Tobias Kriener erzählt:
17.06.2017
Zwei der Hauptattraktionen des Golan sind die Ruinen von Gamla und die Grenze zu Syrien, die wir uns vorgestern angeschaut haben.
Gamla - aramäisch für Kamel - ist ein charakteristischer Bergrücken, der die Form eines Kamelhöckers hat, am westlichen Abfall der Golanhöhen. In der Antike gab es hier eine jüdische Stadt, die im Verlauf des Aufstands gegen die Römer im Jahr 67 erobert und zerstört wurde. Danach wurde dieser Ort nicht mehr besiedelt - für die Archäologen ein Glücksfall, denn so blieben die Gebäuderuinen - darunter eine der ältesten bekannten Synagogen und zwei Mikven - in der Form erhalten, die sie zum Zeitpunkt der Zerstörung hatten. Und man fand viele Gegenstände, die bei der Belagerung und Eroberung benutzt wurden: Pfeilspitzen, Steinkugeln, Reste eines römischen Helms und der Kampfausrüstung der Legionäre.
Besonders beeindruckend ist die Bresche, die die Römer mit ihren Rammböcken in die Mauer getrieben haben, und die klar zu erkennen ist.
Bis 1967 war der Ort vergessen. Nicht einmal seine Lage war noch bekannt: Der große Erforscher Palästinas, Gustav Dahlmann, etwa vermutete es an einer anderen Stelle. Erst nach der Eroberung des Golan durch Israel 1967 konnte seine Lage durch israelische Forscher bestimmt werden, die von der Beschreibung des Josephus in seinem Buch über den jüdischen Krieg ausgingen. Diese Beschreibung war so genau, dass Gamla zweifelsfrei identifiziert werden konnte.
Eine Herausforderung für Besucher_innen ist der steile Abstieg - und der ebenso steile Aufstieg zurück; und das in der Mittagshitze im Juni...
Dafür wird man mit einer spektakulären Landschaft belohnt. Leider haben uns gestern die Geier, die in der Schlucht nisten, die kalte Schulter gezeigt und sich nicht ein einziges Mal zu einem ihrer majestätischen Segelflüge blicken lassen. Die Schlucht von Gamla mit ihrem malerischen Wasserfall ist eines der letzten Refugien für die Geierpopulation der Region. Mit großem Aufwand werden Geier hier ausgewildert und man versucht alles, sie zu erhalten. Die Chancen stehen allerdings nicht gut, denn ihr Lebensraum wird durch die moderne Landwirtschaft stark eingeschränkt. Wer weiß, wie lange man noch Gelegenheit hat, sie hier fliegen zu sehen. Und da ist es natürlich besonders schade, wenn sie sich an einem Tag so rarmachen.
Im kleinen Museum von Katzrin - einer Stadt, die von Israel nach der Eroberung des Golan 1967 gegründet wurde, und die heute das administrative Zentrum des Golan ist - haben wir uns dann noch die Ausgrabungsfunde von Gamla und anderen Stätten auf dem Golan angesehen.
V.a. gibt es auch beeindruckende steinzeitliche Fundstellen. Wie in vielen israelischen Museen gab es auch hier einen Film anzuschauen, der die Geschichte Gamlas und seiner Wiederentdeckung darstellt. Anders als die pathetischen Machwerke z.B. bei Massada oder am Herodion war dieser Film wohltuend sachlich und sehr informativ - bis auf den Schlusssatz, der davon redete, dass der Golan 1967 „befreit“ worden sei. Ich finde es einfach nur noch traurig, wie das offizielle Israel sich selbst belügt:
Die vielen Synagogenruinen belegen, dass in der Antike Juden auf dem Golan gelebt haben. Das aber ist lange her. Schon in osmanischer Zeit und dann während des britischen Mandats lebten hier keine Juden, die 1967 hätten befreit werden können. Und die arabischen Bewohner_innen wurden - mit Ausnahme der Drusen - 1967 vertrieben und ihre Dörfer umgehend zerstört, um ihre Rückkehr auszuschließen.
Befreit worden sein kann also allenfalls das Land. Und der Golan gilt manchen religiösen Juden in der Tat als Teil von Eretz Jisrael, wie mir vor Jahren einmal ein Siedler auf dem Golan sagte, den ich danach gefragt hatte. In solch einem Verständnis sind dann allerdings die arabischen Bewohner_innen Besatzer, von denen das Land befreit werden kann (und muss). Die Frage nun, wo genau die geografischen Grenzen von Eretz Jisrael verlaufen, wird auch im orthodoxen Verständnis nicht einheitlich gesehen. Sicherlich dazu gehören das Ostufer des Jordan und Teile des Südlibanon. Die extremste Meinung sieht Eretz Jisrael bis an den Euphrat und an den „Bach Ägyptens“ (Jesaja 27, 12) reichen. Diese Bezeichnung kann wiederum unterschiedlich interpretiert werden: Die minimalistische Lösung ist ein Wadi bei El Arish nur wenige Kilometer hinter der heutigen Grenze in Ägypten. Die maximalistische Version sieht darin natürlich den Nil. Es gibt also noch einiges zu „befreien“...
Noch gibt es allerdings eine Grenze auf dem Golan. Und diese Grenze haben wir uns dann noch angesehen. Die Volos waren sehr gespannt darauf, denn so etwas kennen wir ja aus Europa gar nicht mehr: eine unüberschreitbare Grenze. Der erste Eindruck dann: Wie wenig spektakulär das aussieht. In einiger Entfernung sieht man einen Zaun, hinter dem das No-Man's-Land beginnt. Ein paar Meter weiter dann bebaute Felder und arabische Dörfer. Keine bewaffnetem Soldaten oder Wachtürme oder ähnliches, was nach schwer bewachter Grenze aussieht (kein Vergleich z.B. zur deutsch-deutschen Grenze mit ihren martialischen Wachtürmen und Selbstschussanlagen). Das liegt allerdings nicht zuletzt daran, dass man in die Nähe der israelischen Militäreinrichtungen und Horchposten erst gar nicht gelassen wird. Die schwer bewaffneten Soldaten und ihr Kriegsgerät sind schon da - wir bekommen sie bloß nicht zu sehen.
Wir fanden schließlich einen aufgegebenen Bunker mit ein paar zurückgelassenen Schrottpanzern und -kanonen und einem Mahnmal für im Jom-Kippur-Krieg 1973 gefallene israelische Soldaten - Reminiszenzen an die letzte bewaffnete Auseinandersetzung an dieser Grenze. Hier hatten wir einerseits einen guten Aussichtspunkt, und andererseits vermittelt dieser Platz einen Eindruck davon, wie bitter ernst diese Grenze zu nehmen ist.
So ein alter Panzer hat natürlich seinen Reiz und lädt zum Beklettern ein. So ergaben sich ein paar reizvolle Foto-Motive. Allerdings wohl besser, wenn die nicht auf unserer Facebook-Seite auftauchen - wie sähe das denn aus: Die Volos von Nes Ammim, dem Dialogdorf, vergnügen sich auf israelischem Panzer ;-)
Nun mussten wir uns bereits sputen, um auf dem Rückweg noch ein Bad im See Genezareth nehmen zu können (Badewannentemperatur! Nach der Hitze des Tages gleichwohl wohltuend...) und nicht allzu spät zum Abendessen in Nes Ammim zurück zu sein.