Affektgeladene Vorurteile

Atheismus – eine notwendige Konsequenz moderner Naturwissenschaft?

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Gott eignet sich nicht als „Lückenbüßer“, wo naturwissenschaftliche Erkenntnis an ihre Grenzen stößt.

Inhalt:

1. Die „Situation“ des neuzeitlichen Atheismus
2. Die Argumentation des neuzeitlichen Atheismus
3. Gibt es eine Position zwischen Fundamentalismus und wissenschaftlicher Aufklärung?

Auf die Frage, wo in seiner Theorie der Planetenentstehung Gott vorkomme, soll der Mathematiker P. S. Laplace mit dem berühmten Diktum geantwortet haben: „Sire, ich habe diese Hypothese nicht nötig“. Das sollte heißen: Was wir über die Entstehung der Welt, ihren Anfang aussagen können, folgt der Spur der Naturgesetze, mit der wir unsere gegenwärtige Erfahrung interpretieren. Wir rechnen den Zustand unserer Welt sozusagen auf seine Anfangsbedingungen zurück und kommen – ohne metaphysische oder theologische Zusatzannahmen – zu begründeten Aussagen über den Anfang der Welt. Demselben Muster folgt der Bestseller von Richard Dawkins. Nicht ein einziges Argument, das über dieses Muster der frühen Aufklärung hinausführte, habe ich in diesem Buch finden können, wohl aber eine Fülle reißerisch aufgemachter Polemik, die sich der alten Aufklärung schon aus Gründen der Toleranz (und des guten Geschmacks) verboten hätte.

Mit welchen Aussagen ich mich deshalb nicht beschäftigen werde, (hier werden, was einem seriösen Wissenschaftler nicht gut ansteht, Texte und Denkformen willkürlich aus ihrem Zusammenhang herausgerissen und im sensationslüsternen Stil der Regenbogenpresse präsentiert), nenne ich gleich zu Anfang:

Hier wird in antijudaistischer Manier das Alte Testament abgewertet, Gott als blutgieriges Monster geschildert, der Sabbat belächelt und Juden unterstellt, dass sie gerne katholische Angestellte beschäftigen, weil diese am Sabbat arbeiten dürften. Gottesbeweise gelten als Unsinn. Widersprüche in den Evangelien werden in einer Weise traktiert, die keinerlei hermeneutisches Grundvermögen erkennen lassen. Luthers komplexes Vernunftverständnis wird mit zwei Zitaten aus den Tischreden erledigt. Religiöse Erziehung gilt als Kindesmissbrauch, Sühnetheologie als Nonsens (K. Berner, Zeitzeichen, Heft 1, 2008). Die religiöse, geschweige denn theologische Bildung des Autors, gleicht der eines 10jährigen Kindes.

Dass dieses Buch mit seinen affektgeladenen Vorurteilen trotzdem zum Bestseller werden konnte, erklärt sich aus der Zeitsituation, die von der Wissenschaft alles erwartet, in demselben Maße aber in Fragen der Ethik, der Lebensorientierung, der Sinnfindung tief verunsichert ist. Auf diese Krise einzugehen, ist allemal an der Zeit.

1. Die „Situation“ des neuzeitlichen Atheismus

Durchgreifender noch als die Politik sind Naturwissenschaft und Technik zu Schicksal der Menschheit geworden. Wer anders als sie könnte „Kleider und Schuh, Essen und Trinken, Haus und Hof“ und alle „Notdurf und Nahrung des Leibes und Lebens“ für Milliarden Menschen sicherstellen? Gleichwohl erschüttern düstere Zukunftsprognosen das naturwissenschaftlich-technische Selbstbewusstsein, das für die moderne Welt so charakteristisch ist. Es mehren sich die Zeichen, dass durch die Technik im Verhältnis von Mensch und Welt eine katastrophale Unordnung entstanden ist. Was wird sich als kräftiger erweisen: die Angst vor den Folgen technischer Welteroberung oder die Gewissheit, der Mensch werde mit Hilfe der Technik erneut die Probleme der Welt bewältigen?

Diese Gewissheit zehrt von einem Selbstbewusstsein, das sich dem modernen Menschen im Laufe der beiden letzten Jahrhunderte von Jugend auf eingeprägt hat und sich noch in Konfirmandenaussagen spiegelt: Was gäbe es, das der Mensch nicht machen könnte? Eines Tages wird die Wissenschaft auch Menschen auf künstlichem Wege erschaffen. Heutzutage kann man alles erklären: die Entstehung der Welt und des Lebens. Da greift eins ins andere, lückenlos, ohne Sprünge, ohne Wunder. Dass dieses Selbstbewusstsein inzwischen mit sich selbst in Konflikt geraten ist, steht hier nicht zur Debatte. Auf jeden Fall ist es längst in Konflikt geraten mit dem Bekenntnis zu Gott als dem allmächtigen Schöpfer, Erhalter und Erlöser der Welt.

In welchem Sinn kann man von ihm und seiner Gegenwart in einer lückenlos erklärbaren Welt noch sprechen? Und wenn von ihm nicht mehr geredet werden kann, gibt es ihn dann überhaupt? Das Wort „Gott“ ist undeutlich und inhaltslos geworden. Dem entspricht, dass Gott im allgemeinen Bewusstsein soviel bedeutet wie: höhere Macht, Idee, Schicksal oder Zufall. Das weite Sprachgewand der überlieferten kirchlichen Rede von Gott steht im Gegensatz zu der immer stärker werdenden Unfähigkeit auch vieler Christen, plausibel von Gott zu reden. Biblische Gottesvorstellungen sagen vielen Menschen immer weniger.

