Die Frühlingsgefühle der Alten geben uns Hoffnung

Predigt zu Gen 18,1-19,29 (Pfingsten)

© PPixabay

Eine Predigt über Sara und Abraham

Im Namen Gottes, der Himmel und Erde gemacht hat, der Bund und Treue hält ewiglich und der das Werk seiner Hände nicht fallen lässt. Amen

Liebe Gemeinde,

Pfingsten: Die neutestamentliche Pfingstgeschichte endet mit der Bemer-­‐ kung des gelangweilten Publikums: „Sie sind voll süßen Weins“. Und viele, die jetzt an der Antoniterkirche vorbei gehen, könnten ebenso reagieren im Blick auf so eine merkwürdige Gottesdienstgemeinde am Sonntag Abend. Was hier drinnen geschieht, geht sie vermeintlich nichts an.

Und mancher, der heute Morgen hier in der Kirche war und gehört hat von der kleinen unentwegten Schar der Reformierten, die sich heute Abend hier auch noch treffen, könnte ebenso bei sich selbst gedacht haben: Das geht mich nichts an. Und als Abraham im hohen Alter die Verheißung einer späten Geburt bekam, hat er gelacht: das geht mich nichts an. Und als Sara, seine altbewährte Ehefrau, diese Verheißung auch noch einmal mit eigenen Ohren belauschte, lachte sie in sich hinein: Was geht das mich an?! Und die Leute von Sodom und Gomorra, selbst Lot, um den sich der Himmel so sehr bemüht hat, antwortete schroff: Nicht doch!

Lass mich in Ruhe. Das ist auch ein pfingstliches Thema, dass das Publikum sich zunächst langweilt und nicht beteiligt sein möchte. Aber dann gehört auch das zur biblischen Pfingstgeschichte: Es kann sich plötzlich doch alles ändern. Es kann geschehen,

  • dass aus zunächst gelangweilten Leuten begeisterte Bundesgenossen werden: BIRLIKTE1!
  • aus skeptischen Realisten praktisch Teilnehmende werden: BIRLIKTE!
  • dass schnaufende Ruheständler aus ihrer geistlosen Verlassenheit her-­‐ aus gerettet werden zu einem sinnvollen Leben trotz allem! BIRLIKTE!

Von Abrahams Lachen, von Saras Lächeln, von Lots mürrischer Abwehr handelt der heutige Abschnitt der Abrahamsgeschichten, der mit den Wor-­‐ ten beginnt: „Und ER ließ sich sehen“, ein neues Kapitel in der jüdischen Torahlesung: Wajera – und ER ließ sich sehen, sehen und hören – auch in den Feuerzungen der Pfingstgeschichte.

EG 136, 1-2+4+7 O komm, du Geist der Wahrheit

Eingangsgebet mit Sündenbekenntnis

Ja, komm DU Geist des Lebens, heute und hier in unseren Gottesdienst, mach uns freiwillig, hörwillig und lernwillig. Amen

Schrifterzählung/lesung: 1. Mose 18, 1-33

Gestern erst war Abraham, der einsame Alte, niedergefallen auf sein Angesicht und hatte gelacht, weil Gott ihm ein besonderes Beziehungsangebot gemacht hatte mit Segensverheißung und blühenden Aussichten für Kinder und weitere Nachkommen. – Abraham hatte allerdings daraufhin gestern Gott einfach ausgelacht: Ich bin neunzig, vergiss das nicht! - Aber dann hatte er sich doch mit allen Männern seines Hauses beschneiden lassen, als Zeichen dieser besonderen neuen Beziehung.

Am Tag drauf döst er nun in der Mittagshitze, als drei unangemeldete Gäste erscheinen. – Sind es wirklich drei oder ist es nur einer? Die Zahlen flimmern in der Hitze. Aber die Gastfreundschaft gebietet es, dass man jedem Gast etwas anbietet. Sara backt und brät also gut für die Gäste, dann zieht sie sich vornehm zurück. Abraham bleibt etwas abseits des Tisches, um ggfls. weiter für die Gäste zu sorgen. Der Gästegast fragt nach Sara und sagt:

„Wenn ich in einem Jahr wieder komme, hat Sara einen Sohn. Sara aber horchte hinter seinem Rücken am Eingang des Zeltes. ... Und Sara lachte bei sich: Nun, da ich verbraucht bin, soll ich noch Liebeslust empfinden? ... Da sprach der Herr zu Abraham: Warum lacht Sara? ... Ist denn irgendetwas unmöglich für den Herrn? ... Sara aber leugnete: ich habe nicht gelacht. Denn sie fürchtete sich. Er aber sprach: Doch, du hast gelacht.“

