Heidelberger Katechismus Frage ...
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Die 129 Fragen des Heidelberger Katechismus - ohne die Antworten!
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1. Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben?

2. Was musst du wissen, damit du in diesem Trost selig leben und sterben kannst?

3. Woher erkennst du dein Elend?

4. Was fordert denn Gottes Gesetz von uns?

5. Kannst du das alles vollkommen halten?

6. Hat denn Gott den Menschen so böse und verkehrt erschaffen?

7. Woher kommt denn diese böse und verkehrte Art des Menschen?

8. Sind wir aber so böse und verkehrt, dass wir ganz und gar unfähig sind zu irgendeinem Guten und geneigt zu allem Bösen?

9. Tut denn Gott dem Menschen nicht Unrecht, wenn er in seinem Gesetz etwas fordert, was der Mensch nicht tun kann?

10. Will Gott diesen Ungehorsam ungestraft lassen?

11. Ist denn Gott nicht auch barmherzig?

12. Wenn wir also nach dem gerechten Urteil Gottes schon jetzt und ewig Strafe verdient haben, wie können wir dieser Strafe entgehen und wieder Gottes Gnade erlangen?

13. Können wir aber selbst für unsere Schuld bezahlen?

14. Kann aber irgendein Geschöpf für uns bezahlen?

15. Was für einen Mittler und Erlöser müssen wir denn suchen?

16. Warum muss er ein wahrer und gerechter Mensch sein?

17. Warum muss er zugleich wahrer Gott sein?

18. Wer ist denn dieser Mittler, der zugleich wahrer Gott und ein wahrer, gerechter Mensch ist?

19. Woher weißt du das?

20. Werden denn alle Menschen wieder durch Christus gerettet, so wie sie durch Adam verloren gegangen sind?

21. Was ist wahrer Glaube?

22. Was ist für einen Christen notwendig zu glauben?

23. Wie lautet dieses Glaubensbekenntnis?

24. Wie wird das Glaubensbekenntnis eingeteilt?

25. Warum nennst du denn drei: den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist, wo doch Gott nur einer ist?

26. Was glaubst du, wenn du sprichst: „Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer Himmels und der Erde“?

27. Was verstehst du unter der Vorsehung Gottes?

28. Was nützt uns die Erkenntnis der Schöpfung und Vorsehung Gottes?

29. Warum wird der Sohn Gottes Jesus, das heißt „Heiland“ genannt?

30. Glauben denn auch die an den einzigen Heiland Jesus, die Heil und Seligkeit bei den Heiligen, bei sich selbst oder anderswo suchen?

31. Warum wird er Christus, das heißt „Gesalbter“ genannt?

32. Warum wirst aber du ein Christ genannt?

33. Warum heißt Jesus Christus „Gottes eingeborener Sohn“, da doch auch wir Kinder Gottes sind?

34. Warum nennst du ihn „unseren Herrn“?

35. Was bedeutet: „Empfangen durch den heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria“?

36. Was nützt es dir, dass er durch den heiligen Geist empfangen und von der Jungfrau Maria geboren ist?

37. Was verstehst du unter dem Wort „gelitten“?

38. Warum hat er unter dem Richter Pontius Pilatus gelitten?

39. Bedeutet sein Tod am Kreuz mehr, als wenn er eines anderen Todes gestorben wäre?

40. Warum hat Christus den Tod erleiden müssen?

41. Warum ist er begraben worden?

42. Warum müssen wir noch sterben, obwohl Christus für uns gestorben ist?

43. Welchen weiteren Nutzen haben wir aus Opfer und Tod Christi am Kreuz?

44. Warum folgt „abgestiegen zu der Hölle“?

45. Was nützt uns die Auferstehung Christi?

46. Wie verstehst du, dass es heißt „aufgefahren in den Himmel“?

47. Ist denn Christus nicht bei uns bis ans Ende der Welt, wie er uns verheißen hat?

48. Werden aber auf diese Weise nicht Gottheit und Menschheit in Christus voneinander getrennt, wenn er nach seiner menschlichen Natur nicht überall ist, wo er nach seiner Gottheit ist?

49. Was nützt uns die Himmelfahrt Christi?

50. Warum wird hinzugefügt „er sitzt zur Rechten Gottes“?

51. Was nützt uns diese Herrlichkeit unseres Hauptes Christus?

52. Was tröstet dich die Wiederkunft Christi, „zu richten die Lebenden und die Toten“?

53. Was glaubst du vom heiligen Geist?

54. Was glaubst du von der „heiligen allgemeinen christlichen Kirche“?

55. Was verstehst du unter der „Gemeinschaft der Heiligen“?

56. Was glaubst du von der „Vergebung der Sünden“?

57. Was tröstet dich die „Auferstehung der Toten“?

58. Was tröstet dich die Verheißung des ewigen Lebens?

59. Was hilft es dir aber nun, wenn du das alles glaubst?

60. Wie bist du gerecht vor Gott?

61. Warum sagst du, dass du allein durch den Glauben gerecht bist?

62. Warum können denn unsere guten Werke uns nicht ganz oder teilweise vor Gott gerecht machen?

63. Verdienen aber unsere guten Werke nichts, obwohl Gott sie doch in diesem und dem zukünftigen Leben belohnen will?

64. Macht aber diese Lehre die Menschen nicht leichtfertig und gewissenlos?

65. Wenn nun allein der Glaube uns Anteil an Christus und allen seinen Wohltaten gibt, woher kommt solcher Glaube?

66. Was sind Sakramente?

67. Sollen denn beide, Wort und Sakrament, unseren Glauben auf das Opfer Jesu Christi am Kreuz als den einzigen Grund unserer Seligkeit hinweisen?

68. Wieviel Sakramente hat Christus im Neuen Testament eingesetzt?

69. Wie wirst du in der heiligen Taufe erinnert und gewiss gemacht, dass das einmalige Opfer Christi am Kreuz dir zugut kommt?

70. Was heißt, mit dem Blut und Geist Christi gewaschen sein?

71. Wo hat Christus verheißen, dass wir so gewiss mit seinem Blut und Geist wie mit dem Taufwasser gewaschen sind?

72. Ist denn das äußerliche Wasserbad selbst die Abwaschung der Sünden?

73. Warum nennt denn der Heilige Geist die Taufe das „Bad der Wiedergeburt“ und die „Abwaschung der Sünden“?

74. Soll man auch die kleinen Kinder taufen?

75. Wie wirst du im heiligen Abendmahl erinnert und gewiss gemacht, dass du an dem einzigen Opfer Christi am Kreuz und allen seinen Gaben Anteil hast?

76. Was heißt, den gekreuzigten Leib Christi essen und sein vergossenes Blut trinken?

77. Wo hat Christus verheißen, dass er die Gläubigen so gewiss mit seinem Leib und Blut speist und tränkt, wie sie von diesem gebrochenen Brot essen und von diesem Kelch trinken?

78. Werden denn Brot und Wein in Leib und Blut Christi verwandelt?

79. Warum nennt denn Christus das Brot seinen Leib und den Kelch sein Blut oder nennt den Kelch den neuen Bund in seinem Blut, und warum spricht Paulus von der Gemeinschaft des Leibes und Blutes Jesu Christi?

80. Was ist für ein Unterschied zwischen dem Abendmahl des Herrn und der päpstlichen Messe?

81. Welche Menschen sollen zum Tisch des Herrn kommen?

82. Dürfen aber zum heiligen Abendmahl auch solche zugelassen werden, die sich in ihrem Bekenntnis und Leben als Ungläubige und Gottlose erweisen?

83. Was ist das Amt der Schlüssel?

84. Wie wird das Himmelreich durch die Predigt des heiligen Evangeliums auf- und zugeschlossen?

85. Wie wird das Himmelreich durch die christliche Bußzucht zu- und aufgeschlossen?

86. Da wir nun aus unserm Elend ganz ohne unser Verdienst aus Gnade durch Christus erlöst sind, warum sollen wir gute Werke tun?

87. Können denn auch die selig werden, die sich von ihrem undankbaren, unbußfertigen Leben nicht zu Gott bekehren?

88. Worin besteht die wahrhaftige Buße oder Bekehrung des Menschen?

89. Was heißt Absterben des alten Menschen?

90. Was heißt Auferstehen des neuen Menschen?

91. Was sind denn gute Werke?

92. Wie lautet das Gesetz des HERRN?

93. Wie werden diese Gebote eingeteilt?

94. Was fordert der Herr im ersten Gebot?

95. Was ist Götzendienst?

96. Was will Gott im zweiten Gebot?

97. Darf man denn gar kein Bild machen?

98. Dürfen denn nicht die Bilder als „der Laien Bücher“ in den Kirchen geduldet werden?

99. Was will Gott im dritten Gebot?

100. Ist es denn eine so schwere Sünde, Gottes Namen mit Schwören und Fluchen zu lästern, dass Gott auch über die zürnt, die nicht alles tun, um es zu verhindern?

101. Darf man aber überhaupt bei dem Namen Gottes einen Eid schwören?

102. Darf man auch bei den Heiligen oder anderen Geschöpfen schwören?

103. Was will Gott im vierten Gebot?

104. Was will Gott im fünften Gebot?

105. Was will Gott im sechsten Gebot?

106. Redet denn dieses Gebot nur vom Töten?

107. Haben wir das Gebot schon erfüllt, wenn wir unseren Nächsten nicht töten?

108. Was will Gott im siebenten Gebot?

109. Verbietet Gott in diesem Gebot allein den Ehebruch?

110. Was verbietet Gott im achten Gebot?

111. Was gebietet dir aber Gott in diesem Gebot?

112. Was will Gott im neunten Gebot?

113. Was will Gott im zehnten Gebot?

114. Können aber die zu Gott Bekehrten diese Gebote vollkommen halten?

115. Warum lässt uns Gott denn die zehn Gebote so eindringlich predigen, wenn sie doch in diesem Leben niemand halten kann?

