All you need is love on the dark side of the Moon

Nes Ammim - aus dem Alltag in einem nicht-alltäglichen Dorf in Israel. 8. Kapitel


Volos in Nes Ammim

Glück im Alltag eines Studienleiters zwischen Abwasch und Unterricht in Gedendkkultur

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Inhalt Tagebuch

Tobias Kriener schreibt:

Heute war so ein Tag, über den man schwer erzählen kann: Hin und her zwischen verschiedenen Offices in Nes Ammim, Terminverabredungen, Absprachen, Anfragen, Klärung von offenen Fragen...

Mein famoser Praktikant hat mich jetzt auf Twitter und Facebook gebracht. Ich weiß noch nicht, was ich davon halten soll, und wie ich es wirklich vernünftig nutzen kann. Eigentlich will ich nur ne ordentliche Tageszeitung. Ich muss mich endlich um das Haaretz-Abo kümmern. Aber vielleicht tun sich ja doch noch ganz neue Perspektiven auf...

20.9.2016

Heute war mal wieder so ein Tag zum Glücklichwerden...

Bin schon um viertel nach 4 aufgewacht – und dann einfach aufgestanden und ins CLD (Center of Learning and Dialogue for Peace – mein Arbeitsplatz) gegangen. Die Nachtluft ist inzwischen schon richtiggehend kühl! So hatte ich Zeit, mal in Ruhe 2 1/2 Stunden in den Unterlagen zu stöbern, die Rainer mir dagelassen hat. Und dann habe ich vor dem Frühstück noch ein halbes Stündchen Posaune gespielt (das CLD liegt ja zum Glück weeeeeit weg von den Unterkünften der Volos, die gestern bis in die Puppen den Abschied von Martin gefeiert haben und um 8 sicherlich alles andere als auf Posaunentöne scharf waren – obwohl sie schon wieder ganz gut rauskommen...)

Heute Vormittag dann das erste OMT (Organizational Management Team – also die Chefs von Nes Ammim Israel: Ariel, Oranit vom Hotel, Reint – und ich bin jetzt auch ein Chef – mit Assistentin und Praktikant; dass ich es in so kurzer Zeit soweit bringen würde...). Auch hier wurde ich herzlichst begrüßt. Thema war hauptsächlich die bevorstehende Sitzung des BoD – dafür müssen wir noch einiges arbeiten. Bei der Abfrage der einzelnen Arbeitsbreiche am Schluss nach dem, was so anliegt, hat mich gefreut, dass Oranit – die Hotelmanagerin – die Volos über den grünen Klee lobte für ihre Einsatzbereitschaft und gute Arbeit in den zurückliegenden zwei Monaten – mit der ausdrücklichen Bitte, ihnen das weiterzusagen, was ich dann auch schon fleißig getan habe. November und Dezember scheinen auch sehr gut gebucht zu sein – nur über die Festtage im Oktober scheint es eher mau auszusehen, weil – wie Ariel sagte – 6 von 8 Millionen Israelis ins Ausland reisen statt die Feiertage im Land zu verbringen. Am Flughafen wird die Hölle los sein...

Dann so Diverses, wobei mir Robin – der Praktikant – wirklich eine tolle Unterstützung ist: z.B. den Moadon hinter der Bar für die morgige Einheit zur Einführung in das Thema Holocaust herzurichten, weil diese Woche CLD und HOPS (House of Study and Prayer – Nes Ammims Gottesdienstraum) durch eine Gruppe belegt sind.

Nachmittags dann habe ich mein Bikel wieder abgeholt: nicht nur mit geflicktem Reifen, sondern nun auch mit den inzwischen eingetroffenen Schutzbblechen und Gepäckträger. Jetzt fühle ich mich wieder wie ein Mensch...

