Gerechtigkeit und Friede

Predigt zu Psalm 85

© Ulrika Bengtsson/freeimages.com

style="margin-left: 40px;">Könnte ich doch hören,
was Gott der HERR redet,
dass er Frieden zusagte seinem Volk und seinen Heiligen,
damit sie nicht in Torheit geraten.
Doch ist ja seine Hilfe nahe denen,
die ihn fürchten,
dass in unserm Lande Ehre wohne;
dass Güte und Treue einander begegnen,
Gerechtigkeit und Friede sich küssen;
dass Treue auf der Erde wachse
und Gerechtigkeit vom Himmel schaue;
dass uns auch der HERR Gutes tue
und unser Land seine Frucht gebe;
dass Gerechtigkeit vor ihm her gehe
und seinen Schritten folge. (
Psalm 85, 9-14)

>Liebe Gemeinde!

>Am 1. August 1914, also vorgestern vor genau 100 Jahren hat der 1. Weltkrieg begonnen. Wir alle konnten darüber schon viel in den verschiedenen Medien lesen, hören und auch sehen. Am Sonntag danach hat wie auch heute ein Gottesdienst hier in der Bergkirche stattgefunden, den wahrscheinlich einer der damaligen Pastoren dieser Gemeinde, Pastor Engels oder Ites gehalten hat. Worüber und wie mag damals gepredigt worden sein, habe ich mich gefragt. Wie mag es sein zu wissen, jetzt ist Krieg, nicht nur als Bild im Fernsehen, so wie für uns aktuell in diesen Tagen Krieg zu sehen in Israel – Palästina oder der Ukraine. Doch das ist weit weg.

>Vor hundert Jahren war das anders – alles ganz hautnah. Hieß Krieg doch auch für Menschen, die in dieser Kirche beieinander saßen: Wir selbst oder unsere Väter, Ehemänner oder Söhne werden in den Krieg ziehen und manche, vielleicht viele werden nie mehr zurückkommen. Wir wissen aus unserem Archiv. Nach dem 1. Weltkrieg und auch nach dem 2. Weltkrieg haben auch in unserer Bergkirche Epitaphe, Gedenktafeln mit den Namen der Gefallenen gehangen. Natürlich sind auch Männer dieser Gemeinde damals im Feld und in Gefangenschaft gestorben – und dazu viele Menschen, Männer, Frauen und Kinder zuhause. Was mag ein Pastor in so einer Situation, bei Ausbruch des Krieges wohl gesagt haben, wie mag seine eigene Einstellung zum Thema Krieg gewesen sein?

>Viele Prediger- Predigerinnen durften damals noch nicht auf die Kanzeln - werden versucht haben, künftige Soldaten und deren Familie mit Mut machenden Worten zu unterstützen. Aber es ist erstaunlich, jedenfalls aus der Sicht einer Nachgeborenen heute, wie die aussahen, wie damals gepredigt wurde, mit welcher Selbstverständlichkeit man sich aussprechen konnte für einen nötigen Krieg und das von Kanzeln herab und mit biblischer Rechtfertigung. Wir alle wissen um das berühmte „Gott mit uns“, das auf den Koppelschlössern der Soldaten gestanden hat. Es gab viele Predigten, die den Krieg rechtfertigten.

>Das muss man so zur Kenntnis nehmen. Doch es geht auf keinen Fall darum, aus der sicheren und komfortablen Warte von heute, immerhin nach fast 70 Jahren ohne Krieg - in unserem Land jedenfalls - über die Vergangenheit und Menschen und deren Einstellungen zu urteilen.
Das steht uns nicht zu – nicht in diesem Kontext und überhaupt nicht. Das Urteilen und Beurteilen müssen wir – christlich gesprochen - schon Gott selbst überlassen. Wir können nur gut hinsehen und hinhören.

>Und wenn wir heute Texte wie den Psalm 85, der unserer Predigtreihe den Titel geliefert hat , predigen, dann geht es zu allererst darum, einen Bibeltext - heute konkret, diese Psalmworte aus Psalm 85 - ernst zu nehmen, und das biblische Wort für uns heute auszulegen. Darum lassen Sie uns in den Psalm hineinschauen und in die Ursprungssituation, in die hinein diese Worte vor gut 3000 Jahren gesprochen wurden. Der Psalm 85, aus dem ich eben ein Stück, die Verse 9-14, also den letzten Teil vorgelesen habe, ist ein alttestamentliches Gebet des Volkes Israel.
Und es ist eine großartige Vision, ein gewaltiges Wort über Frieden und Gerechtigkeit.

>Es sagt: Gott hilft denen, die ihn den Herrn sein lassen in ihrem Leben. Denen schenkt er Güte und Treue, Gerechtigkeit und Friede. Eine Hoffnung damals für Menschen, die das Gegenteil in ihrer eigenen aktuellen Lebenssituation erfahren mussten... und die tiefe Einsicht, dass es das eine nicht gibt ohne das andere - Gerechtigkeit nicht ohne Friede und Friede nicht ohne Gerechtigkeit. Gipfelnd in den so schönen und berühmten Worten  „dass Gerechtigkeit und Frieden sich küssen“.

