Arbaleste den mörderischen Hass auf die Hugenotten. Zugleich zeigt der Bericht, dass weder sie noch Philippe Duplessis-Mornay ohne die Hilfe ihrer katholischen Freunde und Bekannte überlebt hätten.
Es ist allgemein bekannt, dass am 23. und 24. August 1572 eine große Anzahl Hugenotten in Paris umgebracht wurde, eniger bekannt ist, dass die Massaker in Paris länger als eine Woche dauerten, und dass zuerst in den Städten um Paris herum, dann in Südfrankreich bis in den Oktober hinein ähnliche Massaker stattfanden.
Wie kam es dazu, dass so viele Hugenotten plötzlich umgebracht wurden? Die Hugenotten selbst schrieben im Nachhinein Pamphlete, um die Gräueltaten zu schildern und zu erklären. Die Schuld suchten sie meistens beim König oder dessen Mutter, Katharina von Medici. Wenn man die Massaker verstehen will, muss man in der Geschichte zurückblicken, denn eine solche Wut und Blutdurst der Bevölkerung lässt sich nicht nur mit einem Befehl des Königs erklären.
1. Der Protestantismus in Frankreich bis 1559
In Frankreich hatten schon Anfang des 16. Jahrhunderts Humanisten eine einfachere katholische Kirche ohne die zahlreichen Missbräuche und Skandale gefordert. Diese bibelhumanistischen Bestrebungen blieben jedoch innerhalb des gesellschaftlichen Diskurses und wurden am Hof von der Schwester des Königs Franz I, Margarete von Angoulême, unterstützt.
Luthers Schriften wurden nach 1517 teilweise auf Latein gelesen, teilweise übersetzt. Die theologische Fakultät der Sorbonne, der Pariser Universität erklärte sie 1521 für ketzerisch und verbot ihren Besitz. Ein erster Märtyrer wurde 1523 wegen des Besitzes solcher Schriften verbrannt. Die Reformierten, die von Zwingli inspiriert waren, wurden eine Herausforderung für alle Katholiken. Guillaume Farel, der später Calvin in Genf zur Mitarbeit verpflichtete, war in Frankreich besonders aktiv, sowohl als Prediger wie als Verfasser religiöser Schriften. Die Reformierten wurden bald als Sakramentarier bekannt, weil sie die Realpräsenz (körperliche Gegenwart Christi im Wein und Brot) im Sakrament des Abendmahls bestritten und stattdessen allein die geistige Gegenwart Christi in der Abendmahlsfeier betonten.
Die Kritik an der Lehre vom Abendmahl war keineswegs nur akademisch. Im 15. und 16. Jahrhundert gab es eine weitverbreitete Eucharistiefrömmigkeit, deren besonderes Kennzeichen die Verehrung der Hostie war. In die Kirchen wurden kostbare Sakramentshäuser eingebaut, die Fronleichnamsprozessionen eingeführt. Die Hostie wurde feierlich in einer schönen Monstranz durch die Straßen getragen, während alle Häuser mit Blumen und bunten Decken geschmückt waren. Die Anwesenheit Gottes in der konsekrierten Hostie bedeutete für die Gemeinde die Zuversicht, dass Gott unter seinem Volk weilte.
Die französische Kirche war dank der gallikanischen Freiheiten weitgehend Rom gegenüber selbstständig, der König war das Haupt der Kirche und damit Garant für das gute Verhältnis zwischen Nation und Gott. In der Verehrung der Hostie spielte auch die Verehrung des Königs mit. Wenn die Reformierten die körperliche Anwesenheit Gottes in der geweihten Hostie verneinten, war es sowohl ein Angriff auf geliebte kirchliche Gebräuche und eine weitverbreitete Frömmigkeit, als auch eine Kränkung Gottes und des Königs (Elwood 1999).
Man versteht, warum die Plakate, die als Angriff auf die Messe 1533 in Paris erschienen, eine solche Empörung beim König verursachten, dass mehrere „Ketzer“ auf dem Scheiterhaufen verbrennen ließ. Die Plakate waren Gotteslästerung und zugleich Majestätsbeleidigung. Indem sie Gott erzürnten, brachten sie Frankreich in Gefahr, und der König musste unbedingt Gottes Zorn und seine Strafe vom Volk abwenden. Für Calvin war die Messe schlechthin Götzendienst, weil der Priester auf dem Altar das Opfer Christi auf Golgatha wiederholte, indem er Brot und Wein in der Eucharistiefeier beim Sprechen der Einsetzungsworte in das Fleisch und Blut Christi verwandelte. Nach seiner Auffassung durften Reformierte an der Messe nicht teilnehmen.
Auch die katholische Verehrung der Mutter Gottes und der Heiligenkritisierte Calvin scharf. Er wollte die Bilder und Statuen der Heiligen aus den Kirchen entfernen, allerdings wandten er und sein Nachfolger, Beza, sich strikt gegen jeden Bildersturm und Vandalismus. Das Bilderverbot in den reformierten Kirchen hieß nicht, dass man Bilder und Statuen der Heiligen zertrümmern sollte. Als Johanna von Albret (1528-72), Königin von Navarra, reformierte Prediger in die Dörfer lassen wollte, riet Beza ihr, alle Kirchen abzuschließen und bewachen zu lassen, wohl wissend, dass Bilderstürme die Reformierten in einen schlechten Ruf brächten (Actes du colloque 1974).
In der Regierungszeit der Könige der Familie Valois, Franz I. (1515-1547) und sein Sohn und Nachfolger Heinrich II. (1547-1559), wurden mehrere Edikte erlassen, die alle „ketzerischen“ Schriften verboten. Ketzerei galt als krimineller Straftat. 1547 wurde ein Ketzergericht, die sogenannte „chambre ardente“, eingeführt. Ketzer wurden verbrannt und alle, die ihnen halfen, zum Tode verurteilt. Ihre Verräter hingegen erhielten zur Belohnung ein Viertel des Gutes der Verurteilten.
Viele Reformierte flüchteten nach Strasbourg und Genf. Dennoch entstanden allmählich kleine reformierte Gemeinden in Frankreich. Calvin unterstützte sie mit Briefen und Pastoren – die Akademie in Genf wurde 1559 gegründet, um der wachsenden Nachfrage der französischen Gemeinden nachzukommen. Der Reformator riet den Gemeinden zu Friedfertigkeit, auch wenn sie verfolgt wurden. Er versuchte den Märtyrer zu helfen, unter Anderem indem er bei den reformierten schweizerischen Kantonen und den protestantischen deutschen Fürsten um Unterstützung bat. Da Heinrich II. Krieg führte, erst gegen den Kaiser Karl V. und dann gegen seinen Sohn, Filipp II. von Spanien, war er von den schweizerischen und deutschen Söldnern abhängig. Frankreich hatte keine stehende Armee. Der König war auf Söldner angewiesen. Calvin hatte damit die Möglichkeit, den König unter Druck zu setzen. Diese Diplomatie funktionierte aber nicht immer.
Nichts desto weniger wuchsen die reformierten Gemeinden rasant, und besonders zwei demographische Gruppen schlossen sich der Reformation an: der Hochadel und die Jugend. Pastoren meldeten Gottesdienste mit mehreren Tausend Besuchern. Damit traten die Reformierten in der Öffentlichkeit und zeigten vermehrt ein gewisses Selbstbewusstsein, das die katholischen Mehrheit als Frechheit deutete. Außerdem war diesen beiden Gruppen von Konvertiten gemeinsam, dass sie wenig bereit waren, klein beizugeben.
