Anhang IV: Kanada

zu: Theologie als Erzählung - erzählte Theologie: Das Heptameron

von Merete Nielsen, Göttingen

Der Standardwerk ist Morison: The European Discovery of America, Oxford 1971 Bd. I-II. Er berichtet Bd. I, S. 277-325 vom ersten Versuch Franz I., Nord Amerika zu erkunden, wobei sein Entdeckungsreisender, Giovanni da Verrazzano, ein Italiener wie Columbus und Cabot, im Jahr 1524 die Küste von North Carolina bis zu Neufundland entlang segelte. Wären die Franzosen nicht vor Allem an der Nordwestpassage nach Asien interessiert gewesen, sondern hätten Siedlungen angelegt, würde die Küste um der Mündung der Hudson Bay Angoulême nach der königlichen Familie und die Upper Bay Santa Margarita heißen, eine Ehrung der Marguerite, die, wie Verrazzano schrieb, „jede andere Frau übertraf hinsichtlich Ehrbarkeit und Intelligenz“. Außerdem nannte er einen Vorberg an der Küste Alençon, da sie zu dem Zeitpunkt immer noch Herzogin von Alençon war. Man darf folglich annehmen, dass die königliche Familie mit Interesse die Entdeckungsreise begleitete.

Da der König immer noch die Nordwestpassage suchte, entsandte er den Bretonen aus St.-Malo, Jacques Cartier, um diese zu finden (Morison, S. 339-464). Nun waren die Gewässer um Neufundland hinlänglich bekannt, weil baskische und französische Fischer Kabeljau vor der Küste fischten. Cartier segelte auf drei Reisen, 1534, 1535-36 und 1541-43, um den Golf von St. Lawrence herum, den St. Lawrence Fluss aufwärts bis Montreal und wieder nach Frankreich zurück, ohne die Passage zu finden. Auf seiner dritten Reise wurde er von Jean-François de la Roque, Sieur de Roberval, begleitet, denn der König hatte jetzt vor, Canada zu besiedeln. Die Indianer, die Cartier auf seiner zweiten Reise bei Quebec und Montreal getroffen hatte, hatten ihm von den sagenhaften Reichtümern des Landes Saguenay vorgeschwärmt. Hier gab es eine Chance für Frankreich, sich mit Spanien und dessen Koloniereich zu messen, und zum ersten Mal brachten die Schiffe für die dritte Reise Siedler, Handwerker und Frauen mit.

Roberval war ein reformierter Adelsmann, ein Freund des Königs zeit der italienischen Kriege. 1525 war er wegen seines Glaubens aus Frankreich geflüchtet, aber mit der Befreiung des Königs aus der Gefangenschaft war auch er zum Hof zurückgekehrt. Da er ziemlich verarmt war, ließ er 1541 zuerst Cartier nach Canada fahren, um sich als Kaperkapitän im Ärmelkanal zu betätigen. Nachdem er mehrere portugiesische und englische Schiffe erobert hatte, setzte seine Flotte im April 1542 zur See. Vor der Küste Neufundlands traf er Cartier auf dem Weg zurück nach Frankreich, denn dieser hatte seine Siedlung bei Quebec wegen Kälte und Skorbut im kanadischen Winter aufgegeben. Roberval fuhr weiter Richtung Quebec und bei der Küste vor Labrador setzte er Marguerite de la Roque, mitsamt Amme und Liebhaber an Land. Die Entdecker schätzten diese Küste als extrem unwirtlich ein und nannten sie „das Land, das Gott Kain gegeben hat.“

Auch Roberval überwinterte bei Quebec und musste im Sommer 1543 nach Frankreich zurückkehren, denn seine Siedlung war ebenso wenig wie die von Cartier auf die Länge und Härte des Winters vorbereitet. Allerdings versuchte er offenbar nicht, Marguerite wiederzufinden. Wenn weder er noch Cartier im Stande waren, eine Siedlung heil durch den Winter zu schaffen, war es natürlich unwahrscheinlich, dass die kleine Gruppe von Ausgesetzten überleben würde. Es gleicht einem Wunder, dass Marguerite de la Roque von den Fischern lebend aufgefunden wurde. Roberval starb 1560 oder 1561 in Paris, in einem Kampf zwischen Hugenotten und Katholiken.

Die Quellen für Marguerite de la Roque und ihr Überleben sind folgende: der Steuermann Robervals, Jean Alfonse, beschrieb 1544 in seiner Cosmographie die Küste Labradors und nannte dort mehrfach die Îles de la Demoiselle (S. 481-82). Die Cosmographie war eine Segelanweisung für nachfolgende Schiffe. Der Name der Inselgruppe ist ungewöhnlich, da neuentdeckte Orte meistens nach Heiligen, nach den Sponsoren der Reise, die Königlichen, oder nach ihrem Aussehen (Belles Îles, Blanc Sablon, Château Island in Château Bay) benannt wurden, aber sie konnten auch nach irgendetwas Auffälligem ihre Namen bekommen: Cap des Sauvages, Île aux Lièvres (=Haseninsel). Wie oben gesagt, gab es überhaupt erst auf der Reise 1541 Frauen, die nach Canada gingen, deshalb darf man annehmen, das die Îles de la Demoiselle aus einem Grund, der mit dieser Reise zusammenhing, so benannt wurden. Die Inselgruppe, die von Alfonse bestimmt wurde, heißt heute „Harrington Islands“ und befindet sich ungefähr 50,40N und 059,50 W, westlich von Little Mecatina Island.

Als nächste Quelle folgt die Novelle 67 im Heptameron. Wir haben gesehen, dass die Königin aus einer Begebenheit der jüngsten Vergangenheit - Marguerite wurde erst 1544 gerettet, und die Königin arbeitete wahrscheinlich am Heptameron bis kurz vor ihrem Tod im Dezember 1549 – eine erbauliche Erzählung von der Vorsehung Gottes schrieb. Man bemerke auch, dass sie anscheinend versuchte, den Kapitän Roberval, Protestant und Freund ihres Bruders, zu schonen: Die Ausgesetzten sind Handwerker, Eheleute, und der Mann hat angeblich Verrat begangen. Schließlich bringt die Flotte Robervals Marguerite nach Frankreich – was alles nicht stimmt.

Belleforest beschrieb das Ereignis in seinen Histoires tragiques, Bd. V, und André Thevet noch einmal in seiner Cosmographie universelle 1575 und in seiner Grand Insulaire et Pilotage von 1585-86. Belleforest schrieb sieben Bände von Erzählungen nach italienischer Art – also eher von derselben Gattung wie das Heptameron – während Thevet (sowie Jean Alfonse) eine Beschreibung und Segelanweisung der neuentdeckten Welten verfasste. Er verachtete Belleforest und behauptet, sowohl Cartier wie Roberval gut gekannt zu haben, und dass Marguerite de la Roque ihm selbst ihre Geschichte erzählt habe. Thevet erzählte vom Kind, welches sie auf der Insel geboren habe und das dort gestorben sei, und von den Bären, die sie erschossen habe, einer von denen „so weiß wie ein Ei“.
Bei Belleforest wie bei Thevet wird aus dem Ereignis eine Liebesgeschichte und eine Robinsonade mit weiblicher Hauptperson.


Merete Nielsen, Göttingen
Religiöse Aspekte in den Novellen der Marguerite d'Angoulême, Königin von Navarra (1492–1549)

Von Merete Nielsen, Göttingen