>Das, liebe Gemeinde, ist eigentlich ganz großes Kino... würden wir heute wohl sagen. Der berühmte Kuss am Ende eines Films, der signalisiert- jetzt ist alles gut. Ein Happy End, dass jede/r sich wünscht. Und je größer die Bedrohung, je dramatischer es vorher zugeht, um so größer ist am Ende die Sehnsucht nach Auflösung aller Irrungen und Wirrungen – denken sie an Clark Gable und Vivien Leigh in „Vom Winde verweht“ oder Leonardo Di Caprio und Kate Winslet in „Titanic“.

>Erleichterung, wenn es so kommt und alles gut ausgeht und umso verstörender, wenn ein Film kein Happy End hat und nach dem berühmten Kuss nicht alles gut wird. Psalm 85 – auch hier ganz großes Kino, liebe Gemeinde. Der berühmte Kuss am Ende: Die sich mit dem Frieden küssende Gerechtigkeit – auch der Psalm mit seiner Zeitgeschichte im Hintergrund gäbe ausreichend Stoff für einen Film, auch für das ganz großes Kino. Bevor es soweit ist, bevor Gerechtigkeit und Friede sich küssen können, wird auch dort gestritten und versagt, gestraft und versöhnt. Zwischen Zorn und Freude sind alle Gefühlszustände dabei.

>Denn der Psalm erzählt in seinem ersten Teil die Geschichte eines Volkes, des Volkes Israel, das Schuld auf sich lädt. Dass den, der ihm das Leben geschenkt hat, abgrundtief enttäuscht. Ein Volk, das darum alles verliert, was ihm wert und teuer ist. Es ist die Geschichte eines in Zorn entbrannten Gottes, eine Liebesgeschichte zwischen ihm und seinem Volk, die vor dem Aus zu stehen scheint.

>Doch dann kommt es ganz anders: Die Schuld wird vergeben, die Rückkehr in die Heimat, das verlorene Paradies, das vertraute Leben scheint wieder möglich. Aber zugleich zeigt uns der Psalm – so schnell geht das nicht, so schnell gibt es kein Happy End, auch wenn das die große Vision, der große Wunsch aller ist. Wir kennen das auch – wer wünschte sich nicht, auch in den aktuellen Konflikten – dass endlich Ruhe und Frieden herrscht für alle. Und wieviele Menschen mögen in den vergangenen Kriegen, nicht nur dem 1. Weltkrieg, nein zu allen Zeiten gefleht haben, dass endlich Friede herrscht. Doch die Verwirklichung ist noch nicht erreicht.

>Auch das Volk wartet im Psalm noch auf Erfüllung der Verheißung – darum sind im 1. Psalmteil die Worte in der Form der Bitte, der bangen Frage formuliert, ob das Happy End wirklich kommen wird. Im Psalm erfolgt dann im 2. Teil ein Wechsel in der Sprechrichtung. War es eingangs so, dass sich das Volk mit Dank und Bittte an Gott richtete, so ergreift nun ein Sprecher das Wort, der sagt: Gott wird sich seinem Volk wieder zuwenden – ich lese uns zur Erinnnerung noch mal ein paar Zeilen.

style="margin-left: 40px;">„Doch ist ja seine Hilfe nahe denen, die ihn fürchten,
dass in unserm Lande Ehre wohne;
dass Güte und Treue einander begegnen,
Gerechtigkeit und Friede sich küssen;
dass Treue auf der Erde wachse
und Gerechtigkeit vom Himmel schaue;
dass uns auch der HERR Gutes tue
und unser Land seine Frucht gebe;
dass Gerechtigkeit vor ihm her gehe
und seinen Schritten folge.“

>Wenn es ein Wort gibt, das neben dem Wort „Barmherzigkeit“ in besonderer Weise mit Gott in Verbindung zu bringen ist in der hebräischen Bibel und im Alten Testament, dann ist es das Wort „Gerechtigkeit“, liebe Gemeinde. Gott ist der, der Recht und Gerechtigkeit liebt. Friede, Schalom, ist nur denkbar als Frucht der Gerechtigkeit. Darum liegt Gott nichts so sehr am Herzen, als dass Gerechtigkeit unter den Menschen wohnt. Gerechtigkeit im biblischen, im göttlichen Sinn ist aber anders als das, was wir gemeinhin unter Gerechtigkeit verstehen.

>Stellen Sie sich eine spontane Umfrage vor: Was würden die meisten antworten auf die Frage nach der Gerechtigkeit. „Jeder kriegt, was er verdient hat.“ vielleicht oder „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ oder Strafe für Vergehen oder genauso viel Gummibärchen für dich wie für mich.“ Alles denkbare, aber Menschen gegebene Antworten. Gottes Gerechtigkeit meint etwas anderes – sie ist immer Gemeinschaftsgerechtigkeit. Hat immer das Zusammenleben der Menschen auf allen Ebenen des Lebens und Arbeitens im Blick.

