I Die Bundestheologie der reformierten Reformation
1. Der Christus-Abraham Bund (H. Bullinger)
2. Der Christus-Abraham-David-Bund (J. Calvin)
3. Das foederal-theologische Verständnis des Bundes (J. Coccejus)
II Der universal erweiterte Israelbund (K. Barth)
III Tendenz auf Vermischung und Vereinnahmung
Fragen an Barths Bundestheologie
II Der universal erweiterte Israelbund (K. Barth)
Es geht hier um die These Barths vom Bund als der Voraussetzung der Versöhnung in Christus (KD IV/1 § 57) und also seine These von Israel und der Kirche als den beiden Gestalten der einen Gemeinde Gottes (KD II/2 § 34).
Es geht mir dabei speziell um die Frage, inwiefern diese These Barths von dem einen, immer wieder aktualisierten, unauflösbaren Israelbund als Voraussetzung der Versöhnung in Christus die Tendenz auf eine Vermischung zwischen Israel und Kirche zeitigt, noch genauer: die Tendenz auf eine Integration Israels in die Kirche bei sich hat, die von uns heute nach Auschwitz zu vermeiden und rückgängig zu machen ist – unbeschadet aller Verdienste, die die Israeltheologie Barths bei der Erneuerung des Verhältnisses der Christen zu den Juden und der Kirche zu Israel gehabt hat und haben wird.
Im Unterschied zu einem Ansatz bei einem – nach Maßgabe der lex naturalis im Gewissen verstandenen – Werkbund (Coccejus), im Unterschied aber auch zur reformatorischen Engführung auf den Abraham-David-Christus-Bund (die Kirche der erwählten Christen von Anfang an) vollzieht Barth in seiner Versöhnungslehre einen gegenüber der Theologiegeschichte radikalen Neuansatz: einen konsequenten Einsatz bei dem Israelbund als der Grundlage der Versöhnung[1].
Dieser Israelbund durchläuft das Drama einer Bünde-Geschichte vom Abraham- über den Sinai- und David-Bund bis zum Ezra-Bund. Der Bund Adonais mit seinem Volk Israel ist also die Voraussetzung aller aktuellen Bundschließungen von Abraham bis Ezra: „Vorausgesetzt ist die mit dem Wort berit bezeichnete Grundtatsache [der vorausgesetzte Israelbund] ... auch da, wo es auf ihrem Boden und in ihrem Rahmen zu schweren und schwersten Krisen kommt“[2].
Dabei betont Barth gegenüber W. Eichrodt und G. Quell sofort die Unmöglichkeit, die Höhepunkte der über Israel hereinbrechenden Gerichte und Krisen als Aufhebung und Auflösung des Bundes durch den Gott Israels zu kennzeichnen. Die Krise des Bundes ist also nicht eine Zeit der Bundlosigkeit Gottes gegenüber Israel, allenfalls die Zeit des Bundesbruchs Israels gegenüber Gott. Die Krise des Bundes ist vielmehr die Zeit und die Gelegenheit der klärenden und vertiefenden Herausstellung der Gültigkeit und der Dimensionen des niemals gekündigten Bundes des Gottes Israels mit seinem Volk Israel.
Dieser in einer dramatischen Bundesgeschichte immer wieder erneuerte Israelbund, dieser eine, in den vielen Bundesschlüssen immer wieder aktualisierte, bestätigte und erneuerte Bund[3] läßt Barth für die Versöhnungslehre, d.h. für den universalen Gnadenbund, die Frage stellen, „ob wir vom Alten Testament her legitimiert und autorisiert sind, den Begriff des Bundes, der dort die Voraussetzung der Geschichte Israels bezeichnet, hier aufzunehmen ..., wo wir die universale Versöhnung vor Augen haben, die in Jesus Christus Ereignis ist. Ist es vom Alten Testament her erlaubt und vielleicht geradezu geboten, dem Begriff des Bundes den erweiterten Sinn zu geben, den er hier [angesichts der universalen Versöhnung der Welt in Christus] offenbar bekommen muß?“[4].