2. Die Hugenotten von 1559 bis 1572
1559 starb Heinrich II. durch einen Unfall. Sein Sohn und Nachfolger, Franz II. (1559-1560), war erst 15 Jahre alt und von schlechter Gesundheit, mündig war er jedoch. Da er des Regierens nicht fähig war, übernahm die Familie von Guise die Regierungsgeschäfte. Der Prinz, der nach der Verfassung dem jungen König hätte beistehen sollen, war Anton von Bourbon (1518-62), der einzige erwachsene Prinz in der Erbfolge. Er hatte deutliche Sympathien für die Reformierten und war auch aus diesem Grund für die von Guise nicht akzeptabel. Calvin schrieb Bourbon, ob er die Regentschaft an sich ziehen könnte, denn damit hätten die reformierten Kirchen einen mächtigen Befürworter (CO 16,730-34, CO 18,285-87).
Anton von Bourbon jedoch war nicht gerade die geborene Führungspersönlichkeit (Sutherland 1984), und enttäuschte die Kirchen und Calvin sehr.
Anton von Bourbon ist für die folgende Geschichte interessant, weil er der Vater war von Heinrich von Navarra (1553-1610), seit 1589 Heinrich IV. von Frankreich. Die Mutter war Johanna von Albret, Königin von Navarra. Sie hatte die Entschlossenheit, die ihrem Gatten fehlte, und bekannte sich 1560 zum reformierten Glauben. Sie sorgte, soweit es ihr möglich war, auch dafür, dass Heinrich und seine Schwester Catherine de Bourbon im protestantischen Glauben erzogen wurden.
Als der Hochadel sich teilweise zum Protestantismus bekehrte, entstand eine politische „Partei“ in Frankreich, deren Anhänger Hugenotten genannt wurden. Bislang waren die Ketzer in Frankreich Lutheraner genannt worden. Der Name Hugenotten dagegen kann mit Eidgenossen zusammenhängen und deine Verbindung zu der Schweiz andeuten. Die mächtigsten Vertreter der Hugenotten waren Johanna von Albret, der Prinz Ludwig von Condé (1530-69), der jüngere Bruder von Anton von Bourbon, und der Admiral von Frankreich, Gaspard von Coligny (1519-72). Coligny gehörte einem dritten mächtigen Familienklan an, der Familie Montmorency.
Diese drei, Johanna von Albret, Condé und Coligny sollten für die nächsten zwölf Jahren das Schicksal der Hugenotten lenken. Ihnen feindlich gegenüber stand die Familie von Guise, überzeugte Katholiken, papsttreu und verbunden mit Philipp II. von Spanien. Mit anderen Worten: sie waren Anhänger eines katholischen Europas. Zwischen den Hugenotten und den Erzkatholiken befanden sich die königliche Familie Valois und viele Beamte, die gerne die gallikanische Freiheit der Kirche erhalten hätten. Sie mochten sich weder dem Papst noch dem spanischen König fügen und versuchten, die Unabhängigkeit Frankreichs zu sichern. Die Hugenotten konnten sich mit dieser Gruppe arrangieren, weil auch sie königstreu waren.
1560 starb Franz II. Auf den Thron folgte ihm sein zehnjähriger Bruder, Karl IX. (1560-1574). Dieser war minderjährig. Seine Mutter Katharina von Medici wurde Regentin. Sie versuchte 1561 in Poissy, außerhalb Paris', in Religionsgesprächen zwischen Hugenotten und Katholiken einen Konsens herbeizuführen, ohne Erfolg. Im Januar 1562 erließ sie ein Edikt, das den Hugenotten weitgehende Akzeptanz zusicherte. Anscheinend hatte Katharina eingesehen, dass man mit Ketzerverfolgungen die Reformierten nicht ausrotten konnte.
Das hatten Franz I. und Heinrich II. 30 Jahre lang vergeblich versucht. Die Familie von Guise dagegen wollte ein katholisches Europa unter der Führung Spaniens und des Papstes. Ihre erzkatholische Partei war nicht am Frieden interessiert. Es verwundert nicht, dass Herzog Franz von Guise (1519-63) den ersehnten Frieden im März brach, als dieser im Städtchen Vassy einen reformierten Gottesdienst mit Waffengewalt überfiel. Es gab mehrere Tote und Verletzte; ihr Verbrechen war, innerhalb der Stadt in einer Scheune Gottesdienst zu feiern. Nach dem Edikt vom Januar waren reformierte Gottesdienste nur außerhalb der Städte erlaubt.
Als Reaktion darauf brach im April 1562 der erste Religionskrieg aus; die Religionskriege dauerten mit kurzen Unterbrechungen durch Friedenstraktate bis zur Bekehrung Heinrichs IV. 1593. Im ersten Krieg forderte der Prinz von Condé die Umsetzung des Ediktes vom Januar, was die katholische Partei gegen den Willen der Krone verhinderte, und erklärte den schlechten Ratgebern der königlichen Familie den Krieg. Diese Haltung wurde bis zu den Massakern von 1572 beibehalten: Die Hugenotten erkannten den guten Willen der königlichen Familie an, deren treue Untertanen sie waren, aber sie setzten sich gegen alle, die das Edikt des Königs verhinderten, zu Wehr. Die politische katholische Partei in Frankreich unter Anführung der Familie von Guise sorgte dafür, dass die Hugenotten sich immer wieder verteidigen mussten. Die Kriege zogen sich endlos hin, weil nur das Königshaus und die königlichen Beamten den Frieden wünschten, sie selbst aber zu schwach waren, um ihn herbeizuführen.
Abgesehen von den Gräueltaten des Krieges – und wie jeder Bürgerkrieg waren auch die Religionskriege voller Grausamkeiten – gab es noch ein Phänomen in Frankreich, das Natalie Z. Davis beschreibt (Davis 1973, 1975 & Soman 1974): der rituelle Charakter der Gewalt. Beide Seiten wollten das Land reinigen, die Hugenotten von der Abgötterei und die Katholiken von der Beschmutzung durch die Ketzerei.
Die Hugenotten verwüsteten Kirchen, verjagten die Priester und verhöhnten die traditionellen Riten. Die Hostie nannten sie einen „Gott aus Teig“, sie weigerten sich, an den Fronleichnamsprozessionen teilzunehmen und schmückten ihre Häuser nicht. Von Genf aus versuchten sowohl Calvin als auch Beza den Vandalismus zu verhindern, und auch die Pastoren sowie die Presbyterien taten ihr Bestes, aber die vielen Neubekehrten ließen sich trotzdem in ihrer Bekennerwut auf Bilderstürme ein. Die Israeliten, die die Altäre des Baals und der Astarte zerstört hatten, dienten ihnen als Vorbilder.
Die Katholiken neigten eher dazu, Menschen zu überfallen – die Hugenotten hatten höchstens ihre Bibel als Kultobjekt, das beschädigt werden konnte. Diese war eigentlich beiden Kontrahenten "heilig", aber trotzdem gibt es Berichte, dass Bibeln zerstört wurden. Nach einem mörderischen Angriff auf die "Ketzer", wurden ihre Leichen in die Flüsse geworfen, um sie zu reinigen. Sowohl Feuer als auch Wasser hatte reinigende Kraft.
Oft wurden die Leichen zudem geschändet, Ohren, Nasen und Genitalien abgeschnitten oder Bäuche aufgeschlitzt.
Die Hugenotten ihrerseits mordeten aber auch. Bei der berüchtigten Michelade 1567 in Nîmes – einer überwiegend reformierten Stadt - trieben die Hugenotten katholische Würdenträger in den Hof des Bischofpalastes und metzelten sie kaltblütig nieder. Die Leichen warfen sie in Brunnen. Ungefähr 30 Personen kamen um. Sehr oft fanden Gewaltexzesse in Verbindung mit kirchlichen Feiertagen und Prozessionen statt. Neben den bereits erwähnten Fronleichnamsprozessionen konnte jede katholische Feier den Spott und Hohn der Hugenotten auslösen, ein Gottesdienst der Hugenotten mit lautem Gesang des Psalters die Wut der Katholiken entzünden.
