Wer einmal beginnt, sich mit der Frage des digitalen Abendmahls zu beschäftigen, findet sich unversehens auf einem weit über die spezielle Frage hinausreichenden und tatsächlich kaum noch überschaubaren Feld wieder. Es scheint sich hier deutlich mehr zu vollziehen als eine Medienrevolution wie zur Zeit der Erfindung des Buchdrucks im 15. Jahrhundert. Wir befinden uns erst am Anfang einer Entwicklung, die sich in allen Lebensbereichen überaus folgenreich auswirken wird. Selbst unser Bild vom Menschen als einem freien Subjekt, wie es sich erst in der Neuzeit durchgesetzt hat, könnte im Zuge dieser Veränderungen zu einem epochalen Phänomen werden, das seine Zeit gehabt hat, um dann zugunsten anderer Wahrnehmungen wieder in den Hintergrund zu treten.1
Die verschiedenen Generationen bewegen sich teilweise bereits in unterschiedlichen Welten, und es bedarf keiner hellsichtigen Begabung um vorauszusagen, dass bereits in fünfzig Jahren unsere Zeit als digitale Steinzeit angesehen wird, in der die ersten digitalen Werkzeuge zur Effizienzsteigerung unserer Datenkommunikation entwickelt wurden. Die weitere Entwicklung lässt sich seriös nicht voraussagen, was nichts an der Gewissheit ändert, dass sie für uns heute noch unvorstellbare Konsequenzen haben wird.
Auch wenn sich die Entwicklung nicht aufhalten lässt, wird es wesentlich darauf ankommen, sie so zu gestalten, dass sie tatsächlich dem Leben dient. In den sogenannten sozialen Netzwerken erleben wir ja schon gegenwärtig die Ambivalenz der neuen Möglichkeiten, die eben auch ein durchaus bedrohliches Gefahrenpotenzial mit sich bringen. Es wird entscheidend darauf ankommen, die überreichlichen Missbrauchsmöglichkeiten wirksam einzudämmen, wenn es am Ende nicht so sein soll, dass unsere Tagesordnungen von den Manipulatoren von social media aufgestellt werden.
Heute wollen wir uns heute mit der Frage befassen, ob das Abendmahl auch digital angemessen gefeiert werden kann. Es geht nicht darum, eine endgültige Antwort auf diese Frage festzulegen. Vielmehr wollen wir uns die Aspekte vergegenwärtigen, die dabei heute unsere besondere Aufmerksamkeit verdienen. Dazu hebe ich fünf theologische Aspekte hervor, an die wir uns in diesem Zusammenhang im Blick das Abendmahl erinnern lassen sollten, um dann anschließend in einem zweiten Teil einige Überlegungen zur Frage seiner digitalen Gestaltung zur Diskussion zu stellen.
I.
1. Im Abendmahl geht es um die gemeinschaftliche Feier und Vergewisserung der heilsamen Gegenwart des auferstandenen Christus bei seiner Gemeinde. Die Menschwerdung des Wortes Gottes ist keine limitierte Episode der Vergangenheit, nach der die unsterbliche Seele Jesu anonym in der transzendenten Ewigkeit Gottes verschwunden ist. Der Auferstandene ist uns mit seiner Himmelfahrt nicht ferngerückt, sondern er lebt in der uns zugewandten Wirklichkeit Gottes und tritt dort für uns ein. Das Glaubensbekenntnis formuliert: er sitzt zur Rechten Gottes.
