Gottesdienst mit Chören und Mitwirkenden aus reformierten Gemeinden verschiedener Muttersprachen:
Presbyterian Church of Ghana / Evangelische Französisch-reformierte Gemeinde Frankfurt / Ungarische Gemeinde / Evangelisch-Indonesische Christusgemeinde / Niederländische Kirche in Deutschland / Evangelische Stadtkirchenarbeit Frankfurt / Französisch-reformierte Gemeinde Offenbach / Evangelisch-reformierte Gemeinde Frankfurt / Reformierter Konvent.
Die Predigt wurde von Mitgliedern der Vorbereitungsgruppe gemeinsam in vier Abschnitten gehalten. Schriftlesung in dem Abendmahlsgottesdienst war 1. Kor. 11, 17 – 34.
Liebe Gemeinde,
ich habe ganz unterschiedliche Erfahrungen gehört, als wir vor über einem Jahr für die Predigtreihe und die intensivere Beschäftigung mit dem Heidelberger Katechismus geworben haben. Interesse und Ablehnung. Da gab es manche schwierige Erinnerung – eher Negatives, Erinnerungen an den Zwang, vor allem an den Zwang, alte unverständliche Sätze auswendig lernen zu müssen. Ich weiß von manchen, die schreckliche Erfahrung damit gemacht haben, das alles auswendig lernen müssen, in einem Alter, in dem sie selbst viele Fragen hatten, oft ganz andere als die, die im Heidelberger vorkamen.
Ich habe aber auch Stimmen gehört, dass Menschen sagen: „Was ist mein einziger Trost? - diese Frage hat mich begleitet mein Leben lang“.
Andere Fragen sind mir wichtig geworden. Es gibt viel Unterschiedliches zum Heidelberger Katechismus. Ich weiß von einem älteren Herrn, der aus dem Konfirmandenunterricht erzählt hat. Immer dann, wenn er das, was er auswendig lernen sollte, nicht aufsagen konnte, hat der Pfarrer ihn dazu verdonnert, dem Organisten beim Blasebalgtreten zu helfen. Bei meiner Begeisterung für Orgelmusik weiß ich nicht, ob ich das nicht doch irgendwie schätzen will oder ob ich darin ein Beispiel für schlechte Pädagogik sehen soll.
Wir haben uns bei der Planung der Predigtreihe gefragt, ob es gelingt, dogmatische Sätze, wie sie im Heidelberger Katechismus auch vorkommen, lebendig werden zu lassen. Und gelingt es, einen Bogen über ein ganzes Jahr zu spannen, Neugierde zu wecken, Interesse entstehen zu lassen? Werden viele Menschen aus den beteiligten Gemeinden, aus dem Reformierten Konvent kommen und sagen, das ist ein Gottesdienst, zu dem ich gerne gehe und in dem Dinge angesprochen werden, durch die Gastprediger und Gastpredigerinnen, die mir auf der Seele brennen, die mich zu Widerspruch herausfordern, die mir aus dem Herzen sprechen? Wie auch immer.
Es ist ja viel einfacher, über so manche biblische Geschichte zu predigen, vielleicht auch über ein ganzes biblisches Buch, oder Psalmen als Vorlage zu nehmen, und nachzuzeichnen, was dort an Lob und an Klage formuliert wird. Ich habe viele liebevoll vorbereitete Gottesdienste erlebt, sehr viele, sehr unterschiedliche Prediger und Predigerinnen, gute Abstimmung von Predigt und Liturgie. Ich habe erfahren, dass spürbar wurde, mit dem Heidelberger Katechismus können wir heute miteinander etwas anfangen. Und ich habe erlebt, es gibt Diskussionen untereinander zwischen den verschiedensten Gemeinden hier im Rhein-Main-Gebiet. Ich habe die Hoffnung - und in manchen Gesprächen hat sich mir das bestätigt -, dass durch die Predigten Fragen angerissen wurden, die in anderen Zusammenhängen weiter diskutiert wurden. Zuspruch, Widerspruch, Anregung war nicht zu Ende, wenn der Gottesdienst und das Nachgespräch zum Gottesdienst zu Ende war.