Und heute Abend dann der Höhepunkt des Tages: 2. Station meiner Hospitationen in den Arbeitsbereichen der Volos: Diesmal Dishwash. Mit Norman! Norman hat einfach die beste Musik der Welt – und mir jeden Wunsch erfüllt: von Pink Floyds „Money“ über „Dark Side of the Moon“ und „Shine on you Crazy Diamond“ bis hin zu Led Zeppelins „Stairway to Heaven“ und von den Beatles „All you need is Love“, „Hey Jude“, „It's been a Hard Days Night“ und so weiter. Ich fühlte mich 40 Jahre jünger.  Es war einfach gigantisch! Da will man überhaupt nicht aufhören mit Dishwash.

Mal sehen, wie's morgen weitergeht. Bin schon sehr gespannt.

Dialog zwischen Holländer_innen und Deutschen

21.9.2016

Heute war mal wieder so ein Tag, über den schwer zu berichten ist: Tausend verschiedene Kleinigkeiten geregelt; wieder nicht dazu gekommen, mal bei Ha'aretz anzurufen wegen eines Abos; ein hübsches Fotomotiv ergab immerhin die Risikopartie, die von 11 bis 17 Uhr auf der Veranda des Chader Ochel lief. In dem Alter habe ich ja auch sehr gerne Risiko gespielt – aber aus dem Alter bin ich nun mal raus: Ich weiß inzwischen, dass es viiiiiel bessere Spiele gibt...

Am Abend dann aber doch wieder ein absolutes Highlight: Einführung in den Holocaust – eine der „obligatory“ Veranstaltungen des Studienprogramms, d.h. alle Volos sind verpflichtet, teilzunehmen. Und es waren tatsächlich alle da. Ich finde es super-beeindruckend, mit welcher Verlässlichkeit sie ihren Verpflichtungen nachkommen.

Es ging nicht um den Holocaust selber, sondern um seine Vorgeschichte. Ich zeigte dazu eine Power-Point-Präsentation, die ich vorgefunden habe. Sie haben schon ganz interessiert zugehört – aber so richtig gepackt waren sie, glaube ich, nicht.

Dann Abendessen. Danach 2. Teil: Gedenkkultur in Deutschland (im Vergleich mit Israel). Vorgestern, als mein Praktikant und ich den Raum hergerichtet haben, hatte ich die Idee, ob Robin nicht zur Einleitung des Gesprächs ein bisschen aus seiner Erfahrung als Mitarbeiter bei Gedenkstätten und in der Erinnerungsarbeit allgemein erzählen könnte. Er hat dann in Tag- und Nachtarbeit eine wirklich hervorragende kleine Power-Point-Präsentation zur Entwicklung der Gedenkkultur gemacht. Und die hat die Volos echt ins Gespräch gebracht. Fast eine 3/4 Stunde lang haben sie sich gegenseitig befragt, wie das in Holland ist im Unterschied zu Deutschland; wie das ist, in Israel als Deutscher unterwegs zu sein; wie das mit dem Nationalgefühl bzw. -stolz aussieht; wie sie's mit Flaggen und Fahnen halten; über das Anne-Frank-Haus, das inzwischen eigentlich eher eine Touristenattraktion ist als eine Gedenkstätte; darüber, wie das Thema in Schulen behandelt wird undundund. Das war ein Musterbeispiel dafür, wie man intensiv und ohne Tabus zwischen Holländer_innen und Deutschen ins Gespräch kommen kann. Es war eine Lehrstunde dafür, wie fruchtbar das Zusammenleben von Holländer_innen und Deutschen gerade in Israel ist.

Diese Volontäre sind einfach unglaublich gut! Nes Ammim kann so glücklich sein, diesen Schatz zu haben – und sollte alles dafür tun, dass sie Nes Ammim gewogen bleiben...

Bevor ich jetzt endgültig feierlich werde, muss ich ins Bett. 

 

Dr. Tobias Kriener, Studienleiter in Nes Ammim, September 2016

Leben in Israel zwischen Golan und Sinai, Mittelmeer und Jordan, unter Juden, Muslimen, Christen, Agnostikern,Touristen, Freiwilligen - Volontären, Israelis, Palästinensern, Deutschen, Niederländern, Schweden, Amerikanern undundund

Ein Fortsetzungs-Tagebuch auf reformiert-info. Von Tobias Kriener