Die biblischen Auferstehungszeugnisse betonen bei aller geheimnisvollen Verwandlung die Leiblichkeit des Auferstandenen und heben damit seine bleibende Identität mit dem irdischen Jesus hervor. Es sind nicht Fleisch und Blut, sondern Brot und Wein, die für diese verwandelte Leiblichkeit des Auferstandenen stehen. Jesus selbst hat Brot und Wein mit der besonderen Verheißung seiner Selbstvergegenwärtigung versehen und seine Jünger dazu angehalten, in der Feier des Abendmahls die in ihm vollzogene Erfüllung des Bundes Gottes mit dem Menschen immer wieder zu vergegenwärtigen. Das Evangelium bleibt bezogen auf den gegenwärtigen Auferstandenen in seiner geheimnisvollen Leiblichkeit. Das ist das im Abendmahl in Anspruch genommene Geheimnis des Glaubens [, ganz gleich ob von der entsprechenden liturgischen Formel (sie stammt aus römisch-katholischen Liturgiereform im 20. Jahrhundert) in unserer Abendmahlsfeier Gebrauch gemacht wird oder nicht].
2. Ostern ist das Ur-Datum und der Schlüssel zum christlichen Glauben. Aber die Osterbotschaft ist keine Veranlassung für einen christlichen Triumphalismus, sondern hält die Abgründe im Blick, aus denen sie herausführt. Der Auferstandene bleibt der Gekreuzigte. Das bleibt für die im Abendmahl gefeierte Gegenwart des Auferstandenen entscheidend. Es bleibt daran zu erinnern, dass Jesus das Abendmahl einsetzt in der Nacht, in der er verraten wurde, und zwar in dem Kreis, aus dem heraus er verraten wurde. Angesichts der Jesus bedrängenden Gefahr schliefen seine Jünger ein im Garten Gethsemane und sie verleugneten ihn sodann als sich die römischen Soldaten seiner bemächtigt hatten. Bei dem Verrat Jesu und seiner Verleugnung geht es nicht um irgendwelche abseitigen Denunzianten oder Religionsverächter, sondern um den engsten Kreis seiner Freunde, die schon am Gründonnerstag gleichsam im Vorgriff auf das, was sich schon in unmittelbarer Zukunft ereignen wird, darauf aufmerksam gemacht werden, dass sie auch weiter auf die Vergebung ihrer Sünden angewiesen sein werden.
Das Abendmahl, in dem nicht an die Vergebung irgendwelcher Sünden erinnert wird, sondern eben an unsere eigenen und auch die unserer Gemeinschaft, wird um dieser Erinnerung willen ausdrücklich in der begrenzten und zugleich geschützten Öffentlichkeit der versammelten Gemeinde eingesetzt. Brot und Wein machen die im Kreuzestod so schmerzlich in Kraft gesetzte Verheißung jedem einzelnen und zugleich allen gemeinsam gleichsam körperlich gegenständlich: „für euch gegeben“ – „für euch vergossen“. Die von Paulus angesprochene Würdigkeit zum Mahl (1Kor 11,27) ist theologisch nicht in irgendeiner moralischen Integrität zu suchen, sondern vor allem in der Ernsthaftigkeit der eigenen Sündeneinsicht.
Es gibt durchaus so etwas wie eine Vorbereitung auf das Abendmahl. Sie besteht in der aus der Vergebung kommenden befreiten Anerkennung, dass unsere Würdigkeit allein in der Wahrnehmung unserer tatsächlichen Unwürdigkeit liegen kann. Die Osterbotschaft stellt die Heilsbedeutung des Kreuzes, die passionierte Rettung der eben immer auch treulosen Freunde Gottes ins Licht, die ebenso wie alle anderen auf die Vergebung angewiesen bleiben. Auf die je neue Verwirklichung dieser Rettung setzt das Abendmahl und inszeniert damit in Brot und Wein erfahrbar eine fundamentale Dimension des christlichen Glaubens, auch wenn diese heute einigermaßen unpopulär geworden ist.
3. Das Abendmahl umfasst neben dieser vertikalen Dimension auch eine horizontale Dimension. Jesus dankt Gott und gibt das Brot weiter an seine Jünger. Das Abendmahl ist nicht nur Eucharistie, also Feier des Dankes, sondern eben auch Kommunion, unbedingte Bekräftigung der besonderen in Christus begründeten Gemeinschaft. Es lenkt die Aufmerksamkeit nicht nur auf die Präsenz des Auferstandenen, sondern auch auf die essenzielle Verbundenheit der Glaubenden untereinander und die von dieser Verbundenheit ausgehende Ausstrahlung in die sie umgebende Welt.