Dann brechen die Gastgäste auf, und Abraham geleitet sie noch ein Stück ihres Weges. Da heißt es unterwegs:

„Der Herr aber dachte: Soll ich vor Abraham geheim halten, was ich tun will? Abraham soll zu einem großen und mächtigen Volk werden, und durch ihn sollen alle Völker der Erde Segen erlangen.“

Im gleichen Atemzug spricht der Gästegast mit Abraham über seine Pläne für Sodom und Gomorra. Wenn es in dieser Stadt wirklich zugeht „wie in Sodom und Gomorra“, dann soll sie mit Mann und Maus vernichtet werden.

Nun macht sich Abraham aber zum Fürsprecher für Sodom und Gomorra:

„Willst du wirklich den Gerechten zusammen mit den Frevlern wegraffen? Vielleicht sind fünfzig Gerechte in der Stadt! ... Das sei ferne von dir, den Gerechten zusammen mit dem Frevler zu töten! ... Der Herr sprach: Wenn ich in Sodom fünfzig Gerechte in der Stadt finde, werde ich dem ganzen Ort um ihretwillen vergeben.“

Jetzt wittert Abraham allerdings eine humanitäre Chance:

  • Und wenn es nur 45 wären? Das wäre doch nur ein Unterschied von fünf. Du kannst doch unmöglich wegen fünf Menschen die ganze Stadt zerstören!
    • Gut, bei vierzig soll die Stadt verschont werden.
  • Und wären denn dreißig etwa nichts? Θ „Ich werde es nicht tun, wenn ich dort dreißig finde.“
    • Abraham wird immer mutiger: Wenn du nur zwanzig fändest?!
  • „Ich werde sie nicht verderben um der zwanzig willen.“
    • Daraufhin Abraham: „Mein Herr zürne nicht, wenn ich dieses eine Mal noch rede. Vielleicht finden sich dort nur zehn.
  • Er sprach: Ich werde sie nicht verderben um der zehn willen.
    • Als er aufgehört hatte, zu Abraham zu reden, ging der HERR. Abraham aber kehrte an seinen Ort zurück.“

Predigt: Gen 18, 1-19, 29

Gen 19, 1-11 (erzählt)

Wieder Gäste, dieses Mal in Sodom. Hier wohnt Abrahams Neffe Lot. Der nötigt die fremden Männer, in seinem Haus zu übernachten. Als Lot und seine Gäste beim Abendessen sitzen, wird das Haus umstellt. Das ganze Volk von Sodom „bis zum letzten Mann“ will die Fremden heraus haben, um sich über sie herzumachen: ein schrecklicher Fall von mörderischer Sexbesessenheit. Lot geht vor die Tür, um zu verhandeln; er will seine Gäste schützen. Er bietet den Sexmaniacs seine beiden Töchter an, um wenigstens das heilige Gastrecht zu bewahren. (Wir müssen hier nicht über den moralischen Sinn und Wert dieser Taktik nachdenken). Jedenfalls erweisen sich die Gäste als geistesgegenwärtig und stark: sie ziehen Lot zurück ins Haus.

Nun also: Hier drinnen die Bedrohten – da draußen die von Mordlust Besessenen. Und in dieser für alle Beteiligten heiklen Lage heißt es:

Gen 19, 12-­29 (Text gelesen)

Liebe Gemeinde, zunächst also zurück zum Anfang. Die beiden Alten lachen. – Gestern war es der greise Abraham. Als er gehört hatte, er solle in seinem hohen Alter noch einen Sohn bekommen, heißt es (in 1. Mose, 17, 17): „Da fiel Abraham nie-­‐ der auf sein Angesicht und lachte“. Und heute nun, ein Kapitel später, geht es ähnlich bei seiner Frau. Sara steht hinter Abrahams Rücken am Eingang des Zeltes, hört diese merkwürdige Ansage: sie, die hochbetagte Sara, soll nächstes Jahr endlich doch noch schwanger werden und am Ende noch einen eigenen leiblichen Sohn bekommen. Und nun heißt es wie bei Abraham zuvor: „Und Sara lachte“ (1. Mose 18, 12). – „Lachend, lachend, lachend, lachend kommt der Frühling über das Land...“

