Wahrheit in Offenheit. Der christliche Glaube und die Religionen

Ein Impulspapier des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes (SEK)

Wie können Christen ihre Glaubensüberzeugung in einer pluralistischen Gesellschaft leben? Christliche Identität zu wahren heißt auch, sich außerchristlichen Religionskulturen zu öffnen, so das Fazit der schweizerischen Stellungnahme.

Thomas Wipf, Präsident des Rates des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes schreibt im Vorwort:
„Wie können wir die eigene Glaubensüberzeugung leben und gleichzeitig mit Menschen zusammenleben, die ihrerseits von ihrem Glauben überzeugt sind? Was ist Wahrheit? Diese Grundfragen einer pluralistischen Gesellschaft stellen sich heutzutage verstärkt – vor allem auch den Christen.
Nachdem sich politische Orientierungen und Lebensstile schon seit einiger Zeit pluralisiert haben, sind wir nun zunehmend auch mit einer grösseren religiösen Vielfalt konfrontiert. Angehörige anderer Religionsgemeinschaften treten uns selbstbewusst und selbstverständlich gegenüber.
Die vorliegende Stellungnahme des Rates SEK sucht aus dem christlichen Bekenntnis zur Wahrheit des Evangeliums heraus nach Wegen zu Andersgläubigen und -denkenden. Sie greift dazu bewusst auf die eigenen theologischen Grundlagen zurück. Der Rat SEK ist überzeugt, dass die Klärung des christlichen Wahrheitsverständnisses gleichzeitig der Schlüssel zu einer offenen Haltung gegenüber Andersgläubigen ist.“

Autor der SEK-Position 8 (2007) ist Reinhold Bernhardt, Professor für Systematische Theologie an der Universität Basel.

Wahrheit in Offenheit. Der christliche Glaube und die Religion. SEK-Position 8 (2007). PDF

Als Appetithappen Zitate und das Inhaltsverzeichnis:

Die Wahrheit des christlichen Glaubens im Dialog immer neu aneignen
Die SEK-Position formuliert sich in deutlicher Abgrenzung zu den Leitlinien der EKD zum Thema „Christlicher Glaube und nichtchristliche Religionen“ (2003), die von der lutherischen Rechtfertigungslehre ausgehe und diese „unabhängig vom interreligiösen Begegnungsgeschehen“ auf die „Beziehungsbestimmung zu den Religionen“ beziehe. Die EKD-Leitlinien seien nicht „an der Suche nach Gemeinsamkeiten, sondern an Unterscheidungen und Abgrenzungen interessiert“ und nicht „das Verstehen anderer Traditionen, sondern die Profilierung der eigenen“ sei ihr Anliegen (S. 15f.).
Demgegenüber schlägt die SEK-Position vor: „sich auf die Auseinandersetzung mit anderen Religionen einzulassen und das spezifisch Christliche auf dem Weg des dialogischen Disputes mit ihren Wahrheitsgewissheiten herauszuarbeiten. Das kann dann aber nur in der Beziehung zu den einzelnen Religionen geschehen. Gegenüber dem Islam werden dabei andere Züge des christlichen Glaubens heraustreten als gegenüber dem Buddhismus. Dabei kann es dann zu einer kreativen Neuaneignung der reformatorischen Tradition kommen.
Das entspricht der Bewegungsrichtung der reformatorischen Theologie weit mehr als deren statische Applikation. Denn nach reformatorischem Verständnis muss die Wahrheit des christlichen Glaubens immer neu angeeignet werden, denn sie gründet in der unverfügbaren Wahrheit Gottes, die ihr immer neu begegnet.“ (S. 16)

Die Öffnung für andere Religionskulturen gehört zur christlichen Identität
Die SEK-Position sagt klar: „Die Wahrung christlicher Identität“ schließe „die Öffnung für ausserchristliche Religionskulturen nicht aus, sondern ein“. „Öffnung“ meine dabei „eine positive Erwartungshaltung, die es der ‹Grösse› Gottes zutraut, auch in und durch die Quellen und Ströme ausserchristlicher Traditionen zu sprechen, so wie er durch die ganze Schöpfung spricht, wie er durch die ‹vorchristlichen› Ströme der jüdischen Traditionen und der griechischen Philosophie gesprochen hat.“