116. Warum ist den Christen das Gebet nötig?

117. Was gehört zu einem Gebet, damit es Gott gefällt und von ihm erhört wird?

118. Was hat uns Gott befohlen, von ihm zu erbitten?

119. Wie lautet dieses Gebet

120. Warum hat uns Christus befohlen, Gott so anzureden: „Unser Vater“?

121. Warum wird hinzugefügt: „im Himmel“?

122. Was bedeutet die erste Bitte: „Geheiligt werde dein Name“?

123. Was bedeutet die zweite Bitte: „Dein Reich komme“?

124. Was bedeutet die dritte Bitte: „Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden“?

125. Was bedeutet die vierte Bitte: „Unser tägliches Brot gib uns heute“?

126. Was bedeutet die fünfte Bitte: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern“?

127. Was bedeutet die sechste Bitte: „Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen“?

128. Wie beschließt du dieses Gebet: „Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit“?

129. Was bedeutet das Wort: „Amen“?

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12 Predigten zum Heidelberger Katechismus, Teil 1

Predigtreihe von Pastor i.R. Paul Kluge, Leer

"Lauter Funktionäre, beschwerte sich der Alte, man muss doch dem Volk aufs Maul schauen!" Predigten 1-7

Der Anlass
Es war zum Ritual geworden: Irgendwann im Lauf der Woche rief der über achtzigjährige Pastor seinen jungen Kollegen an. Er beschwerte sich dann über die unverständliche Sprache des Heidelberger Katechismus und dass ihm der Sinn der Sonntagslesungen nicht aufgehe. So etwas müsse man in moderner Sprache ausdrücken, damit auch die Jugend das verstünde.
Eine Zeit lang hatte der junge Pastor seinen älteren Kollegen noch darauf hingewiesen, dass in der Gemeinde die jüngste Fassung des Heidelberger in Gebrauch sei, dass ältere Gemeindeglieder sich freuten, wenn sie die Texte in Gedanken mitsprechen konnten, und dass junge Menschen ohnehin nicht zum Gottesdienst kämen. Dieser Hinweis hatte in schönster Regelmäßigkeit zu einer „Henne-oder-Ei“-Diskussion geführt. Vertane Zeit.
Eines Tages brachte der junge Pastor seinen alten Kollegen mit dem Hinweis völlig aus dem Ritual, dass eine Kommission gebildet sei, um den Heidelberger sprachlich zu überarbeiten, und ob er nicht teilnehmen möge. Dafür sei sein kleines Licht nicht hell genug, hatte der alte Kollege geantwortet, er sei aber auf das Ergebnis gespannt. Wer denn der Kommission angehöre, wollte er wissen. Der Jüngere blätterte im Sonntagsblatt und erzählte, dass Herr Brückner den Vorsitz habe, dass außerdem Pastor Friedrich dazugehöre, eine Frau Treu als Kirchenälteste, eine Frau Klein, Gymnasiastin und Mitglied im Jugendausschuss, und ein Professor Harms, ein Germanist.
„Lauter Funktionäre“, beschwerte sich der Alte, „man muss doch dem Volk aufs Maul schauen!“ – „Und dir manchmal aufs Maul hauen“, dachte der Jüngere, sagte aber: „Dann müsste man wohl alle paar Jahre wieder anfangen. Da ist es sicherlich besser, über Fragen und Antworten des Heidelberger zu predigen. Das ist ja leider völlig aus der Mode gekommen. Dabei hat der Heidelberger so viel Aktuelles zu sagen.“
Der Alte schwieg, nur sein heftiges Atmen drang durchs Telefon. „Dann fangen Sie mal an“, sagte er schließlich, und der Jüngere sagte: „Gern - wenn der Kirchenrat zustimmt.“ Das tat der und legte eine Katechismuspredigt pro Monat fest, jeweils zur Katechismuslesung. Der Beginn der Serie fiel auf das neunte Gebot.

Predigt 1
„Was will das neunte Gebot?
Dass ich wider niemand falsch Zeugnis gebe, niemand seine Worte verkehre, kein Afterred-ner und Lästerer sei, niemand unverhört und leichtlich verdammen helfe; sondern allerlei Lügen und Trügen als eigene Werke des Teufels bei schwerem Gotteszorn vermeide, in Ge-richts- und allen anderen Handlungen die Wahrheit liebe, aufrichtig sage und bekenne, auch meines Nächsten Ehre und Glimpf nach meinem Vermögen rette und fördere.“
Dies ist der Wortlaut von 1563; im Laufe der Zeiten hat es immer wieder sprachliche Überar-beitungen gegeben.
Die kleine Kommission, die den Heidelberger sprachlich aktualisieren soll, tagt mal wieder über ein Wochenende in einer Tagungsstätte. Einer aus der Runde, Pastor Friedrich, hat ein ausgeprägtes Sprachempfinden und arbeitet fast immer Entwürfe vor. Die sind gut bis sehr gut. Doch es wäre kein reformiertes Gremium, wenn man einem einzelnen etwas abnähme, ohne darüber zu diskutieren und ein gemeinsames Ergebnis zu finden. Nur, was von allen getragen wird, ist tragfähig. Indem sie also die Vorlage diskutieren, machen sie sich das Er-gebnis zu eigen.
Die Gebote sind dran, und nun nehmen sie sich das neunte vor: Du sollst kein falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten. Hier ersetzen sie lediglich das „kein“ durch ein „nicht.“ Denn am Wortlaut der Gebote wollen sie möglichst nichts ändern. „Die dürfen ruhig etwas altertümlich klingen“, meint Herr Friedrich, „schließlich sind sie uralt und entsprechend wertvoll.“ Frau Treu, wirft ein, dann könne es doch auch beim „kein“ bleiben. Mit dem Hinweis von Herrn Harms, dass ja auch die anderen Gebote der zweiten Tafel ein „nicht“ hätten und somit ein gewisser Gleichklang entstünde, gibt sie sich zufrieden.
„Doch jetzt zur Antwort“, drängt Herr Friedrich und blickt zur Uhr, „um halb eins gibt’s Essen, und dann wollten wir mit den Geboten fertig sein. Wir haben uns ja schon geeinigt, das „dass“ durch „ich soll“ zu ersetzen. Und jetzt weiter. Frau Klein?“
Frau Klein steht kurz vorm Abitur, ist in der Jugendarbeit aktiv und will Theologie studieren. „Ich würde den ersten Satz völlig neu formulieren: Gegen niemand falsch Zeugnis geben, heißt der in der Ausgabe von 1963. So spricht doch heute kein Mensch mehr. Keine falschen Aussagen machen, würde ich sagen.“ – „Ich nicht“, kontert Frau Treu, „denken Sie doch bitte auch an die älteren Leute, die den ganzen Katechismus auswendig im Kopf haben! Wollen Sie die düpieren?“ – „Und wollen Sie die Jungen düpieren?“ fragt Frau Klein zurück.
„Das hilft uns jetzt nicht weiter“, stellt der Vorsitzende Herr Brückner fest, „lassen Sie uns einen Mittelweg suchen. Falsche Aussage, Frau Klein, ist ein juristischer Begriff; falsches Zeugnis meint mehr: Wir sollen über niemanden etwas sagen, das nicht stimmt oder nicht stimmen könnte. Vermutungen z. B., Schlussfolgerungen aus dem Aussehen oder Verhalten anderer. Vorurteile, die wir gegenüber manchen Gruppen haben, gehören hier auch hin. Was sagt denn der Germanist dazu?“
Herr Harms denkt einen Augenblick nach, dann informiert er, dass „Zeugnis“ in der Tat der vorzuziehende Ausdruck sei, denn seine ursprüngliche Bedeutung sei „jemanden zu oder als etwas erklären – wie ein Schulzeugnis jemanden für klug oder mittelmäßig oder dumm erklärt.“ – „Und damit oft ein Leben lang festlegt“, ergänzt Frau Klein und denkt an ihr bevorstehendes Abiturzeugnis.
Herr Friedrich räuspert sich, wie er es immer tut, wenn er etwas sagen will. Dann fragt er, ob denn sein Vorschlag „Ich soll keinen Menschen festlegen“ passabel sei. Frau Treu, die sich zurückgelehnt hat, schießt vor, doch der Vorsitzende ist schneller und meint, dass träfe die Sache zwar, sei auch elegant formuliert, doch wir hätten es in der Kirche nun mal immer wieder mit dem Zeugnis zu tun, ihm läge deshalb an diesem Begriff. Und das „Geben“ möge bitte auch stehen bleiben, denn es mache deutlich, dass jedes Zeugnis, also auch ein fal-sches, unzutreffendes, anderen Menschen ins Ohr und ins Herz gegeben werde.
Herr Friedrich, der protokolliert, schreibt den Satz auf, weil alle beifällig nicken, und schlägt vor, aus „Worte verkehren“ ein „Worte verdrehen“ zu machen. Das Wort „verkehren“ sei zu vieldeutig und der Ausdruck, jemandem das Wort im Mund zu verdrehen allgemeinverständlich. „Einverstanden?“ fragt er und blickt zu Frau Treu. Als diese nickt, hält er die Änderung fest.
Frau Klein zieht die Aufmerksamkeit der Runde auf sich, denn sie kichert verhalten in sich hinein. Dann nimmt sie ihre Ausgabe von 1963 und zeigt Herrn Harms ein Wort, worauf der schallend zu lachen beginnt. „Afterredner“, prustet er schließlich, und die anderen müssen auch lachen. Nur Frau Treu blickt pikiert an die Zimmerdecke.
„Hinter dem Rücken eines anderen über ihn reden“, erklärt Herr Brückner, die anderen an die Arbeit gemahnend; das Lachen ebbt ab; „ich würde hier gern das Wort „hinterrücks“ einbringen, denn das trifft die Sache. Herr Friedrich, haben Sie einen Vorschlag?“ Herr Friedrich hat keinen, regt aber zugleich an, aus dem „Lästerer“ einen „Verleumder“ zu machen, das träfe heute das Gemeinte besser; „lästern“ habe einen Bedeutungswandel in Richtung Satire durchgemacht. Dann schreibt er, und der Vorsitzende Brückner fragt, wie es denn jetzt laute. Herr Friedrich liest: „Ich soll gegen niemanden falsches Zeugnis geben, niemandem seine Worte verdrehen, nicht hinter seinem Rücken reden und ihn nicht verleumden.“ - „Einverstanden?“ fragt Herr Brückner in die Runde, dabei die beiden Frauen so unterschiedlichen Alters anblickend; sie nicken.
Herr Harms ergreift das Wort: „Damit es etwas schneller geht: statt ‚unverhört’ sagen wir heute ‚ungehört.’ Und ‚leichtlich’ meint ‚leichtfertig.’ Das brauchen wir nicht zu diskutieren, und auch nicht, dass das alte ‚Verdammen’ unserem heutigen ‚Verurteilen’ entspricht. Kommen wir also zum Teufel. Da sind wohl eher die Theologen gefragt als ein Germanist. Ich gehe mal eine rauchen.“ Sagt’s und enteilt Pfeife stopfend.
Als er wieder hereinkommt, albern die anderen über irgendetwas, allen voran Frau Treu. Herr Harms bemerkt, dass es um das fast ausgestorbene Wort „Glimpf“ geht, und da er Frau Treu nicht besonders schätzt, wendet er sich an sie: „Ein solch altehrwürdiges Wort vermögen Sie zu verunglimpfen?“ Sofort legt Frau Treu ihrem Gesicht den üblichen frommen Ausdruck an, und der Vorsitzende erklärt, sie hätten den Ausdruck nicht deuten können und die Wartezeit halt mit Wortspielerei gefüllt.
„Glimpf“, doziert der Professor und nimmt die Ausgabe von 1563 zur Hand, „Glimpf bedeutet so viel wie Unbeschadetheit, Unverletztheit, allerdings weniger auf den Körper bezogen. Eine Verunglimpfung ist z. B. etwas Ehrverletzendes, das Ansehen Beschädigendes; Glimpf demzufolge das Ansehen eines Menschen, seine Würde auch. Dass die Würde eines Menschen unantastbar ist, ist uns geläufig. Dem Heidelberger geht es hier aber nicht nur um Un-antastbarkeit, sondern um Erhalt und Förderung des Ansehens eines Menschen.“ – „Könnte man hier nicht einfach vom ‚guten Ruf’ sprechen?“ fragt Frau Klein, und Herr Friedrich meint, das sei ein guter Vorschlag. Denn erstens sei der Begriff nicht so bedeutungsschwer wie Würde, und zweitens gingen Menschen ja oft recht leichtfertig mit dem guten Ruf anderer um. Daher sei das wohl genau die richtige Mahnung.
Ein Gong tönt durchs Haus, der Vorsitzende blickt auf die Uhr. „Mittag“, stellt er fest. „Setzen wir uns anschließend noch ein Stündchen zusammen, um das zehnte Gebot auch noch zu erledigen?“ In das allgemeine Nicken hinein fragt der Protokollant: „Bleibt das denn jetzt so: „Ich soll gegen niemanden falsches Zeugnis geben, niemandem seine Worte verdrehen, nicht hinter seinem Rücken reden und ihn nicht verleumden. Ich soll niemanden ungehört und leichtfertig verurteilen helfen und alles Lügen und Betrügen als Werk des Teufels bei Gottes schwerem Zorn vermeiden. Vor Gericht und in allem meinen Tun soll ich die Wahrheit lieben, sie aufrichtig sagen und bekennen und auch meines Nächsten Ehre und guten Ruf nach Kräften retten und fördern.“
„Das kann so bleiben“, stellt der Vorsitzende Brückner fest, „und jetzt hab ich Hunger.“ Als die Gruppe in den Speisesaal kommt, geht der Kanon „Danket; danket dem Herrn“ gerade zu Ende. Amen.