Es sind viele Fragen offen geblieben und das ist ja auch sehr gut. Eine Frage ist die nach dem Menschenbild. Hat der Heidelberger ein Menschenbild in dem er sagt, der Mensch ist ganz böse und verkehrt oder hat er ein anderes? Das ist eine sehr aktuelle Frage. Wie die Frage, was der Heidelberger meint, wenn er von „Gesetz“ spricht. Auch diese Frage müssen wir weiter diskutieren, wenn wir ernst nehmen, was im christlich-jüdischen Dialog entwickelt worden ist. In den vergangenen fünfzig Jahren. Wir müssen weiter fragen, ob und wie das, was im Heidelberger Katechismus steht, zum Leben hilft.
Und ich habe eine konkretes Beispiel: ich bin froh und glücklich, dass es in der Begrüßung durch die indonesische Gemeinde schon angerissen worden ist. In der Frage 110 heißt es: „Du sollst nicht stehlen“. Da geht es um das achte Gebot. Da wird in einer langen Erklärung im letzten Satz darauf verwiesen, dass Gott auch den Geiz verbietet und die Verschwendung seiner Gaben. Mit dieser Erklärung aus dem Heidelberger wird für mich die Aktualität dieses 450 Jahre alten Textes deutlich. Da wird auch das deutlich, was der Apostel Paulus meinte, wenn er seiner Gemeinde in Korinth schreibt: Habt ihr keine Häuser, in denen ihr essen könnt, beschämt ihr die, die nichts oder nur wenig zu essen haben, indem ihr opulente Mähler haltet und diejenigen, die wenig haben, gucken in den leeren Topf. Für mich wird in der Frage 110 deutlich, diese „Geiz ist geil“ Mentalität, die in unserer Gesellschaft weit verbreitet ist, muss hinterfragt werden. Die Haltung, „Hauptsache billig“ und alles andere zählt nicht, müssen wir überwinden. Wir können zum Beispiel fragen, wie die Billig-T-Shirts, die wir teilweise tragen, hergestellt werden. Wie die Menschen in Bangladesch unter den Herstellungsbedingungen leiden, dass sie kaum etwas verdienen, dass sie teilweise 14 Stunden am Tag arbeiten und manchmal unter ihren Nähmaschinen schlafen, dass sie teilweise zu Tode kommen - und wir die Möglichkeit haben, hier für einen Apfel und ein Ei ein T-Shirt oder ein anderes Bekleidungsstück zu kaufen.
Die Verschwendung von Lebensmitteln bei uns ist ungeheuerlich - auch die Frage der Verschwendung klingt ja an im Heidelberger. Mit diesen Überlegungen, mit den Fragen, wie es ist mit unserem gerechten Teilen, mit unserem Wirtschaften. Mit diesen Beispielen sehe ich Aktualisierungen, Ergänzungen zu all dem, was zeitbedingt anders formuliert ist, als wir es heute tun. Korruption, Geiz, Verschwendung wurden zu Beginn des Gottesdienstes als Aktualisierung genannt. Damit wird für mich deutlich, es geht um ganz aktuelle und relevante Fragen, auf die mich dieses „ehrwürdige, alte Büchlein“ hinweist. Amen.
(Pfarrerin Mechthild Gunkel, Vorsitzende des Reformierten Konventes in der EKHN)
Liebe Gemeinde,
als Theologiestudent der Lippischen Landeskirche musste ich 1988 eine Prüfung über den Heidelberger Katechismus ablegen. Der Landessuperintendent Dr. Ako Haarbeck nahm selbst die Prüfung ab. Ich muss gestehen: Ich hatte einiges dafür gelernt, aber Herr Haarbeck war unzufrieden mit mir. Er gab mir eine ziemlich schlechte Note und erklärte mir, er sei doch enttäuscht, dass ich den Heidelberger Katechismus so wenig lieb gewonnen hätte.
Liebe Gemeinde, fünfundzwanzig Jahre später möchte ich zugeben, dass ich den Charme des Heidelberger in diesem Jubiläumsjahr besser schätzen gelernt habe.