– Sie kennen diesen schönen Frühlingskanon. Die beiden Alten hier haben Frühlingsgefühle. Unter der Kruste ihres Alters soll noch etwas Neues aufbrechen. Gottes Wort, Gottes Geschichten, Gottes Geist als Krustenbrecher und als Frühlingsboten! Man könnte diese Lachgeschichten allerdings auch nur moralisierend hören und empört fragen: Ist das nicht ungehörig von den beiden Alten, Gottes Wort zu verlachen?! Und sei es auch nur heimlich, wie Sara hinter der Zeltwand. Ist es nicht ein schlechtes Zeichen für ihren Glauben, dass die beiden Alten solche Zweifel an Gottes Wort hegen, dass sie nicht sofort mit dankbarer Ehrfurcht, sondern zuerst nur mit Lachen reagieren?! Ist es nicht ungehörig, wenn zwei erwachsene Menschen auf eine seriöse Ansage mit so einem offenem oder mit heimlichem Gelächter antworten?!

– Und tatsächlich scheinen ja Gottes Nachfrage „Warum lacht Sara?“ und Seine rhetorische Frage „Ist denn irgendetwas unmöglich für den Herrn?“ auch in diese Richtung zu weisen. – Aber Abraham wird dann doch mit keinem Wort getadelt und auch für Sara gibt es ja gar kein unangenehmes Nachspiel, im Gegenteil: Der Sohn wird dann doch verheißungsgemäß geboren. Und er heißt ganz programmatisch Isaak, auf Deutsch: „Er lacht“ (21,3). Und Sara hat auch im Nachhinein keinerlei moralische Bedenken und jubelt nach der Geburt: „Ein Lachen hat mir Gott bereitet. Jeder, der davon hört, wird meinetwegen lachen“ (21, 6). Das Lachen der beiden Alten erscheint den biblischen Erzählern zwar bemerkenswert, aber doch in keiner Weise problematisch. Die dürfen lachen, dieses befreite und befreiende Lachen, wenn Gott sich Gehör verschafft bei uns. – Da sind sie wieder, diese Frühlingsgefühle. Und es scheint, als hätte der Gott Abrahams und Saras durchaus Sinn für solch ein Frühlingslachen, selbst bei uns Alten und möglicherweise sogar auch bei uns ernsthaften Protestantinnen und Protestanten. Es muss aber nicht immer dröhnende Heiterkeit sein. Es kann ja, weiß Gott, auch ein verhaltenes, spielerisch freies Lächeln sein, das Distanz anzeigt zu so einem resignativen Realismus, wie er sich in unseren alltäglichen Redensarten äußert, wenn wir z. B. gelangweilt und hoffnungslos sagen: So ist es nun eben einmal! Da kann man sowieso nichts machen! Du musst dich einfach mit den Gegebenheiten abfinden! – Es kann statt dessen ja auch ein Umspielen der Zwänge sein, ein Überspielen der Gegensätze oder ein spielerischer Umgang mit den Dingen und den Zahlen, begleitet von feinem Lächeln oder richtigem Lachen. Wenn mich nicht alles täuscht, finden wir auch noch weitere solche Befreiungsspiele in unserer Abrahamgeschichte: Wie viele Besucher sind es ei-­‐ gentlich wirklich bei Abraham: einer oder drei oder gar vier? Und wie viele sind es bei Lot: ein oder zwei Boten, oder noch ein dritter, der eigentliche Auftraggeber? Wenn wir nicht kurzschlüssig annehmen wollen, dass den Schreibern die-­‐ ser biblischen Geschichten solche widersprüchlichen Zahlen gar nicht auf-­‐ gefallen seien, oder dass sie an Dyskalkulie, also einer Art Zählstörung, lei-­‐ den, dann müssen wir doch Absicht dahinter vermuten. Könnte diese Ab-­‐ sicht nicht z. B. lauten: Klammert euch doch bloß nicht so an die Zahlen und M. Marquardt, Predigt über Gen 18,1-­‐19,29 in der Reihe „Abraham und Sara“ am Pfingstsonntag, 8.6.14 in der Antoniterkirche, Köln 6 verliebt euch nicht in Mückenkleckse! Hört doch heraus aus den diversen Varianten, was für ein vielstimmiges Frühlingslied hier angestimmt wird, wie die Krusten krachen und die Aufbrüche knacken. Ihr Alten seid noch lange