Die Erfahrung, die Matthias Claudius im Lied „Wir pflügen und wir streuen den Samen auf das Land“ besingt, sah sich in der DDR der Parole ausgesetzt: „Ohne Gott und Sonnenschein bringen wir die Ernte ein“. Solche Parolen drücken auch das Bewusstsein säkularisierter Menschen westlicher Industriegesellschaften aus. Selbst ein so einsichtsvoller und mutiger Mann wie Robert Havemann dekretierte (hierin direkter Vorgänger Dawkins’): „Mit wachsenden Einsichten des Menschen in die gesetzmäßigen Zusammenhänge aller Naturerscheinungen wurde eine Naturgottheit nach der anderen entthront. Als letzte blieb für einige Jahrtausende die eine Gottheit der monotheistischen Religion übrig, die nichts anderes darstellt als die nicht weniger naive Personifizierung der Gesamtheit der vom Menschen noch unerkannten Gesetzmäßigkeit seines eigenen gesellschaftlichen Lebens.“ (Weltall – Erde – Mensch, 1955, 9f.)

Die Gottesfrage hat im naturwissenschaftlichen Denken keinen Raum, das ihren Gegenstand nach dem Schema „wenn – dann“ (kausale Analyse) befragt und seine Ergebnisse im Experiment erhärtet. Man hat daher vom „methodischen“ Atheismus gesprochen, was keineswegs bedeutet, dass alle Wissenschaftler, die auf dieser Basis arbeiten, Gottesleugner sein müssten. Ich will auf den Ursprung dieses Atheismus kurz eingehen, zumal an seiner Wurzel ein theologisches Argument steht. Descartes, einer der Väter der modernen wissenschaftlichen Methode, erklärte in seiner Prinzipienschrift: „Der höchste Werkmeister Gott (den er wohlgemerkt anerkennen konnte) hat unzweifelhaft alles Sichtbare auf mehrere verschiedene Arten hervorbringen können, ohne dass es dem menschlichen Geist möglich wäre zu erkennen, welches der ihm zur Verfügung stehenden Mittel er hat anwenden wollen, um sie zu erschaffen“ (Princ. IV, 204f.).

Im Klartext heißt das: Was unsere Wahrheitserkenntnis anlangt, sind wir im Blick auf Gott in einer schwierigen Lage. Wir können uns auf ihn nicht mehr als Urheber unseres Wissens von Wirklichkeit berufen, denn er hätte alles auch ganz anders einrichten können. Die Welt ist für uns ein chiffriertes Buch, das wir ohne jeden göttlichen Beistand auf eigenes Risiko entschlüsseln müssen. Da wir aber den Code zur Entzifferung ihrer Schriftzeichen (der Planetenbewegungen, der Wachstumsphasen von Pflanzen und Tieren ...) von uns aus gar nicht finden können – Gott hat ihn uns nicht mitgeteilt –, bleibt uns nur die Möglichkeit, dem „verrätselten“ Text der Natur – auf unseren eigenen Scharfsinn angewiesen – eine, wie es im Jugendwerk mit unverblümter Offenheit heißt, „fiktive“ Ordnung zu unterstellen und im Experiment zu prüfen, wie weit sie mit unserer tatsächlichen Erfahrung übereinstimmt.

Diese Ordnungen, die mit dem Stand besserer Erkenntnis korrigierbar oder gänzlich überholbar sind, nennen wir Naturgesetze (= Hypothesen). Das hier beschriebene Verfahren macht den Kern der neuzeitliche Methode aus. Sie ist so entworfen, dass – darin besteht geradezu ihre „raison d'etre“ – dass sie von der Existenz und Wirksamkeit Gottes völlig absehen kann, ohne seine Dasein bestreiten zu müssen. So gesehen hat dieser Atheismus tatsächlich nur einen methodischen Sinn. Er besagt an Ort und Stelle nur dies: Da wir die Weisheit Gottes nicht ergründen können (er sie uns auch nicht mitgeteilt hat) ist unser Wissen von der Welt von der Sphäre des Glaubens abgeschnitten. Für unsere Weltgewissheit ist Gott zum „deus absconditus“ geworden. Seine völlige Unbegreifbarkeit zerstört die alte Zuversicht, Gott habe alles um des Menschen willen und für den Menschen geschaffen. Descartes hat folgerichtig auch jede Berufung auf Ziele und Zwecke (Teleologie) aus dem Arsenal naturwissenschaftlich zulässiger Argumente ausgeschlossen, – eine Entscheidung, die heute durchaus umstritten ist (A. N. Whitehead; H. Jonas).

Auf dem Boden dieser Weichenstellung, die für die neuzeitliche Wissenschaft verbindlich geworden ist (kein Physiker oder Biologe, der Gott in seine Beweisführung einschleusen würde!), haben sich Glaube und Wissen, Theologie und Naturwissenschaft getrennt. Sie repräsentieren – modern gesagt – verschiedene „Sprachspiele“, betrachten die Welt unter zwei gänzlich verschiedenen, nicht aufeinander reduzierbaren Perspektiven (so wie der Holzhändler im Wald etwas anderes sucht als der Maler oder Lyriker). Nur dass auch der konsequenteste Physiker faktisch immer in beiden „Sprachspielen“ lebt (er kann nach dem Sinn seiner Forschungen fragen; ihm muss etwas so Unphysikalisches wie die Liebe oder die Schönheit nicht fremd sein). Der Siegeszug dieser „exakten“ Wissenschaften hat im modernen Bewusstsein den Eindruck erweckt, als sei die naturwissenschaftliche Welterkenntnis, Erkenntnis ohne Gott, zu einer unbegrenzten und totalen Deutung der Welt fähig. Die Welt schloss sozusagen ihre Fugen. Gott ist in der Welt des Wissens heimatlos geworden, er verlor an Boden.

