1. Korinther 1, 17 und 18

Die Glut der Liebe

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"Das Wort vom Kreuz ist zwar denen, die verloren gehen, eine Torheit; uns aber, die wir gerettet werden, ist es eine Kraft Gottes." Von Günter Twardella

Paulus schreibt: Christus hat mich nicht gesandt, zu taufen, sondern das Evangelium zu verkündigen; nicht in Weisheit der Rede, damit das Kreuz nicht entwertet werde. Denn das Wort vom Kreuz ist zwar denen, die verloren gehen, eine Torheit; uns aber, die wir gerettet werden, ist es eine Kraft Gottes. (Zürcher Bibel)

I. Das Wort vom Kreuz – eine Kraft Gottes!

Heute morgen kommen wir durch Predigt und Abendmahl in Kontakt zu diesem „Wort vom Kreuz“, durch das uns Gott neue Kraft zukommen lässt. Dieser Zusammenhang von Kreuz und Gotteskraft, der den Apostel Paulus in einem Brief an die Christengemeinde in der griechischen Stadt Korinth beschäftigt, wird auch für uns wichtig, obwohl unsere Köpfe nicht mit so viel antiker Philosophie, dafür aber mit vielen anderen Eindrücken gefüllt sind. In einer persönlichen Bemerkung meint der Apostel am Anfang der verlesenen Worte, wichtig sei ihm nicht vor allen Dingen, dass getauft, sondern dass evangelisiert werde. Mit „Evangelisieren“ meint er, dass die frohe Botschaft von der freien Gnade Gottes ausgerichtet wird an alles Volk und sie dabei ihre Kraft entfaltet als Verkündigung des Kreuzes, als Wort vom Kreuz.

Viele Christen in Deutschland denken heute anders. Viele drängen mit neu Geborenen zur Taufe und nehmen danach zu wenig die Gelegenheit wahr, noch mehr vom Evangelium zu erfahren und in die Gemeinde hineinzuwachsen. Glauben funktioniert jedoch nicht ohne Wissen. Und wie im übrigen Leben, so kommen wir im Glauben nur voran , wenn wir lebenslang dazu lernen. Aber nun kann man mit Recht fragen: Wenn diese christliche Botschaft, das Evangelium, den Juden ein Ärgernis ist und den Nichtjuden eine Torheit – kann man es nicht einfacher sagen, ist das nicht viel zu umständlich und schwer zu begreifen, was der Apostel da den Menschen zumutet? Was schwingt für ihn mit, wenn er dieses „Wort vom Kreuz“ als „Kraft“ bezeichnet, in der griechischen Sprache als „dynamis“, wovon unser Wort Dynamit (also Sprengkraft) abgeleitet wurde?

Die Vokabeln sind uns ja nicht fremd, aber woher kommt die Kraft? Das Wort „Evangelium“ haben wir aus der griechischen in unsere Sprache übernommen; das „Kreuz“ kennt man in der ganzen Welt in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen, in Kunst und Kitsch, als Friedens- und als Kriegszeichen, als Eisernes und als Bundesverdienstkreuz usw. Wir Menschen kriegen es hin, mit dem Kreuz zu machen, was wir wollen. Die Frage bleibt offen: Wieso kommt durch das „Wort vom Kreuz“ Kraft in unser Leben und in die Welt? Ich möchte den Gedanken des Paulus näher kommen mit einem Beispiel aus der Eisen-Industrie, das uns vielleicht weiterhilft.

II. Ein Vergleich mit der Glut aus flüssigem Eisen.

Das Metall Eisen kommt in vielen Gegenständen des täglichen Gebrauchs vor. Von der Büroklammer und dem Kochtopf bis zur Autokarosserie oder dem Schiffbau – überall wird (neben manchem anderen Material) Eisen verwendet. Wir sehen die Endprodukte, z. B. auch die Stahlverankerungen, die jetzt zur Sicherung in diese Kirche eingebaut werden. Aber am Anfang waren wir nicht dabei; wir haben nicht neben den Männern am Hochofen gestanden, den sogenannten „Stahlkochern“, die in ihren Schutzanzügen bei glühender Hitze die dahinfließende Masse des flüssigen Eisens zu beobachten und zu bearbeiten hatten. Ohne diese Produktion hätten wir keine Industrie, die Eisen verarbeitet. Aber wer verfolgt schon den Weg vom Gebrauchsgegenstand zurück zum Rohstoff, zum Material, das da am Anfang war?

Könnte man z.B. an einem um den Hals getragenen Kreuzschmuck den Weg zurückverfolgen bis zur ursprünglichen Sinngebung? Kennen die Menschen, die ein Kreuz als Schmuck tragen, den Ursprung dieses Zeichens ? Es geht irgendwie um Gott. Aber da mittlerweile immer mehr Menschen und Religionen um uns herum allgemein von Gott reden, ist es weiterführend, die speziell christliche Glaubensrichtung zu kennen. Dahin führt uns der Apostel mit der Rede vom „Kreuz“. Er treibt es geradezu auf die Spitze, wenn er den Korinthern schreibt: „ Ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, den Gekreuzigten.“(2,2)

Hier möchte ich wieder an das Beispiel vom glühenden, flüssigen Eisen anknüpfen. Denn den Paulus hat nicht seine enorme Bibelkenntnis oder eine religiöse Veranlagung zum Christen werden lassen, sondern eine Botschaft von wärmender, mitreißender, auch trennender Glut. Wie ist das gemeint? „Glut“ können wir als Hilfsbegriff gebrauchen, wenn wir uns vorstellen, welche Regungen sich in Gott finden. Gott ist ja kein gefühlloses Etwas. Gott wird z.B. in Wallung geraten angesichts der Menge menschlicher Untaten, all der vornehmen und der grausamen Lieblosigkeiten auf der Erde. Wir nennen diese menschlichen Verirrungen Sünde; und das Erschrecken über die Sünde in Gott nennen wir Zorn.