Es gehört zu den festzuhaltenden Einsichten des Lima-Dokuments des ÖRK von 1982 „Taufe, Eucharistie und Amt“, dass es auf die ethische Dimension des Abendmahls aufmerksam macht. Die „verantwortliche Sorge der Christen füreinander und für die Welt“ sind als essenzielle Elemente der rechten Feier des Abendmahls anzusehen.2 In aller Deutlichkeit betonte Martin Luther, dass diejenigen das Mahl vergeblich feiern, die das Abendmahls nur für sich konsumieren und nicht „auch Gemeinschaft halten, […] nicht den Armen helfen, die Sünder dulden, für die Elenden sorgen, mit den Leidenden mitleiden“ wollen.3 Deshalb gehört auch schon zur Feier des Abendmahls essenziell die gemeinschaftliche Interaktion. Sowenig wie man sich selbst taufen oder die Absolution erteilen kann, sowenig kann man sich selbst das Abendmahl austeilen, sondern empfängt es aus der Hand eines anderen.4 Die Bereitschaft der Gemeinde, sich mit der Feier des Abendmahles immer wieder neu von Christus gleichsam zurechtbringen zu lassen, bezieht sich auch auf die Berufung und Sendung der Kirche. Darin liegt die besondere Stärkung, die vom Abendmahl ausgeht, dass es die Kirche sowohl an die Klarheit als auch an die gleichsam leibliche Wirklichkeitsrelevanz ihres Zeugnisses erinnert.
4. Die angesprochene Gemeinschaft (koinonia, communio) impliziert mindestens vier zusammengehörige Dimensionen: Die Gemeinschaft mit Christus, die Gemeinschaft der versammelten Gemeinde, aber eben auch die Gemeinschaft mit der weltweiten Kirche (synchronisch) und ebenso die Gemeinschaft mit allen Christen von den ersten Anfängen der Kirche an (diachronisch). Die von der einzelnen Gemeinde gefeierte Gemeinschaft weist immer über sich hinaus in die weltweite Kirche und die Ökumene. [Die Gemeinde teilt die Gaben in der unbedingten Annahme aller Beteiligten und weiß sich zugleich hineingestellt in eine über ihre räumlichen und zeitlichen Grenzen hinausgehende Gemeinschaft, ohne welche sie nicht sein kann, was sie ist – es geht hier um das Attribut der Katholizität der Kirche].
Diese Gemeinschaft bezieht ihre Kraft nicht aus den gegenseitigen Sympathien, wie es im Vereinsleben die Regel ist, oder aus miteinander geteilten Werten, sondern sie weiß sich in Christus konstituiert, durch den sie immer wieder neu zur Umkehr ermutigt wird. Er ist es, der immer wieder für sie einsteht und von dem sie ihre Orientierung bezieht. Wird dieser Aspekt zu leichtgenommen, besteht die Gefahr, dass sowohl der mit dem Abendmahl verbundene Dank als auch die mitgenommene Ermutigung allzu billig ausfallen. Was Dietrich Bonhoeffer sowohl über die billige Gnade gesagt hat als auch über den besonderen Gemeinschaftscharakter der Gemeinde als Leib Christi, verdienen in diesem Zusammenhang besondere Beachtung.5
5. Auch im Blick auf die Ökumene sollte dem Abendmahl eine besondere Achtsamkeit zukommen. Es bietet sich nicht an als ein Experimentierfeld für konfessionelle Selbstprofilierung bzw. originelle liturgische Phantasiebekundungen. Wird die Notwendigkeit des kirchlichen Amtes in welcher Ausprägung auch immer von der Kirche vorausgesetzt, so wird dies ganz gewiss in einer theologisch ausgewiesenen Begleitung der gottesdienstlichen Vollzüge und insbesondere von Taufe und Abendmahl bestehen. Damit wird aber nicht unterstellt, dass jede Abendmahlsfeier unbedingt die Anwesenheit einer ordinierten Person voraussetzt. Auch wenn es zweifellos Christus selbst ist, der zum Abendmahl einlädt, bleibt doch der Kirche seine möglichst einsetzungsgemäße Gestaltung anvertraut. Ökumenisch allgemein anerkannt gehören für eine ordentliche Feier des Abendmahls die Eucharistie (die Danksagung), die Anamnese (die Vergegenwärtigung des in Christus geschehenen Heils) und die Epiklese (die Bitte um die Gegenwart des Heiligen Geistes) zusammen. Die Kirche wird gut beraten sein, sich darüber hinaus nicht allzu weit in ausgeklügelte theologische Spekulationen (etwa über die sogenannte Realpräsenz) zu verlieren, welche die Gemeinschaft der Kirchen bekanntlich vor allem belasten.