Das ist die eine Seite des Problems. Die spiegelbildlich andere Seite zeigt sich, wenn man die einfache Frage stellt: Wenn es so steht, kann man auf der so bestimmten Basis moderner Wissenschaft dann überhaupt nach Gott fragen? Dieses Unternehmen muss doch zwangsläufig auf den paradoxen Versuch hinauslaufen, den „verlorenen Gott“ auf einer atheistischen Basis zurückzugewinnen (= Problem des Dialogs). Psychologisch gesprochen: Wir suchen die Antwort auf die Orientierungskrise unserer gegenwärtigen Situation in den Wissenschaften, also genau dort, wo diese Krise ihren Anfang genommen hat: in jener Überschätzung der Naturwissenschaften, die das, was dort an Wahrheit gefunden und erkannt werden kann, mit Wahrheit überhaupt identifiziert (Unterschied: Richtigkeit / Wahrheit).

Auf dieses Unternehmen – ich würde sagen: auf diesen Fehlschluss – lässt sich Dawkins bedenkenlos ein. Er durchmustert mehr oder weniger scharfsinnig die Versuche, auf biologischer oder physikalischer Basis das Dasein Gottes plausibel zu machen und entlarvt sie mit erheblichem Theaterdonner als haltlos. Dass hier gar kein anderes Resultat zu erwarten ist, hätte er bereits bei Kant oder bei Descartes lernen können. Macht man sich dies klar, dann erweist sich sein ganzes Unternehmen als gegenstandslos. Was er auf diese Weise findet, sind selbstfabrizierte Gottesbilder. Weil er aber die Wissenschaft für das Ganze nimmt, überzieht er das argumentative Konto gleich ein zweites Mal: aus dem methodischen Atheismus wird nun der weltanschauliche Atheismus. Weil über die Welt nicht mehr zu sagen ist, als die Wissenschaft vom Typus der Biologie oder Physik uns verrät, ist mit seinem Plädoyer nun auch schon das letzte Wort zur Sache gesagt: Gott kann gar nicht existieren!

Den entscheidenden Einwand gegen die ganze Argumentation Dawkins’ habe ich damit bereits formuliert. Wenn die Naturwissenschaft von ihrem Ansatz her so entworfen ist, dass sie Gott aus ihren Verfahrensregeln ausschließt, ihn schlicht auslässt, dann kann man nicht erwarten, dass er am Ende aus ihren Resultaten doch noch als eine Art „Deus ex machina“ herausspringt. Sie sucht Gott an der falschen Stelle. Die Gottesfrage hat in ihrem Denken keinen Raum. Das ist es, was Dawkins’ Buch – wider Willen – auf jeder Seite demonstriert. Denn was würde man im Ernst finden, wenn man sich auf dem von ihm freigelegten Boden auf die Suche begeben würde? Einen Gott, der so unwahrscheinlich ist wie die Entstehung hochkomplexen Lebens im Universum, einen Gott, der jede Mutation wie ein Gentechniker durch seinen Eingriff bewirkte, einen Gott, der vom blinden Zufall nicht unterscheidbar wäre, einen Gott also, der unsern Träumen oder Alpträumen von einem perfekten Menschen nur allzu ähnlich wäre, aber gewiss nicht den Gott, von dem unsere Bibel redet.

Ich will das an einem parallelen Szenarium verdeutlichen, das ein englischer Religionsphilosoph, Antorly Flew, schon 1955 entwickelt hat, um die Rede von Gott als unhaltbar zu erweisen. Neu, das zeigt sich hier, sind die im „Gotteswahn“ vorgebrachten Thesen wahrhaftig nicht. Die berühmt gewordene „Gärtnerparabel“ argumentiert folgendermaßen:

Zwei Forscher stoßen im Urwald auf eine blumenbestandene Lichtung. Der eine schließt auf das Dasein eines Gärtners, der seine Blumen umsorgt. Der andere schließt einen solchen Eingriff kategorisch aus. Sie kommen überein, die Streitfrage empirisch, durch raffinierte technische Nachweismethoden, zu prüfen. Umsonst! Der vermutete Gärtner zeigt sich nicht. Die Behauptung des ersten verflüchtigt sich daraufhin schrittweise zu der Annahme eines körperlosen, unsichtbaren und unhörbaren Wesens, das sich um die geliebten Blumen kümmert. Zuletzt lässt Flew den skeptischen Kontrahenten fragen: „Wie unterscheidet sich denn das, was du einen unsichtbaren, unkörperlichen, ewig unfassbaren Gärtner nennst, von einem imaginären oder überhaupt keinem Gärtner?“

Hier wird der Erkenntnisanspruch religiöser Aussagen mit der an den Positivismus (= nur „Tatsachen“ können wahr sein) erinnernden Schärfe zurückgewiesen. Wenn eine Aussage sinnvoll sein soll, muss man auch angeben können, was sie auf empirisch nachprüfbare Weise verneint. Wenn sie nichts verneint (so die Situation des Forschers, der sich auf die These eines körperlosen Wesens zurückzieht), kann sie auch nichts Positives behaupten. („Was würde denn einen Gegenbeweis gegen die Existenz oder die Liebe Gottes darstellen?“ Wer darauf nicht antworten kann, kann auch nicht sagen, was er mit „Gott“ eigentlich meint.) Das ist die Sicht des ersten Forschers: Folge: Gott wird zu einem Wort ohne Bedeutung, zu einer sinnlosen Vokabel.

Was also geschieht hier? Gott muss sich an einer bestimmten Idee von Wissenschaftlichkeit und der ihr entsprechenden Nachweismethode messen lassen. Er wird den Kriterien unseres Verstandes unterworfen. Vor allem aber – und darauf sollte man neben diesem formalen Einwand auch achten – er wird zu einem zeitlosen Wesen stilisiert (denn Naturwissenschaft hat es mit zeitlosen (immer wahren) Annahmen zu tun). Das biblische Fragefeld, die Geschichte, in der er sich den Menschen offenbart hat und ihre Wege begleitet, in der er sich ihnen auch einmal entzieht, ebenso die Weisungen des Bundes und ihre orientierende Kraft: das alles spielt in diesen Gedankengängen überhaupt keine Rolle. Pascal sprach schon im 17. Jahrhundert vom „Gott der Philosophen“, dem „Gott der Geometrie“. Insofern hat der Titel des „Gotteswahns“ – wiederum gegen die Absicht seines Autors – ein hintergründiges Recht.