Die Bevölkerung in Paris war extrem katholisch und hing der Familie von Guise an. In Paris gab es katholische Hassprediger, die von der Kanzel aus dazu aufforderten, die Ketzerei wie ein Krebsgeschwür aus dem gesunden Volkskörper auszuschneiden. Damit verhinderten sie jeden Anflug von Menschlichkeit zwischen den Religionen.
Angst konnte auch der Auslöser für Gewalt sein. 1567 belagerte das hugenottische Heer Paris, schnitt die Versorgung der Stadt ab und verbrannte die Windmühlen auf den Wällen. Die Pariser waren bereits bewaffnet, und aus Angst vor Verrätern innerhalb der Stadtmauern, gingen sie von Haus zu Haus und töteten alle Hugenotten, die sie fanden. Dieser Angriff wird als eine Art "Generalprobe" für die Bartholomäusnacht gesehen (Diefendorf 1991).
Außenpolitisch fing in diesen Jahren nach 1566 der Aufstand in den Niederlanden gegen Spanien an. Philipp II. ließ den Herzog von Alba mit aller erdenklichen Härte gegen die Ketzer vorgehen. Der Adel lehnte sich gegen den spanischen König und den Herzog von Alba auf, angeführt von Wilhelm von Oranien (1533-84). Der Aufstand in den Niederlanden war ein Freiheitskampf, nichts desto weniger suchte Wilhelm von Oranien Unterstützung von der englischen Königin und von den französischen Hugenotten. Ein gemeinsames protestantisches Bündnis gegen das katholische Spanien und den Papst entstand. Der Bruder Wilhelms von Oranien, Ludwig von Nassau-Dillenburg (1538-74), kämpfte Seite an Seite mit den Hugenotten in Frankreich, und die Hugenotten waren ihrerseits bereit, gegen Spanien in den Niederlanden zu kämpfen.
Der Admiral Coligny war mit den Grafen von Egmont und Hoorn verwandt, die beide 1568 vom Herzog von Alba hingerichtet worden waren. Coligny hatte deshalb persönliche Gründe, den Glaubensbrüdern in den Niederlanden zu helfen, aber was er eigentlich wollte, war die Teilnahme Frankreichs am Krieg. Er hoffte, die Spaltung des Adels in Katholiken und Hugenotten mit einer gemeinsamen nationalen Aufgabe zu überwinden. Frankreich hatte jahrelang gegen Karl V. und später gegen Philipp II. gekämpft und konnte es nach seiner Meinung nochmals tun. Wenn der Adel im Ausland kämpfte, könnte Frankreich im Innern vielleicht Frieden erlangen. Philipp II. dagegen hatte Schwierigkeiten genug in den Niederlanden, das Letzte, was er sich wünschte, war eine Einmischung Frankreichs und eventuell auch Englands an der Seite der Niederländer.
3. Die unmittelbaren Hintergründe der Bartholomäusnacht
1570 handelte die Krone den Frieden von St. Germain mit den Hugenotten aus. Die Hugenotten hatten zwar in den vorangegangenen Jahren mehrere wichtige Schlachten verloren, den Krieg aber gewonnen, da Coligny mit einem hugenottischen Heer zum Schluss Paris bedrohte, während dem König das Geld ausgegangen war, um ein Heer gegen Coligny ins Feld zu führen. Notgedrungen schloss der Karl IX. einen für die Hugenotten sehr günstigen Frieden, sehr zum Verdruss seiner katholischen Untertanen.
Coligny hatte vor, eine Ehe zwischen dem Prinzen Heinrich von Navarra und der englischen Königin Elizabeth zu arrangieren. Sie allerdings war nicht angetan von dem jungen Prinzen. Stattdessen schlug Katharina von Medici (1519-89), die für einen ihrer Söhne eine Ehe mit Elizabeth arrangieren wollte, vor, Heinrich mit ihrer Tochter Marguerite (1553-1615), Margot genannt, zu vermählen.
Johanna von Albret sah hierin anscheinend eine Möglichkeit, Heinrich näher an den Thron zu bringen. Dieser war zwar Erbprinz, aber Katharina hatte zu dem Zeitpunkt drei lebende Söhne, die ihrerseits Kinder bekommen könnten. Die Königin von Navarra hatte schon sehr hart verhandelt, um den Friedensvertrag von St. Germain zustande zu bringen, jetzt fing sie erneute Verhandlungen an, erstens um den Vertrag auch wirklich durchzuführen und zweitens um die besten Bedingungen für ihren Sohn zu erlangen.
Coligny erhoffte sich von dieser Ehe offizielle französische Hilfe für die Niederlande. Dies wäre freilich einer Kriegserklärung an Spanien gleichgekommen, was der Admiral freilich billigend in Kauf genommen hätte. Aber Katharina von Medici und der Kronrat waren vehement gegen einen Krieg mit Spanien. Die Krone hatte mit den Hugenotten Frieden geschlossen, weil ihr das Geld fehlte einen Krieg zu führen. Sie hatte nicht die finanziellen Möglichkeitn, sich auf militärische Abenteuer einzulassen.
In Juni 1572, kurz vor der Hochzeit, starb Johanna von Albret an Tuberkulose; später bezichtigte man Katharina, sie vergiftet zu haben. Die Hochzeit zwischen Heinrich, jetzt König von Navarra, und Margot wurde am 18. August vollzogen. Die Feierlichkeiten dauerten mehrere Tage. Die katholischen Hassprediger wetterten gegen diese Ehe zwischen einer katholischen Prinzessin von Frankreich und einem Hugenotten scharf, und wiegelten damit die Pariser auf.
4. Das Attentat auf Coligny
Nach den Feierlichkeiten ging Coligny am 22. August zum König in den Louvre um mit ihm zu verhandeln. Auf dem Weg nach Hause wurde er von einer Kugel verwundet. Hätte er sich nicht in dem Augenblick nach vorne gebeugt, um etwas in Ordnung zu bringen, als auf ihn geschossen wurde, wäre er vermutlich auf der Stelle tot gewesen. Er überlebte. Seine Begleiter brachten ihn zu seiner Wohnung in Rue de Béthisy (die jetzige Rue de Rivoli). Karl IX. und die Königinmutter besuchten ihn. Der junge König schwor Rache. Coligny bat um Schutz; er bekam 50 Musketiere zugestellt. Die Hugenotten um ihn waren außer sich vor Wut und drohten mit Vergeltung für diese Schandtat.
Man weiß bis heute nicht, warum der Admiral angegriffen wurde, aber es gibt mehrere Erklärungen dafür. Die Familie von Guise stand seit Jahren in einer Blutsfehde mit Coligny. Franz, der zweite Herzog von Guise (1519-63), war von einem hugenottischen Edelmann umgebracht worden, und die Guise verdächtigten seitdem Coligny als Hintermann. Es hatte über die Jahren mehrere Attentate auf Coligny gegeben, bislang war er aber immer mit dem Leben davongekommen. Das Haus, aus dem er angeschossen worden war, und das Pferd, auf dem der Täter entkam, gehörten beide der Familie Guise. Alle Indizien sprachen für einen Mordversuch von Seiten der von Guise.
N.M. Sutherland (1973,1980 & 1984, Soman 1974) vertritt die These, der Admiral sollte wegen seiner Kriegspläne sterben. Frankreich konnte sich den Krieg nicht leisten und Coligny stand unmittelbar vor einem Feldzug mit Erlaubnis des Königs, den er für seine Pläne gewonnen hatte. Die unmittelbaren Nutznießer des Tods des Admiral wären demnach einerseits die Krone, andererseits der Herzog von Alba gewesen. Ein Komplott unter Spanien, dem Papst und dem Kronrat, bzw. Katharina von Medici, ausgeführt durch die Familie de Guise, wäre denkbar (Knecht 1996, 1998).
