"Eala freya Fresena" – Steh auf, freies Friesland - lautet der Wahlspruch der Friesen, und mit diesem Ruf wurden bereits vor über 1000 Jahren die jährlichen Thingversammlungen beschlossen. Dieser Wahlspruch fasst die „Friesische Freiheit“ zusammen, das die inneren Angelegenheiten der Friesen regelnde Recht.
Es sind wohl die Weite der Landschaft und die Verbundenheit mit dem Meer, die zu dem Widerwillen der Friesen gegen Bevormundung und Gängelung beigetragen haben. Beide, Weite und Meer, bieten zwei wichtige Erfahrungen: Selbstverantwortung und aufeinander Angewiesensein. So nimmt es auch nicht wunder, dass reformatorische Gedanken bereits um 1520 bei Häuptlingen und Bevölkerung auf fruchtbaren Boden fielen. Häuptlinge waren auf Zeit gewählte Gerichtsherren, nicht aber Grundherren der freien Bauern.
Freier Bauer war, wer mehr als 12 ha Land sein Eigen nannte; wer weniger besaß, wurde von öffentlichen Verpflichtungen (Wasserwegebau, Hochwasserschutz etc.) verschont, hatte in diesen Dingen in der Volksversammlung dann allerdings auch kein Mitspracherecht. Eine Leibeigenschaft aber gab es nicht, gab es nie, jeder war frei, und so hat sich in Ostfriesland im Mittelalter auch keine feudale Struktur entwickeln können.
Anfänglich waren die reformatorischen Gedanken vor allem als gute Argumente gegen die katholische Kirche willkommen. Edzard der Große, 1491 bis 1528, stand der Reformation sehr nahe, propagierte aber Glaubens- und Lehrfreiheit. Theologische Differenzen zwischen Luther und Zwingli, später spielten keine wesentliche Rolle. 1524 begann der aus dem niederländischen Zwolle stammende, von Zwingli beeinflusste Magister Aportanus in Emden an der Großen Kirche (heute: JaLB) zu wirken und veranstaltete 1526 in Oldersum ein Religionsgespräch. Die Verhandlungen waren öffentlich und fanden in der Volkssprache statt. Sie hatten fünf Thesen als Gesprächsbasis: Drei Thesen betonten die alleinige Mittlerschaft Christi unter Ausschluß der Mitwirkung Marias – also der Kirche -, eine These vertrat die Rechtfertigung allein aus Glauben und eine wandte sich gegen die Beibehaltung althergebrachter Zeremonien. Ein Bericht über dieses Gespräch wurde gedruckt, breit gestreut und tat mit der Zeit seine Wirkung in den Herzen und Köpfen der Menschen.
So kam es, dass die reformatorischen Gedanken sich rasch verbreiteten und in der Bevölkerung Fuß fassten. Ein Datum für den Übertritt Ostfrieslands zur Reformation aber gibt es nicht, vielmehr gab es bis ins 17. Jahrhundert ein relativ friedliches Nebeneinander von Evangelischen und Katholiken; einzelne Tätlichkeiten allerdings gab es auch. Die Katholiken ließ man zumeist in Ruhe aussterben, anstatt sie zu vertreiben oder gar zu töten. Klöster durften allerdings keine Novizen aufnehmen (1616 starb die letzte katholische Nonne) und neue Priester nicht angestellt werden. Solche Toleranz hat es nicht überall gegeben, und es waren wohl die Erfahrungen der Seefahrer mit anderen Kulturen und Religionen, die zum Wachsen dieser Haltung beigetragen hatten.
Aportanus hatte mehrere Mitstreiter, darunter Karlstadt. Dieser war Luthers Doktorvater, ein radikaler Romkritiker und wohl auch ziemlicher Hitzkopf. Luther erwirkte später ein Kanzelverbot gegen Karlstadt, der Sachsen verließ und für einige Monate in Pilsum predigte. Aportanus und Genossen ernteten breite Zustimmung mit ihrer Meinung, dass die Wittenberger Reformation nicht weit genug ginge, nicht konsequent genug sei und sich nicht genügend von der alten Kirche abgrenze. Auch Luthers Nähe zu den Landesherren war ihnen suspekt. Auf dem Hintergrund der nichtfeudalen, sogar antifeudalen friesischen Tradition sowohl der Bauernschaft als auch und erst recht der seefahrenden Kaufleute vor allem in Emden, aber auch in Aurich, Leer und Norden, ist dies verständlich.
