Brexit ist nicht das Ende

Mittwochskolumne von Paul Oppenheim


© Pixabay

Im März 1988 kamen drei Kirchen zu dem Schluss, dass sie beinahe volle Gemeinschaft untereinander erreicht hätten. Die anglikanische Kirche von England, der Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR und die Evangelische Kirche in Deutschland.

Die Delegierten übergaben die sogenannte „Meissener Erklärung“ ihren Kirchenleitungen und Synoden als Ergebnis dreijähriger theologischer Verhandlungen. Am 29. Januar 1991 wurde diese Erklärung schließlich auf dem Altar der Westminster Abbey in London feierlich unterzeichnet.

Das Besondere an dieser theologischen Erklärung liegt tatsächlich darin, dass sie knapp vor der Feststellung voller Kirchengemeinschaft zwischen den englischen Anglikanern und den deutschen Protestanten innehält, weil sich die beteiligten Kirchen nicht „in vollem Einklang“ miteinander befinden. Obwohl der ganze Text der theologischen Feststellung darauf zusteuert, die volle Kirchengemeinschaft zu erklären, wird am Ende ein Unterschied im Amtsverständnis zum Hindernis. Bei genauer Betrachtung ist es nicht einmal ein Unterschied im Amtsverständnis, der die Kirchen trennt, sondern eine unterschiedliche Bewertung des Leitungsamtes. Es geht um die Frage, welche Rolle Bischöfe für die Einheit der Kirche spielen.

Einige Jahre später konnten sich die Anglikaner mit den Lutheranern aus Dänemark, Finnland, Norwegen und Schweden in diesem Punkt verständigen. Mit den deutschen Landeskirchen gibt es trotz ernsthafter theologischer Konferenzen in dieser Frage bis heute noch keine Einigung. Trotzdem oder gerade deshalb ist die Beziehung zwischen den englischen und deutschen Kirchen lebendig und fruchtbar. Es kommt zu vielen Begegnungen, Partnerschaften und gemeinsamen Projekten auf allen Ebenen. Die unterschiedlichen Traditionen und theologischen Denkweisen werden respektiert und als Bereicherung gewürdigt.

Auf dem Hintergrund dieser kirchlichen Erfahrungen wird verständlich, wie schwer sich Engländern damit tun, so etwas wie volle Gemeinschaft zu akzeptieren. Insofern stellt der Brexit für kirchliche England- Kenner keine wirkliche Überraschung dar. Es gibt da etwas - und man kann es kaum in Worte fassen- was die Besonderheit Englands ausmacht und die volle Zugehörigkeit zu so etwas wie einer Europäischen Union oder einer Gemeinschaft Europäischer Kirchen in Europa (Leuenberg) nicht zulässt. Zu dem Englischsten, was England zu bieten hat, gehört neben der Queen und dem Criquetspiel  sicher auch die Kirche von England mit ihren prächtigen Kathedralen, Knabenchören und violett gekleideten Bischöfen. So können wir aus der Ökumene lernen, dass die ehrliche Anerkennung bestehender Differenzen  nicht am Ende, sondern am Anfang des „Weges zu sichtbarer Einheit“1 steht. Aus dieser Perspektive darf man den Brexit nicht als den Schluss, sondern als den Beginn einer erneuerten, nachhaltigen und vertieften Beziehung Englands zu den Staaten des „Kontinents“ deuten.

1 Auf dem Weg zu sichtbarer Einheit, Eine gemeinsame Feststellung, 18. März 1988, Meißen https://www.ekd.de/die-meissener-erklaerung-23807.html


Paul Oppenheim