Leider (!) überlebte Coligny. Die Hugenottischen Edelmänner um ihn herum waren in Aufruhr. Ob nun der König und seiner Mutter in das Attentat verwickelt waren oder nicht, jetzt waren sie auf alle Fälle aufgeschreckt. Am 23. August wurde im Kronrat verhandelt. Dort saß unter anderen der Herzog von Anjou, der jüngere Bruder des Königs. Er, der später als Heinrich III. Frankreich regieren sollte, war überzeugter Katholik und stand unter dem Einfluss der Familie von Guise.
Nachdem ein Entschluss gefallen war, wurde in der Nacht der Bürgermeister von Paris in den Louvre geholt. Er erhielt den Befehl, Paris abzusichern, die Bürgerwehr zu mobilisieren, Artillerie vor dem Rathaus aufzustellen, die Stadttore zu schließen und die Boote auf der Seine anzuketten.
5. Die Bartholomäusnacht
Vier Uhr morgens ertönte die Sturmglocke von St. Germain l´Auxerrois. Der junge Herzog Heinrich von Guise (1550-88, der Sohn des ermordeten Herzog Franzens) zog mit der Garde des Herzogs von Anjou zum Hôtel de Béthisy, wo Coligny schlief, ließ ihn ermorden und aus dem Fenster werfen. Sein Kopf wurde abgehauen, zuerst zum König getragen, später balsamiert und nach Rom geschickt, um den Papst zu erfreuen. Zu gleichen Zeit wurden die Edelmänner um Coligny und die, die in der Nähe wohnten, von der Garde umgebracht. Einige wurden in ihren Betten ermordet, ihrer kriegerischen Haltung zum Trotz, leisteten die wenigsten Widerstand.
Zu diesem Zeitpunkt war die Bevölkerung von Paris gründlich aufgeschreckt und fing an, ihre hugenottischen Nachbarn zu ermorden und deren Häuser zu plündern. Die Katholiken befestigten weiße Kreuze an ihren Hüten oder Ärmeln, damit sie im Gemetzel erkennbar waren. Im Louvre wurden die zwei jungen Erbprinzen Navarra und sein Vetter Condé verschont, aber alle ihre Begleiter wurden in den Hof des Louvre gejagt und dort von der Schweizergarde umgebracht.
Auf dem rechten Seine-Ufer im Zentrum der Stadt überlebte kaum ein Hugenotte, ob nun von der Hochzeitsgesellschaft oder wohnhaft in Paris. Links der Seine wurden die Hugenotten durch die Glocke geweckt. Sie dachten, der König sei in Gefahr und wollten ihm helfen. Als sie aber zur Seine kamen, fanden sie alle Boote angekettet, und als sie zum Louvre hinübersahen, entdeckten sie Karl IX. in einem Fenster, mit Muskete auf flüchtende Hugenotten schießend. Dieser Gruppe von Hugenotten gelang die Flucht. Der junge Philippe Duplessis-Mornay versteckte sich beim Notar seiner Familie, während der junge Rosny, später bekannt als der Finanzminister Sully, sich geistesgegenwärtig ein Messbuch als Tarnung unter den Arm steckte, damit durch den Straßen lief und in seiner Schule versteckt wurde. Er war zwölf Jahre alt.
Weder Alter noch Geschlecht schützte die Hugenotten. Die Berichte über die Ermordung von Frauen und Kindern sind besonders grausam. Die Leichen wurden, nachdem man ihnen ihre Kleider ausgezogen hatte, in die Seine geworfen. Als sie in Rouen angeschwemmt wurden, fanden in dieser Stadt auch Massaker gegen Hugenotten statt.
Am Vormittag des 24. Augusts kam der Bürgermeister von Paris zum König und beklagte die anhaltenden Plünderungen und Ermordungen. Am Nachmittag verbot er auf königlichen Geheiß die Übergriffe. Dennoch dauerten sie mehr als eine Woche an, und als Paris sich ausgetobt hatte, fingen die Massaker in der Provinz an. Es war Oktober, bevor wieder Ruhe wieder einkehrte. Tausende von Hugenotten waren tot, sehr viele konvertiert.
Unter den bekannten Konvertiten waren Heinrich von Navarra, seine Schwester Catherine und sein Vetter Heinrich von Condé (1552-88). Sie erhielten als Beichtvater Hugo Sureau du Rosiers (1530-75), einen reformierten Pastor, der unter dem Schock der Ereignisse konvertiert war. Sureau des Rosiers war überzeugt, dass Gott sein Volk strafen wollte. Jahre später bat er in Genf um Wiederaufnahme in die reformierte Kirche. Nach langem Zögern gestatteten es ihm die Genfer Pastoren, aber Pastor wurde er selbst nicht mehr. Sureau des Rosiers starb 1575 in Frankfurt (Kingdon 1988). Hugenotten traten in Scharen zum katholischen Glauben über. Nur wenige konnten sich ins Ausland absetzen, andere flüchteten nach La Rochelle, wo sich Widerstand formierte.
6. Ein Drama in drei Akten
Zum Verständnis der Bartholomäusnacht kann man sie als "Drama" in drei "Akten" betrachten:
Der erste Akte war das versuchte Attentat auf den Admiral. (Wie gesagt, es ist immer noch umstritten, warum oder auf wessen Befehl es stattfand.)
Der zweite Akt war die Ermordung Colignys und der huguenots de guerre, der militärischen Edelmänner um Coligny und um die beiden Prinzen. Der Befehl dazu ging ohne Zweifel vom König aus, so wie die Befehle an den Bürgermeister von Paris. Die französische und die schweizerische Garde bedurften eines Befehls des Königs, um die Hugenotten im und um den Louvre umzubringen. Der Herzog von Guise hätte vermutlich gerne auf eigene Faust den Admiral umgebracht, aber als der Tote aus dem Fenster herausgeworfen wurde, rief er laut zu den versammelten Parisern: „Der König hat es befohlen!“
Laut Diefendorf (1991) waren es genau diese Worte, die das folgende Blutbad auslösten.
Der dritte Akt war die Ermordung Tausender von Hugenotten: Männer, Frauen und Kinder. Der König ordnete vergeblich an, die Hugenotten zu schonen; weder in Paris, noch in der Provinz konnten sie auf Barmherzigkeit hoffen. Hier scheint das Massaker ein religiös motiviertes Verbrechen gewesen zu sein. Dagegen ist es durchaus möglich, dass das Attentat und die Ermordung Colignys und seines Gefolges politisch motivierte Verbrechen waren. Tatsächlich ließ Karl IX. eine Münze schlagen mit einer Inschrift, die an seinen Sieg über die hugenottischen Rebellen erinnerte. Seinen Botschaftern an fremden Höfen teilte er mit, er habe einen Komplott seitens der Hugenotten entdeckt und verhindert.
7. Wer war schuld?
Die französischen Massaker lösten teils Freude, teils Entsetzen in Europa aus. Der Papst ließ seinen Hofmaler Vasari Fresken davon im Vatikan malen – dieser Raum ist nicht öffentlich zugänglich. Filipp II. soll gelacht haben, als er die Nachricht bekam – bemerkenswert, weil er sonst nie lachte. Sowohl er als auch der Papst gratulierten dem französischen König. Königin Elizabeth von England trug Trauer als sie den französischen Botschafter empfing.
Die Hugenotten schrieben im Ausland Berichte über das Gemetzel. Sowohl sie wie auch die katholischen Verfasser neigten zu der Meinung, die Massaker seien von langer Hand vorbereitet gewesen (Kingdon 1988, Soman 1974). Nach ihrer Meinung hätten der König und / oder seine Mutter den Friedensvertrag von St. Germain und die königliche Hochzeit eingefädelt, um die Hugenotten nach Paris zu locken und dort umzubringen. Unmittelbare Konsequenz dieser Annahme war für die Hugenotten, dem König gegenüber die Treue zu kündigen. In den vergangenen Jahren hatten die Hugenotten stets ihre Loyalität behauptet und nur Krieg geführt, um die Durchführung der Toleranzedikte und Friedensabkommen einzufordern.
