Alles nicht so schlimm?

Einspruch! Mittwochskolumne von Georg Rieger


Fridays-For-Future-Demo in Nürnberg, an der auch die Hauptversammlung des Reformierten Bundes teilgenommen hat. (Foto: Rieger)

Die freitags demonstrierenden Jugendlichen werden neuerdings als hysterisch, überheblich und sogar demokratiefeindlich bezeichnet. Dahinter steckt eine perfide Strategie.

Als in Dresden Pegida zu Demonstrationen aufrief, um das Abendland vor dem Islam zu retten, wurden diese Demonstranten „besorgte Bürger“ genannt. Politiker*innen, Fernsehteams oder einfache Passanten versuchten mit diesen ins Gespräch zu kommen. Doch sie wurden angeschrien, unflätig beschimpft und sogar tätlich angegriffen. Von erwachsenen Menschen, oft aus einer Generation, die für sich in Anspruch nimmt, noch zu wissen, was Respekt heißt.

Manche von denen demonstrieren immer noch. Doch jetzt sind andere Demonstrationen ins Rampenlicht gerückt, zu denen vorwiegend junge Leute gehen, die sich mit der Wissenschaft verbündet haben und auf die Dringlichkeit des Klimawandels hinweisen. Nachdem auch die Letzten verstanden haben, dass die Missachtung der Schulpflicht kein Nebeneffekt, sondern Teil der Botschaft ist, hat sich die Ist-doch-alles-nicht-so-schlimm-Fraktion darauf verlegt, die Fridays-For-Future-Bewegung als „hysterisch“ zu bezeichnen. Die Jugendlichen würden den Weltuntergang beschwören und sich anmaßen, mit unrealistischen Forderungen die Welt retten zu wollen. Auch der ARD-Comedian Dieter Nuhr hat über die Aktivistin Greta Thunberg Hohn und Spott ausgeschüttet und geriert sich seit einem darauffolgenden Shitstorm als Opfer der Ökodiktatur. Die Bewegung der Jugendlichen und ihre Fürsprecher seien wegen ihrer Radikalität die eigentlichen Feinde der Demokratie.

Hysterisch? Im Gegensatz zu den Pegida-Demonstrationen ist die Grundstimmung bei den Schülerdemos tatsächlich „besorgt“. Von Hysterie keine Spur. Es empfiehlt sich, gelegentlich mal eine dieser Demos zu besuchen oder wenigstens zu beobachten.

Warum auch hysterisch? Denn die Hauptforderung der Schüler-Demos ist schlicht die, etwas zu tun, was längst versprochen war. Und auch viele der weiteren Forderungen sind nicht unrealistisch, sondern gut begründet. Fast alle Wissenschaftler sind derselben Meinung wie die Jugendlichen. Und selbst die Politiker*innen widersprechen nicht, trauen sich nur nicht, etwas davon umzusetzen.

Anmaßend, weil sie den Weltuntergang verhindern wollen? Abgesehen davon, dass jugendliche moralische Überheblichkeit in jeder Generation normal ist, zielt der Vorwurf ins Leere. Die Szenarien der Wissenschaftler zeigen zwar tatsächlich apokalyptische Merkmale (Verwüstung ganzer Landstriche, Überschwemmungen, Völkerwanderungen, Hungersnöte...) und der Weltuntergang wird als Bild gelegentlich gebraucht. Doch alle wissen, dass nicht die Welt untergeht, sondern „nur“ chaotische Zustände auf der Erde herrschen werden. Und wenn der Klimawandel menschengemacht ist, dann ist er logischerweise auch von Menschen aufzuhalten. Das hat mit Anmaßung relativ wenig zu tun, sondern ist schlicht vernünftig.

Demokratiefeindlich? Die Zumutungen für die Bevölkerung, die die Klimaaktivisten fordern – immer noch im Gleichklang mit der Wissenschaft! – seien nicht vermittelbar, sagt Nuhr. Deshalb müssten sie quasi diktatorisch durchgesetzt werden. Und deshalb ist die Bewegung demokratiefeindlich. Alles klar! Dass die Bevölkerung durch eine offene Meinungsbildung von den Klimazielen überzeugt und mitgenommen werden könnte, diese Möglichkeit wird gar nicht in Betracht gezogen.

