Liebe Gemeinde,
Biblische Geschichten sind über dem Erzählen gewachsen – gewachsen mit Menschen, die sie gehört und weitererzählt haben. Und mit den Geschichten sind Generationen von Menschen aufgewachsen. Die Geschichten haben Farbe angenommen von denen, die sie erzählten. Und die Geschichten haben die Menschen gebildet und ihnen geholfen, Gottes Geschichte mit ihnen und so auch sich selber zu verstehen. Über die Grenzen der eigenen Generation hinweg wollte Gott selbst in den Geschichten zu Wort kommen. Davon gingen die Erzähler aus.
In diesem Sinn soll uns heute eine Geschichte mitnehmen, die im ersten Buch Mose zu lesen ist: Genesis 21, 22-34. Sie erzählt von einem Zusammentreffen Abrahams mit Abimelech. Abraham ist mit seiner Familie und seinen Schafen, Ziegen und Rindern weiterhin unterwegs, ein umherziehender Migrant im fremden Land nach Gottes Befehl. Abimelech herrscht als König in Gerar, einem Stadtstaat der Philister. Der lag etwa in der Mitte zwischen der heutigen israelischen Stadt Beerschewa und dem heutigen palästinensischen Gaza.
Zwar waren die Philister zur Zeit, in der die Abraham-Geschichten spielen, noch gar nicht im Land – sie wanderten erst später in Palästina ein. Aber die Späteren in Israel, die die Geschichte hörten und erzählten – sie kannten die Philister aus ihrer eigenen Lebenszeit oder auch vom Erzählen und wussten von den Streitigkeiten mit ihnen. So sind Ältere und Jüngere in der uns überlieferten Geschichte zusammen gekommen.
Und von dem Namen der Philister lässt sich der Name der Palästinenser ableiten.
Der König Abimelech ist uns in der Geschichte von Abraham schon einmal begegnet. Da hatte Gott mit ihm geredet, um Abrahams Frau Sara vor seinem Übergriff zu bewahren. Und er, der Philister, hatte auf den Gott Abrahams gehört und Abraham um seine Fürbitte gebeten. Abimelech hatte Abraham dann Wohnrecht in seinem Land angeboten und ihn reich beschenkt. Obwohl Abraham ihn damals doch getäuscht und ihm verheimlicht hatte, dass Sara seine Frau sei. Und nun treffen sie wieder zusammen. Abraham und Abimelech. Und der hat Pichol mitgebracht, den Anführer seiner Bewaffneten.
Abimelech will reden. Er ergreift das Wort. Und sagt: Gott ist mit dir in allem, was du tust. Und nun schwöre mir hier und jetzt bei Gott, dass du mich nicht hintergehst noch meine Kinder noch deren Nachkommen. Wie ich dir Loyalität erwiesen habe, so sollst du auch an mir tun und an meinem Land, in dem du ein Fremder bist. Abimelech von Gerar will einen Nichtangriffspakt mit dem Wanderhirten Abraham schließen. Und gibt dazu eine erstaunliche Begründung: Gott ist mit dir in allem, was du tust. Genau das ist dem Philisterkönig unheimlich.
Wenn Gott mit Abraham ist, dann ist dieser Fremde in meinem Land nicht mehr kalkulierbar. Dann helfen mir auch meine Bewaffneten nicht. Hat Abraham mich doch schon einmal hintergangen – so mag Abimelech gedacht haben - und es ist ihm dank seines Gottes zum Guten ausgeschlagen und auch ich bin damals heil davon gekommen. Eben das soll mir für die Zukunft eine Lehre sein:
Ist Gott mit Abraham in allem, was er tut - dann ist für alle höchste Aufmerksamkeit geboten. Dann kann das für uns andere höchst gefährlich werden. Wer sich an Abraham, dem Gesegneten, vergreift, vergreift sich dann an Gott selbst. Wer diesem Fremden im Land Gewalt antut, vergeht sich am lebendigen Gott. Denn Gott ist auf Abrahams Seite und gibt ihn nicht auf.
Der Philister Abimelech ist uns schon in der vorhergegangenen Geschichte als ein sensibler Mann und Herrscher begegnet. Er hört auf den Gott Abrahams aus seinem Interesse am eigenen Überleben. Nocheinmal - Abimelech hat gemerkt: Mit Abraham verbindet sich ein Geheimnis. Dem gerät alles zum Guten. Das ist nicht normal. Das hat vielmehr mit Gott zu tun.
Abimelech versucht nicht, dieses Geheimnis zu ergründen. Er respektiert es einfach als gegeben. Mag er selbst diesen Gott auch gar nicht verehren, sonst auch gar nichts mit ihm zu tun haben. Nur schätzt der Philisterkönig die Kräfteverhältnisse nüchtern ein: Wenn Gott auf der Seite Abrahams ist, kann ich auf der Gegenseite nur verlieren. Das sieht er und baut weitsichtig und umfassend vor. Für seine Zukunft. Für die Zukunft seiner Kinder und Kindeskinder, für sein Land.