nicht am Ende. Da kommt noch etwas. Eine neue Geschichte hebt an mitten unter euch, mit euch und – wenn ihr wollt – auch für euch! Diese ei-­‐ ne Stimme zählt. Und sie zu verstehen, das ist keine Rechenaufgabe! Und dann folgt das dritte spielerische Lächeln, wenn Abraham pokert und Gott lässt sich auf einen ziemlich dreisten Handel mit Abraham ein. Abra-­‐ ham, der Vater des Erbarmens, will eigentlich nicht, dass ganz Sodom und ganz Gomorra mit Mann und Maus vernichtet werden, selbst wenn sie noch so schlechte Menschen wären. „Wenn doch wenigstens 50 Gerechte in den Städten wären, dann doch wohl nicht?! – Na ja, vielleicht auch nur 45? – Nun, wenn wir schon handeln: Könnten wir nicht auch mit 40 einen deal machen? – Und selbst wenn es doch nur 30 wären, ginge das nicht auch noch? – Und wä-­‐ ren 20 etwa gar nichts in Deinen Augen? – Aber 10 Gerechte in Sodom und Gomorra sollten DICH, Gott, doch auch noch zum Einlenken bringen!“ Abraham hat ein spielerisches Verhältnis zu Zahlen. Für ihn scheinen fixe Zahlen nicht zu zählen. Abraham, dem Gott den Himmel mit den unzählbar vielen Sternen als Gleichnis vor Augen gehalten hatte (1. Mose 15,5), der Sterngucker Abraham ist der Freund der unzählig vielen und unvorstellbar schönen Möglichkeiten, die er Gott in jedem Fall noch immer zutraut. Und setzt sich dieser subtile Humor im Verhältnis zwischen der Abrahams-­‐ familie und ihrem Gott nicht in der Lotgeschichte sogleich fort? Achten wir doch einmal auf Lots Trägheit, wenn es um seine eigene Rettung geht. Das ist ja doch nur noch mit galligem Humor zu fassen. Lot wohnt mit seiner Familie in der Ebene von Sodom und Gomorra. Und nun hatten die beiden Gesandten ihm schon das endgültige Aus mit Feuer und Schwefel für Sodom und Gomorra angekündigt. Sie sind also von Stund’ an alle in akuter Le-­‐ bensgefahr. Sie wissen also genau Bescheid. Aber sie wollen es einfach nicht wahrhaben: „Aber seine beiden Schwiegersöhne glaubten, er scherze“ (19, 14). Merkwürdige Menschen, die genau informiert sind über herannahende Ge-­‐ fahren und die sich dennoch nicht darauf einstellen wollen! Merkwürdige Menschheit auch heute, die genau weiß, dass sie auf einem Vulkan tanzt, wenn sie ihren Lebensstil und ihr Wirtschaftsgebaren nicht radikal ändert, – und dennoch wird unbekümmert weiter getanzt! Schließlich leuchtet schon das Morgenrot über dem Horizont. „Morgenrot, leuchtest mir zum frühen Tod“. „Als nun die Morgenröte aufstieg, ... da packten die M. Marquardt, Predigt über Gen 18,1-­‐19,29 in der Reihe „Abraham und Sara“ am Pfingstsonntag, 8.6.14 in der Antoniterkirche, Köln 7 Männer ihn und seine Frau und seine beiden Töchter bei der Hand, weil der Herr ihn verschonen wollte“ (19,16). Gottes fast verzweifeltes Bemühen, die-­‐ se Menschen zu retten vor ihrem selbst verschuldeten Untergang. Was soll denn noch alles passieren, bis sie endlich begreifen?! • Klimakatastrophe? – Sie antworten: Das ist doch nur ein Hirngespinst der glatzglänzenden Eierköpfe! • Strahlender Atommüll? – Sie sagen: Den verklappen wir einfach in den Salzstock! • Bevölkerungswachstum, Migrantenschicksale? – Ihr Slogan heißt: Kinder statt Inder! • Flüchtlingsdramen? – Sie halten dagegen: Wir machen dicht durch Euro-­‐ sur! • Hunger? – Ihre Redensart geht so darüber hinweg: Man nimmt, was man kriegen kann! • Ungerechtigkeit? – Ihr Contra lautet: Bloß keine Diktatur der Gleichheit! Also die Lotleute hier und da, bei uns und in Sodom und Gomorra, begreifen einfach nicht den Ernst der Lage. „Als diese sie hinausgeführt hatten, sprach er (wir bemerken wieder dieses Fluoreszieren zwischen Einzahl und Viel-­‐ zahl der Akteure!): Rette dich, es geht um dein Leben. Blick nicht zurück und bleib in der ganzen Ebene nirgends stehen. Rette dich ins Gebirge, damit nicht auch du weggerafft wirst.