Jetzt wandten die Hugenotten sich gegen den König, der sie betrogen hatte. Führende Skribenten (Kingdon 1988) diskutierten das Widerstandsrecht gegen einen Tyrannen. Calvin hatte stets Gehorsam gegenüber der Obrigkeit angemahnt, auch während der schrecklichen Verfolgungen, als die Pastoren ihn um weniger hochtrabende („moins sublime“) Vorschläge baten, als dass die Gemeinden nur beten sollten. Nach der Bartholomäusnacht entwickelten die Reformierten eine Lehre von den Verpflichtungen des Souveräns dem Volk gegenüber, und dem Recht auf Widerstand, wenn der König seinen Verpflichtungen nicht nachkam.
Die Familie Valois hatte ihren guten Ruf endgültig verloren. Als der jüngere Bruder Karls, der Herzog von Anjou, sich um den polnischen Thron bewarb, musste er sich gegen die Anklage des Beistands zum Mord verteidigen. Er wurde vom polnischen Adel zum König gewählt, musste jedoch unterschreiben, dass solche religiösen Verfolgungen in Polen niemals stattfinden sollten. Von Karl IX. wird berichtet, dass er blutüberströmt starb, von den Gedanken an seine Opfer gequält; er starb an Tuberkulose. An erster Stelle jedoch wurde - sowohl von Katholiken als auch von Protestanten - die Königinmutter als Giftmischerin und Urheberin des Massakers verdächtigt.
Die Zeit der Bartholomäusnacht bleibt rätselhaft. Man weiß nicht mit Sicherheit, warum das Attentat auf den Admiral stattfand. Die Hugenotten stilisierten ihn zum protestantischen Märtyrer, aber, wie oben gezeigt, könnte das Attentat sehr wohl andere Ursachen als religiöse haben. Vermutlich löste das Überleben Colignys die Ermordung der leitenden Hugenotten aus, aber wer die Entscheidung, sie umzubringen, traf, und warum, bleibt unklar. Karl IX. rechtfertigte sich später mit der Behauptung, die Hugenotten hätten den Mord der königlichen Familie als Rache für das Attentat auf Coligny geplant. Elizabeth von England sagte dazu, ein schwer verwundeter Mann wäre wohl nicht im Stande, ein Mordkomplott gegen den König zu schmieden. Möglicherweise hatten der Kronrat und die königliche Familie am Samstag, dem 23. August, große Angst vor den Konsequenzen des fehlgeschlagenen Attentats. Eine andere Vermutung, so Sutherland, ist, dass die Königinmutter den Krieg unbedingt verhindern wollte. Deshalb musste Coligny umgebracht werden.
Sicher ist, dass Frankreich nach den Massakern erst recht unter Religionskriegen zu leiden hatte. Die Hugenotten verteidigten sich mit einer unfassbaren Zähigkeit, weil sie gelernt hatten, dem König zu misstrauen. Wenn es stimmen sollte, dass die königliche Familie den Mord an Coligny und den hugenottischen Adligen befohlen hatte, war das Ergebnis ihres eigenen Befehls für sie und für Frankreich eine Katastrophe. Unmittelbarer Nutznießer des Verbrechens war Spanien. Der Herzog von Alba hatte erst einmal Ruhe, sein blutiges Handwerk in den Niederlanden fortzusetzen, und Spanien konnte einen Krieg gegen England planen, während Frankreich, das in Bürgerkriegen versank, sich nicht einmischen konnte.
Dabei ist es nicht von der Hand zu weisen, dass die Familie Guise im Auftrag des Papstes und Spaniens die ersten Schritte unternahm. Die Familie Valois mit dem Kronrat zeichnet sich wohl für den zweiten Teil verantwortlich. Für die Ermordung von Hugenotten, nicht nur in Paris, sondern in Orléans, Meaux, La Charité, Angers, Saumur, Bourges, Lyon, Rouen, Bordeaux, Toulouse, Gaillac und Albi sind wohl eher die Grausamkeiten der Religionskriege verantwortlich. In allen diesen Städten hatten die Reformierten im Laufe der Kriege zeitweilig den Oberhand gewonnen und während ihrer Vorherrschaft die Katholiken schwer gekränkt. Der geballte Hass, der sich in diesen Massakern entlud, ist wohl als Rache zu sehen. Rache trifft aber meistens den Falschen, den Unschuldigen.
8. Die Folgen
Eine erstaunliche Spätfolge der Massaker ist die Erschaffung einer hugenottischen demokratischen Republik im Süden Frankreich, die von Paris weitgehend unabhängig war.
Eine andere Folge ist die Säkularisierung des Königtums. Das mittelalterliche französische Königtum war sakral. Die Schwäche der letzten Valois-Könige, die faktische Herrschaft von Katharina von Medici, die vielen für Hugenotten günstigen Edikte, die Bekehrung Heinrichs IV. zum Katholizismus, all' diese Versuche, einen religiöse Streit zu entschärfen, ließen den König wie einen Politiker agieren. Damit hatte er seine Aura eingebüßt. Die Hugenotten diskutierten zwar eifrig, ob man einen Tyrannen töten durfte, aber de facto waren es katholische Fanatiker, die erst Heinrich III. und dann Heinrich IV. umbrachten.
Die Hugenotten erlangten 1598 durch das Edikt von Nantes eine für sie zufriedenstellende Lösung. Dieses Edikt unterschied sich nicht grundlegend von dem Edikt im Januar 1562 und allen folgenden Edikte und Friedensabkommen, aber jetzt gab es zum ersten Mal einen König, der die Autorität hatte, ein solches Edikt wirklich durchzusetzen. Heinrich IV. hatte zwar seine sakrale Aura eingebüßt, aber dafür leitete er den Absolutismus in Frankreich ein.
II. Ein Zeitzeugenbericht
„In den Straßen wurde getötet“. Ein Bericht vom Überleben
„Früh am Morgen des 23. Augusts weckte eine kleine reformierte Küchenmagd mich auf mit der Nachricht, in den Straßen werde getötet. Ich sah aus dem Fenster, wie Gardisten mit weißem Kreuze am Hut befestigt durch die Straße liefen…“
Die Erzählerin dieses Augenzeugenberichts ist Charlotte Arbaleste de la Borde (1550-1606), verwitwet de Fauquères. Sie heiratete später den Freund Heinrichs IV., Philippe Duplessis-Mornay (1549-1623). Mit ihm hatte sie mehrere Kinder. Als ihr ältester Sohn das Elternhaus verlassen sollte, schrieb sie ihm 1595 ihre Erinnerungen, die bis zum 19. Jahrhundert nur in Manuskriptform vorlagen. Charlotte Arbaleste de la Borde wollte ihrem Sohn vor Augen führen, wie Gott die Gläubigen und seine Kirche beschützt und geleitet hatte. Deshalb handelt das Buch zum großen Teil von ihrem Gatten, der sich sowohl theologisch als auch militärisch und diplomatisch betätigt hatte. Als Ehefrau war sie ihm überallhin gefolgt und hatte die Ereignisse miterlebt. Ihre Memoiren gelten dem Ehepaar, sind also eine Doppelbiographie.