Es waren Fragen wie die Frage 5, die mir den Zugang zum Heidelberger schwer gemacht haben: „Kannst du das alles (gemeint war das Doppelgebot der Liebe) vollkommen halten? Nein, denn ich bin von Natur aus geneigt, Gott und meinen Nächsten zu hassen.“
Das stimmt doch nicht, habe ich innerlich protestiert, weder ich noch andere spüren Gott und ihren Nächsten gegenüber ausschließlich Hass . Wer so pessimistisch vom Menschen denkt, der macht sie klein und kann bewirken, dass sie weder im Glauben noch im Tun des Guten wachsen.
In diesem Jahr habe ich etwa von Georg Plasger gelernt, dass der Heidelberger Katechismus nicht beschreiben will, wie sich Menschen im Allgemeinen verhalten oder wie sie für Außenstehende nachvollziehbar zu deuten sind. Der Heidelberger Katechismus macht keine anthropologische Aussagen, sondern soteriologische: Wer eine Beziehung zu Gott gefunden hat, bei dem kann die Einsicht wachsen, wie begrenzt wir Menschen Gottes umfassender Liebe entsprechen, wie wir anderen gewollt oder ungewollt schaden und wie wir auf Kosten von Mitwelt, Umwelt und Nachwelt leben.
Der Heidelberger Katechismus macht keine empirischen Aussagen über Menschen Er sagt uns aus der Perspektive des Glaubens: Ohne Gott verstricken wir uns in Selbstüberhöhung und Selbstabwertung und leben im „Elend“, in einer Situation der Entfremdung. Aber Jesus hat Menschen dazu befreit, dass sie „Lust und Liebe (haben), nach dem Willen Gottes in allen guten Werken zu leben“. (Frage 90)
Martin Luther benutzt die 10 Gebote am Anfang seines Kleinen und Großen Katechismus, um zu zeigen, dass kein Mensch diese Gebote halten kann und jeder auf Gott angewiesen ist.
Der Heidelberger Katechismus stimmt Luther in vielem zu, aber er behandelt die 10 Gebote erst gegen Ende, in seinem dritten Teil „Von der Dankbarkeit“. Er sagt wie Luther, das „auch die frömmsten Menschen... über einen geringen Anfang ... nicht hinauskommen“ (Frage 114), dass niemand von sich aus die Gebote vollkommen halten kann. Aber der Heidelberger Katechismus rechnet fest damit, dass Christen „je länger, je mehr zum Ebenbild Gottes erneuert werden“ (Frage 115). Die Gebote Gottes dienen ihm als Richtungsangabe, wie der Geist Gottes dem Menschen Orientierung gibt und wozu er sie erneuert.
„Dass wir je länger, je mehr zum Ebenbild Gottes erneuert werden, bis wir nach diesem Leben das Ziel der Vollkommenheit erreichen“ (s.o.) - Micha Brumlik hat vor drei Wochen in dieser Predigtreihe als jüdischer Dialogpartner unterstrichen, dass das Judentum die Menschen für fähig hält, Gottes Weisungen mit seiner Hilfe erfüllen. Er hat dies im Gegensatz zum Heidelberger Katechismus gesehen, der die Gläubigen angeblich nur auf das Jenseits verweist. Liebe Gemeinde, an diesem Punkt möchte ich ihm widersprechen: Auch wir Reformierten können Ssimchat Tora feiern - die Freude, Gottes Gebot mit seiner Hilfe zu erfüllen. Je länger, je mehr können wir hoffen, zu Gottes Ebenbilder verändert zu werden - ansatzweise, gebrochen und unvollkommen.
Ich empfinde an dem Heidelberger Katechismus befreiend, dass es uns sagt: Vollkommen werdet ihr nicht durch eure moralische Anstrengung oder durch euer Bekenntnis, vollkommen wird keiner von Euch vor seinem Tod. Nach eurem Tod aber wartet ein Gott, der Euch für vollkommen erklärt. In den Kirchenbüchern des 16 und 17. Jahrhunderts steht regelmäßig nach den Tod eines Gemeindegliedes: „Perfectus est“, und dann folgt der Name des Verstorbenen. „Perfekt“, vollkommen sind wir nicht durch unser strebendes Bemühen, sondern durch das Votum Gottes, der uns mit viel liebevolleren Augen betrachtet, als wir uns selber beurteilen.
