Die öffentlichen Debatten nach Ausbreitung des Buchdrucks wurden im Stil des „Grobianismus“ geführt. Nicht nur von ihm. Aber von ihm am unflätigsten. „Gut überlegt“ hat er sich dabei sicher, wie er seine Gegner am tiefsten treffen kann. Die Reformatorenkollegen in Zürich, Basel und Straßburg gerierten sich im Vergleich zu ihm geradezu vornehm zurückhaltend. Und sie machten sich über ihn lustig, indem sie ihm genau nachrechneten, wie oft er sie – z.B. in einer seiner Schriften über das Abendmahl – ins höllische Feuer geschickt hatte.
Die Freiheit der Kommunikation hat – vielleicht vergleichbar unserem Medienzeitalter – erst einmal alle Fesseln des guten Geschmacks und gegenseitigen Respekts eingerissen. Nicht umsonst nennt die Literaturwissenschaft die neue Gattung „Schmähschriften“.
Die Regeln des journalistischen Anstands mussten in den Folgejahrhunderten erst mühsam errungen werden. Auch dafür gibt es schon ein frühes Beispiel. Erasmus von Rotterdam, der sich an den Fake-News über die voreheliche Schwangerschaft von Luthers Frau beteiligt hatte, entschuldigte sich später öffentlich dafür.
So sollten wir mit der Reformationsgeschichte umgehen: keine unhistorischen Verharmlosungen, so als ob Luther uns heute noch ein Vorbild sein könnte. Stattdessen eine Mahnung, wie wir Regeln für den Umgang mit den Medien entwickeln und durchsetzen können, um nicht wieder die gleichen Fehler zu machen wie im 16. Jahrhundert.
Interview mit Margot Kässmann in den Nürnberger Nachrichten vom 20.2.2017