Charlotte Arbaleste de la Borde erzählt zuerst dem Sohn von seinem Vater. Sie beschreibt seine Familie, seine Geburt, seine Jugend und Ausbildung bis er als 22-jähriger im August 1572 in Paris eintraf. Der junge Philippe Duplessis-Mornay war während seiner Ausbildung in Europa herumgereist. Nach Paris kam er, um Admiral Coligny einen Rapport über die Situation in den Niederlanden zu überreichen. Die Ereignisse im August schildert seine spätere Ehefrau zunächst in einem Bericht über ihn. Sie selbst lässt sie zum ersten Mal auftreten, um ihre Flucht aus Paris zu erzählen. Die nächsten Jahre schildert sie dann abwechselnd aus seiner und aus ihrer Sicht bis zur Hochzeit 1576. Dieser Struktur folgend wird hier kurz von Duplessis-Mornay erzählt.
Philippe Duplessis-Mornay logierte zunächst in einem Pariser Gasthof. Als er von dem Attentat gegen Coligny hörte, beschloss er am 23. August in die Nähe des Admirals zu ziehen, um ihm zu helfen und zu beschützen. Glücklicherweise hätte er erst am Montag, den 25. August in die Rue de Béthisy einziehen können. In der Nacht weckte ein Bekannter ihn im Gasthof mit der Nachricht, der Admiral und sein Gefolge seien ermordet. Duplessis-Mornay verbrannte sofort seine Papiere. Als die Gardisten kamen, versteckte er sich zwischen den steilen Dächern der eng aneinander stehenden Pariser Häuser. Den Sonntag über hielt er sich im Haus versteckt, aber am Montag drängte der Wirt ihn zu verschwinden, er könne ihn nicht länger schützen.
Der Buchhändler im Haus nebenan war bereits ermordet worden. Duplessis-Mornay zog sich schlichte schwarze Kleider an und lief zum Notar der Familie, während das Haus des Buchhändlers geplündert wurde. Der Notar ließ ihn unter seinen Schreibern sitzen. Leider fanden seine Bediensteten sich dort allmählich ein, denn ein junger Edelmann reiste damals nicht ohne Hauslehrer, Kammerdiener und Gefolge. All' diese plötzlich auftauchenden Leute machten den Nachbarn misstrauisch. Ein junger Schreiber bot dem verfolgten Adeligen an, ihn aus Paris zu bringen. Bei den Stadttoren standen Wachen, aber der Schreiber meinte an die Pforte St. Martin jemanden zu kennen, der ihnen behilflich sein würde.
Dies Stadttor war geschlossen und sie beschlossen, es an die Pforte St. Denis zu versuchen. Dort erzählten sie, dass sie nach Rouen wollten. De Mornay war so übereilt geflüchtet, dass er noch Hausschuhe trug. Diese wurden ihm zum Verhängnis. Kaum durchgelassen, kamen jemandem die Pantoffeln verdächtig vor. Wollte etwa ein Katholik einen Hugenotten aus der Stadt schmuggeln? Die Wachen liefen ihnen hinterher und einige Bürger aus der Vorstadt stellten sie, wollten de Mornay nicht ziehen lassen und drohten damit, ihn zu ertränken. Sie hielten ihn in einem Haus zurück, während sie versuchten etwas über ihn herauszufinden. In seiner Verzweiflung überlegte der Flüchtende, sich aus dem Fenster zu stürzen. Doch die Hoffnung lebend aus der Stadt herauszukommen siegte. De Mornay sandte seinem Notar die Bitte um eine Bescheinigung und erhielt auch bald die Bestätigung, er sei dem Notar bekannt. De Mornay durfte Paris verlassen; er reiste nach England in der Überzeugung, Gott habe ihn gerettet, damit er sich für Gerechtigkeit einsetze.
Charlotte Arbaleste war im Jahr 1572 gerade 22 Jahre alt, schon seit drei Jahren verwitwet und Mutter einer kleinen Tochter. Sie stammte aus einer Familie, die wie viele andere religiös geteilt war: der Vater reformiert, die Mutter katholisch. Der Vater, Guy Arbaleste de la Borde, vicomte de Melun, war Präsident des Pariser Rechnungshofes gewesen.
Um 1559 war Prinz Ludwig von Condé in seinem Haus zu Gast. Die Prediger im Gefolge des Prinzen hielten Gottesdienste und Andachten. Guy Arbaleste war so beeindruckt, dass er den reformierten Glauben annahm. Unter Zwang kehrte er im ersten Religionskrieg 1562 zum Katholizismus zurück. Nach dem Friedenschluss 1563 verlangte er die Bekehrungsurkunde zu sehen und schwor mit geballtem Faust, dass er reformiert war und bleiben wolle. Er erzog seine Kinder im reformierten Glauben, und seine Tochter Charlotte Arbaleste heiratete 1567 einen jungen Hugenotten. Dieser fiel 1569 im dritten Religionskrieg.
Im August 1572 war Charlotte Arbaleste in Paris, um Erbangelegenheiten nach dem Tod ihres Vaters zu regeln. Sie wollte die Stadt am Montag, dem 25. August verlassen, um den Winter bei ihrer verheirateten Schwester zu verbringen. In den frühen Morgenstunden wurde sie geweckt und sah die Gardisten. Sie schickte einen Boten zu ihrer Mutter mit der Bitte um Hilfe. Ihr Onkel, (katholischer) Bischof von Senlis, versprach sie abzuholen. Er kam jedoch nicht, weil sein Bruder (ein Reformierter) zusammen mit dem Admiral umgebracht worden war. In der Aufregung vergaß er seine Nichte.
Nach ein Paar Stunden Wartezeit ließ Charlotte Arbaleste ihre Tochter zu einem Verwandten und guten Freund tragen. Dieser ließ die Kleine durch eine Hintertür in sein Haus ein und teilte der Mutter mit, sie sei bei ihm willkommen. Um acht Uhr morgens ging sie zu diesem M. de Perreuze. Er erzählte, der Admiral und alle die Edelmänner um ihn seien umgebracht worden. Kaum hatte Charlotte Arbaleste ihr Haus verlassen, trafen die Diener des Herzogs von Guise dort ein. Sie drohten ihrer Mutter und versuchten so, die Tochter zu erpressen. Erfolglos. Sie blieb in ihrem Versteck. Der Herzog ließ ihr Haus plündern.
Im Haus des M. de Perreuze waren um die 40 Hugenotten versteckt. Um nicht aufzufallen, ließ er in anderen Stadtteilen einkaufen und stand selbst in seiner Eingangstür, um sich mit den Plünderern und Mördern, die in den Nachbarhäuser zugange waren, zu unterhalten. Am Dienstag wurde ihm mitgeteilt, man wolle sein Haus durchsuchen; daraufhin verließen die meisten Hugenotten sein Haus, nur eine Dame wurde im Holzschuppen und Charlotte Arbaleste in der Kornkammer versteckt. Dort saß sie und hörte das Geschrei der Männer, Frauen und Kinder, die in den Straßen getötet wurden. Sie wurde fast wahnsinnig vor Angst um ihre kleine Tochter, die im Haus war – vermutlich unter den anderen Kindern. Kaum war wieder Ruhe eingekehrt, schickte sie die Tochter zu ihrer Großmutter, die katholisch war.
M. de Perreuze bat die Zurückgebliebene, eine andere Bleibe zu suchen. Da Charlotte Arbaleste nicht zu ihrer Mutter konnte, deren Haus bewacht war, zog sie am Dienstag Abend zu einer früheren Zofe ihrer Mutter, die mit einem Milizkapitän verheiratet war. Die Mutter kam am selben Abend, mehr tot als lebendig, zu Besuch. Der Kapitän fühlte sich anscheinend nicht verpflichtet, Charlotte Arbaleste zu töten oder sie auszuliefern, aber er drängte sie sehr, zur Messe zu gehen. Lange wagte sie es nicht dort zu bleiben. Ihre Mutter bat eine befreundete Familie, sie aufzunehmen. Bereits am Mittwoch um die Mittagszeit ging sie dorthin.