Barth nennt in KD IV/1 drei Dimensionen des Israelbundes, die es als berechtigt erscheinen lassen, den Israelbund zur Voraussetzung der weltweiten Versöhnung in Christus zu machen:
a) Die protologische Dimension des Israelbundes:[5]
Schon der Noahbund ist keine auf dem Hintergrund des gebrochenen Werkbundes einer Ur- und Schöpfungsoffenbarung zu verstehende „Erhaltungsordnung“. Vielmehr: „Schon der Noahbund ist ... Gnadenbund“[6] und als dieser die Präfiguration des besonderen Israelbundes, des Abraham- und des Sinaibundes.
Aber über den Noahbund hinaus ist schon die Schöpfung kein an der lex naturalis orientierter Werkbund, auch kein Gnadenbund, überhaupt kein Bund, aber – durch den 7. Tag verborgen angedeutet – die Präfiguration des Sinaibundes. Die Schöpfung ist der äußere Grund des Israel-Bundes, und der Israelbund ist der innere Grund der Schöpfung, „das kosmische Vorspiel ... zu dem Israels geschehen“[7].
Wie die Krise Israels und die Krise der Menschheit im Alten Testament zusammengehören, so gehören die Tora Israels vom Sinai und das Vorspiel dieser Tora im 7. Schöpfungstag zusammen. Fazit Barths: Der vorabrahamitische, vorsinaitische Noahbund Gottes mit der ganzen Menschheit präfiguriert und präludiert die mögliche universale Erweiterung bzw. Öffnung des Israelbundes.
b) Die teleologische Dimension des Israelbundes:
Es geht Barth hier um die Teleologie des besonderen Israelbundes auf die Völkerwelt hin[9]. Barth meint nicht, daß es in diesem endgeschichtlich-teleologischen Aspekt des besonderen Israelbundes bereits inneralttestamentlich zu einer Einbeziehung der Völkerwelt in den Israelbund kommt. Es geht ihm vielmehr um den Zeugendienst des alttestamentlichen Bundesvolks Israel unter den Völkern und inmitten der Völker, insofern es „sich in der Endzeit wunderbar erweisen (wird), daß der Jahvebund mit Israel nicht Selbstzweck war, sondern vorlaufende und vorläufig stellvertretende Bedeutung hatte: Israel hatte und hat (!) – und das ist der Sinn des Bundes mit ihm – eine Sendung“[10].
Diese endgeschichtlich-teleologische Dimension berechtigt nach Barth – über die urgeschichtlich-protologische hinaus –, die Exklusivität des Israelbundes „zugleich als inklusiv zu verstehen: als Anzeige eines Bundes, der ... am Ende sein wird: des Bundes Gottes mit allen Menschen“[11].
c) Die intensive Dimension des Israelbundes
Die dritte Dimension der „Erweiterung des alttestamentlichen Bundesbegriffs“ hat es mit der „intensiven Erweiterung“ zu tun[13]. Gemeint ist die Verheißung des eschatologisch Neuen Bundes für Israel nach Jer 31; Ez 11,19f; 36,26; Dtn 30,6.
Zur Abwehr falscher Exegesen und theologiegeschichtlicher Mißverständnisse im Sinne der Theologie der Ersetzung des Alten Bundes durch den Neuen (E. Grässer) betont Barth überdeutlich: „Von einer ‘Aufhebung’ jenes ersten Bundes durch diesen ‘neuen’ und ‘ewigen’ [Bund] der Endzeit [wird man] jedenfalls nur im positiven Sinn dieses Begriffes reden dürfen“[14].
Und Barth wiederholt seine schon während der Nazidiktatur politisch aktualisierte Exegese von Jer 31,31–34 im Kontext von Jer 31,35–37: „Auch das unmittelbar auf die Hauptstelle Jer 31,31–33 folgende Stück 31,35–37 mit seiner stärksten Unterstreichung der Unvergänglichkeit des Israelbundes zeigt: von einem Abbruch und Aufhören jenen Bundes als solchen [und also von einer Bundlosigkeit Israels als solcher] kann hier wie sonst keine Rede sein“[15].
Der in seiner bisherigen Gestalt nach der Seite Israels, des Bundespartners Gottes, „offene Kreis des Bundes wird sich in seiner neuen Gestalt schließen: ... Der Bund wird dann – aber Gott selbst wird es schaffen... – ein gegenseitig gehaltener und insofern ein foedus dipleuron [ein zweiseitig gehaltener Bund] sein“[16].