“(19,17) Und nun hören Sie doch diesen so typischen Vertreter unserer ganzen zeit-­‐ genössischen Menschheit auch heute: „Lot aber sprach zu ihnen: Nicht doch, Herr!“ – Da sollen diese Lotleute vor dem eigenen Tod bewahrt werden; da soll ihnen sogar noch gegen ihren völlig absurden Widerstand trotz allem ge-­‐ holfen werden. Und was hören wir Lot als erstes sagen: „Nicht doch, Herr!“ Wir könnten nun Lot mit diesen Worten leicht zum Sprecher der ganzen heutigen Menschheit auch im 21. Jahrhundert ernennen: „Nicht doch, Herr! Sieh, dein Diener hat Gnade gefunden in deinen Augen, und du hast mir große Gunst erwiesen, dass du mich am Leben erhalten hast. Aber ins Gebirge kann ich mich nicht retten...“ (19, 18f). Hören Sie das? Es ist doch eigentlich nicht zu fassen! Der Mensch, der in akuter Lebensgefahr schwebt, der hier in letzter Minute herausgerissen werden soll, sagt als erstes einmal: „Nicht doch!“ M. Marquardt, Predigt über Gen 18,1-­‐19,29 in der Reihe „Abraham und Sara“ am Pfingstsonntag, 8.6.14 in der Antoniterkirche, Köln 8 Der Rabbiner Benno Jacob fragt in seinem Kommentar zu dieser Geschichte: Warum eigentlich nicht? Was hindert den Lot denn eigentlich, sich dort ins Gebirge zu retten? Der Rabbiner antwortet: Lot “fürchtet, dass, wenn er jetzt noch den Berg hinauf soll, ihn der Schlag rührt. ... Wir dürfen uns Lot, der im-­‐ mer ein Freund von gutem Leben war, als einen recht beleibten Herrn vorstel-­‐ len und die Szene ist bei allen Schrecken nicht ohne einen Anflug von Spott. Er keucht: ich kann nicht weiter!“2 Und wie vorher bei Abraham, wie später bei uns allen: Wir beginnen – wie immer seit Adam und Eva – einen Kuhhandel mit dem Himmel. Abraham handelt Gott herunter von 50 auf 10. Lot verhandelt seinen Zufluchtsort von den Bergen herunter in die Tiefebene, um sich die Mühe des beschwerli-­‐ chen Aufstiegs zu ersparen: „Sieh, diese Stadt da ist nahe, dahin kann ich fliehen, sie ist klein. Dorthin will ich mich retten. Ist sie nicht klein? So kann ich am Leben bleiben“ (19, 20). – Erinnert Sie das nicht alles auch an das Hüh und Hott mit unserem erneuerbaren Energiegesetz in Deutschland heute?! Das Gezerre um Trassen, das Dealen um Zahlen, das Verschieben von Entscheidungen! Und wieder beweist der Gott Abrahams und Saras Seine humorvolle Güte: „Da sprach er zu ihm: Sieh, auch dies will ich dir gewähren “ (19,21). Und so geht es, Gott sei Dank, dann am Ende auch für den „recht beleibten Herrn Lot“ doch noch gut aus, trotz all seiner Borniertheit. Frühlingsgefühle für die abrahamischen Alten und Rettung wider Willen für die Lotleute: Die Frühlingsgefühle der Alten geben uns Hoffnung für die kommenden Generationen: da kommt – hoffentlich! – noch etwas nach uns. Die Bewahrung wider Willen in Sodom und Gomorra macht uns Hoffnung für uns und unsere Zeitgenossen: es ist trotz Feuer, Schwefel und Salzsäule – hoffentlich – noch nicht alles verloren. Gottes Möglichkeiten lassen sich nicht auszählen. Dafür stehen Abraham und Sara, aber auch Lot und seine Kinder. Aber Sodom und Gomorra waren damals offensichtlich nicht mehr zu ret-­‐ ten. Und die Kinder Abrahams und Saras können sich angesichts der Ver-­‐ nichtung beider Städte ihre Lage genau so wenig schön rechnen wie die Leute aus Lots Verwandtschaft. Die Asche über der Ebene von Sodom und Gomorra und die zur