2. Die Argumentation des neuzeitlichen Atheismus

Im 18. Jahrhundert, erfährt man bei Dawkins, dem Jahrhundert der Aufklärung, war Gott „im Vergleich zu dem psychotischen Übeltäter des ATs“ „ein viel prachtvolleres Wesen“ (55). Damals hat man die Argumente sogar noch in schönen Knüttelversen vorzutragen gewusst. So werden in einem Gedicht über die Kugelgestalt der Erde folgende Erwägungen angestellt, um Gott der Vernunft plausibel zu machen:

Hieraus dienet wohl zu merken,
dass des Höchsten Wunderhand
wie in allen seinen Werken
unergründlichen Verstand
auch in dieser Ründe zeiget.
Was vollkommen rund gebeuget,
ist nach Ordnung der Natur
die vollkommenste Figur.
Ferner dienet diese Ründe,
dass, wenn etwa Meer und Flut
aufgebracht durch Sturm und Winde
es viel minder schaden tut,
sondern es muss gleich mit Haufen
von der runden Erde laufen,
weil die Welt sonst von dem Meer
schon vorlängst verschlüngen wär.

Überlegungen dieser Art werden auch den Gottesleugnern entgegengehalten:

Was sagst du nun, verstockter Atheist,
der du des Schöpfers Sein und Macht in Zweifel ziehest,
wenn du die Polizei der Bienen siehest?

Hier ist es, dem Optimismus der Zeit entsprechend, der Nutzen, die Zweckmäßigkeit der Natur, die Gott zur Evidenz bringen soll. Und da lässt sich leicht streiten, ob auf der anderen Seite nicht auch eine respektable Anzahl von Gegenargumenten aufzulisten wäre. So hat schon L. Kolakowski in seinen „Himmelsschlüsseln“ ironisch gefragt, wie wohl die im Meer ertrunkenen Ägypter über die Barmherzigkeit und Güte Gottes dächten, der Israel mit starker Hand aus der Knechtschaft Pharaos errettet hat. Nach diesem Muster verfährt Dawkins. Er teilt die rationale Basis der Aufklärung und schlägt deren angebliche Beweisgründe zur Existenz Gottes mit ihren eigenen Mitteln. Das Problem, das hinter diesen scharfsinnigen Überlegungen steht, ist die alte Frage, ob Gott sich überhaupt naturwissenschaftlich beweisen lasse; Immanuel Kant hat diese Möglichkeit bekanntlich vehement bestritten, aber deshalb Gott nicht geleugnet; und Bonhoeffer hat die Pointe auf die lapidare Formel gebracht: Ein bewiesener Gott ist ein Stück Welt.

So gesehen kann man bei aller Kritik von Dawkins auch etwas 1ernen. Mit welchen Gottesbildern hat es denn die Aufklärung zu tun? Sie sind es ja, die er den Theologen (immer noch) vorhält und mit Getöse vom Sockel stürzt mit der Folgerung: Wenn sie nicht stimmen, dann gibt es keinen Gott. Da ist zunächst der Deismus, die Vorstellung des großen Uhrmachers, der die komplizierte Weltmaschine konstruiert hat und sie nach getaner Arbeit sich selbst, d.h. den von ihm geschaffenen Naturgesetzen überlässt, ohne in ihre Entwicklung und den Lauf der Dinge noch weiter einzugreifen. (Dagegen wandten schon die Reformatoren ein: Gott ist kein „creator momentaneus“ bzw. „Deus otiosus“).

Diese Vorstellung entspricht etwa der von ihm gezeichneten Auffassung Einsteins: „Gott würfelt nicht“. Da ist zum andern der Theismus, die Vorstellung eines außerweltlichen, persönlichen, selbstbewussten und selbsttätigen Schöpfers und Lenkers der Welt, der in seiner Vorsehung nach Belieben ins Weltgeschehen eingreift und – auf uns völlig unbegreifbare Weise – jedes Detail bis hin zur Mutation eines Chromosoms anordnet (P. Gerhardt: „der Wolken, Luft und Winden gibt Wege, Lauf und Bahn …“). Beidemal geht es darum zu verstehen, warum unsere Welt „so und nicht anders“ ist. Das Denken verlangt nach einem notwendigen letzten Grund alles Geschehens („nihil fit sine ratione“), und als dieser Garant des „so und nicht anders“ wird Gott beschworen. Er wird zum „ens necessarium“.

Dagegen protestiert Dawkins zu Recht und er sucht sich –  auch dies zu Recht – zwei zeitgenössische Gegner aus: den Kreationismus, der die Bibel wortwörtlich versteht und mit pseudowissenschaftlichen Argumenten zu verteidigen versucht (nach dem Motto der 50er Jahre: „Und die Bibel hat doch Recht“, als wäre sie ein naturwissenschaftliches Lehrbuch). Demnach wäre der Kosmos in sechs Tagen à 24 Stunden erschaffen, und die Kugelgestalt der Erde wäre eine bloße Einbildung.

Der zweite große Gegner ist die These des Intelligent Design, die Vorstellung, dass Gott durch einen unmittelbaren Eingriff die Gestalt der Planetenbahnen oder die komplizierte Anordnung und Struktur komplexer Moleküle bis hin zum menschlichen Gehirn geschaffen habe. Den Kampf an diesen beiden Fronten wird man auch theologisch für legitim, ja notwendig halten müssen, denn der gefährlichste Gegner des Glaubens ist der alte und neue Fundamentalismus. Doch wenn man diesen Kampf heute ohne große Kosten gewinnt: hat man dann – das ist die entscheidende Frage – schon die Nichtexistenz Gottes bewiesen? Hat man vielmehr nicht nur ein ganz unbiblisches Gottesbild aus dem Feld geschlagen?

