Herr Schilberg, Kirchenvorstand, Klassentag, Synode – die Strukturen der Lippischen Landeskirche mit ihren Mitbestimmungsmöglichkeiten erinnern an aktuelle politischen Strukturen. Wo sehen Sie Ähnlichkeiten und wo Unterschiede zur parlamentarischen Demokratie?
Schilberg: Es gibt einen wichtigen Unterschied. Demokratie kommt aus dem Griechischen und bedeutet ›Herrschaft des Volkes‹. In der Kirche aber herrscht nicht das Volk, sondern Jesus Christus. Mit Wahlen und Abstimmungen versuchen wir, in unseren kirchlichen Gremien einen breiten Konsens zu erreichen und seinen Willen zu erfüllen.
Das Selbstverständnis ist ein anderes, aber wie haben sich die ähnlichen Strukturen entwickelt?
Schilberg: Das geschah parallel zu politischen Entwicklungen im 19. Jahrhundert. Davor gab es keine Trennung von Kirche und Staat. Der jeweilige Landesherr war auch Oberhaupt der evangelischen Kirche – eine Folge der Reformation. Aber auch vor der Reformation gab es Überschneidungen. Im Mittelalter hatten Bischöfe oft auch weltliche Ämter. Außerdem stimmten sie über die Wahl des deutschen Königs mit ab. Im 19. Jahrhundert kam es dann zu demokratischen Bestrebungen in ganz Europa. In Deutschland forderte das Bürgertum 1848 eine demokratische Verfassung sowie Presse- und Meinungsfreiheit. Parallel dazu wurde auch in den evangelischen Kirchen mehr Mitbestimmung gefordert. Die presbyterial-synodale Ordnung, die es in den Niederlanden bereits seit dem 16. Jahrhundert gab, diente als Vorbild.
Was bedeutet das?
Schilberg: Presbyterial-synodal heißt: Die Gemeinden ordnen ihre Angelegenheiten selbstständig. Was in den Gemeinden allein nicht entschieden werden kann, wird den Synoden zur Entscheidung vorgelegt. Zudem liegt die Leitung nicht bei Einzelpersonen, sondern bei auf Zeit gewählten Gremien. Im Ursprung geht dieses Ordnungsprinzip auf Johannes Calvin zurück. Die älteste und prägendste deutsche Kirchenordnung nach presbyterial-synodalem Vorbild entstand 1835 in den preußischen Kirchenprovinzen Rheinland und Westfalen. In der Lippischen Landeskirche wurde 1877 die erste Landessynode eingeführt.
Wenn immer weniger Menschen Interesse an der Mitgestaltung von Kirche haben, können diese Strukturen dann erhalten bleiben?
Schilberg: Ich bin zuversichtlich, dass sich immer Menschen gewinnen lassen, die zum Beispiel im Kirchenvorstand mitarbeiten. Wir erleben gerade allgemein eine gesellschaftliche Veränderung, in der vor allem junge Menschen weniger real zusammen kommen und sich die bekannten Strukturen, wie Vereine, Stammtische und Ähnliches, allmählich auflösen. Dennoch braucht es weiterhin im Gegenüber zum Staat auf der Ebene der Gesellschaft Verbände wie Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbände und Kirchen, um Meinung zu bilden oder gesellschaftliche Themen zu vermitteln.
Können Sie das konkretisieren?
Schilberg: Stellen Sie sich nur einmal vor, wenn Regierungsmitglieder nicht mehr mit Kirchen und Verbänden sprechen, sondern nur hier und da mit Einzelpersonen, vielleicht über Twitter oder Facebook – das funktioniert nicht. Es braucht Zusammenschlüsse, die Meinungen abbilden und Stellung beziehen zu gesellschaftlichen Fragen, wie zum Beispiel Gerechtigkeit. Da hat auch die Kirche eine wichtige Aufgabe und die wird bestehen bleiben.
In der Kirche herrscht Jesus Christus_Interview mit Arno Schilberg.pdf