Weihnachten wird nicht unterm Baum entschieden!

Predigt zu Jesaja 9,1-6 am Heiligen Abend 2011

von Martin Braukmann, Oberfischbach

Herr, wir bitten dich um deinen Geist, dass du uns deine Kraft verleihst, dass wir das Alte neu verstehen und uns in deiner Nähe sehen.

Liebe Gemeinde am Heiligen Abend, seit einigen Wochen quälen sich viele Menschen mit dem Gedanken, wie denn Weihnachten gelingen kann? Was braucht es dazu? Was brauche ich dazu? Die Werbeindustrie hat eine einfache Formel gefunden: Weihnachten wird unterm Baum entschieden! Und seien wir doch mal ehrlich: Nimmt uns diese Botschaft nicht auch gefangen? Natürlich wissen wir alle nur zu gut, wie sehr Weihnachten kommerzialisiert worden ist. Diese unglückliche Situation und Vorfindlichkeit macht mir deutlich, dass man sich dem gar nicht so einfach entziehen kann. Wer kann sich denn schon freisprechen von dem mulmigen Gefühl in der Magengegend eventuell an Weihnachten zu scheitern, weil eben nicht das Richtige unterm Baum liegt? Wir wollen doch alle, dass Weihnachten ein schönes Fest wird; ein Fest des Friedens, das doch endlich unsere Sehnsucht befriedigen und stillen soll. Und dafür wollen wir doch alles tun, dass sich das auch einstellt.

Aber nein, Weihnachten wird nicht unterm Baum entschieden! Sehr wohl aber in der Krippe und später an einem Stück Fluchholz, das seit 2000 Jahren den einen ein Ärgernis und den anderen Anknüpfungspunkt ihrer Lebenshoffnung ist.

Der zutiefst unselige Werbeslogan, dass Weihnachten unterm Baum entschieden wird, verleitet wahrscheinlich unendlich viele Menschen zu der irrigen Ansicht, sie selbst könnten für Sinn und Unsinn, Gelingen oder Scheitern von Weihnachten verantwortlich seien. Und eben damit sind wir doch hoffnungslos überfordert. Das aber ist für mich tiefer Ausdruck dessen, dass wir modernen, autonomen Menschen uns unser Heil selbst schaffen müssen und selbst die Träger und Garanten unserer Hoffnung sein müssen. Weil wir Gott nicht mehr als Gegenüber akzeptieren und gelten lassen, fällt automatisch die Suche nach Sinnhaftigkeit und die unerträgliche Verantwortlichkeit genau dafür auf uns zurück. Und eben damit können wir nur scheitern; im Leben und an Weihnachten. In eben diesem Sinne wird Weihnachten dann auch unterm Baum entschieden. Aber das hat doch überhaupt nichts mehr mit Weihnachten zu tun. Jedenfalls nicht mit dem Fest des Kirchenkalenders.

Der diesjährige Predigttext zum Heiligen Abend liegt völlig quer zu unserer vordergründigen Sehnsucht nach einer besinnlichen, harmonischen Weihnachten, die wir unterm Baum für uns entscheiden könnten. Wie aber kann es doch gelingen, dass es Weihnachten für mich und in mir wird? Darauf kann ich euch keine einfache, billige Antwort geben. Ich kann euch nur einladen, gemeinsam mit mir wieder ganz neu zuzuhören, dass wir uns dem stellen, was uns doch so vertraut erscheint. Es neu ins uns klingen zu lassen, was wir schon so oft gehört haben.

Ihr, die ihr hier seid, habt euch einladen lassen, dem Zauber des Weihnachtsfestes nachzuspüren. Im Hören der Geschichte von Maria und Josef, den Engeln und den Hirten und dem Kind in der Krippe brechen Sehnsüchte und Wünsche in uns auf, wie sonst an kaum einer anderen Stelle des Jahres. Heute Abend, wo diese so laute und hektische Welt mal wenigstens für kurze Augenblicke zur Ruhe zu kommen scheint, wollen wir uns der Botschaft von Weihnachten stellen, die diese Welt verändern kann.

Die tausendfachen Enttäuschungen, Nöte und Ängste, mit denen viele gleich vor den Weihnachtsbäumen sitzen, sollen überflügelt werden von der Hoffnung auf Gott, die sich unter anderem in der Geburt Jesu festmacht. Unendlich viele Menschen berichten davon, dass eine Geburt das Bedeutendste und Bewegendste ihres Lebens war. In den ergreifenden Bildern der neuen Geburt spricht die Weihnachtsgeschichte davon, dass eine neue Hoffnung aufbricht und neue Horizonte sichtbar werden. In einer Welt der Trauer, der Zweifel, der Unsicherheiten und selbstgemachten Überforderungen will gerade heute Abend die Botschaft von neugeborener Hoffnung uns einholen und abholen; da, wo wir gerade stehen im Leben.

