Auf der Flucht

Mittwochs-Kolumne von Barbara Schenck

Eine schier unermessliche Zahl von Flüchtlingen drängt in die Stadt. Die Zahl der Stadtbevölkerung verdoppelt sich in weniger als zehn Jahren. Höfe werden zugebaut und Häuser aufgestockt. Die Neuankömmlinge können bleiben. Der ortsübliche Wucherzins wird verboten. Jetzt haben auch weniger wohlhabende Flüchtlinge die Chance, sich eine eigene Existenz aufzubauen. So war's im Genf Calvins.

Der frühneuzeitlichen Stadt gelang es, "Ressourcen zu erschließen, die sich in Normaljahren dem Blick des Historikers verschießen", schreibt ein Professor für Schweizer Geschichte. Die "Reformation der Flüchtlinge", einer der Namen für die reformierte Variante der Kirchenerneuerung im 16. Jahrhundert, nahm ihren Lauf.

Die Annahme, genauer gesagt, die Unterstellung, Flüchtlinge könnten die "sozialen Sicherungssysteme unseres Landes auszunutzen" ist ein Leitsatz im CDU-Regierungsprogramm zum Thema Asyl. Da mag es als ein herausragender humanitärer Akt erscheinen, ein Kontingent von 5000 Syrer_innen aufzunehmen. 5000 - so viele Menschen fliehen momentan pro Tag vor dem Bürgerkrieg im eigenen Land. Die Nachbarstaaten Jordanien und die Türkei haben bereits jeweils rund 500.000 Flüchtende aufgenommen, der Libanon sogar über 700.000. Hört für deutsche Staatsbürger_innen die Verbundenheit mit anderen Menschen an der Landesgrenze auf? Oder an der EU-Außengrenze? Macht Wohlstand träge?
"Des Menschen Sünde ist des Menschen Trägheit", schrieb Karl Barth. "Gemeint ist: das böse, das schlechthin verbotene und verwerfliche Unterlassen" (KD IV,2,452). Aber es ist ja so was von mega-out, das Wort "Sünde" in den Mund zu nehmen.
Gut, dass es ein paar Menschen gibt, die von ihrer Freiheit Gebrauch machen und handeln, wie etwa Annegret Hoffmann und ihr Mann im Verein Jusur, auf Deutsch "Brücken". Zwei Schulen für syrische Flüchtlingskinder haben sie mittlerweile errichtet, eine von ihnen in Hacipasa. Der 2500-Seelen-Ort im Süden der Türkei hat so viele Flüchtlinge wie Einwohner aufgenommen. Manch eine Hausfrau backt dort einfach ein Brot mehr.
Andernorts ist die Diakonie Katastrophenhilfe in Flüchtlingscamps aktiv - und dankbar für jede Spende.

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Barbara Schenck, 11. September 2013