Predigt 2
Die Kommission tagt wieder über ein Wochenende. Diesmal ist das Apostolische Glaubensbekenntnis dran. Orthodoxe, Katholiken und Protestanten benutzen es als verbindliche und verbindende Grundlage des christlichen Glaubens. Die Autoren des Heidelberger haben nun vor dem Glaubensbekenntnis zunächst das Christsein definiert; 1563 klang das so:
„Weil ich durch den Glauben ein Glied Christi und also seiner Salbung teilhaftig bin, auf dass auch ich seinen Namen bekenne, mich ihm zu einem lebendigen Dankopfer darstelle und mit freiem Gewissen in diesem Leben wider die Sünde und den Teufel streite und hernach in Ewigkeit mit ihm über alle Kreatur herrsche.“
„Das versteht doch heute kein Mensch mehr“, kommentiert Frau Klein, nachdem Herr Brückner den Text verlesen hat. „Ich wohl“, kontert Frau Treu; Frau Klein verbeißt sich eine spitze Bemerkung über deren Alter. „Vielleicht sollten wir erst einmal hören, was Bruder Friedrich vorbereitet hat“, entspannt Herr Brückner die Atmosphäre, und Pastor Friedrich beginnt, in seinen zahlreichen Papieren zu suchen. Derweilen schenkt Frau Treu allen Kaffee nach. „Da hab ich’s“, atmet Friedrich schließlich auf und beginnt: „Der HK fragt nicht, ab wann ich ein Christ genannt werde. Bei Katholiken und Lutheranern ist das die Taufe; nach einer katholi-schen Taufe wird dem Täufling gesagt: Jetzt bist du ein Christ. Bei manchen Freikirchen hin-gegen muss man eine persönliche Bekehrung erlebt haben, soll Tag und Stunde benennen können. Der Heidelberger aber fragt nach dem Warum und antwortet recht lapidar: „Weil ich durch den Glauben ein Glied Christi bin.“
Nach reformiertem Verständnis hängt das Christsein also weder von einem Ritual ab noch von einem exakt zu benennenden Erlebnis. Christ ist, wer glaubt, dass Jesus der Christus ist. Solcher Glaube findet seinen Ausdruck im Bekennen, im Dankopfer sowie im Kampf gegen Sünde und Teufel. Dadurch hat der so Glaubende an Gottes Herrschaft teil. Die drei Tätigkeiten Bekennen, Danken und Kämpfen zählt der HK zu den Ämtern der Gemeinde; sie entsprechen dem dreifachen Amt Christi als Prophet oder Verkündiger, als – sich selbst – opfernder Priester und als kämpfender und herrschender König.“
„Und was ist mit der Salbe?“ fragt Frau Klein. „Salbung“, korrigiert Herr Brückner und erklärt: „Das Wort ‚Christus’ heißt übersetzt bekanntlich ‚der Gesalbte,’ also der von Gott zum Pro-pheten, zum Priester und zum König Eingesetzte. Durch den Glauben sind wir quasi auch gesalbt und haben dadurch den Auftrag, zu bekennen, Dank zu opfern und gegen Sünde und Teufel zu kämpfen.“
„Sagen Sie mal“, fragt Professor Harms, „sind Sie der Meinung, dass „Sünde“ und „Teufel“ heute noch verständliche Begriffe sind? In der Reformationszeit waren sie gängig, weil die katholische Kirche damit Höllenangst schürte, um die Menschen im Schach zu halten und Ablass zu verkaufen. Die Reformatoren haben diese Begriffe aufgenommen, um die Ängste abzubauen. Es ist doch reformierte Überzeugung, dass wir seit Golgatha und Ostern erlöst sind und nichts und niemanden zu fürchten haben, oder?“
„Da haben Sie recht“, antwortet Pastor Friedrich, „und darum haben wir ein ‚freies Gewissen’, wie es hier heißt. Aber damit ist doch das Böse noch nicht aus der Welt. Denken Sie nur an den Überfall auf Ausländer vor ein paar Tagen!“
„Dann sollten wir ‚Sünde und Teufel’ durch ‚das Böse’ ersetzen“, schlägt Frau Klein vor. Frau Treu ist strikt dagegen, sie hat klare Vorstellungen von dem, was Sünde ist, und der Teufel hat für sie konkrete Namen.
„Ich finde ihren Vorschlag in der Sache gut“, wendet Herr Brückner sich an Frau Klein, „meine allerdings, dass die Menschen auch heute „Sünde und Teufel“ durchaus als Symbol für alles Böse verstehen. ‚Das Böse’ ist mir zu abstrakt, ich hab es lieber etwas anschaulicher, plastischer.“ – „Na, gut“, lenkt Frau Klein ein, „aber dann muss die ‚Kreatur’ weg. Das hat für mich so was Abwertendes. ‚Geschöpf’ ist das deutsche Wort dafür, klingt aber deutlich positiver.“ Dem kann sogar Frau Treu zustimmen.
„Sind wir durch?“ fragt Herr Brückner mit Blick auf die Uhr und sieht allgemeines Kopfnicken; nur Pastor Friedrich blättert in seinen Papieren. „Oder haben Sie noch was, Bruder Friedrich?“
„Nur eine Frage noch“, reagiert der, „obwohl Pastor, komme ich mit dem letzten Satz nicht klar: Dass ich hernach in Ewigkeit mit Christus über alle Kreatur - bzw. über alle Geschöpfe - herr-sche.“
„In der Ewigkeit“, wirft Frau Treu ein. „Irrtum“, ruft Professor Harms, „da steht: In Ewigkeit. Mit anderen Worten: Für alle Zeit, mit noch anderen Worten: Es gibt nichts und niemanden, der, die oder das uns von Christus trennen kann. Mehr steht da nicht und auch nicht weniger.“
„Und worauf beziehen Sie das ‚Hernach’?“ versucht Frau Treu ihre Sicht zu retten, worauf Herr Brückner mit abermaligem Blick auf die Uhr feststellt: „Auf den gewonnenen Kampf gegen Sünde und Teufel, auf das Reich Gottes also, und das hat Jesus durchaus diesseitig verstanden. ‚Hernach’ mahnt uns zum Durchhalten, enthält allerdings auch Hoffnung auf ein Leben nach diesem Leben.“
Dann wendet Herr Brückner sich an Frau Klein, sie möge zum Tagesabschluss noch ein Lied anstimmen, der Tag sei lang genug gewesen. „Der Tag, mein Gott, ist nun vergangen“, stimmt Frau Klein an, und während sie singen, stopft Professor Harms schon seine Pfeife. Amen.

