'Es beginnt mit dem Bund'

Eröffnungspredigt zu Jes 55,12

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In seiner Eröffnungspredigt und ersten Predigt als Generalsekretär des Reformierten Bundes bei der Hauptversammlung 2022 sprach Hannes Brüggemann-Hämmerling über die Friedensfrage im Ukrainekrieg.

Liebe Schwestern und Brüder,

So viel ist mir im Kopf und so viel will ich heute hineinnehmen in die Predigt. Pointiertes sagen und dabei doch nichts vergessen und gleichzeitig dem Geist noch Platz lassen bei all meinem Wollen. Vermutlich ein zu hohes Ziel für eine Predigt bei meiner Einführung, aber eines, von dem ich trotzdem nicht lassen will.

So habe ich für die Predigt heute einen Text aus dem 55. Kapitel des Jesajabuchs ausgewählt. Ein Kapitel, in dem zum Volk Israel im Exil gesprochen wird. Ein Kapitel, das Hoffnung verspricht und Gottesbeziehung klar macht, in dem es um Frieden geht und Freude. Aus diesem Kapitel möchte ich über Vers 12 predigen.

„Denn mit Freude werdet ihr ausziehen, und in Frieden werdet ihr geleitet. Vor euch werden die Berge und die Hügel in Jubel ausbrechen, und alle Bäume des Feldes werden in die Hände klatschen.“

Ihr werdet in Frieden geleitet werden, heißt es zum Volk Israel. Und wenn ich das heute höre, dann kann ich nicht anders als an die ‚humanitären‘ Korridore aus den belagerten Städten in der Ukraine zu denken.

Der Wunsch in Frieden geleitet zu werden, das hat auf einmal eine anfassbare, schreckliche Aktualität bekommen. Für mich als behüteten Westeuropäer, der nach dem Eisernen Vorhang aufgewachsen ist, ist das neu. Die Verheißung an Israel im Exil ist nicht mehr fernes Geschehen, sondern spricht mir aus dem Herzen, eigentlich trifft es mich im Herzen.

In Frieden sollen sie geleitet werden, so bete ich, ohne genau zu wissen, wie dieser Frieden erreicht werden kann oder aussehen soll. So bete ich, auch wenn ich mich schamvoll frage, warum ich dies nicht früher schon so stark gefühlt habe, wo doch Frieden in meinen Lebzeiten eigentlich nie richtig da war. Der Krieg war fern, jetzt ist er nah. Und von so einer Dimension, dass es nicht gänzlich undenkbar erscheint, dass auch hier wieder Krieg sein wird. Vielleicht bin ich da nicht konsequent genug gewesen, bei den anderen Kriegen, im Jemen, im Nordirak, in Bergkarabach, in Tigray in Äthiopien, an so vielen Orten.

„In Frieden sollen sie geleitet werden“.

Und ich lese im Jesaja-Buch diese Verheißung und wanke. Wer leitet denn in diesen Tagen zum Frieden? Wo ist der Gott des Friedens? Ich warte auf ihn und weiß nicht, wohin ich ausziehen soll. Ich warte auf Gott, auf das Leiten in Frieden.

Und während ich warte, weiß ich nicht, was ich tun kann. – Hier vor Ort helfen: wo es geht, ja! – Aber was soll man dort tun? Wie gerne würde ich dem Krieg ein Ende bereiten. Wie wünschte ich mir Putin zum Aufhören zwingen zu können. Doch ich kann nicht und zusätzlich bin ich ratlos, wie die Fragen nach Selbstverteidigung, nach Waffenlieferungen oder Sanktionen zu beantworten sind? Was bedeutet das für die Verheißung des Friedens?

Ich schaue auf diejenigen, die jetzt leiten, und hoffe auf den, der uns in Frieden leiten wird. Ich halte mich daran fest, an dieser Verheißung, die nicht mir galt, aber durch die Jahrhunderte zu mir spricht. Weil ich sonst nicht weiß, woran ich mich festhalten kann. Ich ringe mit mir und ich warte und ich bete, dass wir in Frieden geleitet werden.

„In Frieden werdet ihr geleitet und mit Freude werdet ihr ausziehen.“

Die Worte, die an das Volk Israel im Exil geschrieben worden sind, verheißen noch mehr. Ausziehen und wandern, das sind zentrale Begriffe für das Volk Israel. Ausziehen, oft mit wenig außer Gott an ihrer Seite.

Und so will ich nicht bleiben beim Festhalten, bei meiner Angst, beim Klagen. Ich will ausziehen, mit Ihnen, liebe Geschwister im Reformierten Bund, mit unserer Kirche. Ausziehen aus Jahren der Seuche, die uns gezeichnet haben; aus Zeiten des Krieges, die uns erschüttern und unsere Überzeugungen in Frage stellen. Mit dem Vertrauen, dass Gott dabei ist, ja deshalb will ich ausziehen in Freude. Trotz oder vielleicht gerade gegen diese Zeiten.

Ich will ausziehen durch die Wüsten und Meere, die Auszüge oft begleiten, mit den Tränen und Zweifeln, die damit einhergehen. Ich will ausziehen in eine Welt, die auseinander zu fallen scheint. Die nicht mehr den gewohnten Regeln folgt, ja, in der das Klima selbst durch unser Handeln ins Wanken gebracht wird. In eine Welt mit einer kirchlichen Landschaft, die beschäftigt ist mit Umstrukturierung, Neuorientierung und Kirchenmitgliedsprognosen. Ja, in diese Welt will ich aufbrechen. Mit meinem Suchen, meinem Festhalten. Mit meiner Kirche will ich aufbrechen mit Freude. Und dazu höre ich dieses 55. Kapitel aus dem Jesaja-Buch.