Ich empfinde es wohltuend, dass der Heidelberger Katechismus so klar sagt: „Vollkommenheit ist etwas, was erst Gott schafft.“ Es gibt so viele, die mich gerne vollkommen hätten, und auch ich wäre gerne vollkommen - aber vollkommene Menschen, das ist ein Widerspruch in sich, das gibt es nicht, bis Gott eine neue Erde und einen neuen Himmel schafft. Dieser Realismus des Heidelberger Katechismus tut uns allen gut. Amen.
(Pfarrer Bendix Balke, Evangelische Französisch-reformierte Gemeinde Frankfurt)
Wie sich ein Gesetz einfügt in ein dankbares Lebensmodell, hat Kollege Bendix Balke soeben erläutert. Bendix hat mir damit vor allem diese Aufgabe überlassen: Diese neue Funktion des Gesetzes – das Gesetz also als „Dankbarkeitsanleitung“ – mit dem heutigen Predigttext zu verbinden. Eine schöne Aufgabe, denn in diesem Text kommt wohlgemerkt das Wort „Gesetz“ gar nicht vor. Wir haben das als Vorbereitungsteam irgendwie übersehen – vermutlich übersehen, weil das Wort zwar nicht vorkommt, die Thematik aber da ist, die Thematik des Gesetzes also.
Liebe Gemeinde,
nach Paulus geht es – davon bin ich überzeugt – beim Gesetz vorrangig um das irdische Leben, das Leben hier, unter der Sonne. Damit entdeckt er wieder, betont er erneut, aber jetzt auf christlicher Grundlage, was in der jüdischen Tradition mit dem Gesetz, mit der Thora eigentlich gemeint war – Weisung. Gesetz = Thora = Weisung für das Leben. Gesetzbefolgung hat das Ziel der Ssimchat Thora, der Freude am Gesetz, hat Bendix gesagt. Es hat – möchte ich hinzufügen – auch die wesentliche Bedeutung der Ssimchat Chayim, der Freude am Leben. Gesetze gibt es für dieses Leben und für nix, oder ganz wenig, darüber hinaus. Für das Darüberhinaus hoffen wir auf, besser: glauben wir an einem äußerst gnädigen Gott.
Eine wirklich paulinische Predigt hebt diese positive Bedeutung des Gesetzes hervor – Bendix Balke hat es soeben gemacht. Es gibt natürlich diese schlechtere Alternative, mit dem Gesetz umzugehen: Durch ein braves, observantes, gesetzestreues Leben kann man versuchen sich selber für Gott schmackhaft zu machen. Ewig versuchen so gut, so perfekt wie möglich zu werden – das ist ein mühsames Lebensmodell. Dieses ewige Streben – man kann nur davon abraten: gerade weil man auf diesem Weg die Freude am Leben verliert, wird aus diesem Modell schwierig etwas, was Gott gefallen könnte. Freiheit vom Gesetz – das ist also paulinische Theologie, und so hat Luther sie auch ganz gut verstanden. Freiheit vom Gesetz, nicht ewig kämpfen um einen gnädigen Gott, sondern glauben, ja fast wissen, dass es einen gnädigen Gott gibt – das ist Paulus.
Es ist aber Paulus nach lutherischer Façon – und nach lutherischer Façon wird natürlich niemand selig. Es ist die Hälfte der Wahrheit – und hier, im Heidelberger Katechismus, finden wir die reformierte Überschwänglichkeit, das reformierte Extra. Es gibt eine glückliche Freiheit vom Gesetz (die betont Luther), es gibt aber auch eine Freiheit zum Gesetz, einfacher gesagt: das Gesetz hat auch eine positive Bedeutung – und dieser positiven Bedeutung steht ein im Grunde genommen positives Menschenbild gegenüber. Die reformierte Freude am Menschen – sie bleibt oft verdeckt, aber zu Unrecht. Der Mensch kann etwas, aber nicht alles – das ist die reformierte Façon und die andere Hälfte der Wahrheit – und diese Hälfte der Wahrheit macht natürlich unverweilt selig, das versteht sich. Ich kann das Gesetz teilweise halten, das ist das Wunder – und wenn ich es auch nur teilweise halte, trage ich zu meinem eigenen und zum Menschenglück auf Erden bei und außerdem zeige ich mich dankbar für das Leben, für die Freiheit und Vergebung, die ich bekommen habe.