Predigt 3
Die Advents- und Weihnachtszeit ist vorüber, das neue Jahr hat ruhig begonnen, da treffen sich Herr Brückner, Pastor Friedrich, Frau Treu, Professor Harms und Frau Klein, zu ihrer nächsten Sitzung. In der Adventszeit haben sie pausiert, denn alle waren in ihren Gemeinden stark eingespannt. Lediglich Professor Harms nicht, und darum hat er es übernommen, das Treffen vorzubereiten.
Die erste Sitzung am Morgen eröffnet er mit dem Hinweis, dass sie es nun mit einen ebenso grundsätzlich wichtigen wie kompliziert geschriebenen Satz zu tun bekämen, der zudem noch Worte enthielte, die seit damals teils erhebliche Bedeutungswandel erfahren hätten.
„Das war auch ein komplizierter Satz“, flachst Frau Klein. „Habe ich richtig verstanden: Der Inhalt ist wichtig, der Satzbau schwierig und die Sprache veraltet?“ – „Sie haben es erfasst“, stellt Pastor Friedrich fest, „aber ich wüsste gern, welche Frage denn nun dran ist. Ich war doch gestern wegen einer Beerdigung nicht dabei.“ Sie kämen, klärt Herr Brückner auf, nun zu Frage und Antwort 21, weiter seinen sie leider noch nicht gekommen. Am Vortag habe es eine lange und heftige Diskussion darüber gegeben, ob die Rede vom stellvertretenden Sühnopfer Christi heute noch verstanden würde. „Ein theologisches Modell des späten Paulus“, steigt Pastor Friedrich ein. Herr Brückner bittet ihn, die Diskussion nicht wieder zu eröff-nen, man habe schließlich einen konkreten Auftrag zu erfüllen. „Bruder Harms“, wendet er sich an den Professor, „wollen Sie uns kurz einführen?“
Der will, schiebt die Lesebrille von der Stirn auf die Nase und beginnt: „In der Antwort auf Frage 20 hören wir: Nur jene Menschen werden „selig“, die durch wahren Glauben Christus „eingeleibt“; „seinem Leib als Glieder eingefügt werden“, wie wir gestern formuliert haben. Nun folgt – natürlich - die Frage, was denn wahrer Glaube sei. Und die Antwort lautet in der Sprache von 1563: Es ist nicht allein eine gewisse Erkenntnis, dadurch ich alles für wahr halte, was uns Gott in seinem Wort hat geoffenbart, sondern auch ein herzliches Vertrauen, welches der Heilige Geist durch das Evangelium in mir wirkt, dass nicht allein andern, sondern auch mir Vergebung der Sünden, ewige Gerechtigkeit und Seligkeit von Gott geschenkt sei, aus lauter Gnaden, allein um des Verdienstes Christi willen.
„Bandwurm“, murmelt Frau Treu und hält schnell die Hand vor den Mund. Als Professor Harms ihr dann zustimmt, läuft sie rot an. Harms schmunzelt und fahrt fort: „Zunächst einmal zum Sprachlichen. Die ‚gewisse Erkenntnis’ bedarf gewiss der Erklärung; sie meint – mit heutigen Worten – eine sichere, eine klare Erkenntnis. Das ‚Dadurch’ und das ‚hat geoffenbart’ sind leicht zu ändernde grammatische Eigenarten. Bei ‚Evangelium’ – hier komme ich zum Inhaltlichen - bin ich der Meinung, dass es hier nicht um die vier neutestamentlichen Bücher geht, sondern um das Eu angelion, die – wörtlich - gute Botschaft der Bibel. Dem entspricht, dass zu Beginn des Satzes von dem die Rede ist, was ‚Gott in seinem Wort geoffenbart hat.’ – Frau Klein?“ – „Entschuldigen Sie, dass ich unterbreche, aber ich komme gerade nicht ganz mit. Steht hier denn nicht: Ich soll für wahr halten, was in der Bibel steht?“
Frau Treu sitzt plötzlich senkrecht auf ihrem Stuhl, die Augen hinter der dicken Brille zusammengekniffen: „Sie sollen das nicht für wahr halten, Frau Klein, das ist wahr, und so steht das da auch!“ – „Nicht ganz, Frau Treu“, schaltet Herr Brückner sich ein, „die Väter des Katechismus sprechen tatsächlich von dem, was Gott uns in seinem Wort geoffenbart hat.“ Frau Treu öffnet den Mund, doch Herr Brückner fährt fort: „Es heißt eben nicht: Gewisse Er-kenntnis des Wortes Gottes. Das würde zu leicht zu einem Buchstabenglauben führen, und solcher Glaube tötet, weil er tot ist.“ – „Dann kann man ja gar nicht an die Bibel glauben“, ruft Frau Treu, worauf Professor Harms sagt: „Sollen Sie ja auch gar nicht. Aus der Bibel erfahren wir, was und wie Menschen früher geglaubt haben. Darin ist Gottes Wort an uns heute enthalten, geoffenbart, wie es hier heißt. Offenbarungen aber sind nie eindeutig, sondern bedürfen der Deutung, der Auslegung. Im Glauben geht es um die Inhalte der Worte, nicht um die Worte selbst.“
„Und gerade deshalb müssen wir Prediger so sehr auf jedes Wort, auf jede Formulierung achten“, ergänzt Pastor Friedrich. – „Und darum überarbeiten wir den Heidelberger“, erinnert Herr Brückner an die Aufgabe, „haben Sie noch etwas für uns, Bruder Harms?“ – „Ein paar Anmerkungen noch“, antwortet der und blickt in seine Notizen. Da klingelt sein Handy, er überprüft die Nummer und verlässt den Raum. Die anderen nutzen die Gelegenheit, mal kurz zu verschwinden, nur Frau Klein bleibt sitzen und beginnt zu schreiben.
Nach und nach kommen die anderen zurück, Professor Harms als letzter. „Ich bin Opa geworden“, verkündet er stolz, „dem Vater geht’s gut, Mutter und Kind auch.“ Die anderen gr-tulieren, Frau Treu mit Tränen der Rührung in den Augen. „Bis Ihr Enkelchen lesen kann, sollten wir mit unserer Arbeit fertig sein“, mahnt Herr Brückner. Alle nehmen ihre Plätze ein, und Frau Klein berichtet, dass sie die Pause für einen Entwurf genutzt habe. Sie liest vor: „Richtig glauben heißt - Doppelpunkt - Ich muss herausfinden, was Gott mir durch die Bibel sagt – Punkt. Ich kann mich darauf verlassen, dass ich und die anderen bei und trotz allem Versagen fröhlich leben und ruhig sterben können – Punkt.“
„Großartig“, begeistert sich Professor Harms, während Frau Treu entsetzt den Kopf schüttelt. Herr Brückner ergreift schnell das Wort: „Eine elegante Übersetzung, die den Sinn voll erfasst. Wir sollen aber den Wortlaut des Heidelberger aktualisieren, und deshalb näher dran bleiben.“ Pastor Friedrich bittet um den Text, er will ihn im Konfirmandenunterricht einsetzen. „Ich schreib das noch mal sauber ab“, erklärt Frau Klein freudig.
Pastor Friedrich schlägt vor, dass doch jeder in der Runde – „Jede auch?“ wirft Frau Treu spitz ein – dass doch alle in der Runde mal einen Entwurf schreiben könnten. Das würde die Sache vermutlich beschleunigen. „Wenn Sie bitte vorher noch meine restlichen Anmerkungen hören wollen“, wirft Professor Harms leicht pikiert ein, „ich vermute, Sie können sich diese Beschäftigungstherapie dann sparen.“
Pastor Friedrich entschuldigt sich für seinen Vorschlag, Herr Brückner bittet den Professor, mit seinen Ausführungen fortzufahren. „Die ‚gewisse Erkenntnis’“, hebt Professor Harms an, „das genaue Verstehen der Inhalte des Wortes Gottes also, bildet die Voraussetzung, die Basis für das ‚herzliche Vertrauen’. Dies aber kann ich mir – im Unterschied zur Erkenntnis – nicht selbst erarbeiten, sagt der Heidelberger, dies Vertrauen bewirkt vielmehr der Geist Got-tes. Es besteht darin, dass ich die aus Gnade geschenkte Vergebung der Sünden etc. für mich annehme und wegen meiner menschlichen Fehlbarkeit weder mir Vorwürfe machen noch Ängste entwickeln muss. Habe ich dies nicht nur kapiert, sondern auch akzeptiert, kann ich, wie Frau Klein formuliert hat, fröhlich leben und ruhig sterben. - Ich denke, wir können die ganze Tiefe dieser Antwort durch Neuformulierung nicht ausdrücken oder auslegen; das zu tun, ist pastorale Aufgabe. Wir sollten deshalb gerade mit dieser Antwort behutsam umgehen. Ich schlage also folgenden Wortlaut vor:“
Professor Harms nimmt einige Blätter aus seinem Ordner und verteilt sie, dann liest er vor: „Wahrer Glaube ist nicht allein eine sichere Erkenntnis, durch die ich alles für wahr halte, was Gott uns in seinem Wort anbietet, sondern auch ein tiefes Vertrauen, das der heilige Geist durch die Botschaft des Evangeliums in mir bewirkt, dass nämlich nicht nur anderen, sondern auch mir die Sünden vergeben, ewige Gerechtigkeit und Seligkeit von Gott geschenkt sind – aus reiner Gnade und allein um des Verdienstes Christi willen.“
Er habe, fügt der Professor an, zwischen den Zeilen Platz für Anmerkungen gelassen, und um die bäte er nun. Frau Treu ist schon eifrig dabei zu streichen und zu schreiben, die Katechismusausgabe aus ihrem Konfirmandenunterricht neben sich; die anderen gehen bedächtiger zu Werke. Pastor Friedrich möchte lieber von ‚zuverlässiger Erkenntnis’ sprechen, auch liegt ihm am ‚geoffenbart’ und am ‚herzlichen Vertrauen’, Frau Klein freut sich, dass das altertümliche und schwerfällige ‚welches’ durch ein ‚das’ ersetzt ist und aus ‚lauter’ ein ‚rein’ geworden ist. Aller Augen und Ohren warten jetzt auf Frau Treu, die immer noch streicht und schreibt. Man solle, sagt sie schließlich, das Bekenntnis nicht durch sprachlich Modernismen verwässern, sondern den guten alten Klang möglichst beibehalten. Wenn ein Wort heute eine andere Bedeutung als damals habe, müsse man es wohl austauschen, alles andere aber müsse bleiben, wie es damals formuliert wurde.
Als nach diesen Ausführungen alle schweigen, fragt Herr Brückner sie nach ihrem Vorschlag und hört, dass sie nur das ‚gewisse’ durch ‚mit Gewissheit verbundene’ ersetzt und alles an-dere unverändert haben möchte, auch das ‚welches.’
Herr Brückner bittet den Professor um eine weitere Kopie, nimmt seine Notizen und murmelt vor sich hin, während er schreibt. „So“, sagt er nach kurzer Zeit, „jetzt gibt es einen Kompromissvorschlag, dem hoffentlich alle zustimmen können: „Wahrer Glaube ist nicht allein eine zuverlässige Erkenntnis, durch welche ich alles für wahr halte, was Gott uns in seinem Wort geoffenbart hat, sondern auch ein herzliches Vertrauen, welches der heilige Geist durchs Evangelium in mir wirkt, dass nicht allein anderen, sondern auch mir Vergebung der Sünden, ewige Gerechtigkeit und Seligkeit von Gott geschenkt ist – aus lauter Gnade und allein um des Verdienstes Christi willen.“ Darin, ergänzt er, seien auch seine Wünsche eingeflossen. Alle nicken, mehr oder weniger zustimmend. Dann schlägt Herr Brückner eine kurze Pause vor. Im Hinausgehen – Frau Treu geht vor ihm - sagt Professor Harms ziemlich laut zu Frau Klein: „Ihr Vorschlag gefällt mir noch besser als mein eigener, aber man muss ja auf die Rücksicht nehmen, die am Alten hängen. Ein Akt der Barmherzigkeit sozusagen.“ Frau Klein muss kichern. Amen.