Ich will das Problem an einem von Dawkins zitierten Beispiel erläutern, dem sog. „anthropischen Prinzip“. Es besagt, dass für die Möglichkeit menschlichen Lebens auf der Erde bestimmte an sich unwahrscheinliche Bedingungen erfüllt sein müssen und – erstaunlicherweise – tatsächlich auch erfüllt sind. Dazu gehört die Lichtgeschwindigkeit, das Massenverhältnis von Elektron und Proton oder die Gravitations- und Feinstrukturkonstante. Wäre etwa die Gravitationskonstante nur zwei Stellen hinter dem Komma kleiner, könnte die Erde ihre Atmosphäre nicht halten, Leben, vollends menschliches Leben wäre nicht möglich. Die tatsächlich gegebene Feinabstimmung dieser Konstanten (fine tuning) beschreibt also die Bedingungen, unter denen allein Leben, vollends menschliches Leben möglich ist.

Eine Tatsache, über die man wohl in Bewunderung und Staunen geraten darf. Die naheliegende Frage lautet also: wie ist das möglich? Und die scheinbar ebenso naheliegende Antwort des Intelligent Design: Das hat Gott bei der Erschaffung der Welt so (an)geordnet. Er ist der intelligente Designer. Damit hat er der Erde ihre besondere Gestalt gegeben. Kann aber – so lautet ein physikalischer Einwand – ein souverän ordnender Geist (ein intelligent designer, wie immer man sich ihn vorstellen mag) überhaupt auf Materie einwirken? Dawkins hält dagegen: Selbst wenn die Wahrscheinlichkeit der Existenz menschlichen Lebens nur eins zu einer Milliarde wäre, andererseits diese Möglichkeit jedoch (nach unserm Wissen) auf nahezu einer Milliarde „erdähnlicher“ Planeten gegeben ist, dann sei diese statistische Argumentation „der Todesstoß für jeden Gedanken, man müsse eine gezielte Gestaltung postulieren, um diese Lücke zu füllen“.

Dazu jedenfalls brauche man keinen Gott. Das anthropische Prinzip sei vielmehr eine „Alternative“ zum Gedanken des Intelligent Design. Denn wie sollte man sich einen Gott vorstellen, der diese Feinabstimmung bewerkstelligt, also den Zahlenwert jener Konstanten ausrechnet? Er müsste mindestens „ebenso unwahrscheinlich sein wie die fein abgestimmte Zahlenkombination selbst“ (201). Er müsste „noch schwieriger zu erklären sein als die Dinge, für die er eine Erklärung sein soll“ (207). „Demnach bringt uns die theistische Lösung keinen Schritt voran“ (201). Damit ist das Problem und zugleich die Gottesfrage für ihn erledigt.

Sympathisch an dieser Argumentation ist die Weigerung, Gott als Lückenbüßer zu missbrauchen da, wo unsere wissenschaftliche Erkenntnis derzeit an eine Grenze stößt. Aber wer sich in dieser Weise Bonhoeffer anschließt, müsste mit ihm nun allerdings auch den zweiten Schritt tun und zugestehen, dass sich Gott nicht zum Erklärungsprinzip der Welt eignet. Hier liegt der „wunde Punkt“ der heftigen Polemik Dawkins, der sich mit Recht – einen Gott nicht vorstellen kann, „der an den Knöpfen (sc, der Zahlenkombination der Naturkonstanten) dreht, weil es die Knöpfe überhaupt nicht gibt“ (203).

Anders gesagt: Weil Dawkins Gott für die physikalische Welterklärung nicht brauchen kann, kann er ihn überhaupt nicht brauchen und verabschiedet ihn aus seinem Weltbild. Man kann sich zu diesem Problemfeld aber auch anders stellen. So gibt U. Eibach zu bedenken: „Wenn es kein Bestimmtwerden der Materie durch geistiges Sein gibt, dann kann es auch kein Wirken Gottes in dieser Welt geben“ (Zeitzeichen 2007, Heft 9,14). Ich selbst neige jedenfalls der These zu, dass Materie und Geist zwei gleichursprüngliche Realitäten unserer Welt sind.

Einwände gegen das Intelligent Design, die Dawkins nicht kennt:

  1. So umstritten diese Fragen und Thesen heute noch sind: Das eigentliche Problem des Intelligent Design liegt nicht hier, sondern an einer ganz anderen Stelle. Problematisch ist die Richtung (und damit auch die Stringenz) des hier intendierten Schlusses von der Welt auf ihren schöpferischen Grund. Sie erinnert an ähnliche Argumentationsfiguren, die Paul Davies („Plan Gottes“) entwickelt hat. Er fragt: „Warum ist die Welt so, wie sie ist?“, um dann eine passgenaue Antwort auf die Frage nach dem ihr gemäßen Gott zu bekommen. Schon die erste Frage aber ist keine wissenschaftliche, d.h. durch Wissen entscheidbare Frage, sondern eine metaphysische Problemstellung, die sich kosmologisch weder angemessen noch sinnvoll bearbeiten lässt. Sie führt dann zwangsläufig zu der weiteren Frage: Wie muss der rational erklärbare Aufbau der Welt gedacht werden, damit ein Gott denkbar ist? – Auch hier der Versuch, Gott in ein physikalisches Universum einzuordnen. Als zuverlässlicher Erklärungsgrund des Kosmos muss nun auch Gott der Forderung des „so und nicht anders“ unterworfen werden. Diese Schwierigkeit spiegelt sich auf dem Boden inhaltlicher physikalischer Erklärungen in einer Fülle von Äquivokationen: Kann etwa die viel diskutierte Hypothese des „Urknalls“ das Rätsel des biblischen Anfangs auflösen? Lässt sich die Willensfreiheit mit dem Indeterminismus der subatomaren Welt erklären? Beides dürfte schwer möglich sein.
  2. Gravierender noch ist schließlich der theologische Einwand. Der Hinweis auf den schöpferischen Willen Gottes, der dem Universum diese und keine andere Ordnung gegeben hat, stammt erklärtermaßen nicht aus dem Erfahrungsbereich der Physik. Er ist ein Argument der Schöpfungstheologie, nicht das Resultat möglicher Schlussfolgerungen. Er müsste aber, um auf der vom „Intelligent Design“ gemeinten Ebene zu überzeugen, eine physikalische bzw. biologische Basis haben. Die aber lässt sich, wie Dawkins wohl mit Recht feststellt, nicht erweisen. Das tatsächliche Problem dieser These ist also ihr unausgesprochener Anspruch, auf dem Boden unserer Naturerkenntnis noch einmal einen indirekten Gottesbeweis führen zu können. Ich möchte sie gleichwohl eine sympathische These nennen, weil sie sich den Blick für die Wunder der Welt nicht verbieten lässt und (wie die alte natürliche Theologie) auf dem Niveau avancierter naturwissenschaftlicher Erkenntnis die Möglichkeit des Glaubens an einen schöpferischen Gott offen hält.