1528 formulierten die reformatorischen Prediger Ostfrieslands das „Prädikantenbekenntnis“, in dem sie das römische Sakramentsverständnis und die daraus abgeleiteten Kirchen-, Staats- und Gesellschaftslehren ebenso strikt ablehnten wie die Funktion kirchlichen Handelns als „Gnadenmittel.“
1529 notiert der Historiker Beninga: „De Predikanten in Oostfreesland worden van utheimischen beschuldiget, dat se nicht overeen stemmeden mit der leere und nicht sodane ordenunge als in de Oostersche Steden hielden.“ („Die ostfriesischen Prediger werden von außerhalb beschuldigt, mit der Lehre nicht überein zu stimmen und nicht die Ordnungen der östlichen Städte einzuhalten“). Die Kritik am Prädikantenbekenntnis, dass es nicht streng der lutherischen Linie folgte, und an den gesellschaftlichen Auswirkungen dieses Bekenntnisses kam also von außen, aus Bremen und Hamburg. Sie blieb aber nicht ohne Wirkung auf den inzwischen herrschenden Grafen Enno II. Es erscheint aus machtpolitischer Sicht durchaus verständlich, wenn ein Herrscher dem landesherrlich orientierten und landeskirchlich organisierten Luthertum den Vorzug gegenüber dem auf Unabhängigkeit und Selbständigkeit der Gemeinden zielenden Reformiertentum gibt.
Seitens des deutschen Reiches war nämlich Ostfriesland mittlerweile zur Grafschaft ernannt. Aus Angst vor dem niederländischen „Ketzermeister“ Karl von Geldern versuchte der damalige Landesherr Enno II, durch die „Bremer Kirchenordnung“ von 1530 die Prädikanten auf die lutherische Linie zu bringen. Damit verband er die Hoffnung auf Rückhalt im deutschen Reich. Freilich endeten seine Bemühungen an den Grenzen der ostfriesischen „Herrlichkeiten“, den Regierungsbezirken der Häuptlinge also, und am Einfluß der Kaufmannschaften. Die einzige Auswirkung dieses Reglementierungsversuchs war die Einführung eines Superintendenten für das ganze Ostfriesland im Jahre 1540. Dieser Superintendent sollte als obrigkeitliches Kontrollorgan fungieren. Der konfessionelle Stand Ostfrieslands lässt sich für diese Zeit am ehesten mit „reformatorisch“ bezeichnen; die Ablehnung des Katholizismus damaliger Prägung verband mehr, als die Einflüsse Luthers und Zwinglis, später auch Calvins, trennten.
Zum Superintendenten für ganz Ostfriesland berief Gräfin Anna 1542 den aus Polen stammenden Johannes á Lasco, einen Schüler des Erasmus von Rotterdam. Damit hatte sie einen Mann berufen, dem eine Kirchenordnung ein wichtiges Anliegen war, und der klar und offen der Schweizer Reformation zugeneigt war. Seine theologische Prägung hatte er in Zürich und Straßburg bekommen. A Lasco begann, Visitationen durchzuführen und gründete 1544 den Coetus aller Prediger Ostfrieslands. Seit 1576 und Menso Alting ist der Coetus eine reformierte Institution, die auch heute noch tagt. Nach á Lasco oblag es dem Coetus, die Richtlinien der Theologie zu bestimmen, die Disziplinaraufsicht über die Pfarrerschaft zu führen und die Fortbildung („Förderung der Amtstüchtigkeit“) der Pastoren zu verantworten.
Menso Alting ist 1541 in Eelde südlich von Groningen geboren und 1612 in Emden gestorben. Er hat in Köln Theologie studiert, trat 1565 zum Reformiertentum Calvinischer Prägung über, setzte sein theologisches Studium in Heidelberg fort und ging als Prediger zurück in die Niederlande. Im Juli 1567 floh er vor der spanischen Gegenreformation zunächst in die Pfalz und kam 1575 als Nachfolger von Albert Rizaeus Hardenberg nach Emden. Hier fungierte er bis 1612 als Leiter des Presbyteriums und Praeses des Coetus. Alting strebte für Ostfriesland eine von á Lasco vorbereitete protestantische Union an, obwohl er selber den kämpferischen Calvinismus vertrat Das verwickelte ihn in die Auseinandersetzungen der ostfriesischen Stände mit den absolutistischen Neigungen der lutherischen Grafen Edzard II und Enno III, in deren Folge die Lutheraner sich gegen eine ostfriesische Union entschieden. Alting hat die Sonderstellung der Stadt Emden im Staatsgefüge der Grafschaft mitbegründet und war mit Ubbo Emmius befreundet.