Predigt 4
Die ‚Kommission zur sprachlichen Überarbeitung des Heidelberger Katechismus’ verbringt wieder ein Wochenende in der Tagungsstätte, einem ehemaligen Kloster. Sie kommen gut voran, Frau Treu hat wegen einer Grippe absagen müssen. Sie einigen sich, schon nach dem Mittagessen aufzuhören, nicht erst nach dem Kaffee.
Frau Klein will die gewonnene Zeit nutzen, sich endlich einmal die gotische Klosterkirche anzusehen. Bisher kennt sie nicht viel mehr als ihr Zimmer, den Konferenzraum und den Speisesaal. In der Kirche war sie zwar zu Gottesdiensten, möchte aber die alten Kunstwerke einmal in Ruhe und aus der Nähe betrachten. Ob sie es als aufdringlich empfände, wenn er sich anschlösse, fragt Professor Harms, seine Frau sei zum Sohn gefahren, das Enkelkind zu begutachten, auf ihn warte also niemand. „Wenn Sie mich nachher im Auto mitnehmen?“ nutzt Frau Klein die Gelegenheit; der Professor verspricht es.
Herr Brückner und Pastor Friedrich verabschieden sich, Professor Harms braucht erst einmal eine Pfeife. Die Sonne scheint, im Innenhof blühen Schneeglöckchen und Krokus, und die beiden setzen sich auf eine Bank. Zur Verwunderung des Professors steckt Frau Klein sich eine Zigarette an. Rings an den Wänden stehen alte Grabplatten; die ganze vorreformatorische Kirchengeschichte der Gegend liegt im Kloster begraben. „Frage 42“, sagt Frau Klein, und der Professor sieht sich stutzig an. „Warum müssen wir noch sterben, obwohl doch Christus für uns gestorben ist“, hilft sie ihm auf die Sprünge. „Typische Konfirmandenfrage“, stellt Professor Harms fest und erzählt, dass er als Konfirmand einmal seinen Pastor gefragt habe, ob denn bei der Sintflut auch die Fische ertrunken seinen. Als Antwort habe es eine schallende Ohrfeige gegeben.
„Die Frage 42“, doziert er nun, „nimmt ein mögliches sprachliches Missverständnis auf, das das ‚für uns gestorben’ im Sinne von „an unserer Stelle“ deutet. Gemeint ist aber ‚zu unseren Gunsten’, und das macht die Antwort 42 deutlich. Um den biologischen Tod kommt keiner herum. Es wäre übrigens theologisch korrekter, vom ‚sterben werden’ zu sprechen statt vom ‚sterben müssen;’ ‚müssen’ ist negativ, ‚werden’ neutral.“ – „Manche sind sogar froh, wenn sie endlich sterben dürfen“, wirft Frau Klein ein. Beide verfallen ins Schweigen; Professor Harms denkt an seinen alten Vater, der seit Jahren bettlägerig ist und nicht sterben kann, Frau Klein an die Insassen von Foltergefängnissen.
„An der Antwort gefällt mit zweierlei“, nimmt der Professor seinen Faden wieder auf, „zum einen, dass der Tod hier nicht als Strafe gesehen wird. Das kann die Angst vor dem Sterben nehmen, wenigstens mindern. Oder, positiv formuliert und mit Ihren Worten, Frau Klein: Das lässt uns fröhlich leben und ruhig sterben. Zum andern – und das geht in die gleiche Richtung – dass mit dem Tod die ‚Sünde abstirbt’, wie es heißt, wir nach dem Tod also ohne Sünde sind und weder Fegefeuer noch Hölle zu fürchten oder zu erwarten haben.“
Der Professor klopft seine Pfeife aus und schlägt vor, nun die Klosterkirche zu besichtigen. Obwohl die Anlage seit der Reformation der reformierten Gemeinde am Ort gehört, sind viele Kunstwerke erhalten. Gleich rechts vom Eingang beginnt ein Kreuzweg. 14 Stationen zeigen den Leidensweg Jesu von der Verurteilung bis zur Grablegung, erzählt der Professor, und hätten den Sinn, dem Betrachter vor Augen zu führen, was er als Sünder eigentlich verdient hätte und welche Qualen den erwarteten, der gegen die Regeln Roms verstieß. „Aber damit macht man den Menschen doch Angst!“ wendet Frau Klein ein und bekommt zur Antwort: „Das war gewollt. Menschen mit schlechtem Gewissen und Angst vor Strafe sind leicht beherrschbar. Bezahlen auch gern größere Summen, um sich freizukaufen. Sehen Sie mal hier“ – der Professor zeigt auf die Szene mit der Auspeitschung – „die brutalen Gesichter der Knechte, das schmerzverzerrte Gesicht Jesu. Als hätte der Bildhauer sadistische Freude an der Darstellung von Gewalt gehabt.“ – „Betrachter brauchen die wohl auch für solche Sze-nen“, wirft Frau Klein ein, „oder eine selbstquälerische Neigung. Manche Christen, scheint mir, gefallen sich in der Rolle des armen Sünders, der armen Sünderin.“ – „Ja“, stimmt Professor Harms zu, „und werden dabei zu Pharisäern.“ Frau Klein muss lachen, denn ihr fallen dazu sofort einige Leute ein.
„Da vorn, wo jetzt der Abendmahlstisch steht“, erklärt der Professor weiter, „stand früher ein Altar mit riesigem Kruzifix, steht jetzt im Heimatmuseum. Der Künstler hat viel Phantasie entwickelt, alle Verletzungen drastisch darzustellen. Zum Glauben an Gottes Güte lädt das nicht ein.“
Darauf weiß Frau Klein nichts zu sagen, fragt stattdessen, ob der Professor erklären könne, wieso man in der Gotik die früheren Triumphkreuze mit Christus als Sieger durch den lei-denden Schmerzensmann abgelöst habe. Der Professor hat keine Erklärung und vertuscht das mit der Bemerkung, dass die Brutalisierung der Bilder ja bis heute noch anhalte. „Da lob ich mir doch unsere bilderlosen Kirchen mit Abendmahlstisch und einer Bibel darauf“, stellt Frau Klein fest, „ein Buch, Brot und Wein – das sind Symbole, die jeder versteht. Was aber nützt es einem Menschen, solch eine Holzfigur zu begucken!“ - „Nun“, meint Professor Harms, „immerhin können sie auf den Gedanken kommen, sich selbst aufzuopfern und sich so ein paar Edelsteine für ihre himmlische Krone zu verdienen. Eine Nonne sagte mir das mal, als ich im Krankenhaus lag. Das nebenbei. Wenn wir die Grausamkeit einer Kreuzigung auch nicht darstellen, hat der Tod Jesu, wie vor allem Paulus ihn deutet, im Heidelberger eine große Bedeutung.“
„Das Thema unseres Wochenendes, klar“, bestätigt Frau Klein, „Frage 43 geht mir noch nach: ‚Durch die Kraft Christi wird unser alter Mensch mit ihm gekreuzigt, getötet und begraben, damit die Sünde uns nicht mehr beherrscht, sondern wir uns ihm zu einem lebendigen Opfer hingeben’. Das meint doch wohl, dass wir nicht als ‚arme, elende, sündige Menschen,’ wie Luther sagt, vor Tod und Teufel Angst haben müssen, sondern...“ – „Fröhlich leben und ruhig sterben können“, vollendet Professor Harms den Satz. „Ja“, reagiert Frau Klein, „und dafür Dankbarkeit zeigen, uns für die Gemeinde und für andere Menschen engagieren.“ – „Aber nicht aufopfern; denn wer sich kaputt macht, kann keinem mehr nützen“, führt der Professor den Gedanken weiter, „traditionell heißt das: Gute Werke tun, aber eben nicht, um uns damit irgendwelche himmlischen Edelsteine zu verdienen. Sie helfen nichts, da ist Luther zuzustimmen. Sie sind aber nötig – als Dank, zur Selbstvergewisserung und für die Mitgliederwerbung.“ – „Frage 86“, fällt Frau Klein ein, „aber die hatten wir noch nicht. Ich staune im-mer wieder, wie gründlich durchdacht der Heidelberger ist.“ – „Und dennoch ist er nichts an-deres als eine Auslegung dessen, was in Frage eins zusammengefasst ist. Sagen Sie, Frau Klein, wollen wir hier noch Kaffee trinken oder irgendwo unterwegs richtigen Tee?“ – „Ich hol nur schnell meine Tasche“, sagt Frau Klein und ist schon aus der Kirche, als der Professor ruft: „Und ich mein Auto.“
Auf der Rückfahrt erinnert Frau Klein den Professor an seinen Hinweis, es gebe im Neuen Testament auch andere Deutungen des Todes Jesu als den des Sühnopfers für die Sünden der Welt. Darüber sei ja in der vorigen Sitzung heftig gestritten worden, sie habe aber nicht alles verstanden. Nun möchte sie von ihm wissen, warum denn gerade diese eine Deutung sich durchgesetzt habe. „Ich bin Germanist und Ältester“, antwortet der Gefragte, „in der Theologiegeschichte kenne ich mich kaum aus. Aber Sie studieren ja bald, und dann können Sie mir Nachhilfeunterricht in Theologiegeschichte geben.“ Amen.

