Buchtipp: Wohin steuert das 'Modell' Volkskirche?

Tagungsband dokumentiert die Diskussion über Form der verfassten Kirche


Das zurückliegende Jahrhundert war ein Jahrhundert im Wandel, der zunehmend auch das Modell der Volkskirche in Frage stellt.

Die großen Kirchen in Deutschland agieren seit der Weimarer Reichsverfassung im Jahr 1919 als ‚Körperschaften des öffentlichen Rechts‘. Schon seit dem 19. Jahrhundert entwickelten sie ein Selbstverständnis der Volkskirche, das sich auf unterschiedlichen Ebenen und in vielfältigen Facetten manifestierte. Aber das zurückliegende Jahrhundert war ein Jahrhundert im Wandel, der zunehmend auch das Modell der Volkskirche in Frage stellt. Der Diskussion dieser Frage, basierend auf der Darstellung des Volkskirchenbegriff in unterschiedlichen historischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen, hatte sich die Kommission für kirchliche Zeitgeschichte der Evangelischen Kirche von Westfalen auf einer Konferenz im vergangenen Frühjahr gewidmet. Jetzt erschien ein Tagungsband, der die vielfältigen Beiträge der Konferenz dokumentiert.

Nachzulesen sind im Tagungsband mit dem Titel ‚“Modell“ Volkskirche?‘ Beiträge zu historischen Entwicklungen und Stationen des Volkskirchen-Modells. Kompetente Referentinnen und Referenten lassen nachvollziehen, wie sich das Bild von Kirche unter unterschiedlichen gesellschaftlichen Voraussetzungen gewandelt und weiterentwickelt hat.

So stellt unter anderem die Bochumer Professorin für Kirchengeschichte Ute Gause die „Gemeindepflege der Sareptadiakonissen im Ruhrgebiet und in Westfalen“ vor, der Tübinger Theologie-Professor Jürgen Kampmann gibt einen Einblick in „Konkurrierende Konzeptionen von Volk, Kirche und Volkskirche in der nationalsozialistischen Zeit“, Axel Noack, Alt-Bischof der Kirchenprovinz Sachsen, steuert „Überlegungen zur ‚Volkskirche‘ in der DDR“ bei, es geht um Deutungskonflikte nach 1945, Kirchenkritik um 1968 und vieles mehr. Einen Überblick über „Kirche im Volk - Transformationen kirchlicher Leitbilder seit dem 19. Jahrhundert“ verschafft der Professor am Bochumer Lehrstuhl für Christliche Gesellschaftslehre Traugott Jähnichen, der auch Mitglied der Kirchenleitung in der Evangelischen Kirche von Westfalen ist.

Herausgeber Vicco von Bülow, Landeskirchenrat in der westfälischen Kirche, will mit dem neuen Buch einen Beitrag leisten, Kirche zu verstehen. Das, so der Theologe, sei eine Grundlage dafür, Kirche für die Zukunft zu gestalten. Daher könne ein Blick in die Kirchengeschichte auch angehenden Pfarrerinnen und Pfarrern oder Religionslehrerinnen und -lehrern ein historisch begründetes Verständnis für das Gefüge erschließen, in dem sie ihre künftigen Aufgaben wahrnehmen werden.

Dass sich das Verständnis von Kirche weiter verändern wird, daran lassen die Autorinnen und Autoren des Buches keinen Zweifel. In seinem Vorwort zitiert v. Bülow die Theologin Uta Pohl-Patalong, die eine Kirche beschreibt im „Übergang von der Volkskirche in eine Kirchenform, für die Begrifflichkeit und Gestalt erst noch erarbeitet werden müssen.“ Dafür gelte aber ganz pragmatisch: „Die aktuelle Situation der Kirche braucht den Mut, mit kleinen Schritten zu beginnen, ohne zu wissen, ob sie zu einer langfristig tragfähigen Lösung führen.“

Der Tagungsband mit dem Titel ‚“Modell“ Volkskirche?‘ ist erschienen im Bielefelder Luther-Verlag und kostet 29,90 Euro.