Dies könne sicher „kein anderes Evangelium sein, also keine Botschaft, die in Widerspruch zu dem von Jesus Christus verkündeten und gelebten Evangelium steht“, aber durchaus der christlichen Tradition fremde „Ausdrucksformen des Evangeliums“.
Selbst religiöse Glaubensformen, die dem Christentum in „bleibender Fremdheit“ gegenüberstehen, könnten zum „Gegenstand“ von „fruchtbaren dialogischen Beziehungen“ werden:
“Sich in der bleibenden Fremdheit ein Bewusstsein der letztlich unaufkündbaren Gemeinschaft zu bewahren, ist Ausdruck des Vertrauens auf den gemeinschaftsstiftenden Geist Gottes, dessen Wirken nicht endet, wo die Gemeinsamkeiten zwischen Glaubenstraditionen enden. Die Mission des heiligen Geistes ist es vielmehr, Menschen zu öffnen für den schöpfungsumspannenden Heilswillen Gottes.“ (S. 56)

Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Einleitung
1. Auf dem schwierigen Weg vom Gegeneinander zum Miteinander: Christlicher Glaube und nichtchristliche Religionen
1.1 Stellungnahmen aus der Ökumenischen Bewegung
1.2 Stellungnahmen aus der römisch-katholischen Kirche und Theologie
1.3 Stellungnahmen aus evangelischen Kirchen
1.4 Stellungnahmen aus Freikirchen
1.5 Zur Methode kirchlicher und theologischer Stellungnahmen
1.6 «Projekt Weltethos»
2. Theologische Positionsbestimmung: Interreligiöse Offenheit aus der Mitte des christlichen Glaubens
2.1 Wahrheitsgewissheit des christlichen Glaubens
2.1.1 Wahrheit nach dem Verständnis der griechischen Philosophie
2.1.2 Wahrheit nach dem Verständnis der Bibel
2.1.3 Wahrheit als Gewissheit
2.1.4 Wahrheit-in-Geschichte
2.1.5 Wahrheit Gottes – Wahrheit der Religion
2.2 Begegnung mit Anhängern anderer Religionen
2.2.1 Dialogische Beziehungen als Vermittlung zwischen der eigenen Wahrheitsgewissheit und dem Glauben anderer
2.2.2 Ebenen der Begegnung
2.2.3 Grenzen dialogischer Beziehungen
2.2.4 Christliche Wahrheit und dialogische Beziehungen zu Andersglaubenden
2.3 Biblische Aspekte: das Ernstnehmen der Exklusivstellen
2.3.1 Altes Testament
2.3.2 Neues Testament
2.3.3 Reformatorisches Verständnis der Rechtfertigung
2.3.4 «…niemand kommt zum Vater, denn durch mich» (Joh 14,6)
2.3.5 Zur Deutung der sogenannten Exklusivaussagen
2.4 Offenheit für die Begegnung mit Andersglaubenden als Grundzug des christlichen Glaubens
2.4.1 Offenheit aus dem Glauben an Gott, den Schöpfer
2.4.2 Offenheit aus dem Glauben an Jesus Christus als der personalen Vergegenwärtigung des göttlichen Heilswillens
2.4.3 Offenheit aus dem Glauben an den Geist Gottes, der die ganze Schöpfung umspannt und durchdringt
2.4.4 Interreligiöses Gebet?
2.5 Dialogische Begegnung und Mission
3. Zusammenfassung
4. Weiterführende Literatur 

Das eine Evangelium und die pluralistischen Religionstheologien . Von Georg Plasger

Vortrag von Prof. Dr. Georg Plasger, Siegen - Darstellung und Kritik der Entwürfe einer Theologie der Religionen von John Hick und Paul F. Knitter