Der zweite von Dawkins mit Recht attackierte Gegner ist der Kreationismus, der seinen Namen der Weigerung verdankt, die Evolution anzuerkennen. Darwins Theorie war der große Einbruch in ein bis dahin ungebrochen theistisches Weltbild mit Gott, dem außerweltlichen Schöpfer, als krönender Spitze und Abschluss. Die These einer schrittweisen natürlichen Entwicklung der Gattungen und Arten – nach C. F. v. Weizsäcker ist sie die bestbeglaubigte naturwissenschaftliche Theorie – lässt sich mit dem wörtlich verstandenen Schöpfungsbericht der Bibel nicht gut vereinbaren und schien dem Glauben an einen Schöpfer rundweg das Fundament zu entziehen. Sie ist nachweislich der Anlass gewesen, dass im 19. Jahrhundert die Gebildeten in Scharen der Kirche den Rücken kehrten.

Die Reaktion auf diese Fluchtbewegung ist der Kreationismus. Er will die Evolutionstheorie wissenschaftlich widerlegen oder zumindest zeigen, dass ihre Basisannahmen, Mutation und Selektion, auf einen unmittelbaren Eingriff Gottes zurückgehen. Dawkins spricht mit Recht von einer Strategie des „alles oder nichts“: Der Mensch mit seinem hochkomplexen Organismus ist fixfertig aus Gottes Hand hervorgegangen, sonst gäbe es ihn nicht. Zwischenstufen sind ausgeschlossen. Dass diese fundamentalistische Position unhaltbar ist, auch wenn sie in Amerika noch so viele Anhänger hat, brauche ich nicht zu erläutern. Es ist tatsächlich ein wissenschaftlicher Salto mortale, der hier versucht wird.

Sehr viel interessanter ist die Frage, ob diese Position sich eigentlich auf die Bibel berufen kann, ob sie ein vertretbares theologisches Konzept ist. Auch diese Frage (für die sich Dawkins begreiflicherweise überhaupt nicht interessiert) muss ich rundweg verneinen. Natürlich ist in die biblischen Schöpfungsberichte das naturkundliche Wissen der damaligen Zeit eingegangen (von Rad). Sie sind ja von Menschen geschrieben. Die Vorstellung einer sukzessiven Entwicklung der Gattungen und Arten war jedoch für die gesamte Antike ein völlig unvollziehbarer Gedanke. Es gab keinerlei Beobachtungen, die darauf hätten hinweisen können, also findet sich in der Bibel auch keine Spur davon.

Abgesehen davon aber macht die Bibel auch keinen Versuch, die Erschaffung des Menschen auf eine bestimmte Vorstellung (die für spätere Zeiten normativ sein könnte) festzulegen (Vgl. Gen 2 mit Ps 139), denn man wusste natürlich, dass die Schöpfung keinen menschlichen Zeugen hat. Von ihr konnte man nur in Bildern und Metaphern reden und schon das sollte uns daran hindern, sie mit einem naturwissenschaftlichen Lehrbuch zu verwechseln. Trotzdem folgt sie einem wohlüberlegten Darstellungsprinzip: Zuerst werden die großen Lebensräume, die „Häuser“ des Lebendigen erschaffen (Firmament, Meer, Festland), danach erst die Lebewesen, die sie „bewohnen“. (Problem der Pflanzen)

Es ist eine ökologische Ordnung, die hier entworfen wird. Vor allem aber haben diese alten Texte ein ganz anderes Interesse als unsere moderne Wissenschaft. Man muss sich vergegenwärtigen, dass sie erst in der Zeit des babylonischen Exils aufgezeichnet wurden, also sozusagen auf den Trümmern Jerusalems. Sie sind die theologische Antwort auf die im Chaos der Verbannung versinkenden Welt Israels. Angesichts des zerstörten Tempels, der Verwüstung des von Gott gegebenen Landes frägt man jedoch nicht primär nach den Rätseln der Kosmogonie. Der Blick ist aufs Überleben gerichtet. Das Reden von Schöpfung und Schöpfer ist das Reden des bedrohten Menschen in einer bedrohten Welt, nicht die Frage des Intellektuellen nach einer prima causa des Universums.

Das Thema der Schöpfung steht von Anfang an zwischen der unbeirrt festgehaltenen Erkenntnis einer wohlgeordneten Welt und der Erfahrung des Einbruchs menschlicher und außermenschlicher Gewalt. Zur Debatte steht also nicht, ob die Welt tatsächlich so entstanden ist wie die Bibel es „lehrt“, sondern ob es einen Garanten ihrer Dauer und ihres Bleibens gibt. Wer im Sinne von Gen 1,1 nach ihrem Anfang fragt, muss sich daher von der Vorstellung naturgeschichtlicher Werdeprozesse trennen, die den Rückschluss auf ein Ursprungsdatum von Himmel und Erde nahe legen könnten, Die Schöpfung, von der die Bibel erzählt, lässt sich auf keine Weise wie ein naturhistorischer Anfang „verifizieren“.