II.
Wenn wir uns jetzt ausdrücklich der Frage nach einer digitalen Feier des Abendmahls zuwenden, bleibt zunächst wahrzunehmen, dass hier inzwischen alles möglich zu sein scheint, bis hin zur Abendmahlsliturgie per Twitter zur eigenen Selbstbedienung, wobei Brot und Wein auch durch anklickbare Bilder ersetzt werden können.6 Offenkundig sind höchst unterschiedliche Situationen vorstellbar, die je eigens zu bedenken wären. Es ist beispielsweise etwas grundlegend Anderes, ob die Frage im Blick auf einen gestreamten Gemeindegottesdienst gestellt wird, der aus welchen Gründen auch immer nicht in kohlenstofflicher Präsenz gefeiert werden kann, oder im Blick auf ein an die Öffentlichkeit gerichtetes Onlineangebot, mit dem ein Publikum erreicht werden soll, das sich nicht mit einer konkreten Gemeinde verbunden weiß. Daneben sind viele andere Varianten vorstellbar.
Eine allgemeine Antwort kann es hier nicht geben. Deshalb will ich mich auf sieben Gesichtspunkte beschränken, deren Beachtung mir besonders wichtig erscheint. Fairer Weise will ich gern bekennen, dass ich in diesem Bereich kaum wirkliche Erfahrungen habe, die meiner bisherigen Skepsis widersprechen würden. Auch besteht die Gefahr, einen idealisierten Präsenzgottesdienst mit einem schlecht gemachten digitalen Gottesdienst zu vergleichen, so dass die-sem keine wirkliche Chance gegeben wird. Auch über diese Fragen können wir ja anschließend noch ins Gespräch kommen.
1. Auch wenn einzuräumen ist, dass auch in einem digitalen Gottesdienst Gemeinschaft konstituiert und erfahren werden kann,7 kann dies nicht einfach für jedes Online-Angebot vorausgesetzt werden. Zudem wird sich kaum bestreiten lassen, dass jede digital hergestellte Gemeinschaft defizitär bleibt. Das betrifft schon das Teilen eines gemeinsamen Raumes, das unmittelbare Erleben, so wie die unterschiedlichen Dimensionen der Körperlichkeit der Gemeinschaft. (Selbst wenn sich ein Fußballfan in perfekter Fanbekleidung mit einigen Freunden vor den Bildschirm setzt, kann dies nicht wirklich mit einem Besuch im Stadion verglichen werden. Man hat sich am Ende ein Spiel in der Selektion der eingesetzten Kameras angesehen, war aber nicht tatsächlich dabei. Für andere mag der Hinweis auf die digitale Übertragung von Konzerten ein sprechenderes Demonstrationsbeispiel sein.) Als zweite Wahl bzw. als Ersatzveranstaltung können digitale Gottesdienste oder auch Fernsehgottesdienste ein zu begrüßender Behelf sein; auch wenn wir uns mittlerweile schon ein wenig an diese Gottesdienste gewöhnt haben mögen, bieten sie nur eine unvollkommene Alternative zum Präsenzgottesdienst, auch wenn er durchaus eigene neue Perspektiven eröffnen kann.