Schwöre mir jetzt und hier, dass du mich nicht hintergehst! – verlangt er von Abraham. Abimelech hat Abrahams Täuschungsmanöver bei der Geschichte mit Sara nicht vergessen. Abimelech erinnert Abraham an die Loyalität, die er selbst ihm und Sara erwiesen hat: Ich habe deine Interessen und Rechte geachtet. Handle so jetzt auch an mir, an meinen Kindern, an meinem Land! Schwöre mir das bei Gott! – sagt Abimelech. Klug ausgedacht ist das. Wenn Abraham ihm das „bei Gott“ schwört, dann ist Abimelech einbezogen in den Schutz und Segen des Gottes Abrahams.
Schwöre mir bei Gott, der mit dir ist in allem, was du tust. Damit dieses „Gott-mit-dir“ nicht zum Feuer wird, das mich verbrennt und mein Land. Mal kein „Gott-mit-uns“ auf Koppelschlössern von Soldaten, die andere Soldaten schlagen sollen, hier vielmehr das „Gott-mit-dir“ als Anreiz und Hinleitung zum Nichtangriffspakt! Abraham geht darauf ein: Ich schwöre – antwortet er. Da nahm Abraham Schafe und Rinder und gab sie Abimelech. Und sie schlossen einen Bund - die zwei: Einer soll den andern nicht antasten. Mit der Gabe der Herdentiere will Abraham das wohl bekräftigen.
Soweit das Grundsätzliche. Die großen Schwüre auf beiden Seiten. Ein anderes sind die alltäglichen Lebensprobleme. Da wollen die Grundsätze gelebt werden. Hier in unsrer Geschichte schließt das eine hart an das andere an. Streit um Wasserbrunnen. Wasser ist das Lebenselement in heißer Wüstengegend. Für Sesshafte und für Umherziehende, die von ihren Viehherden leben. Wasser wird – wo es knapp ist – umkämpft. Damals wie heute.
Abraham stellte Abimelech zur Rede wegen eines Wasserbrunnens, den die Knechte Abimelechs an sich gerissen hatten. Angeblich.
Abimelech antwortete: Ich weiß nicht, wer das getan hat. Und auch du hast mir davon nichts berichtet. Und ich habe bis heute auch nichts (davon) gehört. Weiß Abimelech wirklich nichts? Oder stellt er sich ahnungslos, um selber in diese Geschichte nicht hineingezogen zu werden? Wer weiß das schon! Aber sein Gegenüber weiß zu parieren: Und Abraham stellte sieben Schaflämmer beiseite.
Abimelech ist verblüfft. Er fragt nach: Was sollen hier diese sieben Lämmer, die du beiseite gestellt hast? Abraham antwortet: Sieben Schaflämmer sollst du von meiner Hand nehmen, damit mir das zum Zeugnis diene, dass ich diesen Brunnen gegraben habe. Abraham bietet ein Geschenk an. Das ist geschickt. Wie soll Abimelech nicht gerne das Geschenk annehmen? Nur ist das nicht ohne Hintersinn: Wenn Abimelech Abrahams Gabe annimmt, soll das bezeugen: Er erkennt Abrahams Rechtsanspruch am Brunnen an. Abimelech ist damit dann gebunden. Dahinter steht vermutlich ein alter Rechtsbrauch.
Das Geschenk soll dem Brunnen seinen Namen gegeben haben: Siebenbrunnen. Beer-Scheba. Wegen der sieben Lämmer. Denn sieben heißt Scheba. Und Beer Brunnen. Der Wortstamm Schaba aber heißt schwören. So wird der Name Beer-Scheba in unserer Geschichte auch noch anders gedeutet. Als Schwurbrunnen. Wegen des zuerst erzählten Bundes, den Abraham und Abimelech hier miteinander geschlossen haben. Dann stehen sie auf und gehen: Der Philisterkönig mit seinem Hauptmann Pichol zurück in ihre Stadt Gerar. Abraham bleibt in Beer-Scheba. Er pflanzte in Beer-Scheba eine Tamariske – heißt es. Warum gerade einen Tamariskenbaum, weiß ich nicht.
Zwei Halbverse weiter lese ich: Und Abraham war ein Fremder im Philister-Land – eine lange Zeit. Den Baum könnte Abraham gepflanzt haben, weil er sich einrichtete auf eine lange Fremdlingsschaft im Land. Bäume pflanzt man auch für Kinder und Kindeskinder. Den Baum könnte er auch gepflanzt haben mit der beilaufenden Absicht, dem Land keinen Schaden, sondern Gutes zu tun. Wie er dem Philisterkönig geschworen hatte. Denn jeder, der in Wüsten einen Baum pflanzt, tut dem Land Gutes. Oder ist das eine zu moderne Ausdeutung?
Ich denke daran, dass Jahrhunderte später der Prophet Jeremia (Kap. 29) seinen Landsleuten in der Fremde rät: Suchet der Stadt Bestes – da, wo ihr jetzt lebt. Das war die ganz andere Fremde des babylonischen Exils. Und dann steht da im Zusammenhang mit der Baumpflanzung in Beer-Scheba der Satz: Abraham rief da an den Namen des HERRN – des ewigen Gottes. Wir finden auch woanders erzählt, dass die Väter an den Rastplätzen und Stationen ihrer Wanderschaft den Namen Gottes angerufen haben. Aber nur hier erhält der mit den vier Buchstaben bezeichnete Gott Abrahams den Beinamen: der ewige Gott – oder der Gott von Urzeit an und in alle Ewigkeit.