Genau hier liegt der theologische Grundfehler des Kreationismus. In der Meinung, die Wahrheit der Bibel gegen eine gottlose Aufklärung zu verteidigen, setzt er sich über die Fragerichtung und damit über die Absicht der alten Texte hinweg. Er verfälscht deren Pointe, indem er historisiert, was historisch niemals gemeint war. Es liegt ja auf der Hand, dass man nach Adam und Eva nicht in derselben Weise fragen kann, wie nach David oder Jeremia. Sie sind nicht historisch einmalige Individuen, sondern Repräsentanten der Menschheit. Was sie verkörpern und was die Erzähler an ihnen beschäftigt, ist das wiederkehrend Typische des menschlichen Daseins. Der Urgeschichte kommt man mit der Frage: Was ist damals wirklich geschehen? überhaupt nicht bei. Also: Aus dem atheistischen Schiff Dawkins kann man sich nicht umstandslos in die Arche der biblischen Geschichte retten. Das heißt nun allerdings nicht, dass wir dessen atheistische Konsequenzen übernehmen und das biblische Wissen hinter uns lassen müssten.

3. Gibt es eine Position zwischen Fundamentalismus und wissenschaftlicher Aufklärung?

Diese Frage richtet sich an das Gespräch zwischen Theologie und Naturwissenschaft. Kann man es anders führen als so, dass wie bei Dawkins der theologische Partner als inkompetent am Ende ausscheiden muss? Auch der „härteste“ Physiker, sagte ich eingangs, lebt immer in zwei „Sprachspielen“ zugleich. Nachdenkliche unter ihnen haben das offen eingestanden. So schreibt etwa Harald Fritzsch: „Weder in den Tiefen … des Raums noch im Inneren der Atome“ hat der Mensch gefunden, was er mit all seiner Anstrengung suchte, „Sinn für sein Dasein und die Möglichkeit, ethische Werte und Ziele für sich abzuleiten.“ Und weiter: „Gibt es einen Platz in der Welt für Gott, wenn es doch scheint, als würde Gott für die im Universum ablaufenden Prozesse gar nicht benötigt? ... Gibt es einen unversöhnlichen Widerspruch zwischen Religion und Naturwissenschaft?“

Davon, so Fritzsch, könne keine Rede sein, und so lautet sein Gesprächsangebot: „Die Welt des Glaubens und die Welt der Nazutwissenschaft sind komplementäre Welten, die sich gegenseitig bedingen.“ Nur fehle es an Theologen, die sich an eine neue Deutung biblischer Dokumente heranwagen (Vom Urknall zum Zerfall, 1994, 325ff.). Doch auch hier sollte man besonnen und nüchtern ans Werk gehen. Dazu mahnt der in diesem Dialog engagierte Physiker Jürgen Audretsch, indem er mit einer desillusionierenden Feststellung beginnt: Die theoretischen Modelle der Physik haben „mit theologischen Aussagen überhaupt keinen Berührungspunkt.“

Darum sollte man Gott auch nicht für erledigt halten, wenn man – wie Dawkins – einen solchen Berührungspunkt nicht findet. „Von der physikalischen Kosmologie geht keine theologische Botschaft aus, sie erzwingt keine theologischen Konzepte, legt sie nicht einmal nahe.“ Vollends kann ein im Sinne der Schöpfung anfängliches Handeln Gottes „nicht in einem singulären Ereignis ('Urknall') lokalisiert werden“. Audretsch macht damit ernst, dass es sich hier wirklich um getrennte Sprachspiele handelt, die man nicht (wie Dawkins versucht) ineinander mengen soll, und fragt, ob ein Vergleich zwischen naturwissenschaftlicher und religiöser Erfahrung nicht ein erfolgversprechenderer Weg ist. „Wie wird Wirklichkeit erkannt? Das ist die … zentrale Frage“, und Wirklichkeit ist für ihn mehr als ein bloßer Gesetzeszusammenhang. Ließe sich auf diese Weise verständlich machen, in welchem Sinne Fritzsch hier von zwei Welten spricht, die sich gegenseitig bedingen?

Es hat einen guten Sinn, Erklären und Verstehen zu unterscheiden. „Erklärt ist etwas, wenn man damit in einem bereits vorgegebenen Sinnhorizont (z.B. dem der Newtonschen Physik) etwas anfangen kann. Das Verstehen richtet sich auf diesen Sinnhorizont. Was naturwissenschaftlich erklärt wird, ist damit also noch, nicht verstanden“ (Meyer-Abich). Man kann die Planetenbahnen erklären, ohne zu verstehen, was das für eine Art Physik ist (polemisch Newtontsch). Sagt man aber mit Planck, dass die klassisch-physikalische Erkenntnis die Beschreibung der Welt aus der Sicht eines außerirdischen Schöpfers ist, dann wird verständlich, was diese Physik erklärt. Das wäre ein Modell für die von Fritzsch gemeinte Zuordnung der beiden Welten. Man braucht Gott nicht mit den Konstruktionen unserer Naturgesetze zu behelligen.

