Die veränderte gesellschaftliche Situation „setzt auch Ängste frei, die eine Realität sind, gleich ob man sie teilt oder nicht“, schreibt der Vorsitzende des Rates der EKD, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, in seinem Vorwort. „Gegen solche Ängste helfen aber nur Aufklärung und Dialog, Eintreten für Minderheiten und Stärkung der demokratischen Kultur.“ Hierzu könne der Grundlagentext Orientierung bieten.
Christoph Markschies, Vorsitzender der Kammer für Theologie der EKD, fasst die Leitthese des Textes zusammen: „Eine neutrale Position über allen Religionen ist nicht möglich. Ein positives Verständnis religiöser Vielfalt wird gerade dadurch möglich, dass wir leidenschaftlich für unsere eigene Glaubensüberzeugung einstehen und die innere Freiheit spüren, anstatt Identität aus Abgrenzung zu gewinnen.“ Dabei betont Markschies diese Freiheit als eines der reformatorischen Grundmerkmale.
Der Grundlagentext erläutert die evangelische Sicht auf die Kultur der unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen: „Ein positives Verständnis religiöser Vielfalt zielt letztlich auf eine Stärkung evangelischer Identität, die sich im Dialog und nicht in der Abkapselung entwickelt.“ Im Text wird betont, dass mit dieser Offenheit keine Gleichgültigkeit gemeint ist: „Ein achselzuckendes Hinnehmen der bunten Vielheit der Kulturen und Religionen, das in gleichsam touristischer Wahrnehmung unbekümmert auf gewohnten Wegen bleibt, vermag jedoch nicht zu überzeugen.“ Auch die Behauptung, „alle glaubten im Grunde doch dasselbe“ lehnt der Text ab.
Der Darstellung des Verhältnisses zum Islam und zum Judentum kommt in dem Grundlagentext eine besondere Bedeutung zu. Martin Hauger, Referent für Theologische Grundsatzfragen im Kirchenamt der EKD, unterstreicht die Bedeutung des gelebten Dialoges der Religionen: „In einer Situation, in der das Zusammenleben mit Angehörigen anderer Religionen immer mehr zur Alltagserfahrung wird, bedarf es für den Umgang miteinander interreligiöser Kompetenz. Interreligiöse Gemeinschaft darf nicht zum Bruch mit der eigenen Identität oder zur Verletzung der Integrität des anderen führen.“ Der Grundlagentext widmet sich daher auch praktischen Fragen wie dem Zusammenleben in einer interreligiösen Ehe, der Möglichkeit gemeinsamen Betens und der Frage, wie die Kirche ihre diakonischen Angebote weiter für Angehörige fremder Religionen öffnen kann.
„Christlicher Glaube und religiöse Vielfalt“ spricht sich für eine öffentlich verantwortete Theologie aus. Dies sei die Grundlage für Verständigungsversuche und Übersetzungen zwischen den Religionen, aber auch darüber hinaus: „das Verständnis des Grundgesetzes von einer religionsfreundlichen Offenheit des Gemeinwesens“ zu erhalten und im europäischen Kontext zu nutzen ermögliche eine Gesellschaft, in der Vielfalt mehr Reichtum als Risiko werden könne. Die Religionsgemeinschaften seien aufgefordert, ihre Rechte im Dialog weiterzuentwickeln und sich der Auseinandersetzung in einer offenen Gesellschaft zu stellen.
„Christlicher Glaube und religiöse Vielfalt“ setzt die Reihe der Grundlagentexte zum Reformationsjubiläum (Rechtfertigung und Freiheit, 2014) und zur Kreuzestheologie (Für uns gestorben, 2015) fort. Wie diese versteht er sich als Impuls zum Gespräch und zur Verständigung über die geistlichen und theologischen Grundlagen der evangelischen Kirche auf dem Weg zum Jubiläumsjahr 2017.
Der Text „Christlicher Glaube und religiöse Vielfalt in evangelischer Perspektive“ steht im Internet als Download zur Verfügung.
Hannover, 12. Juni 2015
Pressestelle der EKD
Claudia Maier