Die Ordnung des Coetus macht das reformierte Prinzip der Kollegialität deutlich: Nicht Bischöfe oder Päpste entscheiden in theologischen oder disziplinarischen Fragen, sondern die Versammlung der Prediger, heue natürlich auch Predigerinnen.
Zurück zu á Lasco: Er bereitete die Regelung der Kirchenzucht durch die Kirchenräte der Gemeinden vor. Dient die Kirchenordnung, also die Gemeindeordnung, dem Zweck, die Menschen auf dem rechten Weg zu halten, hat die Kirchenzucht das Ziel, Abgeirrte wieder auf den rechten Weg zurück zu führen. A Lasco führte die Kirchenzucht zunächst für Emden ein, dann, als sich das Verfahren bewährt hatte, für ganz Ostfriesland. Doch die Gemeinden behielten überwiegend das ihnen vertraute, uralte Genossenschaftsrecht bei, wonach z. B. die mit der Armenfürsorge verknüpfte Verwaltung der Kirchengüter in den Händen von ehrenamtlich tätigen vereidigten „Kerkvoogden“ lag.
A Lascos Hauptanliegen war es, in Ostfriesland eine gemeinsame Lehre herbeizuführen. Aber es regte sich Widerstand: aus den schweizerisch, also durch Zwingli geprägten Gemeinden, weil ihnen manches Vorhaben á Lascos zu radikal war, und aus den lutherisch geprägten Gemeinden, denen á Lasco zu reformiert war. 1549 wurde á Lasco auf Betreiben von Graf Johann abgesetzt und ging als Pastor für die niederländische Flüchtlingsgemeinde nach London.
Noch bevor á Lasco alle Gemeinden visitiert hatte, gewannen die lutherische und die schweizerische Linie je an Kontur. In der Marsch dominierte die schweizerische Linie, während die Gemeinden auf der Geest sich der lutherischen zuneigten. Was Ursache oder Auslöser dieses sich entwickelnden Auseinanderdriftens war, ist nicht sicher festzustellen. Landschaften prägen Charaktere, und das mag sich hier ausgewirkt haben. Möglich auch, dass die Festlegung des Luthertums auf die Confessio Augustana von 1530, in der die Reformierten scharf verurteilt werden, sich hier auswirkt. Diese Verurteilung wurde erst 1973 (teilweise) aufgehoben.
Mit Hilfe des sogenannten „Ostfriesischen Sonderrechts“ aber wusste man Streit und Zwietracht zu verhindern. Dieses Sonderrecht legt für alle Zeiten fest, dass Lutheraner in reformierten Gemeinden und Reformierte in lutherischen Gemeinden unter Beibehaltung ihres Bekenntnisses vollberechtigte Gemeindeglieder sein oder aber sich von einem Pastoren ihres Bekenntnisses betreuen lassen können. So konnte die Einheit der Evangelischen in Ostfriesland gewahrt werden, was ein gemeinsames Konsistorium für ganz Ostfriesland auch nach außen demonstrieren sollte.
Nach dem Schmalkaldischen Krieg versuchte Karl V anno 1548, bis zu einem Konzil eine „Kompromiss-Religion“ einzuführen. Die Durchsetzung dieses kaiserlichen Interims scheiterte am Widerstand der ostfriesischen Häuptlinge. Der noch gemeinsame Coetus erarbeitete den Emder Katechismus, der in reformierten Gemeinden immerhin bis 1888 in Gebrauch war und erst dann vom Heidelberger Katechismus abgelöst wurde. Das – inzwischen und verständlicher Weise streng lutherische – ostfriesische Grafenhaus war nun der Meinung, „in allem calvinistischen Wesen ... zündelt dem Denken nach das öffentliche Ärgernis des Aufruhrs wider die Obrigkeit und gegen die von Gott geforderte Ordnung der Dinge.“ Dass Potentaten so denken, ist nachvollziehbar, und dass sie ihre Staatsordnung für „göttlich“ halten, gehört zum Machtgehabe. Doch nicht das Reformiertentum machte die ostfriesischen Häuptlinge aufmüpfig, sondern ihre Tradition von friesischer Freiheit und Unabhängigkeit machte sie für den „nach Gottes Wort reformierten“ Glauben empfänglich.