Eine Geburt löst Freude aus, lässt uns feiern und fröhlich sein, weil wir dem Wunder des Lebens so nahe gekommen sind. Wie wohl in sonst keinem anderen Augenblick des Lebens erfahren wir, dass sich das Leben uns entzieht, nicht verfügbar ist, sondern als Geschenk zufällt. Das Eigentliche des Lebens kann ich nicht kaufen. Es ist viel mehr als das, was ich bezahlen kann.

Und eben deshalb ist es überhaupt nicht wichtig, was unterm Baum liegt, sondern viel mehr das, was unter anderem der Weihnachtsbaum in seinem Lichterglanz uns sagen will. Die Kerzen, die wir anzünden, sollen von dem künden, der als Licht in diese Welt kam. Ein Licht, das Menschen abgeholt und herausgeholt hat aus ihrer Lebensfinsternis. Sie wollen uns befreien von dem Irrtum, als könnten wir selbst das Licht schaffen, das uns das Leben hell macht. Was wirklich Leben ausmacht, kommt doch jeweils als Geschenk von außen auf mich zu. Genauso wenig wie ich mich selber erleuchten kann, kann ich mir auch nicht selber sagen, dass ich mich liebe. Ein Münchhausen konnte sich am eigenen Schopfe aus dem Sumpf ziehen, aber der war bekanntermaßen auch ein Schwindler.

Der Prophet Jesaja hat vor ca. 2500 Jahren von einem Licht, einer Hoffnung und einem Neubeginn geschrieben, der Menschen aus ihrer Trostlosigkeit und Ohnmacht befreit. Er hat von einem Kind gesprochen, das geboren wird und das die dunkelste Nacht erhellt. Doch hört selbst:

1 Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. 2 Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude. Vor dir wird man sich freuen, wie man sich freut in der Ernte, wie man fröhlich ist, wenn man Beute austeilt. 3 Denn du hast ihr drückendes Joch, die Jochstange auf ihrer Schulter und den Stecken ihres Treibers zerbrochen wie am Tage Midians. 4 Denn jeder Stiefel, der mit Gedröhn dahergeht, und jeder Mantel, durch Blut geschleift, wird verbrannt und vom Feuer verzehrt. 5 Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst; 6 auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, dass er's stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. Solches wird tun der Eifer des HERRN Zebaoth. (Jes 9,1-6)

Jesaja stimmt einen Freudengesang an, geradeso wie ein Mann, der eben aus der Klinik die freudige Nachricht erhalten hat, dass er Vater geworden ist: ein Kind ist geboren, ein Sohn uns gegeben! Das will doch herausposaunt und weitererzählt werden. Eine solche Nachricht will und kann man doch nicht für sich behalten. Denn mit dem neuen Kind wird doch Lebensgeschichte geschrieben. Es geht weiter im Leben. Die Geschichte wird fortgeschrieben.

Die Botschaft von der Geburt eines neuen Kindes und die Hoffnung, Perspektive und Erwartung, die sich damit verbinden, werden in einer Zeit Israels laut, als es nichts zu hoffen gab. Den Menschen damals musste die Ansage Jesajas erscheinen wie das Pfeifen eines Kindes auf der dunklen Kellertreppe. Denn die damalige Vorfindlichkeit sah doch wahrlich trübe und finster aus. Wenn sie schon Vorlage und Basis eines Liedes sein sollte, dann konnte dabei nur ein Klagelied herauskommen. Aber Jesaja stimmt ein Loblied an. So, wie sich ein frisch gebackener Vater freut, so will er die Menschen mit seiner Freude anstecken.

„Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude. Vor dir wird man sich freuen, wie man sich freut in der Ernte, wie man fröhlich ist, wenn man Beute austeilt“. In der Niedergeschlagenheit der Exilszeit und der daraus resultierenden Sinn- und Glaubenskrise lädt Jesaja ein zum fröhlichen Tanz und Fest. Aber was ist der Grund für seinen Jubel und Anlass seiner Freude: ein Kind ist geboren, ein Sohn uns gegeben!

Ich kann mir gut vorstellen, dass manch ein Zeitgenosse sich damals mit schüttelndem Kopf von Jesaja abgewandt und ihn als Spinner verlacht hat. Angesichts der überwältigenden und im wahrsten Sinne des Wortes erschlagenden Übermacht der Feinde gab es für die Israeliten keine Hoffnung auf Besserung und Veränderung. Sie waren im Kampf erlegen und scheinbar hatte eben auch Gott versagt. Wenn sich in Sieg oder Niederlage zugleich auch die Wirkmächtigkeit eines Gottes widerspiegelt, dann hatten die Israeliten scheinbar aufs falsche Pferd gesetzt.

Und dennoch stimmt Jesaja vollmundig ein Loblied an: „Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude. Vor dir wird man sich freuen, wie man sich freut in der Ernte, wie man fröhlich ist, wenn man Beute austeilt“. Der Haftpunkt seiner Hoffnung und Freude ist die Geburt eines Kindes.

Und wenn schon, mag wohl manch einer gedacht haben. Immer noch reißt uns das Dröhnen der Militärstiefel aus dem Schlaf und lässt uns keine Ruhe finden. Immer noch ist das Leid mit Händen zu greifen und die blutverschmierten Mäntel der Soldaten und ihre totbringenden Waffen zeugen von dem Elend, das über Israel hereingebrochen ist.