>Da geht es nicht darum, dass der eine gegen den anderen Recht bekommt, dass alles gleich verteilt ist, dass ein Krieg für eine scheinbar gerechte Sache geführt wird und billigend Tote in Kauf genommen werden. Nein vielmehr geht es darum, das Leben so zu regeln, dass es dem Lebensbedürfnis eines jeden gerecht wird, dass jeder Raum hat, sich und seine Gaben und Fähigkeiten zu entfalten, dass jeder die Möglichkeit hat, selbstbestimmt sein Leben zu gestalten und in Frieden zu leben.

>Das Gegenbild dazu ist das Darwin‘sche „Survival of the fittest“, wo der Stärkste, der Klügste, der Einfussreichste, der Reichste das Maß aller Dinge ist und über den Schwachen siegt.  Das ist keine Gerechtigkeit – das ist kein Friede...sagt Psalm 85. Und davon sind wird auch heute noch weit entfernt, auch wenn wir hier vor Ort nicht im Krieg leben. Vielleicht weiter denn je – auch ohne Krieg und Waffen. Gerechtigkeit und Friede heißt für uns hier konkret auch:

>Immer nach dem Ausgleich suchen  zwischen Schwachen und Starken, sei es auf dem Gebiet der Bildung, der Herkunft, der wirtschaftlichen Möglichkeiten... eine wahrhaft große Aufgabe - auch in unserem Land. Und wenn Gerechtigkeit Gemeinschafts-gerechtigkeit ist – nicht nur vor Ort in unserer Gesellschaft und unserem eigenen Land, sondern weltweit. Dann können wir nach Gottes Willen und seiner Gerechtigkeit gar  nicht mehr anders als in globaler Verantwortung fragen, dann müssen wir uns den Kriegsbildern aus anderen Regionen dieser Erde stellen, Kriegsflüchtlinge aufnehmen und uns nicht überfordert fühlen, wenn Menschen anderer Hautfarbe und Herkunft und Kultur unter uns und mit uns ihr Leben leben wollen.

>Unser Problem ist, dass wir zwar technisch in der Lage sind, jederzeit überall in der Welt zu sein, aber unsere Seele ist noch nicht nachgekommen ist. Aber wenn wir wirklich Frieden wollen, in Frieden leben wollen, dann müssen wir den Blick zu weiten. Große Aufgaben, die es zu stemmen gilt – und die mehr sind als der Seufzer, dass wir ja heute hier in Frieden leben dürfen... und weltweit nicht alle Probleme lösen können.

>Ich glaube, wir können nicht dankbar genug dafür sein, dass wir heute in dieser Kirche sitzen und nicht wie vor 100 Jahren über den Beginn eines Krieges nachdenken müssen und darüber, was das wohl persönlich für uns bedeuten mag, dass wir nicht unsere toten Kinder zu Grabe tragen müssen wie im Gazastreifen. Und trotzdem- woanders geht es anders zu. Das schöne Bild von Gerechtigkeit und Frieden, die sich vereinen und küssen, bleibt das in dieser Welt nicht immer nur ein schöner Traum? Ein frommer Wunsch? Oder wie damals schön im Psalm eine große Vision?
Ich glaube nicht, liebe Gemeinde.

>So wie die Psalmbeter damals sind auch wir im Modus des Wartens: Ein Gebet, ein Lied an den großen Gott, dessen Möglichkeiten so viel größer sind als unsere. Der Kuss von Gerechtigkeit und Frieden ist auch eine göttliche Verheißung , ein Versprechen... und sie kann und wird hier und da jetzt schon Wirklichkeit werden... und einst in der Vollendung.

>Es ist ein visionäres Bild – gewiss – aber eines, das hoffentlich auf uns große Anziehungskraft behält. Der Beter dieses Psalms und damit auch wir sind getragen von der Sehnsucht auf diese Verheißung hin, auf ein großes Happy End, auf den Kuss von Gerechtigkeit und Frieden.... zum Glück möchte ich sagen. Diese Sehnsucht nach dem wahren Leben, gelungenem und friedlichem Leben bleibt und brennt in uns, die Sehnsucht nach der Auflösung aller Ungerechtigkeiten und der Verschmelzung mit dem Frieden.

>Im Kino und im wahren Leben muss der Weg voll von Enttäuschungen und Missverständnissen immer wieder erst noch durchschritten werden – im Großen und im Kleinen. Die Sehnsucht hin zum erlösenden Kuss lässt uns im Kino zittern und mitleiden und am Ende aufatmen. Diese Sehnsucht lässt uns als Christen singen und beten und uns tatkräftig und voller Hoffnung auf Gottes großes Versprechen zugehen und mit unseren kleinen Kräften Frieden schaffen ohne Waffen... auf das am Ende „Friede und Gerechtigkeit sich küssen“ wie es uns verheißen ist.

>Amen.

>Gehalten in der Evang.-reformierten Gemeinde Osnabrück, Bergkirche, August / September 2014


Pfr. Ilse Landwehr
Krieg und Frieden 1914 - 2014

6 Predigten aus der der Evang.-reformierten Gemeinde Osnabrück, Bergkirche, August / September 2014