''Je länger, je mehr'' - Katechismus und Zukunftsforschung

Mittwochs-Kolumne von Barbara Schenck

Ein unverbesserlicher Optimist muss er gewesen sein, Kurfürst Friedrich III. von der Pfalz. Als er den Heidelberger Katechismus einführte, wollte er seine Untertanen zu einem tugendsamen Lebenswandel bringen "je länger, je mehr". Lernt fleißig die Gebote und ihr werdet die allgemeine "Wohlfahrt" optimieren, so die Botschaft des Monarchen.

Schön, wenn's so funktionierte. Ich denke an die Schlange vor der Essensausgabe der Rintelner Tafel. Essen für Bedürftige in einer norddeutschen Kleinstadt - das gab's in meiner Jugend noch nicht. Die Kluft zwischen arm und reich wird größer. Da läuft irgendetwas schief. Von wegen werden die Gläubigen "je länger, je mehr" zu Gottes Ebenbildern, die seine Gebote treulich halten (HK 115). Nehmen wir als Beispiel das Gebot "Du sollst nicht stehlen!" Laut Katechismus verbietet das achte Gebot nicht nur "Diebstahl und Raub", sondern auch "allen Geiz" (HK 110). Das Gebot verbietet jedoch nicht nur, es gebietet auch:
"Ich soll das Wohl meines Nächsten
fördern, wo ich nur kann,
und an ihm so handeln,
wie ich möchte, dass man an mir handelt.
Auch soll ich gewissenhaft arbeiten,
damit ich dem Bedürftigen
in seiner Not helfen kann." (HK 111)

Was not tut zu tun, weiß seit dem Konfirmandenunterricht - und ich muss gestehen, als 14jährige hat mich die Frage gequält, was ich alles tun müsste, damit es auf der Welt ein wenig gerechter zugeht. Wenn ich nun, rund 30 Jahre später, auf dem Weg zum Buchladen an der Schlange vor der Rintelner Tafel vorbeigehe, plagt mich das schlechte Gewissen kaum noch.
Doch nun genug der privaten Kleinstadtenge. Betrachten wir das globale Geschehen. Die Statistik der Weltbank zeigt: Der Anteil der Weltbevölkerung, der unter der absoluten Armutsgrenze lebt, geht zurück. Im Zeitraum von 1981 bis 2008 ist der Anteil der extrem armen Menschen von 52 Prozent auf 22 Prozent gesunken. Dazu beigetragen haben auch kirchliche Hilfsorganisationen mit ihrem Kampf gegen den Hunger.
Der Katechismus hat also doch recht: Es geht bergauf mit der Hilfe für die Bedürftigen.
Doch wird das so gut weitergehen? Etwas in mir widerstrebt dieser Zuversicht. Wird dem Aufstieg nicht auch ein Abstieg folgen? Der Zukunftsforscher Matthias Horx meint, dieser "Glaube" diene schlicht der eigenen Entlastung. Wenn der Untergang vorprogrammiert ist, können wir ja nichts dafür. "Allen Befürchtungen zum Trotz", so Horx, "leben wir im größten globalen Prosperitäts-Boom aller Zeiten."
Die "Wohlfahrt" nimmt zu! Der Kurfürst war mit Recht ein Optimist. Glücklich beginne ich mit der Kolumne.

Einen Tag später: Am Pfarrhausküchentisch mokiere ich mich über einen Artikel, der die am Sühnetod Jesu Christi orientierte Engführung der Theologie des Heidelbergers kritisiert. Wie sollte auch ein Katechismus im 16. Jahrhundert das Gespräch mit anderen Religionen fördern, frage ich meinen besten Ehemann von allen. Der meint nur: "Nun ja, das hat ein Jubiläumsjahr wohl auch so an sich, dass mit einem Mal überwiegend das Gute, Positive, heute Aktuelle im Katechismus gesehen wird." - Ertappt. Auf frischer Tat.

Literatur
Horx, Matthias, Das Megatrend-Prinzip. Wie die Welt von morgen entsteht, München 2011

Zeitliche und ewige Wohlfahrt!
Was wollte Kurfürst Friedrich III. von der Pfalz mit der Einführung eines neuen Katechismus erreichen?
Seine Vorrede zum Katechismus von 1563 gibt darüber Auskunft. 

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Barbara Schenck, 30. Januar 2013