Liebe Gemeinde,
manchmal wird bezweifelt, ob Paulus die Konsequenzen seiner Theologie der Gesetzesfreiheit selber wirklich verstanden hat. Das wird zu Recht bezweifelt: Er hatte die Konsequenzen in der Tat nicht völlig durchdacht. Aber im ersten Brief an die Korinther zeigt er meines Erachtens, dass die Konsequenzen ihm auch nicht völlig unklar waren. Ich meine Folgendes.
Essen – es war im Alten Testament verbunden mit allen möglichen Gesetzen. Essen – genau die Gesetze rundum das Essen waren Paulus ungeheuer. Sie waren ihm zu willkürlich, sie förderten zu sehr die Alleinstellung gesetzestreuer Juden gegenüber nachlässigeren Heiden. In den Gemeinden des Paulus gibt es deswegen zunächst eine Welt ohne Gesetze, vor allem ohne Gesetze rundum das Essen. Es führt zum sofortigen Chaos.
Sobald die ehemals gesetzestreuen Juden und die ehemals nachlässigeren Heiden (es gibt eine genauere Begrifflichkeit, aber es geht mir hier um die Skizze der Atmosphäre) sich ohne jedes Gesetz zusammensetzen, gilt offenbar die Macht des Stärkeren. Essen ohne Gesetz ist Fressen. Essen braucht Gesetze – gebeugt über mein Fastfood übersehe ich es manchmal. Fastfood frisst man. Fastfood isst man nicht ohne Grund oft alleine. Für das gemeinsame Essen braucht es nämlich Regeln – Regeln, dieses Wort benutzt die Zürcher Bibel in der Übersetzung von Vers 34: „Das Weitere werde ich regeln, sobald ich komme.“ Anordnungen – macht die Einheitsübersetzung daraus. Auch schön. „Weitere Anordnungen werde ich treffen, wenn ich komme.“
Ob es bewusst oder unbewusst war – wir wissen es nicht. Wir wissen nicht, wie bewusst Paulus dieses Wort „Anordnung“ oder „Regel“ benutzt hat. Nur das Ergebnis kennen wir, nicht die Überlegungen des Paulus. Er hätte aber auch „Gebote“ oder „Gesetze“ zum gemeinsamen Essen geben können. Das wäre aber nicht im Geiste eines Menschen, der genau von Gesetzen rundum das Essen nicht mehr wissen wollte. Er spricht von „Regeln“ oder „Anordnungen“. Ich glaube, ich hoffe wenigstens, dass ich es nicht überinterpretiere, dass ich in diesem Wort nicht zu viel suche, wenn ich in diesem Wort eine gewisse Vorläufigkeit höre – und die Betonung der Funktionalität. Gesetze, Gebote, nein besser: Regeln, Anordnungen haben eine Funktion, nicht für die Ewigkeit, sondern für das praktische, das konkrete, das tagtägliche Leben. Sie steuern das gemeinsame Leben auf Erden zum Guten, machen es lebenswerter. Das religiöse Gesetz ist deswegen so heilig, weil es sich bei dieser Steuerung bewährt hat. Das geht in zwei Richtungen: dadurch dass wir gewisse Ordnungen, Anordnungen, Formen einhalten, zeigen wir, dass wir bewusst, vorsichtig – ja, genau: dankbar mit allem umgehen, was wir bekommen.
Dankbarkeit zeigt sich in der Freude am Gesetz, an Form, Ordnung und Zurückhaltung – und gipfelt in der Freude am Leben. Amen.
(Pfarrer Tim van de Griend, Niederländische Kirche in Deutschland)
Liebe Gemeinde,
wir haben jetzt viel über das Gesetz und seine Geltung in der christlichen Gemeinde gehört. Ich möchte Sie mitnehmen auf eine Erfahrung mit dem Heidelberger, die unmittelbar mit diesem gottesdienstlichen Raum verbunden ist.