Nochmals: die Verheißung des eschatologisch Neuen Bundes (Jer 31) meint nicht den Abbruch des Israelbundes, nicht die Bundlosigkeit Israels, meint auch nicht schon die Einbeziehung der Völker in diesen eschatologisch Neuen Bund. Sondern der verheißene eschatologisch Neue Bund meint:
Von der weltweiten, universalen Versöhnung in Christus her sieht nun Barth die Berechtigung und das theologische Recht gegeben, den teleologisch auf die Völkerwelt bezogenen Israelbund (und nicht einen allgemeinen Bundesbegriff!) als Voraussetzung für die Versöhnung der Welt in Christus zu verstehen. Der auf die Völkerwelt hin orientierte, teleologische Israelbund ist die Voraussetzung weltweiter Versöhnung im Kreuz Christi: „Wir finden uns also auch von Jer 31 aus ermächtigt und aufgefordert, den Begriff des Bundes in dem universalen Sinn aufzunehmen, den er in seiner in Jesus Christus offenbar gewordenen Gestalt gewonnen hat“[19]. Der eine, universal ausgerichtete Israelbund ist nach Barth die Voraussetzung der weltweiten Versöhnung im Christus.
Von dieser durch die universale Versöhnung im Kreuz Christi erfolgten Öffnung her kommt es deshalb nicht etwa zur Entschränkung bzw. Verallgemeinerung des Israelbundes, sondern zur Einbeziehung der Menschen aus den Völkern in den ungekündigten Israelbund. Denn ist der Erste Bund (der eine Bund in seiner ursprünglich ersten Gestalt) im Neuen Bund (in dem einen Bund in seiner eschatologisch erneuerten Gestalt) bekräftigt und bestätigt, dann wird das Besondere Israels im Neuen Bund nicht etwa eliminiert, sondern bewahrend aufgehoben, bekräftigt, aufgerichtet, und d.h. in seiner Integrität bewahrt.
Es bleibt also das proton der Erwählung Israels bestehen. Die Öffnung des Bundes kann also nur Hinzuerwählung von Menschen aus den Völkern sein. Von dieser Barth’schen Voraussetzung her hat die Rheinische Handreichung 1980 zur Erläuterung der Formel von der Hineinnahme der Kirche in den ungekündigten Bund Gottes mit Israel (Rheinischer Synodalbeschluß 4,4) von der „Einbeziehung der Völkerwelt in die Erwählungs- und Verheißungsgeschichte Israels“ geredet. „Die Erkenntnis, daß die Völkerwelt durch die Sendung Jesu in die Hoffnungsgeschichte Israels einbezogen ist“[20], macht den universal geöffneten, erweiterten Israelbund, in dem zugleich die Integrität Israels bewahrt und erhalten ist, zur Voraussetzung der Versöhnung.
Barth hat die These aus dem Jahre 1953 vom Bund als der Voraussetzung der Versöhnung ständig neu entfaltet und präzisiert[21]. Ich nenne hier lediglich die chronologisch letzte Kommentierung innerhalb der kirchlichen Dogmatik aus dem Jahre 1959: „Im Zeugnis des Neuen Testamentes ... folgt ihr [der Israelgeschichte] als ihre Vollendung die ... Geschichte Jesu Christi und in ihr die schon in jener Volks[Israel-]Geschichte intendierte Menschheitsgeschichte. ... beerben in der Person dessen, der als der israelitische, nämlich als der den Israel-Bund in Treue haltende Mensch auf den Plan tritt, steht – der Sendung Israels an die ganze Welt entsprechend – der Mensch auf, in welchem die ganze Menschheit in das Licht der Gnade Gottes gerückt“ ist[22].
Und dieser Neue Bund ist in Jesus, dem Messias Israels, der als solcher der Versöhner der Welt ist [23], erfüllt, insofern hier der israelitische, den Israel-Bund in Treue haltende jüdische Mensch auf den Plan tritt, der 1) Gottes Namen geheiligt, 2) Gottes Herrschaft schon zu Israel gebracht und 3) Gottes Willen in seiner Mitte getan hat. Es ereignet sich also in Jesus Christus die Geschichte der nicht nur einseitigen, sondern beiderseitig gehaltenen Gemeinschaft zwischen Adonai und Israel und darin zwischen Mensch und Gott.