Spätestens da zeigt sich, was das eigentliche Ziel der Verunglimpfung ist: Es soll sich nichts ändern. Auf keinen Fall sollen die Menschen auf etwas verzichten müssen. Deshalb wird alles lächerlich gemacht. Es ist die Leugnung des Klimawandels auf etwas höherem intellektuellen Niveau. Nichts Anderes. Und das ist traurig.

 

Kommentar Paul O.:

Ja, es ist traurig, wie unsachlich der liebe Herr Rieger hier argumentiert.

Was hat Pegida hier zu suchen?

Von allen Seiten wurden die "Friday for Future"-Aktivisten mit Nachsicht behandelt. Ihre Sorgen haben niemanden kalt gelassen und ihr Anliegen wurde überall Ernst genommen. Kaum ein Schüler hatte disziplinarische Maßnahmen zu erleiden, obwohl Schulverweigerung ein Vergehen ist.

Es ist auch schlicht falsch zu behaupten, es gäbe Kräfte, die nichts ändern wollten. Die Maßnahmen, die von der EU und von unserer Regierung seit Jahren umgesetzt werden, haben zu einer massiven Reduzierung des klimaschädlichen CO2 Ausstoßes geführt. Der gleichzeitige Ausstieg aus der Atomenergie und die Forderung auch den Stickoxidausstoß zu reduzieren, die mit den Klimazielen nichts zutun haben, erweisen sich allerdings als erschwerend für den konsequenten Abbau von Treibhausgasen.

Wenn angesichts dieser sehr schwierigen klimapolitischen Herausforderungen ein Kabarettist wie Dieter Nuhr die radikalen Forderungen mancher Klimaaktivisten für unvernünftig hält, ist das  keineswegs verwerflich.

Der übereilte Umstieg in die Batterie-Technologie, die unserem Planeten weitere Umweltbelastungen bringt, trägt hysterische Züge, wenn man doch weiß, dass mit etwas Geduld viel bessere Lösungen zu erzielen wären.

Der Klimawandel ist eine Realität. Deshalb müssen wir ihm bei uns, aber auch in China, Indien und den USA, mit vernünftigen und technologisch ausgereiften Lösungen begegnen. 

 

Kommentar/Antwort Georg Rieger:

Gerne will ich meine Bezugnahme auf Pegida noch einmal erklären:

In Dresden und anderswo demonstrierten hysterische, aufgewiegelte und hasserfüllte Menschen und wurden über lange Zeit von der Presse und aus der Politik "besorgte Bürger" genannt. Nun verleihen Jugendliche friedlich und unaufgeregt Forderungen aus der Wissenschaft Nachdruck und werden als hysterisch und demokratiefeindlich bezeichnet. Da erkenne ich ein gewisses Ungleichgewicht, auf das ich mich erlaubt habe hinzuweisen.

Es stimmt: Niemand sagt, dass er "nichts" verändern will. Aber diejenigen, die das Sagen haben, sagen, dass sie nur ganz wenig verändern wollen und sich damit noch Zeit lassen. So passiert zunächst einmal tatsächlich so gut wie nichts. Von "unbedachten und gefährlichen Verzweiflungstaten" sind wir sehr weit entfernt.

Der Bundesregierung lagen zu ihren Klima-Beratungen Vorschläge einer von der Bundesregierung selbst eingesetzten Experten-Kommission vor. Diese Experten haben Maßnahmen benannt, die die vereinbarten Ziele des Weltklimagipfels hätten erreichbar werden lassen. Sie waren auch sozialverträglich ausgewogen und haben technologische Fortschritte einberechnet. Hätte die Bundesregierung diese Vorschläge ernst genommen, säßen die Schüler*innen wahrscheinlich längst freitags wieder in der Schule. Haben sie aber nicht. Und deshalb muss es mit dem Streiken und Demonstrieren weiter gehen.

In der Bewegung selbst werden unterschiedliche Forderungen gestellt und diskutiert, das ist richtig. Manche davon mögen nicht ausgereift sein oder über das Ziel hinausschießen. Aber Friday for Future ist keine Expertenkommission, sondern eine Bürgerbewegung, die ihrer Regierung in den Hintern treten will. Und genau so geht das in der Demokratie.

Diese Zerrbilder von Panik, Angst und Hoffnungslosigkeit unter den Klimaaktivisten tragen überhaupt nichts zur sachlichen Debatte bei. Aber diese Titulierungen scheinen manchen Leuten sehr wichtig zu sein (siehe oben).