Nach 1555 erlebte vor allem Emden einen rasanten wirtschaftlichen Aufschwung, verstärkt durch den Zuzug niederländischer Kaufleute und Handwerker, besonders nach dem calvinistischen Aufstand 1566. Dadurch wuchs die reformierte Prägung der Stadt, der Emder Kirchenrat etablierte gegen den Willen der regierenden Gräfin eine noch heute arbeitende „Fremdendiakonie“ und bezog offen Partei im niederländischen Freiheitskrieg gegen Spanien.
Dies führte dann dazu, dass nach der Besetzung der Niederlande durch die Spanier und die damit verbundene Rekatholisierung zahlreiche niederländische Glaubensflüchtlinge nach Emden flohen und hier willkommene Aufnahme fanden. Auch aus Flandern, Brabant und Frankreich kamen Flüchtlinge, und in kürzester Zeit hatte sich die Einwohnerzahl von Emden mehr als verdoppelt. Der Ausländeranteil lag also bei über 50% der Bevölkerung. Emden hatte damals zudem mehr Schiffe als England und genug Arbeit für die Zuwanderer. Doch auch in andere deutsche Städte kamen Glaubensflüchtlinge aus den von Spanien besetzten Landen.
Zur Zeit der Frankfurter Buchmesse 1570 gab es erfolgreiche Versuche der Kontaktaufnahme untereinander, und im Juni 1571 wurden von Heidelberg aus alle Flüchtlingsgemeinden „in Deutschland und Ostfriesland“ sowie die in den Niederlanden noch bestehenden „Gemeinden unter dem Kreuz“ zu einer gemeinsamen Synode eingeladen. Diese fand nach einigen vorbereitenden Regionalsynoden vom 4. bis zum 13. Oktober 1571 in Emden statt, damit auch nach England geflohene Niederländer teilnehmen konnten.
Diese Synode erarbeitete Lehrgrundsätze über Leitung und Ordnung der Kirche, über die Berufung der Pastoren sowie über die Wahl der Ältesten, Lehrer und Diakone. Diese Lehrsätze finden sich in allen Ordnungen reformierter Kirchen wieder. Auffällig ist, dass sie jeder hierarchisch-autoritär-obrigkeitlichen Kirchenstruktur eine klare Absage erteilen. So heißt es im § 1: „Keine Gemeinde soll über andere Gemeinden, kein Pastor über andere Pastoren, kein Ältester über andere Älteste, kein Diakon über andere Diakone den Vorrang oder die Herrschaft beanspruchen, sondern sie sollen lieber auch dem geringsten Verdacht und jeder Gelegenheit aus dem Wege gehen.“ Damit wird klargestellt: Es gibt nur eine Autorität in der Kirche, das ist die Autorität (des Wortes) Gottes. Unter dieser Autorität ist die Kirche antiautoritär gegenüber allen, die in ihr oder ihr gegenüber auch noch Autorität beanspruchen möchten. Die Übereinstimmung mit der Friesischen Freiheit ist nicht zu übersehen: Der Kaiser als einzige anzuerkennende Autorität, Abschaffung der militärischen Ränge.
Auf der Basis des Emder Synodalprotokolls – die Präambel steht heute leicht aktualisiert als Präambel in der Verfassung der ERK – wurde dann eine streng presbyterial-synodale Verfassung nach dem Subsidiaritätsprinzip entwickelt. D. h., die Gemeinden regeln ihre Angelegenheiten durch das von ihnen gewählte Presbyterium selbst und delegieren einige Vertreter in die Kreissynode, um übergemeindliche Angelegenheiten zu ordnen. Was auf der Mittelebene nicht zu regeln ist, fällt der Gesamtsynode als Aufgabe zu. Zur Zeit der Emder Synode stark verbreitete Tendenzen zur völligen Autonomie der Gemeinden konnten damit aufgefangen werden, doch noch heute gibt es auch in Deutschland lockere Zusammenschlüsse freier reformierter Gemeinden, und reformierte Gemeinde verstehen sich bis heute als Kirchen in vollem Sinne.