2. Noch weniger als der Präsenzgottesdienst kann sich der digitale Gottesdienst gegen ein Abgleiten in das Konsum-Genre schützen. Teilnahme wird zum Anschauen, wobei bekanntlich nicht auszuschließen ist, dass nebenbei auch noch etwas anderes gemacht wird. Auch wenn gern der Eindruck geweckt wird, dass ein digitaler Gottesdienst die Interaktionsmöglichkeiten sogar erweitert, sind die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nicht automatisch dazu geeignet, die von einem lebendigen Gottesdienst zu erwartende konzentrierte Interaktion zu befördern – eher ist das Gegenteil der Fall. So ist beispielsweise die Chat-Möglichkeit, die für eine Videokonferenz nützlich sein kann, im digitalen Gottesdienst solange hinderlich oder gar lästig, wie sie nicht für bestimmte Elemente des Gottesdienstes eingesetzt wird.
3. Die Digitalisierung scheint zu öffnen und in weitere Räume vorzudringen, tatsächlich hat sich aber gezeigt, dass sie durch eigene Selektionsmechanismen faktisch auch eine neue Form der Fragmentarisierung sein kann, die sich auf bestimmte Resonanzräume konzentriert, die jeweils von bestimmten Sympathiegesichtspunkten konstituiert werden. Im Blick auf die digitale Feier des Abendmahls bekommt diese Tendenz eine zusätzliche Pointe, denn faktisch vollzieht es sich an entscheidender Stelle im Modus der Selbstbedienung. Wir kommen nicht zum „Tisch des Herrn“, sondern stellen uns selbst auf unserem Tisch bereit, was wir dann auch konsumieren wollen. Die Gefahr einer religiösen Selbstbedienung lässt sich wahrscheinlich bei keiner Form der Abendmahlsfeier ganz ausschließen, beim digitalen Abendmahl ist sie allerdings bereits schon mit in seinem Vollzug enthalten.
4. Der Greifbarkeit von Brot und Wein entspricht die Körperlichkeit der versammelten Gemeinde, welche die Gaben entgegennimmt und teilt. Es sind dieselben Gaben, die von allen Versammelten geteilt werden und sie damit im Vollzug zu einer von den Gaben bekräftigten Gemeinschaft macht. Wo dieser Aspekt keine Ausdrucksmöglichkeit findet, fehlt dem Abendmahl ein wesentliches Element.8
5. Das Abendmahl ist ein Zeichen, das daran hängt, dass Christi Eintreten für uns sowohl im Blick auf ihn selbst, aber auch im Blick auf uns eine körperliche Dimension hat, welche die Ganzheitlichkeit des einzelnen Menschen, aber auch der Gemeinde als des Leibes Christi unterstreicht. Eine digitale Feier könnte bestenfalls nur noch ein Zeichen von diesem Zeichen sein, ein zeichenhafter Hinweis auf das Zeichen (wie die Taufkerze bei der Taufe9), aber eben kaum das Zeichen selbst. Um eine solche Abstraktion zu vermeiden, sollte es bei einer Übertragung eines Gottesdienstes mit Abendmahl bei einer betrachtenden Teilnahme bleiben, weil sie nicht den Anschein erweckt, dass sich das körperliche Defizit überspielen ließe. Die Greifbarkeit des selbst bereitgestellten Brotes und Weins können nicht verhindern, dass es nur dem Anschein nach gefeiert wird – um es mit dem theologischen Fachausdruck zu sagen: es findet eine Doketisierung des Abendmahls statt.10 Deshalb lehnt etwa die anglikanische Kirche in England eine digitale Feier des Abendmahls ab und setzt im Blick auf mediale Gottesdienstübertragungen auf eine „spiritual communion“, durch die sich die Zuschauer in den übertragenen Gottesdienst einbezogen fühlen können.