Der wichtigste Einrichtungsgegenstand in diesem Raum ist der Tisch. An diesem Tisch kommen wir hier alle zusammen. Aber der Tisch ist nicht nur ein Einrichtungsgegenstand in diesem Raum. Er ist auch zu Hause das wichtigste Möbelstück. Was tun wir am Tisch? Wir kommen an ihm sowohl in der Familie als auch in der Gemeinde zusammen, um zu essen und zu trinken und beginnen miteinander zu sprechen und uns gegenseitig zu fragen oder auch zu schweigen. Wie geht es Dir? Das ist eine Variante der Frage, die auch im Heidelberger Katechismus vorkommt. Dort lautet sie etwas dramatischer: Was ist des Menschen Elend? Wenn ich frage, wie geht es dir, will ich genau wissen, wie es tatsächlich dem anderen in allen Facetten geht. Ich frage natürlich noch weiter. Am Tisch im gemeinsamen Gespräch kommen locker 129 Fragen zusammen. Und ich glaube genau darum geht es. Dass Menschen an einem Tisch zusammen kommen, die dabei zugleich wissen, dass sie, bevor sie alle ihre Fragen stellen, bereits von einer Antwort herkommen. Nämlich Gott hat längst geantwortet, bevor die 129 Fragen und auch unsere ganzen Fragen gestellt wurden. Das macht den Heidelberger tröstlich. Deshalb wird die Frage 1 „Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben?“ überhaupt gestellt. Weil sie bereits von einer Antwort herkommt. Alle nur erdenklichen Fragen von uns Menschen sind in dieser vorangehenden Antwort bereits eingeschlossen. Sie ist der umfassende Horizont unseres Fragens.
Die Kinder mit ihren ganz einfachen Fragen wie die Erwachsenen finden nur fragend zum Grund und Geheimnis ihres Lebens. Die Antworten sind oft zeitabhängig, vorläufig, unbegrenzt. Vieles würde heute anders formuliert werden als im Heidelberger Katechismus. Doch Gott hat bereits geantwortet, bevor der Mensch alle seine Fragen stellen konnte. Gottes Antwort macht den Menschen im doppelten Sinne fragwürdig. Er wird in Frage gestellt und er hat das Recht eigene Fragen zu stellen. Beides gehört grundlegend zur Erfahrung am gemeinsamen Tisch. Diese Erfahrung machen wir sowohl innerhalb der christlichen Gemeinde wie auch in unseren Familien, in unseren Wohnungen, überall dort wo sich diese Tische bilden. Weil der Tisch Gemeinschaft überhaupt konstituiert. An ihm wollen wir wissen, wie es mit dem Woher und Wohin unseres Lebens aussieht.
Der Heidelberger Katechismus ist ein Fragebuch. Menschen wollen wissen, warum sie sich Christinnen und Christen nennen. Wie kann das menschliche Elend und das Böse erkannt werden? Und was hat es auf sich mit dem befreienden Zuspruch der Erlösung und der Vergebung von Schuld? Lebensnah sind die Fragen und Antworten, denn sie geben die Erfahrungen der Menschen zunächst mal zur Zeit der Reformation wieder. Dann stellt sich auch die Frage, wie denn in dieser Tischgemeinschaft, bei der wir uns gegenseitig befragen und dann natürlich auch nach den Regeln für unser Zusammenleben fragen, zum Beispiel gesellschaftliche Verantwortung aussieht? Wie kann aus dieser Tischgemeinschaft eine Lerngemeinschaft werden, die gesellschaftliche Verantwortung für das Zusammenleben übernimmt, wo niemand von diesem Tisch ausgeschlossen wird und hungert und dürstet? Auf diese Weise werden die Katechismusfragen auch zu unseren Lebensfragen. So entstehen aus den alten und bekannten Fragen, die Menschen vor 450 Jahren gestellt haben, neue Fragen.
Was tröstet, wenn alles trostlos und dunkel erscheint. Wohin geht die Großmutter, fragt das Kind, als diese gestorben ist? Wird sie zu einem Stern am Himmel oder geht sie zu den Wurzeln der Bäume. Die Untröstlichen schreien ihre Fragen heraus. Wo ist Gott angesichts unermesslichen Leids? Warum gibt es die Tische, an denen die Hälfte der Lebensmittel weggeworfen wird und zur gleichen Zeit Millionen von Menschen hungern? Als Jesus einsam am Kreuz hing, hat er sich verzweifelt mit einer ihm vertrauten Gebetsfrage an Gott gewandt „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“. Und nach Ostern haben die Jüngerinnen und Jünger zunächst einfach nur ungläubig gefragt, ob Jesus wirklich der Magdalena und den beiden Jüngern auf dem Weg nach Emmaus erschienen ist.