Predigt 5
Frage 60: Wie bist du gerecht vor Gott?
„Allein durch wahren Glauben an Jesus Christus also: dass, ob mich schon mein Gewissen anklagt, dass ich wider alle Gebote Gottes schwerlich gesündigt und derselben keines nie gehalten habe, auch noch immerdar zu allem Bösen geneigt bin, doch Gott, ohne all mein Verdienst aus lauter Gnaden, mir die vollkommene Genugtuung, Gerechtigkeit und Heiligkeit Christi schenkt und zurechnet, als hätte ich nie eine Sünde begangen noch gehabt und selbst all den Gehorsam vollbracht, den Christus für mich hat geleistet, wenn ich allein solche Wohltat mit gläubigem Herzen annehme.“
Was Sie soeben gehört haben, ist der Wortlaut von Frage und Antwort 60 aus dem Jahr 1563. Vermutlich war der Text damals genau so schwer verständlich wie heute, besonders für Jugendliche. Für die aber war der Katechismus gedacht. Sie werden den Text – genau wie spätere Konfirmandenjahrgänge – zwar auswendig gelernt, nicht aber verstanden haben. Denn in den Antworten stecken geballte Ladungen Theologie. Theologie, die auf die Fragen von vor 450 Jahren Antwort gibt, und das waren damals andere Fragen als unsere heute.
Die kleine Kommission, die den Heidelberger sprachlich überarbeitet, hat sich auf Vorschlag ihres Vorsitzenden Brückner zunächst daran gemacht, Frage und Antwort 60 sprachlich zu vereinfachen.
Die Frage ist unverändert. Sie fragt nicht: Wie wirst du gerecht vor Gott. Sie fragt: Wie bist du es, sie stellt das Gerechtsein fest. In der Antwort sind aus einem Satz vier geworden, der wichtigste steht vorn: Allein durch wahren Glauben an Jesus Christus. Dann folgen ein menschliches „Zwar“ und ein göttliches „Aber“, danach das Ergebnis dieses „Aber“ für den Menschen und dessen Reaktion darauf. Der Aufbau des ganzen Katechismus spiegelt sich in dieser einen Antwort wieder: Von des Menschen Elend – von der Erlösung – von der Dankbarkeit.
Nach dem Mittagessen wendet Frau Treu sich an Pastor Friedrich, ob sie ihn etwas fragen dürfe. Pastor Friedrich schlägt vor, das sonnige Frühlingswetter für einen Spaziergang zu nutzen. Herr Brückner möchte sich anschließen, und Pastor Friedrich stimmt – etwas erleich-tert – eilig zu. Da kann auch Frau Treu nicht „nein“ sagen.
Worum es ihr denn ginge, will Pastor Friedrich wissen. Frau Treu überlegt einen Augenblick. Dass sie am liebsten nicht mehr in der Kommission mitarbeiten möchte, verschweigt sie. Sie habe den Eindruck, sagt sie stattdessen, viele Menschen sähen sich heute nicht als Sünder und Sünderinnen. Selbst in Predigten käme das Thema kaum noch vor. Nur letztens, da habe ein junger Vikar gegen ein pharisäisches Sündersein gepredigt. „Was hat der denn damit gemeint?“ fragt Pastor Friedrich, und Frau Treu antwortet: „Dass es Christen gibt, die ihr Sündersein so zur Schau stellen, dass sie wie Pharisäer wirken’ – hat er gesagt, wörtlich.“ – „Wenn ich an meine Gemeinde denke“, reagiert Pastor Friedrich, „fallen mir gleich ein paar Namen ein.“ – „Da hat der junge Bruder wohl etwas scharf formuliert“, sagt Herr Brückner schnell, und fährt fort: „Dass bei uns Reformierten das Sündersein keine so große Rolle spielt wie etwa in der katholischen Kirche oder bei Lutheranern, ist ein Ergebnis des Heidelberger. Der betont schon in Frage und Antwort Eins, dass wir erlöst sind. Und er betont das durchgängig immer wieder, z. B. in Frage 60. Hier finden Sie Luthers „Allein aus Gnade“ und sein „Allein aus Glauben“ miteinander verbunden. Der Heidelberger sieht, genau wie Calvin, den Menschen nicht als Sünder, sondern als erlösten Sünder. Das ist ein krasser Gegensatz zum damaligen Katholizismus und auch ein Widerspruch zu Luthers halbherzigem „Sowohl Sünder als auch Gerechter.“
„Luther steckt wohl doch tief in mir“, gesteht Frau Treu; sie sei in einer lutherischen Gemeinde aufgewachsen, und dort habe das Sündenbekenntnis nicht nur zur Liturgie gehört, sondern auch zum guten Ton in allen Gruppen und Kreisen. Bei jeder Gelegenheit habe man einander bekannt, ein wie schlechter Mensch man doch sei.
„Wer sich selbst erniedrigt, will erhöht werden“, zitiert Pastor Friedrich nicht ganz korrekt, aber gewollt. Herr Brückner will wissen, wie sie denn zur reformierten Gemeinde gekommen sei. Sie sei berufsbedingt umgezogen, erzählt Frau Treu, und am ersten Sonntag in der neuen Stadt in die nächstgelegene evangelische Kirche gegangen. Dort habe sie offene, freundliche Menschen getroffen, und so sei sie vor gut 30 Jahren dort gewissermaßen hängen geblieben. Die Atmosphäre sei viel entspannter gewesen als sie es gewohnt war, und der schlichte Raum habe ihr wohlgetan. „Sehen Sie“, antwortet Pastor Friedrich, „Erlöstsein macht frei. Bei uns wird keiner in die Knie gezwungen, und respektvoll-ängstliches Flüstern ist auch nicht nötig.“ Ob er da denn einen Zusammenhang sähe, fragt Herr Brückner ihn, er habe noch nie darüber nachgedacht.
„500 Jahre Calvin und 450 Jahre Heidelberger Katechismus bleiben doch nicht ohne Wirkung auf das Alltagsverhalten der Menschen“, stellt Pastor Friedrich fest, „und wenn die Leute die Theologie auch nicht unbedingt bis ins Kleinste verstehen: in unseren Gottesdiensten, in den Gemeindeversammlungen können sie sie spüren. Daran, wie die Menschen sich untereinander verhalten und ihren Pastoren gegenüber. Ein „Oben-und-unten“ hat da keinen Platz, denn als gleichermaßen Erlöste können wir einander auf Augenhöhe begegnen.“
„Eine interessante Theorie“, stellt Herr Brückner fest, „vielleicht einmal ein Thema für eine Doktorarbeit. Etwa so: ‚Die Auswirkungen des Heidelberger Katechismus auf das Alltagsverhalten von Menschen. Eine wirkungsgeschichtliche Untersuchung zur Säkularisierung einer Theologie.’ Vielleicht können wir ja Frau Klein dafür interessieren ...“
„Wofür soll ich mich interessieren?“ erklingt hinter ihnen Frau Kleins Stimme. Sie hat auf dem Spielplatz des Tagungshauses geschaukelt und will nun ins Haus zurück. Herr Brückner wiederholt das Thema, Frau Klein meint, er solle sie erst einmal studieren lassen, bevor er mit derlei Vorschlägen käme. „Oder ist das Thema ernst gemeint“, fragt sie.
Nicht ganz, gestand Herr Brückner, sie hätten gerade darüber gesprochen, wie sich im Zwischenmenschlichen auswirken könne, vor Gott gerecht zu sein. „Nicht nur im Zwischenmenschlichen“, korrigierte Frau Treu, „auch im Gegenüber zu Gott. Denn wer die Erlösung angenommen hat, sie also glaubt, der braucht vor Gott keine Angst zu haben, und auch nicht vor Tod und Teufel.“
„Hätten Sie das am Beginn unsers Spaziergangs auch so sagen können?“ fragt Pastor Fried-rich leicht schmunzelnd, um seiner Frage die Spitze zu nehmen. Frau Treu hat sie gleichwohl bemerkt und antwortet nicht. Stattdessen erzählt Herr Brückner, dass er sich seit seinem ersten Semester mit dem Heidelberger beschäftige und immer wieder Neues, auch Auf-regendes entdecke. Jeden Morgen lese er eine Frage mit Antwort, seit über zwanzig Jahren schon. Gerade in schweren Zeiten sei der Heidelberger ihm eine echte Lebenshilfe gewesen und werde es bleiben. Besonders Frage und Antwort 60 hätten ihm geholfen, als er einmal schwere Schuld auf sich geladen habe; sie hätten ihn davor bewahrt, Schluss zu machen.
Von den drei anderen weiß niemand etwas darauf zu sagen, schweigend gehen sie weiter. Auf einer Bank neben der Eingangstür sitzt Professor Harms und qualmt seine Pfeife. „Ich hab geschlafen, und Sie haben sich müde gelaufen“, begrüßt er die Ankommenden, „aber arbeiten müssen wir gleich wieder alle.“ „Keine Bange“, beruhigt Pastor Friedrich, „wir sind ein gutes Stück vorangekommen – was sagen Sie, Frau Treu?“ Die meint das auch. „Wir hatten Frage und Antwort 60 auf unserem Spaziergang“, erläutert Herr Brückner, „wir können nach dem Kaffee wohl gleich mit 61 weitermachen.“ – „Wie“, wundert sich der Professor, „wollen Sie mir etwa ihre theologischen Haarspaltereien vorenthalten?“ – „Keine Sorge“, flachst Pastor Friedrich, „davor sind Sie bei uns nie sicher!“ Alle lachen, auch Herr Brückner, und dieses Lachen löst ihn aus seinen Erinnerungen. Amen. 