6. Das Abendmahl ist gewiss das voraussetzungsvollste Element des Gottesdienstes, das sich keineswegs einfach hinreichend durch sich selbst erklärt. Deshalb findet es eben nicht einfach auf dem Areopag (Apg 17) oder einem anderen öffentlichen Marktplatzt statt und gehört dort auch nicht hin. Nicht zuletzt wird das auch darin deutlich, dass für die Teilnahme in der Regel die Taufe, d.h. die ausdrückliche Zugehörigkeit zur Gemeinde vorausgesetzt wird. Ganz unabhängig von der formalen Seite der Teilnahmeberechtigung war das Abendmahl von Anfang an zahlreichen Missverständnissen ausgesetzt und auch Gegenstand von Spott und karikierender Häme – ich denke etwa an David Humes Geschichte von dem zum christlichen Glauben bekehrten Mustafa, der nach seiner ersten Teilnahme am Abendmahl untröstlich traurig bekennt, dass es keinen Gott gäbe, weil er diesen im Abendmahl verzehrt habe.11
Das Abendmahl gehört daher in den geschützten Raum einer identifizierbaren Gottesdienstgemeinde, deren Gemeinschaft immer auch schon von dem Abendmahl herkommt, von dem sie sich immer wieder neu ermutigen lässt.12 Das Abendmahl kann schwerlich als ein missionarisches Instrument einfach an die allgemeine Öffentlichkeit adressiert werden. Im Zuge des weitreichenden Traditionsabbruchs kann nicht mehr damit gerechnet werden, dass im kollektiven Gedächtnis der Zeitgenossen noch eine verbreitete Erinnerung an die Heilsbedeutung des Kreuzes Jesu anzutreffen ist. Eine Trivialisierung des Abendmahls, aber eben auch eine problematische Resakramentalisierung bis hin zur Vorstellung einer Art heilsrelevanter Schluckimpfung könnten sich einschleichen. Der amerikanische Theologe Gordon Mikoski befürchtet, dass im Online-Abendmahl „die radikale Verkörperung des Evangeliums“ zu einem „postmodernen, virtuellen Gnostizismus“ verkommen könnte,13 d.h. zu einer nach den eigenen Bedürfnissen individuell zusammengebastelten Heilsvision.
7. Es könnte überlegt werden, ob das entscheidende Defizit des digitalen Gottesdienstes nicht insbesondere darin besteht, eben die Taufe und das Abendmahl nicht feiern zu können. Das erinnert uns daran, dass nicht alles, was uns bedeutsam ist, sich auch digital durchführen lässt. Das könnte als ein Abendmahls-Fasten durchaus auch ausdrücklich benannt werden, indem wir bewusst auf einen digitalen Ersatz verzichten. Umso mehr können wir uns dann darauf freuen, wenn die Gemeinde wieder tatsächlich zusammenkommen kann.14 Wo dagegen der seelsorgerliche Druck auf ein digitales Angebot des Abendmahles in den Vordergrund gestellt wird, bleibt zu fragen, ob hier nicht möglicherweise sowohl ein problematisches Verständnis des Gottesdienstes als auch des Abendmahles anzutreffen sein könnten, aber dazu möchte ich an dieser Stelle keine pauschalisierenden Einschätzungen abgeben.
Referat im Theologischen Ausschuss der Lippischen Landeskirche am 05.02.2021 und auf dem Klassentag der Lutherischen Klasse der Lippischen Landeskirche am 26.04.2021.
Eckhard Lessing, Abendmahl (Bensheimer Ökumenische Studienhefte 1), Göttingen 1993.