Denn der Glaube, der kommt durchaus auch aus dem skeptischen Fragen, das aufmerksam zuhört. Die mit ganzem Herzen und wachem Verstand Fragenden werden zu Zeuginnen und Zeugen eines unerhörten Geschehens. Sie erkennen, dass Gott bereits geantwortet hat, indem er ihnen ein Leben in Fülle versprochen hat. Erstarrte Herzen geraten durch das Fragen wieder in Bewegung. Schlimmer als jede kritische Frage ist das tödliche Schweigen. Was macht Menschen stumm und lässt sie fraglos, und auch das Fürchterlichste im Leben hinnehmen? Warum weinst du? Was macht dich so unzufrieden? Woher kommt dein Glück? Warum staunst du und was macht dir Angst?
Der Heidelberger Katechismus will eine Übung für existentielles Fragen sein: an den Tischen der Gemeinde wie zuhause. Wir müssen uns diesen Fragen stellen. Ein heutiger Katechismus wäre eine Sammlung solcher Fragen. Dabei gibt es keine dummen Fragen. Manche können frech und indiskret, unverschämt und quälend sein, aber deshalb sind sie nicht unberechtigt. Respektvolles Fragen will gelernt sein. Es nimmt Rücksicht auf das Gegenüber, will nicht verletzen oder bloßstellen. Tröstlich ist, wenn nachsichtig und barmherzig gefragt wird. Der Ton macht auch hier die Musik. Ein Katechismus ist ein Lehrbuch, mit dem man lernt, dem Geheimnis und dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen. So entsteht eine Gemeinschaft der Neugierigen und der Erwartungsvollen, die mit Gott so wenig fertig ist wie mit der Welt und den Mitmenschen. In jeder Frage wird ein Atemraum zwischen den Menschen und Gott geöffnet. Gottes Leben schaffende und bejahende Antwort hält allen Fragen stand. Er lädt uns an seinen Tisch, damit wir uns auch in der größten Verzweiflung und Ratlosigkeit mit vertrauensvollen Anfragen und Rückfragen an ihn wenden können. Der Heidelberger Katechismus wiederholt diese Einladung zur Tisch- und Lerngemeinschaft. Auf diese Weise können wir als Gemeinde Jesu Christi nämlich zu Zeuginnen und Zeugen seines Heils werden. Nur mit Hilfe unserer Fragen könnten wir zu einem Gleichnis des Himmelreichs werden, das Gott uns als abschließende Antwort versprochen hat.
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.
(Pfarrer Werner Schneider-Quindeau, Evangelische Stadtkirchenarbeit Frankfurt)
Gerechter Gott,
wir leben hier in großer Vielfalt zusammen.
Menschen, die zu Deiner Kirche gehören, gleich wie die Konfession heißt.
Menschen, die zu einer anderen Religion gehören.
Menschen, die Religion für überflüssig halten.
Gemeinsam gestalten wir unser Zusammenleben. Das ist oft nicht leicht.
Wir leben hier als Alteingesessene und Zugezogene,
als Menschen, für die Frankforterisch Muttersprache ist,
als Menschen, die mit einem anderen Dialekt aufgewachsen sind
oder die mühsam die deutsche Sprache erlernt haben.
Wie können wir uns verständigen – das bringt uns oft an Grenzen.
Wir leben in einer Region, die von Hektik geprägt ist,
in der Menschen Getriebene sind, atemlos, immer auf dem Sprung.
Wir leben in einer Region, die von vielen Gegensätzen gekennzeichnet ist,
die einen können ihre Wohnung, ihre Lebensmittel
und den Schulausflug ihrer Kinder nicht bezahlen,
die anderen gönnen sich den zweiten oder dritten Luxuswagen und teure Urlaubsreisen.
Und die dazwischen sind geplagt von Verarmungsängsten.
Darüber müssen wir reden – miteinander, damit wir in dieser Stadt,
in dieser Region gerecht miteinander umgehen lernen.
Hilf uns dazu mit deinem Trost,
damit wir in all unserer Unterschiedlichkeit uns gegenseitig wahrnehmen
und für eine Gesellschaft eintreten, in der alle zu ihrem Recht kommen. AMEN