Das Kapitel beginnt mit der Verheißung des Bundes. In Vers 3 heißt es: „Neigt eure Ohren her und kommt her zu mir! Höret, so werdet ihr leben! Ich will mit euch einen ewigen Bund schließen, euch die beständigen Gnaden Davids zu geben.“

Es beginnt mit dem Bund, aufgerichtet und beständig mit Gottes Volk Israel. Von der Geschichte Gottes mit seinem Volk lesen wir. Die Worte, die an Israel im Exil gerichtet werden, klingen heute noch. In Vers 5 des Kapitels heißt es: Die Völker werden zu dir eilen, um des HERRN, deines Gottes, um des Heiligen Israels willen, denn er hat dich verherrlicht. Ich will dazu eilen, die Worte klingen noch.

Es beginnt mit dem Bund, das ist fester Grund. Das ist das Vertrauen, dass Gott nicht von seiner Welt lässt. Gott, der uns in seinem Sohn Jesus Christus zuruft: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ Mit diesem Bund unter den Füßen möchte ich ausziehen in die Welt und in die Kirche und den Frieden finden, und das mit Freude. Weil es anders nicht geht.

Da wird es Irrwege geben, da werden wir unterschiedliche Wege suchen, ja auch streiten, was den richtigen Weg angeht. Und da werden wir uns auch mal verlieren. Doch gerade deshalb packe ich dieses Kapitel ein, gerade deshalb halte ich mich am Bund fest. Mit ihm werde ich immer und immer wieder daran erinnert, dass ich mit Vertrauen ausziehen kann.

Denn ich erinnere mich daran, dass Gott mit dabei ist, dass er zu uns hält und sein Bund aufgerichtet ist und bleibt. Dass, selbst wenn wir uns verlieren, er uns nicht aus den Augen verliert. Das ist unser Grund, bei all dem, was nicht klappt, was zu groß erscheint. Ich möchte auf diese Zuversicht bauen und deshalb mit Freude tun, was diese Zeiten brauchen. Weil da Zuversicht ist, auch der Welt, die auseinanderzufallen droht. Ich vertraue, dass es auch mal irrlaufen wird oder wackelig sein kann. Ich vertraue, dass wir eben nicht allein tun.

Bei all dem Düsteren, das ich gerade hier aufgefahren habe, da könnten Sie jetzt denken, von in Freude ausziehen finde ich hier nicht viel. Doch das ist es, was ich sagen will: Die Zeiten mögen kein Anlass zu Freude sein, sicher ist das Krieg nicht, sicher Corona nicht, und auch keine Kirchenschließung oder Kirchenmitgliederprognosen.

Aber doch, deshalb, trotzdem will ich ausziehen, mit dem Bund im Herzen und als Grund. Und dann will ich mich freuen, dass ich vertraue, dass ich nicht allein mich mühe, dass ich nicht allein hier stehe, dass ich all die Anstrengungen, und mögen sie auch fruchtlos sein, nicht allein unternehme und dass über all dem Gottes Bund steht.

Darüber will ich mich freuen, und mit Freude geht ja einiges leichter von der Hand. Ich will die Wirklichkeit nicht ignorieren, ich will sie zuweilen betrauern. Aber ich will auch mit Freude helfen, beten, da sein, ausziehen. Ich will vertrauen, ohne blauäugig zu sein, ich will mit Ihnen, mit meiner Kirche, die Zukunft angehen und mich weniger an meinen Sorgen festhalten. Ich will vertrauen, dass wir nicht allein unterwegs sind und dass wir mit Freude unterwegs sein können.

So kann ich, ohne die Coronazeit rosig zu malen, von der wiederentdeckten Nachbarschaft reden, und mich freuen, dass doch so viel möglich war und so viele neue Kontakte entstanden sind. So kann ich, ohne die Flucht und die Vertreibung ihrer Schrecklichkeit zu berauben, mich über die unbürokratischen Regelungen für ukrainische Flüchtlinge freuen, auch wenn ich mir diese für alle Flüchtenden wünschen würde. So kann ich, trotz der vielen Herausforderungen mich, mit Ihnen liebe Geschwister, auf die kommenden Jahre im Reformierten Bund und in Jesu Christi Kirche freuen.

Ich versuche mir das anzugewöhnen: auszuziehen in Freude und auf den festen Grund zu trauen, den Gott uns gibt. Und mich nicht zurückzuziehen, nicht meiner Angst nachzugeben, nicht mich in meiner vermeintlich kleinen Wirksamkeit zu verlieren. So möchte ich mit Freude tun, was in dieser Zeit zu tun ist. Denn nur so geht es.

Und wenn das mal nicht reicht, mein Vertrauen, wenn ich mich zurückziehe, Angst habe oder nichts ändern kann, dann schaue ich auf den Bund, aus dem ich nicht fallen kann, weil Gott seine Zusage hält und wenn es mir zu schwer wird, er für mich Vertrauen hat.

„Denn mit Freude werdet ihr ausziehen, und in Frieden werdet ihr geleitet. Vor euch werden die Berge und die Hügel in Jubel ausbrechen, und alle Bäume des Feldes werden in die Hände klatschen.“

Amen


Hannes Brüggemann-Hämmerling