Die Kirchen müssen die Weltwirtschaft verstehen

Erfahrungen der Kirche im neuen Südafrika

Eddie Makue, Generalsekretär des Südafrikanischen Kirchenrats (SACC) im Gespräch mit Ahlerich Ostendorp, Pastor der Projektstelle Globalisierung der Evangelisch-reformierten Kirche.

 

Welche Rolle spielt die Kirche im neuen Südafrika?

  • Seit dem Ende des Apartheidsystems hat sich vieles grundlegend verändert. Die Welt ist anders geworden, vor allem aber hat sich Südafrika grundlegend verändert. Deshalb ist auch die Rolle der Kirche im Neuen Südafrika in manchem anders geworden. Prägend aber bleibt für uns die Erfahrung des Kampfes gegen das Unrechtssystem der Apartheid. In diesem Kampf waren wir eine Kirche auf der Seite des Volkes, eine Kirche auf der Seite der Armen. Und wir sind heute noch eine Kirche auf der Seite der Armen, denn von Jesus lernen wir seine besondere Solidarität mit den Armen und Marginalisierten.

Die Welt hat sich geändert. Stichwort "Globalisierung". Gibt es in der Zeit der wirtschaftlichen Globalisierung noch die prophetische Stimme der südafrikanischen Kirchen?

  • Zu Fragen der Globalisierung gibt es eine gute Zusammenarbeit mit dem Evangelischen Entwicklungsdienst in Deutschland, mit Brot für die Welt und mit anderen kirchlichen Organisationen. Aber leider gibt es zu den Problemen, die die Globalisierung mit sich bringt, kaum Gespräche mit den Kirchenleitungen der Kirchen in Deutschland. Das ist nicht gut. Wir müssten miteinander über unsere Einschätzungen und über unsere gemeinsamen Interessen in Hinblick auf die Globalisierung reden. Von dem, was aus Deutschland kommt, beeindruckt uns sehr, was Ulrich Duchrow zur Weltwirtschaft geschrieben hat.
    Aber der SACC tut auch etwas für unser Land. Wir haben zwei Institutionen gegründet, die sich mit den Auswirkungen der neoliberalen Wirtschaftsform beschäftigen. In diesem Haus arbeitet ESSET, Ecumenical Services for Social Economic Transformation (Ökumenischer Dienst für soziale und wirtschaftliche Veränderung). ESSET arbeitet überwiegend auf der theoretischen Ebene. Es hilft den Kirchen, die wirtschaftlichen Zusammenhänge und Mechanismen zu verstehen, die die Weltwirtschaft heute beherrschen. Heutzutage ist es wichtig, die Wirtschaft zu verstehen. Nur wenn wir die wirtschaftlichen Mechanismen verstehen, können wir kompetent unsere Stimme erheben (informed voice). Eigentlich müssten wir Wirtschaftslehre zum Inhalt des Theologiestudiums machen.
    Die zweite Institution des SACC, die sich mit der Globalisierung beschäftigt ist "Bench Marks Foundation for Southern Africa". Hier geht es mehr um praktische Fragen. Es geht um christlich verantwortbare Geldanlagen und um die Kriterien für ethisches Investment. Unser Anliegen ist, dass der Kapitalfluss in Südafrika dem ganzen Volk zu Gute kommt und nicht nur den Unternehmen. Konkret bedeutet das, dass wir mit den großen Unternehmen das Gespräch suchen über das, was man heute Corporate Social Responsibility und Corporate Social Investment nennt. Manche Firmen tun da schon einiges in die richtige Richtung, z.B. auch die deutsche Firma Daimler-Chrysler. Aber wir sind der Meinung, das ist noch nicht genug. Unsere wichtigste Frage lautet jeweils: Welchen Beitrag leistet ein Unternehmen dazu, dass es den Armen besser geht?

Kirche als Stimme der Armen gegenüber den großen Wirtschaftsunternehmen, das ist die eine Seite, die andere Seite ist das Verhältnis der Kirche zur Regierung.