Vielleicht – so ist in der Auslegung gemutmaßt worden – wurde in Beer-Scheba, schon bevor Abraham ins Land kam, ein Gott der Urzeit verehrt. Und Abraham, der Migrant nach Gottes Willen, kommt hierher und nennt seinen Gott mit dem fremden Gottesnamen, den er hier an diesem Ort vorfindet. So wird hier erzählt. Als sei es überhaupt kein Problem, den eigenen Gott auch mit dem Gottesnamen der Fremden zu nennen und anzurufen. Als würden wir unsern Gott heute Allah nennen. Wie ja auch schon der Philisterkönig keinen Unterschied gemacht hatte zwischen seinem Gott und Abrahams Gott.
Nicht in allen Geschichten und Überlieferungen der Bibel ist das so. Manchmal liest es sich in der Bibel auch erschreckend anders. Aber hier ist das so. Von den Abraham- und Sarageschichten im 1. Buch Mose hat eine Auslegerin gesagt: Die Tora beginnt mit einem integrativen Konzept. Wenn wir das hören, könnten wir seufzen: Ist in dieser Abrahamsgeschichte alles einfacher als für uns heute? Da trennt die Religion gar nicht Fremde und Einheimische. Und die einen stoßen die andern nicht in Gottes Namen von sich.
Kann es nicht so sein, dass hier beide mit dem einen und selben, dem lebendigen Gott Abrahams zu tun gekriegt haben? Und sie haben sich darauf eingestellt – gerade Abimelech. Wie armselig wäre es auch, wenn jeder sich seinen eigenen Gott zurechtmachen könnte! Dabei staune ich über den Realismus des Philisterkönigs. Abimelech stellt sich in weitsichtiger Politik darauf ein: Mit Abraham ist Gott. Und dieser Realismus führt zum Reden miteinander, zum Verhandeln, zum Nichtangriffspakt, zum Bündnis. So dass beide friedlich schiedlich im Land leben können – der Migrant Abraham und die Landbesitzer aus der Philisterstadt.
Der israelische Schriftsteller David Grossmann hat kürzlich einen Artikel veröffentlicht - in Deutsch unter der Überschrift: „Die Verzweiflung ist unser Untergang“. Er beschreibt die Verzweiflung als eine Macht, die sich die Gesellschaft und Regierung im heutigen Israel unterworfen hat, eine Macht, die die Menschen gefangen hält und lähmt und sagen und denken lässt: Für uns kann es ja gar kein friedliches Auskommen mit den Palästinensern geben, für uns kann es ja gar nicht gut gehen.
Wenn die Verzweiflung angesehen wird wie ein Naturgesetz, das man nicht hinterfragen kann, ist jede Hoffnung unrealistisch, Träumerei oder gar Subversion. Solche Verzweiflung ist manchmal ansteckend. Auch für uns. Und es wird unheimlich, wenn wir dann die Verzweiflung so eine Macht über uns gewinnen lassen, dass sie uns nicht mehr loslässt aus ihren Krallen. David Grossmann setzt dagegen auf eine realistische nüchterne hartnäckige Hoffnung. Er bezieht sich dabei nicht ausdrücklich auf die jüdische Bibel.
Aber seine und unsere Bibel hat hierzu etwas zu sagen. Auch diese Geschichte hier. Wenn der Philister Abimelech recht hat, ist es gerade nicht realistisch, der Verzweiflung die Macht zu lassen oder ihren Schwestern: der Resignation und der Gleichgültigkeit, die uns angesichts der Weltlage so leicht überkommen. Wenn Abimelech, der Philisterkönig, recht hat, ist es viel mehr realistisch, mit diesem Gott Abrahams zu rechnen. Und Platz zu suchen unter seinen Flügeln. Und darum aufeinander zuzugehen. In Gottes Segen für Abraham ist Platz auch für den Philister und seine palästinensischen Nachkommen und für das Land. Von seinem Segen könnten beide profitieren.
Hat Abimelech denn recht? Gewährleisten kann das nur der lebendige Gott selbst. Aber wir sollen es ihm wohl zutrauen. Und ihn bitten, dass er selbst den Gottesbeweis führt. Damit die Hoffnung Wind unter die Flügel bekommt. Denn das dürfen wir ja nie vergessen: Mit Abrahams Gottesgeschichte hat sich eine Hoffnung verbunden. Denken wir nur an den lang erwarteten und erst im hohen Alter geborenen Nachkommen. Auf diesen Gott ist zu hoffen, wo nichts zu hoffen ist.
Für den Juden Paulus war das ein Schlüssel, die Geschichte Jesu Christi zu verstehen: Hoffen, wo nichts zu hoffen ist.
Amen
Gehalten am 14. September 2014 in der Antoniterkirche Köln