Michael Welker, Was geht vor im Abendmahl?, Gütersloh 52004.
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1 In anderem Zusammenhang hat dies bereits im Grundsatz Michel Foucault schon in 1960er Jahren prognostiziert; vgl. dazu u.a. Marcel Saß, Die Vermittlung der Vermittlung der Vermittlung – unterwegs im digitalen Zeitalter, in: Liturgie und Kultur 9 (2018), 19–24, bes. 20f.
2 Vgl. Taufe, Eucharistie und Amt. Konvergenzerklärungen der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung des Ökumenischen Rates der Kirchen („Lima-Dokument“) 1982, in: Dokumente wachsender Übereinstimmung, Band 1: 1931–1982, hg. v. Harding Meyer u.a., Paderborn/Frankfurt a.M. 1983, 545–585, 563.
3 Vgl. Martin Luther, Ein Sermon von dem hochwürdigen Sakrament des heiligen wahren Leichnams Christi und von den Bruderschaften (1519), in: Martin Luther. Aus-gewählte Schriften, hg. v. K. Bornkamm u. G. Ebeling, Band II, 52–77, 61 (WA 2, 742–758)
4 Martin Luther, WA 8, 514; vgl. Schmalkaldische Artikel II/2, BSLK 418f.
5 Dietrich Bonhoeffer, Nachfolge (DBW 4), München 1989; ders., Gemeinsames Leben (DBW 5), München 1987.
6 Vgl. Gordon Mikoski, Über die Mediation der Mediation der Mediation: Die (Un-)-Möglichkeit von Online-Abendmahl, in: Liturgie und Kultur 9 (2018), 12–18, 13f.
7 Stefanie Alice Neuenschwander benennt durchaus anspruchsvoll für online konstituierte Gemeinschaft vor allem stabile Mitgliedschaft und Identität der Mitglieder, Interaktivität, regelmäßige Teilnahme und persönliche Anteilnahme und rekurriert dabei auf den von Sozialwissenschaften weithin rezipierten Gemeinschaftsbegriff von Ferdinand Tönnies (Social-Media-Plattformen als kirchliche Orte. Grundlegende Strategien für eine theologisch verantwortliche kirchliche Nutzung von Social Media, Masterarbeit an der Theologischen Fakultät der Universität Zürich 2018 (http://www.theologie.uzh.ch/dam/jcr:f0cf882b-1f2f-4eee-912d-fc0f6059e812/-Neuenschwander-FS19.pdf; Zugriff: 24.04.2021).
8 Vgl. theologisch noch etwas steiler Volker Leppin, Wertvolles Geschehen, in: Zeitzeichen 21 (2020), Heft 6, 45.
9 Was bei der Taufe einen Sinn haben kann, weil diese ja nicht wiederholt wird, bleibt beim Abendmahl eine problematische Abstraktion.
10 Das ist der entscheidende Einwand von Gordon Mikoski, a.a.O., 16f.
11 Vgl. David Hume, Die Naturgeschichte der Religion (1757), (PhB 341) Hamburg 1984, 45f.
12 In ihrer im Internet zugänglichen Seminararbeit (Universität Basel) schlägt Claudia Daniel-Siebenmann für das Online-Abendmahl eine virtuelle Kirchentür vor, durch welche die TeilnehmerInnen in den Gottesdienstraum eintreten müssen („Christi Leib für dich im Livestream“ Abendmahl online feiern: https://www.theologie.uzh.ch/-dam/jcr:4e333449-de53-4acd-8622-2e55bcb93089/Seminararbeit_Ekklessiolo-gie_CDaniel.pdf. (Zugriff: 24.04.2021) Hier finden sich auch zahlreiche Literaturhinweise.)
13 A.a.O., 18.
14 Vgl. dazu Gregor Etzelmüller, Er, der lebt, gebot: Teilt das Brot – auch in Corona Zeiten? In: Junge Kirche 81 (2020), Heft 4, 42–45.