Auch diese Familie, der Präsident de Tambonneau und seine Frau, hatten hugenottische Verwandte. Da man ihnen drohte, ihr Haus zu durchsuchen, schickten sie bereits am Donnerstag Abend Charlotte Arbaleste fort, zu einem Kornhändler. Dieser ließ sie, unterstützt vom Ehepaar Tambonneau, fünf Tage lang in einem Zimmer wohnen. Dort durfte sie weder umhergehen - die Dielen knarrten! -, noch durfte sie Licht anzünden, was die Nachbarn gesehen hätten.
Die Mutter, die aus Angst dafür gesorgt hatte, dass Charlottes Brüder sich wieder zum Katholizismus bekehrt hatten, bat ihre Tochter noch einmal, sich zu bekehren. Da Charlotte Arbaleste dies Ansinnen zurückwies, drohte ihre Mutter damit, ihr die kleine Tochter zurückzugeben. Charlotte antwortete, dass die beiden dann zusammen stürben und fasste den Beschluss, aus Paris zu flüchten.
Elf Tage nach der Bartholomäusnacht verkleidete Charlotte Arbaleste sich und nahm ein Boot flussaufwärts, Richtung Sens. Beim Verlassen von Paris musste sie alle ihre Passierscheine vorzeigen. Sie hatte keinen einzigen. Sofort kam der Verdacht auf, sie sei eine flüchtige Hugenottin und man müsse sie ertränken. Als erstes wurde sie vom Boot genommen. Sie gab den Namen eines früheren Buchhalters ihrer Großmutter an und sagte, er würde für sie bürgen. Zwei Wachen führten sie dorthin. Der Buchhalter wollte aber nur sagen, ihre Familie sei gut katholisch, sie selbst sei früher auch Katholikin gewesen, jetzt könne er sich jedoch für nichts verbürgen.
In diesem Augenblick kam eine Frau vorbei, die die Soldaten fragte, was los sei. Diese antworteten, sie hätten hier eine Hugenottin, die sie ertränken sollten, weil sie so erschrocken aussah. Die Unbekannte erwiderte, sie kenne das Mädchen, es sei eine gute Katholikin, ginge ständig zur Messe, und wenn es mitgenommen aussah, sei es wegen eines ausgestandenen Fiebers. Daraufhin brachten die Soldaten Charlotte Arbaleste zurück zum Boot. Wäre sie ein Mann, sagten sie, wäre sie nicht so leicht davongekommen. In der Zwischenzeit wurde ihr letzter Zufluchtsort beim Kornhändler durchsucht. Auch dieses Mal war sie ihren Verfolgern in letzter Sekunde entwischt.
Mit im Boot saßen zwei Mönche, ein Priester und zwei Kaufmänner mit ihren Frauen. Außerdem entdeckte Charlotte Arbaleste einen Diener des Hauses Tambonneau, der ihr andeutete, sie dürfe ihn nicht ansprechen. Nach dem Abendessen unterhielten die Mitreisenden sich begeistert über die Ereignisse in Paris, während Charlotte Arbaleste, um nichts sagen zu müssen, Müdigkeit vortäuschte. Nachts entstand ein neues Problem: die Reisenden teilten sich die Betten; unter ihrer Verkleidung hatte Charlotte Arbaleste eine fein bestickte Chemise. Die Frauen, mit der sie sich das Bett teilte, durften das gute Stück nicht sehen. Die Nacht verging irgendwie, und am nächsten Morgen schlug der Diener ihr vor in Ivry auszusteigen, da sie in Melun erkannte werden könnte.
Er führte sie zu einem Haus, das der Familie Tambonneau gehörte, und ließ beim früheren Kanzler Michel de l´Hôpital, dessen Frau Hugenottin und eine Verwandte von Charlotte Arbaleste war, anfragen, ob diese in seinem Haus aufgenommen werden könne. L´Hôpital ließ antworten, dass seine Frau sich bekehrt habe, und dass Soldaten, angeblich zu seinem Schutz, bei ihm einquartiert seien. Käme Charlotte Arbaleste, müsste sie zur Messe gehen. Wie er richtig vermutet hatte, lehnte sie ab, und wurde vom Diener in einem Dorf bei einem Winzer einlogiert.
Soldaten von der Schweizergarde der Königin Elisabeth von Österreich kamen, um das Dorf nach Hugenotten zu durchsuchen. Aber das Haus, wo Charlotte Arbaleste wohnte, wurde von ihnen beschützt und sie konnte sich dort versteckt halten. Nach einiger Zeit borgte sie sich vom Winzer einen Esel und ritt vom ihm begleitet zum Haus ihrer Großmutter. Dort blieb sie zwei Wochen. Ihre Großmutter war ja katholisch. Alsbald tauchte ein Priester auf und versuchte unter Drohungen sie zu bekehren.
Charlotte Arbaleste ritt weiter zum Haus ihres ältesten Bruders, der notgedrungen wieder zum Katholizismus übergetreten war. Auch er bestand auf den Besuch der Messe am Sonntag, was sie ablehnte. Als sie den Priester sah, machte sie kehrt. Der einzige Ort in der Nähe, wo man noch frei Hugenotte sein konnte, war das Fürstentum Sedan, wo Henri Robert, Herzog von Bouillon, residierte. Charlotte Arbaleste beschaffte sich Geld, um dorthin zu reisen. Vor ihrer Abreise versöhnte sie sich mit ihrem Bruder, der ihre Reise und sie selbst segnete – vielleicht war er erleichtert, sie loszuwerden.
Sedan erreichte Charlotte Arbaleste zu Allerheiligen am 1. November. Die dortigen Hugenotten nahmen sie freudig auf und kleideten sie wieder standesgemäß ein. Der Herzog und die Herzogin empfingen sie freundlich und sie blieb dort, bis sie Philippe Duplessis-Mornay kennenlernte und ihn heiratete.
Diese Beschreibung der Ereignisse in der Bartholomäusnacht und danach ist aus mehreren Gründen bemerkenswert. Erstens zeigt sie deutlich, dass weder Charlotte Arbaleste noch Philippe Duplessis-Mornay ohne die Hilfe von Katholiken überlebt hätten. Charlotte Arbaleste erzählt von Mord und Plünderungen, aber sie schwelgt nicht in Grausamkeiten. Das Märtyrerbuch von Jean Crespin erzählt ausführlich vom festen Glauben und grausamen Tod der Hugenotten. Verglichen damit ist der Bericht von Charlotte Arbaleste zurückhaltend. Sie erzählt viel von der Freundlichkeit ihrer Beschützer, von ihrer Dankbarkeit und der völlig unerwarteten Hilfe von Unbekannten.
Ihr Bericht weicht an mehrere Stellen von den sonst in der Forschung an erster Stelle dargestellten Geschehnissen ab. Es ist bekannt, dass König Karl IX. bereits am Vormittag des 24. August ein Ende des Mordens und der Plünderungen verordnete. Charlotte Arbaleste erzählt von beidem über mehrere Tage lang. Dass Hausdurchsuchungen stattfanden, und dass Paris abgeriegelt war, findet man nirgendwo in der gängigen Sekundärliteratur. Philippe Duplessis-Mornay gelang die Flucht durch die Pforte St. Denis, obwohl seine Hausschuhe ihm beinahe zum Verhängnis geworden wären. Sein Hauslehrer trennte sich von ihm, um nicht aufzufallen. Er wurde bei der Pforte St. Honoré umgebracht. Charlotte Arbaleste flüchtete 11 Tage nach der Bartholomäusnacht und wurde wegen fehlender Passierscheine fast ertränkt.