Salzsäule erstarrte Frau Lot (das Bild der salzigen Säulenfrau ist ja nun schon auch 2 B. Jacob, Das Buch Genesis, Stuttgart 2000, S. 460 M. Marquardt, Predigt über Gen 18,1-­‐19,29 in der Reihe „Abraham und Sara“ am Pfingstsonntag, 8.6.14 in der Antoniterkirche, Köln 9 nur noch mit Galgenhumor zu ertragen!) sind gruselige Aspekte der Menschheitsgeschichte. Die weithin noch ungebremsten Mengen von CO2-­‐Wolken und Feinstaubbe-­‐ lastungen in unseren reichen Ländern und der irrsinnige jüngste Protest der amerikanischen Republikaner gegen Obamas sehr zaghaften Versuch, die CO2-­‐ und Kohlestaubbelastung aus amerikanischen Schornsteinen zu vermindern, zeigen beispielhaft, wie sehr wir heute den Einwohnern von Sodom und Gomorra noch immer erschreckend ähnlich sind. Die Frühlingsgefühle der beiden Alten, ihr zukunftsfrohes Lachen, Abra-­‐ hams tapferes Handeln mit Gott, indem er für die Rettung von Sodom und Gomorra eintritt, und des beleibten Herrn Lots Schnaufen, der nicht mehr gerne bergauf laufen wollte und nach einer bequemeren Art der Lebensret-­‐ tung sucht: in dem allem verbirgt sich die Hoffnung, es könnte doch noch passieren, dass Menschen aufwachen, zur Besinnung kommen und einen anderen Lebensstil einüben. Es könnte ja sein! Diese Abraham-­‐Lot-­‐Episode erinnert mich an eine Straße im englischen La-­‐ ke-­‐District mit seinen sehr steilen Pässen und mit den endlos scharfen Kur-­‐ ven. Oben stehen unübersehbar große Warnschilder: Lebensgefahr! Bitte herunterschalten! Langsam fahren! Sehr scharfe Kurven! Und wenn du endlich unten bist und in die letzte Haarnadelkurve kommst, dann siehst du etwa 50 Meter vor dir in der Wiese ein letztes gro-­‐ ßes Schild mit der Aufschrift „YOU HAVE BEEN WARNED!“ („Du wurdest gewarnt!“). Das ist der wunderbare britische Humor. Das ist auch eine biblische Weisheit dieser Abrahamsgeschichte. Amen Fürbitte DU Schöpfer des Lebens, DU Praktiker der Liebe, DU Geist ansteckender Freude, DIR danken wir, dass Abraham und Sara etwas zum Lachen hatten, dass Lot und seine Leute mit dem Leben davongekommen sind und dass wir Augen zum Sehen, Ohren zum Hören, Hirne zum Denken und Herzen zum Fühlen und Mitfühlen haben. Mein Gott, wir wissen – Gott sei Dank! – längst alles, was zum guten Leben nötig ist. Wir kennen die Zehn Worte vom Sinai; wir wissen, was Liebe ist und was M. Marquardt, Predigt über Gen 18,1-­‐19,29 in der Reihe „Abraham und Sara“ am Pfingstsonntag, 8.6.14 in der Antoniterkirche, Köln 10 sie bedroht; wir machen uns nichts mehr vor über die Grenzen unserer Welt, über die Bedrohung unserer Erde, über die Gewissheit unseres Ster-­‐ bens. Darum bitten wir, gib jeder und jedem Einzelnen hier den Geist, der Herz und Hirn, Hand und Fuß zusammen zu Konsequenzen bringt. So lass es doch Pfingsten werden für meinen Nachbarn und für mich. Und damit Pfingsten nicht zu privater Erbauung verkommt, tragen wir DIR heute auch dringend alle diese Namen von A-­‐X vor: Angela Merkel, Barak Obama, Baschar al-­‐Assad, Benjamin Netanjahu, David Cameron, François Hollande, Jean-­‐Claude Juncker, Mahmud Abas, Petro Poroschenko, Wladimir Putin, Xi Jinping, (si tsinping): Sie alle brauchen jetzt stellvertretend für die ganze Menschheit Geist von Deinem Geist, Liebe von Deiner Liebe und Kraft von Deiner Kraft, damit Deine Welt gerettet, die Schöpfung entwickelt und Pfingsten in aller Welt gefeiert werden kann. Vater unser ... Amen

Gehalten in der Antoniterkiche Köln, am Pfingstsonntag 2014

1 Das türkische Motto des Keupstraßenfestes für Toleranz zu Pfingsten 2014 in Köln: „GEMEINSAM“