Könnte sich dieses Modell an dem umstrittenen Fall der Evolution bewähren? Man lernt sie heute als das „Konzept einer Welt“ zu interpretieren, „die allezeit im Werden begriffen ist“ (Bosshard), d.h. als das Angebot einer Theorie der Geschichtlichkeit der Natur, die deterministische Erklärungsmodelle grundsätzlich hinter sich lässt. Doch ist sie deshalb schon ein Zufallsprodukt? „Durch Zufall“, so Meyer-Abich, „entsteht lediglich eine Auswahl von Variationen dessen, was schon da ist, d.h. sozusagen ein Angebot für die weitere Entwicklung. Welcher dieser Variationen … dann aber Raum gegeben wird, richtet sich danach, welche von ihnen am ehesten in die Welt passt. Es ist also die jeweilige Beschaffenheit der Welt, durch die sich entscheidet, welche Veränderungen für die weitere Entwicklung tauglicher sind als andere.“

Dazu brauchen wir in der Tat keinen Gott. Dawkins Polemik ist überflüssig. Damit bekäme auch die These des Intelligent Design einen guten Sinn. Statt eines von außen erfolgenden gestaltenden Eingriffs besagte sie, „dass die Natur viel zu weise eingerichtet ist und alle Dinge viel zu gut zueinander passen, als dass sie ohne Vernunft so geworden sein könnten, wie sie sind“ (ebd. MS 26). Man müsste auch kein äußeres Ziel der Entwicklung postulieren, es genügte mit einer Art Entelechie zu rechnen. Meyer-Abich benutzt in Anlehnung an den Kirchenvater Gregor von Nyssa die Metapher einer „Keimkraft … zur Entstehung des Alls“. Damit ist umschrieben, was die moderne Theorie der Selbstorganisation aufzuhellen versucht – soweit kommt man allenfalls mit dem Erklären: Mit ihr stellt sich aber unausweichlich die Frage: Wer oder was ist das Selbst der Selbstorganisation. Wir brauchen – man sollte das offen aussprechen – über Gen 1 hinaus einen Schlüssel, der zu diesem Schloss passt.

Hier also ist das Verstehen aufgerufen, das die naturgeschichtliche Erklärung nicht erweitern oder ergänzen, sondern verständlich machen soll. Es kann sich also nicht darum handeln, auf naturgeschichtlicher bzw. -gesetzlicher Ebene eine neue Kraft oder ein neues Prinzip einzuführen, sondern es geht darum, das Anfängliche des Anfangs zu verstehen. Denn die Entwicklung des Kosmos ist ein Einzelphänomen, mit dem sich „keine wiederholbaren Erfahrungen“ machen lassen, ein Phänomen, das sich daher „nur mit der Einmaligkeit von historischen Vorgängen und Geschehnissen im religiösen Raum“ vergleichen lässt (Audretsch).

Es gibt „grundsätzlich kein kosmologisches Naturgesetz“. Wohl können wir durch Extrapolation bekannter Gesetze (Rotverschiebung!) schließen, dass es einen Anfang geben muss, aber damit haben wir ihn nicht verstanden. Er bleibt unser Postulat. Will man an dieser Stelle nicht die Segel streichen, dann ist ohne einen Schöpfer gar nicht auszukommen. Denn der Möglichkeit nach muss der Kosmos von Anfang an dagewesen sein; sonst hätte er nicht entstehen können (Meyer-Abich, MS 29). Hier hat die Theologie ihren legitimen Ort. Sie führt Gott nicht als Lückenbüßer eines uns unbekannten oder nur unvollständig bekannten Entwicklungsgesetzes ein, nicht als „Deus ex machina“, sondern um den Anfang als Anfang verständlich zu machen, denn sonst würde gar nichts verständlich. Pointiert gesagt: Nicht die Welt erklärt Gott (als möglich oder notwendig), vielmehr wird sie selbst erst durch ihn „erklärt“, d.h. in ihrem Dasein verständlich gemacht.

Gehen wir einen letzten Schritt weiter und fragen: Wie ist das zu denken?, dann legt sich kaum die „Sicht eines außerirdischen Schöpfers“ nahe. Tatsächlich geht der neutestamentliche Kolosserbrief über die Perspektive von Gen 1 hinaus und erklärt: „in ihm“, in Christus, der ‚im Anfang bei Gott war’, „ist alles erschaffen, was in den Himmeln und auf der Erde ist“ (Kolosser 1,16). Dabei muss das „in ihm“ eindeutig „im eigentlichen lokalen Sinn“ verstanden werden. Christus wird „gewissermaßen (als) die Sphäre dargestellt, in der die Welt geschaffen wurde und bewahrt wird“ (E. Schweizer, 60). Er ist, interpretiert Calvin, der Logos, der „wie im Anfang immerfort die ganze Welt erfüllt“ (Institutio II,13,4).

Der Kosmos ist in Christus gebildet, nicht Christus in ihm. Und dieser in die Welt herabgestiegene Christ ist „Deus manifestatus in carne“, Gott im Fleisch, d.h. im Stoff der Natur, manifest geworden. Hier also ist von der Weltimmanenz Gottes als Schöpfer die Rede. Gott ist das Ursprungsgeheimnis der Welt. So haben ihn neuere Entwürfe verstanden, allen voran A. N. Whitehead: Gott, der seiner Schöpfung das Ziel ihrer Entwicklung vorgibt, und Gott, der ihr Werden von innen begleitet, ohne sich freilich von ihr abhängig zu machen oder gar in ihr aufzugehen. Dieses Ursprungsgeheimnis ist zugleich ihre Auszeichnung. Als Schöpfung ist sie in die Selbstdarstellung einer Wahrheit hineingenommen (Gott „expliziert sich in ihr“, konnte die alte Theologie sagen), die ihr zeitlich und sachlich vorausgeht und sie darum jederzeit mehr sein lässt als bloße Natur.

Deshalb ist es gut begründet, sich allem kurzschlüssigen Atheismus zum Trotz an unsere größere und ältere Tradition zu halten. „Gott hat sich derart im ganzen Gebäude der Welt offenbart, und tut es noch heute, dass die Menschen ihre Augen gar nicht aufmachen können, ohne ihn notwendig zu erblicken“ (Calvin, Institutio 1,5,1) Denn „sollte Gott nicht in jedem Grashalm, in jeder Schneeflocke heilig sein? Sicher – ohne uns und gegen uns – in jedem Atemzug, den wir tun, in jedem Gedanken, den wir denken ... Sie (die Welt) lebt, ob sie das merkt oder nicht und dafür dankbar ist oder nicht, von dem Objektiven, dass sie seine Welt, dass er zu ihr hin offen ist und geöffnet bleibt.“ (Karl Barth, KD IV/4, Nachlass, 197).


Christian Link