Die Soldaten, die die Dörfer in der Region Brie durchsuchten, und den früheren Kanzler Michel de l`Hôpital bewachten, kommen in der zu Rate gezogenen Forschung nicht vor. De l`Hôpital hatte als Kanzler sehr auf die Autorität des Königs bestanden, deshalb auch die Durchführung der Edikte und Friedensabkommen eingefordert, und, obwohl selbst katholisch, war seine Frau reformiert. Viele Gutsbesitzer der Umgebung seien umgebracht worden, erzählte der Winzer Charlotte Arbaleste. Diese Massaker in der Provinz um Paris haben bislang keine Beachtung in der Forschung gefunden.
Weder die Wachen bei den Stadttoren noch die Schweizergarde der Königin in der Brie haben selbstständig gehandelt. Egal, welchen Erlass der König am 24. August bekannt gab, die Verwaltung der Stadt Paris und der Regionen in Île de France wollten anscheinend die Hugenotten ausrotten. Auch wenn Charlotte Arbaleste überlebte der Druck auf sie, zu konvertieren, blieb groß. Deshalb zog sich nach Sedan – der Stadt, in der sie in ihrer ersten Ehe gewohnt hatte, während ihr Gatte in dem niederländischen Aufstand unter Wilhelm von Oranien gekämpft hatte. Dort war ihre erste Tochter, Suzanne de Pas, zur Welt gekommen.
In der Bartholomäusnacht und in den folgenden Tagen war Charlotte Arbaleste immer zuerst um ihre Tochter besorgt. Die Kleine wurde zuerst zu M. de Perreuze gebracht, ihr galten die Gedanken der Mutter, als sie sich in der Kornkammer versteckte, und sie wurde dann bei ihrer katholischen Großmutter einquartiert. Charlotte Arbaleste setzte ihr eigenes Leben aufs Spiel, aber nicht das ihrer Tochter. Der Hugenotte, Präsident de la Place, verbot seinem Sohn, das weiße Kreuz auf seinem Hut zu befestigen. Pastor Merlin, Seelsorger des Admirals Coligny, der in der Nacht seiner Ermordung mit ihm betete und sich selbst nur in letzter Minute durch eine Flucht über die Dächer retten konnte, litt schrecklich darunter, dass seine Kinder von einer Frau gerettet wurden, die ihnen katholische Gebete beibrachte.
Charlotte Arbaleste dagegen nahm in Kauf, dass ihre Tochter, um zu überleben, katholisch aufwuchs. Ihre eigene Mutter bedrohte sie bei dem Versuch, Charlotte zu bekehren, sogar damit, ihr das Kind zurückzubringen. In dem oben erwähnten Märtyrerbuch von Jean Crespin (das u.a. die letzten Stunden des Präsidenten de la Place beschreibt) wird viel über die Glaubensfestigkeit der Märtyrer erzählt. Charlotte Arbaleste hingegen macht nicht viel Aufhebens um ihren Glauben, aber sie zieht für sich selbst nicht einen Augenblick in Betracht, die Messe zu besuchen. Weder der Kapitän, bei dem sie Schutz sucht, noch die Erpressung ihrer Mutter oder die Einladung ihres Bruders, können sie von diesem Vorsatz abbringen. Andererseits hatte sie, genau wie ihr späterer Gatte, die feste Hoffnung, zu überleben. Beide betrachteten ihr Überleben als ein Geschenk Gottes. Die vielen Getöteten sind keine Strafe Gottes, das Überleben einiger weniger dagegen ist ein Zeichen für seine Güte.
III. Literatur
Quellen:
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Sekundärliteratur:
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- Sutherland, N.M.: Princes, Politics and Religion, 1547-1589, London 1984
Die Bartholomäusnacht in der Kunst:
- Dumas, Alexandre: La reine Margot, 1845. Roman
- Mann, Heinrich: Die Jugend des Königs Henri Quatre, Roman, Rororo Nr. 13487
- Mann, Heinrich: Die Vollendung des Königs Henri Quatre, rororo Nr.13488
- Chéreau, Patrice: „Die Bartholomäusnacht“, Org.: „La reine Margot“, mit Isabelle Adjani und Daniel Auteuil, 1994. Film über den Roman von Dumas
- Dr. Jo Baier: „Henri 4“, mit Julien Boisselier und Joachim Król, 2010. Film über die Romane von Heinrich Mann
IV. Zeittafel
1515-1547 Franz I. – die Ketzer werden zunehmend verfolgt.
1547- 1559 Heinrich II. – immer härtere Ketzerverfolgungen
1559 - 1560 Franz II. – die Familie de Guise möchte die Ketzerverfolgungen Heinrichs fortsetzen.
1560 – 1574 Karl IX. – die Regentin Katharina von Medici versucht, sich mit den Hugenotten zu arrangieren, denn
um 1559-1560 rechnet man mit einer Anzahl von 1 Million Hugenotten = 10% der Bevölkerung.
1561 Religionsgespräche in Poissy
1562 Januar-Edikt mit großen Zugeständnissen an die Hugenotten
1562 März: Massaker in Vassy; der Herzog von Guise überfällt einen reformierten Gottesdienst.
1562 April: Ausbruch des 1. Religionskrieges. Die ersten drei Kriege dauern bis:
1570 Frieden von St. Germain; günstig für die Hugenotten
1571 Admiral Coligny wird in den königlichen Rat aufgenommen, plant Krieg in Holland.
18. August 1572 Die Schwester des Königs, Marguerite von Valois (Margot), heiratet Heinrich III. von Navarra, später Heinrich IV. von Frankreich.
21. August 1572 Ende der Hochzeitsfeier
22. August 1572 Attentat gegen Admiral Coligny. Er wird verwundet, überlebt aber. Die königliche Familie besucht ihn. Die Hugenotten schwören Rache.
23. August 1572 Die königliche Familie holt Rat ein. Am Abend werden die Garde, die Bürgermiliz und die Polizei mobilisiert, Paris wird abgeriegelt.
24. August 1572 Kurz nach Mitternacht weckt die Glocke von St. Germain l´Auxerrois die Bürger. Zuerst wird Admiral Coligny vom Herzog von Guise ermordet, danach sein Gefolge und die Adligen im Louvre. Heinrich von Navarra und seinen Vetter, der Prinz von Condé, dürfen am Leben bleiben, wenn sie ihrer Religion abschwören, was sie beide tun. In den Straßen von Paris werden Hugenotten systematisch getötet und deren Häuser geplündert.
28. August gilt als die Ende der Massaker in Paris.
August/ September 1572: Massaker in La Charité sur Loire, Meaux, Orléans, Bourges, Angers, Saumur, Lyon, Troyes und Rouen.
Oktober 1572: Massaker in: Bordeaux, Toulouse, Gaillac und Albi. Man rechnet mit 30.000 Toten und mindestens gleich viele Konvertiten. Die meisten reformierten Kirchen befinden sich jetzt im Süden und Südwesten Frankreichs.
1573 Der vierte Religionskrieg endet mit guten Bedingungen für die Hugenotten. Im Süden entstehen demokratische, reformierte, vereinigte Provinzen mit weitgehender Unabhängigkeit von Paris.
1574-1589 Heinrich III. - Der letzte Valois Bruder zieht, obwohl katholisch, den Zorn der extremen Katholiken auf sich.
1576 Heinrich von Navarra flüchtet von Paris, rekonvertiert und setzt sich an die Spitze der Reformierten Südfrankreichs.
1584-92 Die katholische Liga bekämpft Heinrich III. von Frankreich, weil er Heinrich von Navarra zu seinem Nachfolger einsetzt. Zugleich kämpft die Liga gegen Heinrich von Navarra. Die Liga will keinen Hugenotten als König Frankreichs.
1589-1610 Heinrich IV. König von Frankreich.
1593 Heinrich IV. nimmt noch einmal den katholischen Glauben an.
1598 Edikt von Nantes. Sicherheit für die Hugenotten.
Merete Nielsen, Göttingen