Die Sakramente als göttliche Pädagogik

Taufe und Abendmahl nach Johannes Calvin. Von Georg Plasger, Siegen


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Die Sakramente sollen Menschen zu Christus hinführen. Das Besondere an ihnen im Unterschied zur Predigt? Sie sprechen neben dem Hören auch andere Sinne des Menschen an.

In der reformierten Kirche geistert immer wieder die Auffassung umher, als sei das reformierte Sakramentsverständnis durch den Begriff „symbolisch“ zu verstehen und das Abendmahl sei ein Erinnerungsmahl. So einfach aber ist es nicht, zumindest nicht für Calvin. Die Sakramente haben darin ihre ureigentliche Funktion, dass sie Menschen zu Christus hinführen sollen: Dort ist Gottes Zuwendung zum Menschen zu sehen und ebenso die menschliche Verderbnis – da ist der Trost der ganzen Welt zu finden.

Nun könnte gefragt werden, inwiefern denn die Sakramente das anders oder besser tun können als beispielsweise die Predigt, die bei Calvin ja genau den gleichen Zweck hat: Auch sie soll zu Christus hinführen. Die Besonderheit der Sakramente besteht nach Calvin in der Anpassung Gottes an die menschlich begrenzte Kapazität. Weil der Mensch ein Wesen mit vielen Sinnen ist und der Mensch oft zu schwach ist, sich vom gehörten Wort allein bewegen zu lassen – darum gibt es die Sakramente, die sinnenfällig den schwachen Menschen abholen. Man könnte deshalb die Sakramente mit Calvin auch im Sinne einer „ganzheitlichen göttlichen Pädagogik“ verstehen, weil Gott in den Sakramenten verschiedene Sinne anspricht und durch sie den Menschen auf Christus hin bewegt.

Wie aber geschieht das, dass ein Sakrament tatsächlich zu Christus führt? Es geschieht nicht, so Calvin, indem die Handlung vollzogen wird – dann wäre das Sakrament als eine Art Mantra missverstanden, das Gott gleichsam herbeizwingt. Vielmehr ist es Gott selber im Heiligen Geist, dessen Wirken das Entscheidende in den Sakramenten ist. Gott selber schenkt in den Sakramenten durch den Heiligen Geist, dass die Herzen der Menschen auf ihn hin geöffnet werden – das, so Calvin immer wieder, ist die entscheidende Verheißung der Sakramente. Der Heilige Gest verbindet mit Christus. Deshalb vergewissert die Taufe auch der Heiligung, weil wir „nicht nur in Christi Tod und Leben eingeleibt, sondern auch dergestalt mit Christus geeint sind, dass wir aller seiner Güter teilhaftig werden.“ (1) Der Begriff der „Verheißung“ ist hier wichtig, weil die Sakramente nicht „automatisch“ wirken, aber es im entscheidenden Sinn um eine geistliche Handlung geht, in der auf Gottes Handeln vertraut wird. Ein Begriff, der von Calvin ausgehend beispielsweise auch im Heidelberger Katechismus aufgenommen wurde, ist der des „Siegels“ – in den Sakramenten besiegelt Gott seine Verheißung. Und das voraussetzend ist jedes Sakrament auch ein Bekenntnis vor Gott, weil es Gott die Ehre gibt, d.h. weil es Gott darin lobt, dass er den Menschen zu Christus führt und ihn aus seiner Verlorenheit errettet. Aber es ist ebenso ein Bekenntnis vor den Menschen, weil es Gottes Verheißung kundtut – eine Sakramentsfeier ist ja ein öffentliches Ereignis, in welcher gehört und gefühlt werden kann, „wie freundlich der Herr ist“. (2) Beim Abendmahl wehrt sich Calvin deshalb gegen eine Unter- und eine Überschätzung.

Unterschätzt wird das Abendmahl dort, wo die Verheißung zu klein geschrieben wird. Diese Gefahr sieht Calvin dort, wo man meint, auf das Abendmahl verzichten zu können, weil es letztlich allein auf den Glauben ankäme und nicht auf äußere Zeichen. Ja, es stimmt, so Calvin, dass das Abendmahl nicht mehr bringt. Aber es nimmt die menschliche Schwachheit nicht ernst genug und betont also die Selbsterkenntnis zu wenig, wenn Christen auf das Abendmahl nicht angewiesen zu sein meinen. Brot und Wein als sichtbare Zeichen verweisen auf die himmlische Speise selber, auf Christus. Denn das Abendmahl ist von Christus „eingesetzt, um uns zu lehren, dass unsere Seelen durch die Gemeinschaft mit seinem Leib und Blut in der Hoffnung auf das ewige Leben genährt werden, und uns dessen gewiss zu machen.“ (3) Wer zu gering vom Abendmahl denkt, überschätzt sich selber. Calvin hat deshalb jeden Sonntag das Abendmahl feiern wollen – ein Vorschlag, mit dem er sich nicht durchsetzen konnte. Das prägt bis in die Gegenwart hinein die meisten reformierten Gemeinden.

Aber auf der anderen Seite warnt Calvin fast noch heftiger gegen die Überschätzung der Zeichen. Denn das Abendmahl ist auf keinen Fall so zu verstehen, als wäre die „Gegenwart Christi … an das Element des Brotes“ (4) gebunden oder in das Brot eingeschlossen. Das Brot und der Wein sind nämlich nie für sich selber zu verstehen, sondern nur im Zusammenhang des Bundes Gottes. Deshalb kann das „ist“ in den Einsetzungsworten des Abendmahls auch nicht aus dem Zusammenhang gerissen werden – es muss wie auch an vielen anderen biblischen Stellen als Vergleich verstanden werden. Weil Christus nach seiner Auferstehung leiblich im Himmel zur Rechten Gottes sitzt, ist er nicht leiblich, sondern geistlich gegenwärtig – nach Calvin keine Minderung der Gegenwart Christi, sondern ein anderer Modus. Immer wieder betont Calvin übrigens, dass er diese Einsicht nicht – wie ihm zuweilen vorgeworfen wurde – aus Vernunftgründen entwickelt habe, sondern aus der Auslegung der Heiligen Schrift.

(1) Institutio IV,15,6, in: Weber, Unterricht, .900.
(2) Ps 34,9.
(3) Genfer Katechismus von 1545, aus Abschnitt 51 (in: Calvin-Studienausgabe Band 2, Neukirchen 1997, 1-135), 125.
(4) Institutio IV,17,19, in: Weber, Unterricht, 955.

Aus: Georg Plasger, Das Calvinjahr 2009 als theologische Herausforderung. Vortrag vor der Synode der Ev.-ref. Kirche auf der Frühjahrssynode 2009 in Emden


Georg Plasger