Die deprimierende Wirklichkeit findet ihren Widerpart in der Geburt eines Kindes. Krasser könnte der Kontrast wohl kaum sein. Macht trifft auf Ohnmacht. Und doch ist dieses Lied seit dem immer wieder von neuem angestimmt worden. In der Geburt des Kindes liegt eine Kraft begründet, die selbst das Unabänderliche aufbrechen kann. Im Sieg des Lebens, das um sich greift und sich entwickeln will, wird die deutliche Zusage Gottes hör- und erfahrbar, dass er sein Volk nicht preisgibt; dass er Treue hält.

Mit seiner Botschaft hat Jesaja damals gewisslich nicht wie mit einem Paukenschlag das Trauerlied Israels in einem Freudentanz verwandelt. Das hat schon seine Zeit gebraucht. Aber er hat die Hoffnung der Menschen neu entfacht. Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. Nicht dass sie schon da wären, wo sie hin wollen, dass schon erreicht wäre, was man sehnlichst erhofft. Aber die Zeichen stehen auf Veränderung.

In den Worten des Propheten Jesaja sehen wir sich die Geschichte Jesu widerspiegeln und zugleich erfüllen. So wie im Getöse der damaligen Zeit das Wort Jesajas kaum offene Ohren fand, so stießen auch die Hirten auf wenig Gehör und Verständnis. Was sollte schon die Geburt eines Kindes ausrichten und verändern? Inwiefern sollte schon ein Wassertropfen einen Ozean zum Überlaufen bringen?

Die Weihnachtsbotschaft von Jesus bleibt ebenso eine Zumutung wie auch die Worte des Jesaja. Wer Sicherheiten sucht, wird sie nicht finden. Denn was gibt es schon bei einem Kind Bedeutsames zu entdecken. Und dieses Urteil zieht sich ja durch das ganze Leben Jesu wie ein roter Faden hindurch. Das Holz der Krippe erinnert später an das Kreuz von Golgatha. Und die Windeln, in die Maria Jesus eingewickelt hat, sind auch demselben Stoff gewebt wie das Leichentuch, in das er etwa dreißig Jahre später eingeschlagen wird.

Und doch hat sich in aller Unscheinbarkeit und allem Unspektakulären ein Prozess in Bewegung gesetzt, der nicht aufzuhalten ist. Denn seit 2500 Jahren wird dies Lied immer wieder angestimmt. „Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude. Vor dir wird man sich freuen, wie man sich freut in der Ernte, wie man fröhlich ist, wenn man Beute austeilt“. Es ist nicht die Geburt eines Kindes an sich, die die Welt verändert, sondern weil Gottes Handeln darin zum Ausdruck kommt. Alle Trostlosigkeit der Welt kann die Hoffnung nicht auslöschen, dass es doch Licht wird; dass Leben und Gerechtigkeit siegen werden.

Und dann hören wir Sprüche, dass Weihnachten unterm Baum entschieden wird. Zum Glück nicht! Die Geschichte ist schon längst entschieden, nämlich in Jesus. In ihm treffen die alten Verheißungen wahrlich zu. In ihm sehen wir Gottes Stärke, wenn auch ohne weltliche Macht. Er füllt die Ehrentitel ganz neu mit Leben: Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst. In ihm wird Gottes Liebe zu jedem von uns ganz neu deutlich. Und dazu braucht es keine Vorbedingungen, die zu erfüllen wären.

Jeder, auch wenn er noch in der tiefsten Sinnlosigkeit und Finsternis steckt, soll das Licht des Lebens entdecken. Die Sprache des Propheten bildet leider noch immer zutreffend ab, was bis heute gegenwärtige Not ist. "Dröhnende Stiefel – Mäntel durch Blut geschleift".

Aber dabei soll es nicht bleiben. Das soll nicht das letzte Wort über Gottes geschundener Welt sein und bleiben. Nein, „das Volk, das in Finsternis wandelt, sieht ein großes Licht." Und mit dieser Botschaft im Herzen und zugleich auch auf unseren Lippen wollen wir in diese Heilige Nacht und unser Leben zurückgehen.

Lasst euch anstecken von der Hoffnung, die Jesaja vor erwartungsvoller Freude tanzen ließ und die den Hirten von den Engeln verkündigt wurde: Euch ist heute der Heiland geboren! Und eben damit ist Weihnachten entschieden, denn in Jesus verschenkt sich Gottes Liebe, die die Welt verändern will und wird.

Und selbst wenn die Krawatte die falsche Farbe hat, die Schuhe nicht passen und das Handy nicht vom richtigen Hersteller ist: das haut Weihnachten nicht um. Weihnachten ist entschieden in Jesus Christus, dem Kind in der Krippe und dem auferstanden Herrn und Heiland der Welt. Frohe Weihnachten! Amen.


Martin Braukmann, Pfarrer in Oberfischbach, Dezember 2011
Gesammelte Materialien für den Gottesdienst