Dabei hat Barth – wie vor ihm schon Calvin, freilich im Unterschied zur Föderaltheologie des Coccejus – den Bund Gottes mit Israel als den auch auf die Völkerwelt hin orientierten Bund als Voraussetzung der Versöhnung in keiner Weise zum systematischen Prinzip der ganzen Dogmatik gemacht:
a) Das Abendmahl als Gemeinschaft mit Israel
Barth hat seine Abendmahlslehre nicht mehr schreiben können. Sie wäre aber mit hoher Wahrscheinlichkeit auf der Linie dessen entfaltet worden, was sein Sohn Markus Barth 1987 in seinem Abendmahlsbuch unter dem bezeichnenden Titel „Das Mahl des Herrn. Gemeinschaft mit Israel, mit Christus und unter den Gästen“ veröffentlicht hat.
b) Die Taufe als Eintritt in den Bund Gottes mit Israel
War – wie wir gesehen haben – von der reformatorischen Bundestheologie Zwinglis, Bullingers und Calvins her die Theologie des einen Bundes zugleich wesentlich auch eine Apologie der kirchlichen Kindertaufe, so hat Barth im Gegensatz zu dieser theologischen Tradition die Taufe nicht mehr als Ersetzung der Beschneidung, die das Zeichen des ungekündigten Israel-Bundes ist und bleibt, sondern als Aufnahme eines Menschen aus den Völkern in den unvergänglichen Israel-Bund verstanden – eine Formulierung, die Barth unter der Herausforderung und in den Bedrängnissen des 6-Tage-Krieges, d.h. der Existenzbedrohung des Staates Israel, noch nachträglich in seine Tauflehre eingefügt hat: „Ein Mensch tritt in seiner Taufe als tätiges (!) Glied hinein in das heilige Volk Israel, das nach Jes 42,6 zum ‘Bundesmittler unter den Völkern’ bestellt ist“[24].
Von daher können wir das folgende Fazit ziehen:
[1] K. Barth: KD IV/1 § 57: Der Bund als Voraussetzung der Versöhnung.
[2] a.a.O. 23.
[3] berit/Bund kommt in der Hebräischen Bibel nur im Singular vor. Darauf haben auch E. Zenger: Der Neue Bund im Alten, Freiburg/Basel/Wien 1993, 47 und R. Rendtorff: Die „Bundesformel“, Stuttgart 1995, aufmerksam gemacht.
[4] K. Barth: KD IV/1,26.
[5] a.a.O. 26ff.
[6] a.a.O. 27.
[7] a.a.O. 28.
[8] a.a.O. 28ff.
[9] Barth weist hin auf Jes 2 und Micha 4: die Völkerwallfahrt zum Zion, auf Jes 25: das eschatologische Mahl der Völker mit Israel am Zion, auf Jes 19,18–25, auf Dtjes. 42,1–4 und 49,6.
[10] K. Barth: KD IV/1,28.
[11] a.a.O. 32.
[12] a.a.O. 32ff.
[13] a.a.O. 32.
[14] ebd.
[15] ebd.; vgl. ders., Eine Schweizer Stimme, Zürich 1945, 322.
[16] a.a.O. 33.
[17] a.a.O. 32.
[18] a.a.O. 34f; vgl. die ähnlichen Verweise von Bullinger und Calvin auf Ps 51,12; 40,9; 37,31; Dtn 30,6; Ps 1.19.119 usw.
[19] a.a.O. 35.
[20] Evangelische Kirche im Rheinland (Hg.): Handreichung Nr. 39, Düsseldorf 1980, 25.
[21] K. Barth: KD IV/3,57–78.
[22] K. Barth: Das christliche Leben 1959–1961, Zürich 1976, 14.
[23] a.a.O. 15.
[24] K. Barth: KD IV/4,221; E. Busch: Gelebte theologische Existenz bei Karl Barth, in: Theologie als Christologie. Zum Werk und Leben Karl Barths, hg. von H. Köckert/W. Krötke, Berlin 1988, 170–192, 179.
[25] K. Barth: Eine Schweizer Stimme, Zürich 1945, 322. – Barth meint im Hinblick auf Jer 31,35–37 die zeichenhafte Vergewisserung der Unvergänglichkeit des Israelbundes und damit des Judentums in den stabilen Rhythmen der Schöpfung.