Eine Erinnerung an diese Zeit vor über 400 Jahren ist am alten Emder Hafentor zu sehen. Dort ist das 1571 entwickelte reformierte Siegel in Stein gehauen, ein Segelschiff, und darum herum die Inschrift: „Godts kerk, verfolgt, verdreven, heft God hyr troost gegeven.“
Die Emder Synode von 1571 war zwar die erste Generalsynode der niederländischen reformierten Kirche, doch hat sie das Reformiertentum weltweit und also auch in Deutschland wesentlich geprägt. Und zwar nicht nur die Verfassungen, sondern auch das Gemeindeleben.
Die in Ostfriesland übliche reformierte Liturgie, also der Ablauf des Gottesdienstes, geht auf die des vorreformatorischen „Wortgottesdienstes“ zurück: Sie hat somit genau so alte Wurzeln wie die auf der katholischen Messe fußende lutherische Gottesdienstordnung. Beide Wurzelstränge sind übrigens aus dem jüdischen Synagogengottesdienst erwachsen.
Auf Eingangsvotum und Begrüßung folgen ein erster Gesang und ein kurzes Eingangsgebet, dann Schrift- und Katechismuslesung. Ein weiterer Gesang, zumeist ein Reimpsalm, leitet zur Predigt über, auf die noch ein Gesang, Fürbittengebet mit Unser-Vater, ein Schlussgesang und die Bitte um Segen folgen. Zu den Reimpsalmen sei noch angemerkt, dass die Idee von Johannes Calvin stammt. Für ihn waren der alttestamentliche Psalter eine „Anatomie der menschlichen Seele.“ Er ließ die 150 Psalmen in Reim und Vers bringen und vertonen. Durch einfache Singbarkeit der Melodien wollte Calvin die Inhalte der Psalmen unters Volk bringen.
Der ganze Gottesdienst wird von der Kanzel aus geleitet. Das erklärt auch die ostfriesischen Besonderheit der Sitzkanzeln: Sie sind relativ geräumig und bieten dem Prediger Gelegenheit, sich während der Gesänge hinzusetzen. Verbreitet ist zudem der Brauch, sich zum Abendmahl um den Abendmahlstisch zu setzen; das Abendmahl wird mit einfachem Brot und Rotwein gefeiert, was einer dem oder der anderen reicht – ein Ausdruck der Gleichheit zwischen Pastoren und Gemeindegliedern.
Verkündigung, Lehre, Diakonie und Leitung sind „Ämter“, also Aufgaben der Gemeinde. Für die Wahrnehmung dieser Aufgaben werden geeignete Gemeindeglieder gewählt und jeweils für die Dauer ihrer Wahlperiode in die Rechte und Pflichten der Ämter „ordiniert“, also gemäß der Kirchenordnung berufen und eingeführt. Das gilt auch für Inhaber des Amtes der Verkündigung. Reformierte Pastoren sind „für den Dienst der Verkündigung freigestellte Gemeindeglieder“ ihrer Gemeinden. Sie werden von der ganzen Gemeinde gewählt und haben den Kirchenrat als Dienstaufsicht, nicht einen Superintendenten (kein Pastor soll über andere Pastoren herrschen). Verlässt ein Pastor die Gemeinde, die ihn gewählt hat und die sein Anstellungsträger ist, verliert er seine Ordinationsrechte, bis er anderswo wieder gewählt ist.
Natürlich hat es auf lutherischer wie auf reformierter Seite seit der Reformation Reformen gegeben. Unverändert aber gilt das Ostfriesische Sonderrecht. Daran ist immer wieder zu erinnern, damit es nicht in Vergessenheit gerät. Für das Miteinander ist die Erinnerung an den gemeinsamen Anfang aber noch wichtiger. Die Zeiten, da Landesherren zugleich die Herren der entsprechenden lutherischen Landeskirche und deshalb lutherisch waren, sind vorbei. Vielleicht wäre ein Coetus wieder aller reformatorischer Pastorinnen und Pastoren Ostfrieslands kein Schritt zurück, sondern ein Schritt nach vorn.