Die Glut des Zornes Gottes entbrennt gegen alles, was jenes Leben zerstört, das er als Schöpfer geschenkt hat. Das Blut Abels – und aller anderen Ermordeten - schreit zu Gott von der Erde, heißt es 1. Mose 4,10. Diese Glut seiner inneren Regungen lenkt Gott so auf den Menschen Jesus von Nazareth, dass der am Kreuz auf dem Hügel Golgatha stirbt. Als Mensch, durch Menschen und für die Menschen. So wie Jesus soll kein anderer Mensch mehr sterben, denn in ihm verbrannte die Glut des Gotteszornes die Übermacht der Sünde. Die volle Strafe trifft die Sünde in der Gestalt des Gottessohnes, damit der Sünder lebe. Man könnte sagen: die Glut des Zornes Gottes gegen die Sünde wird auf Golgatha zur Glut der Liebe zum Sünder. Wärmend und mitreißend erfasst die feurige Glut der Liebe Gottes alle, die sich nähern. Kein Wunder, dass Paulus diese Botschaft als Befreiung erfahren und bezeugt hat. Später hat ein anderer gedichtet:

Ich weiß einen Strom, dessen herrliche Flut fließt wunderbar stille durchs Land; Doch strahlet und glänzt er wie feurige Glut. Wem ist dieses Wasser bekannt? Das Wasser des Lebens, das ist diese Flut, durch Jesus ergießet sie sich. Sein kostbares, teures und heiliges Blut, o Sünder, vergoss er für dich. Lotte Denkhaus drückt einen ähnlichen Gedanken aus, wenn sie in einem ihrer Gedichte sagt: „Nur ein Funke deiner Glut, und wir brennen.“ Wir können auch an die Emmaus-Jünger denken, die sich fragen: „Brannte nicht unser Herz in uns, als er mit uns redete auf dem Wege?“

Das Kreuz Jesu Christi - das will ich mit diesem Beispiel des flüssigen Eisens sagen - ist nicht in erster Linie für diejenigen eine Kraft Gottes, die darüber dicke Bücher schreiben können, sondern für alle, die sich anrühren und von der Glut der Liebe mitreißen lassen, denen warm wird ums Herz, deren Verstand erleuchtet wird, die sich von Schlacken befreit fühlen, die merken, dass sie in ein Gefälle geraten, das sie zu neuen Lebensformen hintreibt. Seit den Tagen des Paulus sagen Boten dieses Evangelium weiter: Der Gott, den du suchst und gegen dessen Willen du trotz aller Mühe immer wieder verstößt, der kommt dir entgegen wie der Vater dem verlorenen Sohn, wie eine Mutter, die ihr Kind nicht vergessen kann, wie der Pelikan, der seine eigene Brust mit dem Schnabel aufreißt, um sein Junges mit dem eigenen Blut zu nähren. Am Kreuz von Golgatha beugt sich der Höchste am tiefsten herab, zerstört die Sünde, rettet den Sünder. Diese Befreiung ist die Kraft Gottes, der Grund für ein großes Halleluja.

Als Menschen einer ganz anderen Zeit erschließen sich uns solche Worte der Bibel oft genau so, als wenn wir dem Apostel selbst zuhören würden. Wenn das gelingt, dann werden wir durch Gottes Geist in Verstand und Herz angerührt. Dann kann auch uns dieselbe Liebe überwinden, die den Paulus vom Verfolger zum Verkündiger gemacht hat. Denn letzten Endes ist dieser gescheite und im Bibelstudium geschulte Jude Paulus nicht auf dem Weg über eine ausgeklügelte Gedanken-Akrobatik Christ geworden, sondern indem er sich überwinden ließ durch die befreiende Erkenntnis einer überwältigenden Liebe Gottes in seinem Sohn.

III. Der Gekreuzigte und Auferstandene ist selber die Kraftquelle.

Und wo bleiben die Probleme unserer Welt? Die Klima-Veränderung, die unsere Erde zum Treibhaus werden lässt? Die steigende Jugendkriminalität? Was wird aus der Justizvollzugsanstalt in Ronsdorf? Und der demographische Wandel, verbunden mit Problemen von Rente und Pflegekosten? Und die Entlassungen in Großbetrieben? Und das unendliche Leid der Menschen in Kriegsgebieten und Flüchtlingslagern, und, und... Wer sich dem vielfachen Elend in der Welt nicht verschließt, braucht Kraft. Schon die bloße Wahrnehmung der verschiedenen Situationen geht manchmal an den Rand unserer Möglichkeiten. Um noch eigene Lebensfreude zu behalten, brauchen wir ebenso Kraft wie für unsere gedankliche und praktische Einmischung in die Probleme oder für eine Hilfsaktion. Kommt auch in solchen Fällen Kraft aus dem Wort vom Kreuz?

Es ist in all den unterschiedlichen Lebenslagen der Gekreuzigte und Auferstandene selber, der uns nahe ist. Das Wort vom Kreuz zeigt uns ihn selber, in seiner geschundenen Menschlichkeit, in seinen Schmerzen, als den blutenden Gott, der auf alle Fälle seine Menschenkinder retten will. Von ihm bekommen wir Kraft. In ihm liegt unsere Kraft. Im Glauben an Christus verbindet sich unser Herz mit dem Herzen Gottes. Christus ist unser einziger Trost im Leben und im Sterben.

Amen.


Günter Twardella, Wuppertal-Ronsdorf