  • Wir verstehen uns auch auf diesem Feld als Anwalt der Armen. Wir fordern von der Regierung in bilateralen Gesprächen, aber auch in öffentlichen Erklärungen einen Staatshalt zugunsten der Armen ("pro poor budget"). Und deshalb prüfen wir jeden Haushaltsentwurf der Regierung darauf, ob er den Interessen der Armen dient. Wenn nicht, suchen wir das Gespräch mit der Regierung und gehen gegebenenfalls auch in die Öffentlichkeit. Unser kritischer Blick auf den Haushalt richtet sich vor allem auf die Bereiche Bildung, Gesundheitswesen und Sozialleistungen.

2010 findet die Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika statt. Ist das eine Chance für das Land?

  • Auch in diesem Zusammenhang fragen wir, ob die Armen davon profitieren können. Ganz kritisch betrachten wir die riesigen Ausgaben für die Infrastruktur, weil wir noch nicht erkennen, wie das denen hilft, die kein menschenwürdiges Leben führen können. Wenn ich die Politik der FIFA richtig verstehe, dann wir z.B. ein südafrikanischer Bierproduzent nicht einmal die Chance bekommen, sich als offizielle Bier-Marke der WM zu bewerben. Aber ich bin mir sicher, die kleinen Leute werden in den Städten der Fußball-Weltmeisterschaft ganz viele kleine Stände aufbauen und ihre Sachen irgendwie verkaufen. So profitieren sie dann doch von der WM.

Asien, besonders China und Indien, gilt als Gewinner der Globalisierung, Afrika als Verlierer. Was machen die Asiaten richtig und was machen die Afrikander falsch?

  • So einfach ist das nicht. Die Bedingungen in Asien und Afrika waren und sind ganz andere. Afrika ist viel reicher an Bodenschätzen und anderen Ressourcen als die asiatischen Staaten, die Sie gerade nannten. Diese Reichtümer Afrikas weckten schon immer das Interesse der Länder Europas. Sie waren doch der Hauptgrund für die Kolonialmächte, Afrika auszubeuten. Das hat sich bis heute nicht verändert. Und das trifft so auf Asien nicht zu. Hinzu kommt: Der Welthandel ist ja nicht frei, auch wenn die Europäer und US-Amerikaner das immer behaupten. Sie zwingen die afrikanischen Staaten dazu, ihre Märkte für die Unternehmen aus ihren Ländern zu öffnen, lassen unbearbeitete Rohstoffe aus Afrika ungehindert auf ihre Märkte, verschließen aber ihre Märkte für verarbeitete Rohstoffe und Agarprodukte aus Afrika.

Die Evangelisch-reformierte Kirche hat im letzten Jahr "Globalisierung" zum Schwerpunktthema erklärt. Wir beginnen gerade mit unserer südafrikanischen Partnerkirche, der Uniting Reformed Church in Southern Afrika (URCSA), die gemeinsame Arbeit zur Globalisierung. Dabei wird das "Bekenntnis von Accra" aus dem Jahr 2004 eine zentrale Rolle spielen. Die Erklärung von Accra des Reformierten Weltbundes lehnt die sogenannte neoliberale Wirtschaftsordnung entschieden ab. Gibt es eine grundlegende Alternative zur Markwirtschaft oder müssen wir uns nicht auf die soziale Ausgestaltung der Marktwirtschaft konzentrieren?

  • Ich bin Pfarrer der URCSA, also auch reformiert. Das Bekenntnis von Accra ist für uns in Südafrika, und nicht nur für die reformierten Kirchen in Südafrika, von nicht zu überschätzendem Wert. Wir sind glücklich, dass die Generalversammlung des Reformierten Weltbunds so klar und unzweideutig Position für die Armen ergriffen hat. Natürlich werden wir uns auch für einzelne Schritte zu mehr sozialer Gerechtigkeit einsetzen. Aber glauben Sie, der Kapitalismus sei mit der Bibel zu begründen? Wir Christen müssen trotzdem (in den Augen der Welt) Narren (fools) sein. Pfingsten liegt doch noch nicht lange zurück. Wir orientieren uns an der urchristlichen Gemeinde und ihrer Wirtschaft zugunsten der Armen, wie es in Apostelgeschichte 2 beschrieben ist. Mit Hilfe des Heiligen Geistes können wir die Welt verändern.

 

Eine bearbeitete Fassung des Interviews vom 1. Juni 2007 erschien in der Zeitschrift Junge Kirche.