Palästina - Fahrt in Westbank und Gazastreifen III

Nes Ammim - aus dem Alltag in einem nicht-alltäglichen Dorf in Israel. 30. Kapitel

Neue Synagoge in Alon Shvut - Foto: kippi 70 / CC BY-SA 3.0

Besuch in der Siedlung Alon Shvut

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Tobias Kriener schreibt:

7. Station: Am nächsten Morgen fuhren wir zunächst nach Alon Shvut, einer israelischen Siedlung im sogenannten Gush-Etzion-Block, einer Gegend südwestlich von Jerusalem, in dem es vor der Staatsgründung 1948 fünf Kibbuzim gab, deren Bewohner von jordanischen Truppen getötet oder gefangen genommen wurden. Nach der Eroberung der Westbank 1967 wurde an diesen fünf Plätzen von der damaligen Arbeiterparteiregierung wieder Siedlungen gebaut.

Es empfing uns Rabbi Rafi Ostrowski. Während seiner einleitenden Erläuterungen (bei denen er u.a. die guten Beziehungen zu den palästinensischen Bauern in der Nachbarschaft hervorhob) kam eine Gruppe fröhlich plappernder Schulmädchen vorbei und verteilte Kuchen aus Anlass des Geburtstags eines der drei Jeschivah-Schüler, die 2014 an der Bushaltestelle von Alon Shvut von Palästinensern entführt und ermordet wurden – was dann als einer der Gründe für den Gazakrieg im Sommer 2014 diente.

Rafi führte uns dann zu einer antiken Weinpresse und erläuterte an ihr, warum dieser Ort für ihn Heimat ist (geboren wurde er in Südafrika, kam dann mit seinen Eltern zunächst nach Netanja und lernte später in der Jeschivah von Alon Shvut): Er zeigt ihm, dass schon in antiker Zeit Juden hier lebten. Hm ... Auf meine Nachfrage, was er von den Heimatgefühlen der Araber hält, die z.B. auf dem Grund und Boden leben, der von dem Siedlungsaußenposten Amona (um dessen vom israelischen Obersten Gerichtshof angeordnete Räumung gibt es seit Jahren ein Geschacher zwischen Regierung und Gericht...) beansprucht wird, versprach er, später noch zurückzukommen.

Wir sahen dann in den großen Raum der Jeschivah rein. Es handelt sich um eine Jeschivat Hesder, d.h. eine Jeschivah, in der junge Männer einen Teil ihres Militärdienstes mit Talmudlernen verbringen. Die Schüler, die wir dort sitzen und diskutieren sahen, waren dementsprechend keine Ultraorthodoxen, wie sie in Mea Shearim oder Bnei Brak leben (zu erkennen an ihrer schwarzen Kleidung), die ja zum Militärdienst nicht herangezogen werden, sondern Nationalreligiöse (zu erkennen an den gehäkelten Kippot). Rafi erklärte uns, dass der Lärm, der durch das Diskutieren der Lernpaare entsteht, der Konzentration hilft. Er muss es wissen, denn er hat selber 7 Jahre in einer Jeschivah gelernt. In der Bibliothek, die er uns anschließend zeigte, ist es allerdings genauso still wie in jeder Unibibliothek … In einem Nebenraum zeigte er uns stolz zwei alte Talmuddrucke aus Amsterdam und „Frankfurt de Main“, die die Bibliothek in Alon Shvut von der Großen Synagoge in Amsterdam übernommen hat.

Anschließend demonstrierte er uns vom Dach der Jeschivah, wie unmöglich eine Rückkehr zu den Grenzen von 1967 für Israel sei. In der Blickachse erkannte einer der Volos den Hügel, auf dem das „Tent of Nations“ liegt und fragte Rafi, ob sie auch zu diesem Nachbarn so gute Beziehungen haben. Seine etwas unwirsche Antwort: Nein, da sei er noch nie gewesen. Und überhaupt: Das sei ein europäisches Projekt.

Zum Schluss hatten wir noch eine allgemeine Gesprächsrunde. Da gab's dann die Antwort auf die Frage, wie's mit der Heimat der Palästinenser aussieht: Wenn sie zweifelsfrei nachweisen können, dass das Land ihnen gehört, ja, dann können sie bleiben (eine antike Weinpresse reicht aber in dem Fall wohl nicht aus…). Er sei jedenfalls nicht bereit das Leben von Juden aufs Spiel setzen für europäische Vorstellungen einer Zwei-Staaten-Lösung.

Für ihn ist das Hauptproblem, das die Welt und speziell Europa sich immer dann engagieren, wenn es gegen Juden geht. Für das Problem der islamischen Minderheit in Myanmar z.B. interessiere sich niemand. Auch für den Bürgerkrieg in Syrien mit seinen 500.000 Toten nicht, während wenn ein israelischer Soldat einem palästinensischen Mädchen die Puppe wegnimmt, macht das gleich Schlagzeilen in Europa – na gut, er räumte auf Nachfrage ein, dass das vielleicht doch ein bisschen übertrieben sei.

Auf die Frage, was ihm denn für die Zukunft der Palästinenser vorschwebe, kam er auf die Kurden zu sprechen, die ja auch keinen eigenen Staat haben, und erläuterte, wie die Situation der Kurden in Syrien ist. Auf die Nachfrage, ob er das ernsthaft als Paradigma für die rechtliche Situation der Palästinenser in der Westbank ansehe, entgegnete er abschließend, dass er mit Europäern darüber nicht zu reden bereit sei. Die Europäer sollten erst mal einen unabhängigen Kurdenstaat durchsetzen – dann könnten sie kommen und eine Lösung für die Palästinenser vorschlagen.

Was dem einen die Amerikaner, sind dem anderen die Europäer … Es war jedenfalls eine hochinteressante und intensive Begegnung mit einem offenen Meinungsaustausch, und ich bin dankbar, dass er doch bereit ist, auch beim nächsten Westbankseminar mit uns Holländern und Deutschen zu reden. Beim nächsten Mal müssen wir dann noch klären, was für eine Sorte Europäer wir sind.


Dr. Tobias Kriener, Studienleiter in Nes Ammim, Januar 2017
Leben in Israel zwischen Golan und Sinai, Mittelmeer und Jordan, unter Juden, Muslimen, Christen, Agnostikern,Touristen, Freiwilligen - Volontären, Israelis, Palästinensern, Deutschen, Niederländern, Schweden, Amerikanern undundund

Ein Fortsetzungs-Tagebuch auf reformiert-info. Von Tobias Kriener