Predigt 6
Für den heutigen Sonntag Jubilate - nach evangelischer Zählung ist das der dritte Sonntag nach Ostern – sind Frage und Antwort 90 vorgesehen „Was heißt Auferstehung des neuen Menschen?
Herzliche Freude in Gott durch Christus haben und Lust und Liebe, nach dem Willen Gottes in allen guten Werken zu leben.“
Pastor Friedrich hat diese Neuformulierung vorgeschlagen, und die übrigen Mitglieder der Überarbeitungskommission haben sie durch „schweigende Zustimmung“ akzeptiert. Denn sie gleicht weitgehend der Formulierung von 1564. Die „schweigende Zustimmung“ hat Frau Treu ins Spiel gebracht. Sie hat diese Form der Meinungsäußerung in reformierten Kirchen- und Gemeindeordnungen aus der Reformationszeit entdeckt und findet sie sehr praktisch. Kann sie doch helfen, Zeit zu sparen: Wer schweigt, stimmt zu, und wer nicht zustimmt, soll gefälligst den Mund aufmachen. Nun will die Kommission diese Form der Abstimmung in ihren Sitzungen auf Brauchbarkeit überprüfen.
Herr Brückner will gerade die Frage 91 zur Überarbeitung aufrufen, als der Gong zum Abendessen ertönt. „Müssen wir heute Abend noch unbedingt weitermachen?“ fragt Professor Harms und bietet an, Fotos von seiner Kreuzfahrt zu Stätten der frühen Christenheit zu zeigen. Keiner sagt etwas, der Professor ist etwas irritiert, dann lacht er los. „Schweigende Zustimmung“, stellt er fest, „einstimmig. Also gut. Dann um halb acht im Klosterkeller. Vielleicht haben auch andere Gäste des Hauses Interesse. Ich gebe das gleich beim Essen bekannt.“
Während Professor Harms noch Laptop und Beamer aufbaut, kommen nach und nach etwa zwei Dutzend Menschen in den Keller, versorgen sich mit Bier oder Wein, manche auch mit irgendwelchen Säften, dann zeigt der Professor seine Bilder. Thessaloniki, Philippi, Athen, Korinth, dann geht es hinüber zur Türkei: Troas, Pergamus, Smyrna, Ephesus. Diese fast vollständig erhaltene Stadt hat es ihm besonders angetan; die Menge der Fotos zeigt das.
„Wir kommen jetzt zur Johannesbasilika“, erklärt Professor Harms, „und da habe ich die Auferstehung des neuen Menschen begriffen.“ Er zeigt zunächst ein Bild von den Resten der Basilika und dann eine Art Brunnen. Zwei mal eineinhalb Meter vielleicht, und höchstens zwei Meter tief, an den Schmalseiten je eine Treppe. Im Hintergrund ist der Eingang zur Basilika zu erkennen. „Dies hier“, erklärt der Professor, „ist das Taufbecken. Es liegt außerhalb, denn nur Getaufte durften damals am Gottesdienst teilnehmen. Wenn jemand den Taufunterricht absolviert hatte, wurde er von zwei Ältesten an die vordere Treppe geleitet. Hier legte er seine Kleider ab, stieg ins Wasser und legte sein Bekenntnis zu Christus als seinem alleinigen Herrn ab – ein klarer Affront gegen weltliche Herrscher. Ein Ältester, der im Becken stand, tauchte den Täufling dann drei Mal unter und führte ihn über die hintere Treppe wieder ins Trockene. Nun bekam der Täufling neue Kleider und wurde feierlich in die Kirche geführt. Denn er hatte – symbolisch mit seinen Kleidern – den alten Menschen, den Heiden, abgelegt, ihn im Wasser sterben lassen und sich von ihm gereinigt. Dann war er als neuer Mensch, als Christ auferstanden. Um es mit dem Apostel Paulus zu sagen: Der Täufling hatte – symbolisch mit der neuen Kleidung – einen neuen Menschen angezogen. Das allerdings hatte nun erhebliche Konsequenzen für seine Lebensführung.
Mit der Zeit“, redet der Professor weiter, „ist die Auferstehung des neuen Menschen immer enger mit der Auferstehung der Toten verknüpft worden. Die Taufe hat dadurch ihre Bedeu-tung für die alltägliche Lebensgestaltung zunehmend verloren, und die Erfindung der Säuglingstaufe hat das noch verstärkt. Außerdem hat man den Menschen zum Dauersünder erklärt, der auf die Gnadenmittel der allein seligmachenden römischen Kirche angewiesen sei. Das gemeine Volk hat daraus die falsche Konsequenz gezogen, munter drauf los sündigen und sich mit Ablassbriefen, Pilgerreisen usw. in den Himmel einkaufen zu können. Es ist das Verdienst der Reformatoren und besonders Calvins, die Auferstehung des neuen Menschen wieder ins Alltagsleben zurückgeholt zu haben. Der Heidelberger bringt das auf den Punkt: „Herzliche Freude in Gott durch Christus haben und Lust und Liebe, nach dem Willen Gottes in allen guten Werken zu leben.“
„Darf ich Sie mal unterbrechen?“ fragt jemand aus dem Publikum. Er trägt einen schwarzen Anzug, dazu ein schwarzes Stehkragenhemd mit weißem Einsatz im Kragen. „Tipp-ex-Kragen“, nennt Professor Harms das und stellt sich auf einen Disput mit einem katholischen Priester ein. „Ja, bitte, fragen Sie nur!“ sagt er und krempelt in Gedanken die Ärmel auf. Der Schwarzkittel steht auf, räuspert sich und beginnt: „Martin Luther hat erkannt, dass wir allein aus Gnaden selig werden und dass gute Werke, wie er selber in einem Choral gedichtet hat, nichts gelten. Was Sie aus diesem Katechismus – wie heißt er noch?“ – „Heidelberger“, hilft der Professor nach und grinst - „Was Sie aus diesem Heidelberger Katechismus zitiert haben, widerspricht lutherischem Bekenntnis“ – „Überhaupt nicht“, kontert Professor Harms, „in puncto ‚sola gratia’ stimmen Lutheraner und Reformierte überein. Es gibt nur einen Unterschied: Nach Luther werden wir allein aus Gnaden selig, und nach Calvin sind wir bereits allein aus Gnaden selig geworden. Was ich gerade zitiert habe, ist die Antwort auf die Frage 90, und die steht im dritten Teil unseres Heidelberger Katechismus: Von der Dankbarkeit. Die Fragen 86 bis 91 leiten die Erklärung der zehn Gebote ein. Nach ihnen zu leben, wenigstens leben zu wollen, ist nach dem Heidelberger ein Zeichen der Dankbarkeit, der Dankbarkeit für die allein aus Gottes Gnade durch Christus geschehene Erlösung. Sehen Sie, wir Reformierte verstehen uns nicht als Sünder, auch nicht als sowohl Erlöste als auch Sünder, wie Ihr Herr Luther sich nicht festgelegt hat. Wir Reformierte verstehen uns - nach biblischem Zeugnis - als erlöste Sünder. Als solche sollen und können wir dankbar sein, und dieser Dank drückt sich in sogenannten ‚guten Werken’ aus. Gute Werke sind also keine Investitionen, für die wir Menschen einen Profit erwarten könnten, sondern quasi der Profit, den Gott aus seiner Investition gewinnt. Anders gesagt: Der auferstandene neue Mensch ist an guten Werken zu erkennen.“ – „Aber-“ hakt der Lutheraner nach, und „aber“ ruft Frau Klein. Der Lutheraner lässt ihr das Wort, und Frau Klein mahnt: „Wollen wir nicht erst die Bilder zu Ende sehen, und Sie setzen Ihren Disput nachher fort?“ Das Publikum applaudiert, der Lutheraner murmelt ein „’tschuldigung“, der Professor ist einverstanden und zeigt das nächste Bild. Amen.

