'... von Wölfen'

Zur gegenwärtigen Situation


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Ansprache zum Pogromgedenken 2018, in der City Kirche Mönchengladbach

"August der Schäfer hat Wölfe gehört, Wölfe mitten im Mai, zwar nur zwei, doch der Schäfer der schwört, sie hätten zusammen das Fraßlied geheult, das aus früherer Zeit, und er schreit und sein Hut ist verbeult."

Liebe Schwestern und Brüder, der Zeit seines Lebens kontroverse und vor 7 Jahren verstorbene Liedermacher Franz Josef Degenhardt, schrieb zum damaligen Aufstieg der NPD 1965, ein Lied mit dem Titel „Wölfe mitten im Mai“. Heutzutage habe ich oftmals jenes Gefühl, welches Degenhardt in seinem Lied beschreibt; ich habe das Gefühl Wölfe zu hören. Wölfe, von denen mir meine Eltern und meine Großeltern erzählt, von deren perfiden Machenschaften ich in der Schule gelernt habe und wegen derer Gräueltaten wir uns Jahr für Jahr treffen, um nicht zu vergessen. Und liebe Schwestern und Brüder, im Vergleich zu 1965, als dieses Lied von den Wölfen geschrieben wurde, hat sich einiges verändert. Denn die Wölfe haben sich wieder Schafspelze umgeschnallt. Wollige, dicke, in weißgestrichenen Worthülsen wie: "Man wird das ja wohl noch sagen dürfen.", "Ich bin ja kein Rassist, aber...", "Ich habe nichts gegen Flüchtlinge, allerdings", "Wir können auch nicht jeden aufnehmen", "Bald sind wir hier in der Minderheit". Es sind Pelze aus fiktiver Angst und die Wölfe rotten sich zusammen.

Etwas, dass es 1938 und auch 1965 nicht gab - einen virtuellen Raum in dem man im Schutze der Anonymität auf gleichgesinnte trifft, in dem sich Sprachbarrieren verschieben und vormalige Tabus in Alltagssprech umwandeln. In Internetforen, auf Facebook, in Communities, durch Instantmessanger, heulen die Wölfe wieder bedrohlich und ihnen gelingt immer wieder und immer öfter der Sprung aus der virtuellen Realität. Und ich bin mir gewiss, dass ein jeder von uns, die wir heute hier sind, schon auf sie getroffen ist. Nette Menschen, liebe Menschen, gute Väter, die plötzlich aus dem nichts heraus mit Worten um sich werfen, mit Parolen hantieren, von denen man vor 10, 20 Jahren noch zurückgeschreckt wäre.

Die Sprache hat sich verändert. Und ich habe mir immer die Frage gestellt, wie man denn überhaupt mit so Begriffen wie Flüchtlingsflut menschenwürdige Politik betreiben kann? Wir wissen schon lange aus den Sprachwissenschaften: Sprache schafft Realität. Und die Realität, die die Hetzer betreiben, wird immer fassbarer. Rechte Parolen sind längst wieder salonfähig. Asylunterkünfte brennen wieder und die Pyromanen sitzen im Parlament.

Die AfD gewinnt Stimmen. Eine Partei voller Rechtsradikaler und Menschenverachter gewinnt tatsächlich Raum um mit ihrer vergifteten Sprache unsere Politik zu verseuchen. Und sie schaffen es immer wieder, die Hürde ein Stück weiter zu verschieben, ein Stückchen mehr von ihrer Sprache alltagstauglich zu machen, eingewickelt in dem Schafspelz einer demokratischen Partei. Die alten Parteien stehen ratlos daneben, einige versuchen sogar die Partei rechts zu überholen - alle versuche scheitern.

Das Pack sitzt weiter fröhlich und heult wieder das Fraßlied. Sie treffen sich im Schulterschluss mit bekannten Nazis und jagen Flüchtlinge durch die Stadt. Was tun? Was tun, angesichts dieser politischen und gesellschaftlichen Verrohung? Angesichts des sich ausbreitenden Nationalismus, auch in Europa?

Liebe Schwestern und Brüder, ich glaube, wenn sich Sprachbarrieren so verschieben, dann müssen wir, dann ist es die absolute Pflicht einer jeder Christin und eines jeden Christen als Bürger in diesem Land, dagegenzuhalten. ‚Nein‘ sagen. Immer wieder ‚Nein‘ sagen. In jeder Situation und das fängt im kleinen an. "Das wird man doch wohl noch sagen dürfen". Nein. Solche Dinge darf man nicht sagen, denn sie sind rassistisch und menschenfeindlich. Den Rassismus klar benennen. "Ich bin ja kein Rassist aber" - Wenn du kein Rassist bist, warum sprichst du dann wie ein Rassist?

Wir müssen den Rassismus im Keime ersticken, die Wölfe enttarnen und ihnen den falschen Pelz runterreißen. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir das nur in der Masse schaffen werden, nur in der Masse können wir verhindern, dass sich Geschichte wiederholt. Das sich Systeme, wie die von 1938, nicht wieder etablieren. Und noch, liebe Schwestern und Brüder, noch sind wir die Mehrheit hier in Deutschland. Noch haben wir die Chance zu zeigen, dass sich Geschichte nicht wiederholt, dass wir gelernt haben, dass wir nicht vergessen haben. "August der Schäfer hat Wölfe gehört, Wölfe mitten im Mai, zwar nur zwei, doch der Schäfer der schwört, sie hätten zusammen das Fraßlied geheult, das aus früherer Zeit, und er schreit und sein Hut ist verbeult."2 Nie wieder vergessen. Nie wieder schweigen.


Vikar Nico Ballmann, Evangelische Kirchengemeinde Rheydt

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