Predigt 7
Liebe Geschwister!
So beginnt ein Brief, den die Mitglieder der Überarbeitungskommission in der Woche nach Pfingsten von Pastor Friedrich erhalten. Weil beim nächsten Treffen das schwierige Thema „Heiliger Geist“ anstehe, schreibt er, wolle er vorab ein paar Hintergrundinformationen liefern. Das könne, so hoffe er, die Arbeit beschleunigen. Dann ist zu lesen:
„Zum dritten Artikel des sogenannten „apostolischen Glaubensbekenntnisses“, wie wir es bei Taufe und Konfirmation bekennen, stellt der HK zunächst fest, dass der heilige Geist 1. gleichermaßen von Gott, dem Vater, und von Gott, dem Sohn ausgeht. Das ist bis heute ein Streitpunkt zwischen östlichen und westlichen Kirchen. „...und dem Sohn“, lateinisch „filioque“ ist das Reizwort, das die Westkirche im 6. Jahrhundert in das Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel eingefügt hat. Das aber muss uns nicht weiter interessieren. Der HK stellt dann fest, dass der heilige Geist 2. „auch mir gegeben ist, mir Anteil an Christus und all seinen Wohltaten gibt, mich tröstet und in Ewigkeit bei mir bleibt.“ Das Wort ‚trösten’ meint – wir haben darüber gesprochen – im ursprünglichen Sinn „ermutigen, zuversichtlich machen.“
Diese Zuversicht strahlt auch der bekannte Satz der nächsten Antwort aus, dass Christus durch den heiligen Geist und sein Wort „aus dem ganzen Menschengeschlecht eine auserwählte Gemeinde in Einigkeit des wahren Glaubens ... versammelt, schützt und erhält.“ Zur Selbstvergewisserung und als Selbstverpflichtung ist hier angefügt, dass „auch ich ein le-bendiges Glied dieser Gemeinde bin und ewig bleiben werde.“
Calvin, dass sei hier angemerkt, meint mit dem „wahren Glauben“ ein Christentum, das von allem bereinigt ist, was keinen biblischen Ursprung hat, das also ‚nach Gottes Wort reformiert’ ist. Der HK übernimmt dieses Verständnis, das man aus der Abgrenzung zu anderen Formen des Christentums damaliger Zeit verstehen wird.
Doch der Heidelberger wäre nicht der Heidelberger, wenn er in dogmatischen Lehrsätzen stecken bliebe. Dogmatik ohne Ethik ist wie dürres Gras, erst die Anwendung auf den Alltag lässt es sprießen. Das geschieht mit Frage und Antwort 55. In der Fassung von 1563 lauten sie: „Frage: Was verstehst du unter der Gemeinschaft der Heiligen? Antwort: Erstlich, dass alle und jede Gläubigen als Glieder an dem Herrn Christo und allen seinen Schätzen und Gaben Gemeinschaft haben. Zum andern, dass ein jeder seine Gaben zu Nutz und Heil der andern Glieder willig und mit Freuden anzulegen, sich schuldig wissen soll.“
Der Verbindung von Dogmatik und Ethik entspricht, dass Frage und Antwort 55 dem Sonntag nach Pfingsten mit dem lateinischen Namen „Trinitatis“ zugeordnet sind. Die Lateiner unter Ihnen wissen: Das ist der Genitiv von trinitas, Dreiheit, womit Vater, Sohn und Geist zusammengefasst sind. Über das Binnenverhältnis dieser Dreiheit lässt sich trefflich speku-lieren, aber eben nur spekulieren. Der HK verzichtet auf solche Spekulation und rückt die Gemeinschaft ins Zentrum des Sonntags: Alle Glaubenden haben als Glieder Gemeinschaft an Christus. Nota bene: Gemeinschaft an Christus, nicht nur mit ihm. Glaubende sind also Teile Christi. Paulus verwendet hierfür das Bild von den Gliedern eines Leibes, der HK verweist darauf.
Und: Die Glieder haben – nach dem Heidelberger - Teil an den „Schätzen und Gaben“ Christi. Sie sind ihm, so heißt es, „eingeleibt“. Wir dürfen also ergänzen: Wir sind Teil der Schätze und Gaben Christi. Als Glieder seines Leibes führen wir seinen Willen aus. Vielleicht kennen Sie das Gedicht, das in den 70er Jahren sehr verbreitet war:
Christus hat keine Hände, nur unsere Hände, um seine Arbeit heute zu tun.
Er hat keine Füße, nur unsere Füße, um Menschen auf den Weg zu führen.
Er hat keine Lippen, nur unsere Lippen, um Menschen von ihm zu erzählen.
Er hat keine Hilfe, nur unsere Hilfe, um Menschen auf seine Seite zu bringen.
Wir sind die einzige Bibel, die die Öffentlichkeit noch liest.
Wir sind Gottes letzte Botschaft, in Taten und Worten geschrieben.
Und wenn die Schrift gefälscht ist, nicht gelesen werden kann?
Wenn unsere Hände mit anderen Dingen beschäftigt sind als mit den seinen? Wenn unsere Lippen sprechen, was er verwerfen würde?
Erwarten wir, ihm dienen zu können, ohne ihm nachzufolgen?
Damit ist eigentlich gesagt, was im zweiten Teil der Antwort auf Frage 55 steht: Dass jeder seine und jede ihre Gaben „willig und mit Freuden zum Wohl und Heil der anderen gebrauchen soll.“
Nun sehen Sie sich einmal in Ihrer Gemeinde um, unter den aktiven und unter den inaktiven Gemeindegliedern: Welche Vielfalt an Begabungen, welche Breite an Bildung und Ausbildung! Und dann sehen Sie noch einmal hin: Wie viel davon kommt Ihrer Gemeinde und deren Mitglieder zu Gute? Wie steht es mit den Werken der Barmherzigkeit, mit der Armenfürsorge, dem „Wohl“, mit der Diakonie also, und wie mit der Begleitung Gefangener, Kranker, Einsamer, dem „Heil“ also, der Seelsorge? Die wenigen Ehrenamtlichen können nicht alles machen – aber was wird unternommen, um weitere Gemeindeglieder zum Mitmachen zu gewinnen? Und eine nächste Frage: Wie wird mit Menschen, die sich engagieren oder engagieren wollen, umgegangen? Wird ihre Arbeit hinreichend gewürdigt oder als selbstverständlich hingenommen, werden sie vorbereitet und begleitet? Jeder Verein zeichnet seine Ehrenamtlichen aus – bei uns bekommen sie oft nicht einmal ein Dankeschön. Es kommt sogar vor, dass sie ausgebootet werden, weil man ihre Einsatzbereitschaft fürchtet ...
Um mich um Gerechtigkeit zu bemühen, muss ich auch die andere Seite der Medaille nennen: Manche Gemeindeglieder setzen sich in den Gottesdienst wie vor den Fernseher. Sie wollen etwas für sich haben, eine besinnliche Stunde vielleicht, und das war’s dann. Solche Zeiten der Besinnung brauchen wir alle, um daraus Kraft für unser Tun in Gemeinde und Gesellschaft zu schöpfen - und nicht als Selbstzweck. Unsere Gottesdienste sind keine Events, und wir Pastoren keine Entertainer, womöglich noch in bunten Kostümen. Unsere Gottesdienste sollen uns vergewissern, dass wir auf gutem Weg sind, sollen uns zurückho-len, wenn wir vom Weg abgekommen sind, und sie sollen uns stärken, auf dem guten Weg voranzukommen.
Sagt jemand zum Thema Mitarbeit: „Ich kann ja nichts!“, so erinnern Sie ihn an die Antwort auf Frage 55 unseres Katechismus: „Alle Glaubenden haben als Glieder Gemeinschaft an dem Herrn Christus und an all seinen Schätzen und Gaben. Darum soll auch jeder seine Gaben willig und mit Freuden zum Wohl und Heil der anderen gebrauchen.“ Diese Erinnerung haben alle immer wieder nötig. Denn jede und jeder kann etwas „zum Wohl und Heil der andren“ beisteuern: den kranken Nachbarn besuchen oder die Kinder der Nachbarin hüten, im Chor mitsingen oder Gemeindeblätter verteilen usw. Doch es gibt auch welche, die mehr können, weil sie mehr gelernt haben. Wir sollten keine Scheu haben, ihre Unterstützung zu erbitten.
Wir Pastoren aber, die wir so gern alles selber machen und so schwer etwas abgeben wol-len, brauchen immer wieder die Erinnerung an die „Schätze und Gaben“ der Gemeindeglieder. Damit wir die Gemeindeglieder nicht entmutigen und die Gemeinde nicht entmündigen – und damit wir uns auf das konzentrieren können, was unseres Amtes ist. Wir haben nicht die Gemeinschaft der Heiligen herzustellen – sie ist da, und wir haben ihr durch Predigt und Sakrament, durch Seelsorge und Mission zu dienen.
Liebe Geschwister, dieser Brief ist mir nun länger geraten als gedacht, und ich habe mir manches, was mir auf der Seele liegt, heruntergeschrieben. In den Sitzungen unserer Kom-mission und überhaupt in Sitzungen fehlt es dafür an Zeit – bzw. man nimmt sie sich nicht dafür, vermeidet sie gar. Unsere Presbyterien täten gut daran, den ganzen Verwaltungskram weitgehend an sach- und fachkundige Gemeindeglieder abzugeben und sich auf die geistliche Leitung der Gemeinde zu konzentrieren. Doch ich will kein neues Thema anfangen, sondern für heute schließen.“
Er freue sich auf das nächste Treffen, schrieb Pastor Friedrich noch, wünschte behütete Anreise und schloss mit herzlichem Gruß. Amen.

Fortsetzung in Teil 2